Themen / Rechtspolitik

Nachträg­liche Siche­rungs­ver­wah­rung für Jugendliche und Heran­wach­sende – ein weiterer Schritt in die falsche Richtung

08. August 2008

Mitteilungen Nr. 201, S. 11

Am 20. Juni 2008 hat der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD die so genannte nachträgliche Sicherungsverwahrung für Jugendliche und Heranwachsende beschlossen. Die Erweiterung des § 7 Jugendgerichtsgesetz (JGG) sieht vor, dass das Gericht nach einer Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren wegen eines Verbrechens gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder wegen Raubes, räuberischer Erpressung oder räuberischen Diebstahls nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen kann. Weitere Voraussetzungen sind, dass das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist und vor Ende des Vollzugs dieser Jugendstrafe Tatsachen erkennbar sind, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Das Gericht soll vor der Entscheidung eine Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der Jugendstrafe vornehmen. Ergibt sich aus dieser Gesamtwürdigung eine hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung erneuter Straftaten der vorbezeichneten Art, so kann die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Unter bestimmten Voraussetzungen ist es möglich, eine nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen, wenn der Jugendliche oder Heranwachsende zunächst wegen einer der aufgeführten Taten in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurde. Sollte dort festgestellt werden, dass der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand (auf dem die Unterbringung beruhte) nicht mehr besteht, kann die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden.

Die Sicherungsverwahrung dient dazu, als so genannte Maßregel der Besserung und Sicherung, die Allgemeinheit vor als gefährlich beurteilten Straftätern zu schützen. Sie ist eine freiheitsentziehende Maßnahme, die zusätzlich zur der verhängten Freiheitsstrafe angeordnet wird und regelmäßig im Anschluss an sie vollstreckt wird. Die Dauer dieses zweiten Freiheitsentzuges ist grundsätzlich unbefristet, wobei die Maßnahme bei Jugendlichen und Heranwachsenden jährlich überprüft werden soll.

Bisher konnte die Sicherungsverwahrung bei einer ständigen Erweiterung des Anwendungsbereichs nur für Erwachsenen angeordnet oder im Urteil vorbehalten und für Heranwachsende vorbehalten oder nachträglich angeordnet werden, sofern sie nach allgemeinem und nicht nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden.
Die nun eingeführte nachträgliche Sicherungsverwahrung für Jugendliche und Heranwachsende, die nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden, widerspricht den Grundsätzen des Jugendstrafrechts und einem rechtsstaatlichen Umgang mit jungen Straftätern. Sie ist Teil einer Sicherheitspolitik, die frei von Rationalität agierend, einzelfallorientierte Politik mit symbolischem Charakter in den Mittelpunkt stellt.

Das Jugendstrafrecht ist vom Erziehungsgedanken geprägt. Demnach müssen alle Maßnahmen, die gegen eine Person verhängt werden, sich zumindest auch an den Bedürfnissen und sozialen Defiziten des Verurteilten orientieren, um durch eine positive Einwirkung Straftaten in der Zukunft zu verhindern. Die Umsetzung dieses Gedankens erscheint bereits bei den bisher bestehenden Sanktionen wie dem Jugendarrest und der Jugendstrafe kaum möglich. So sind sich Kriminologen weitgehend einig, dass die negativen Folgen für die Jugendlichen und Heranwachsenden etwaige positive Wirkungen von sozialen Trainingsmaßnahmen und Ausbildungsmöglichkeiten überwiegen.

Die Sicherungsverwahrung, die während der Zeit des Strafvollzuges angeordnet werden kann, verstärkt die negativen Auswirkungen erheblich und kann zu einer weiteren Steigerung der gerade bei Jugendstrafe ohnehin sehr hohen Rückfallquoten führen.
Für die Wiedereingliederung junger Menschen in die Gesellschaft ist es wichtig, dass eine konkrete Zukunftsperspektive für ein Leben in Freiheit eröffnet wird. Sicherungsverwahrung stellt sich aus der Sicht des Strafgefangenen jedoch als Doppelbestrafung dar, die sich nicht an der begangen Straftat oder Sozialisationsdefiziten orientiert, sondern an einer für den Jugendlichen oder Heranwachsenden nicht nachvollziehbaren Gefährlichkeit seiner Person. Zu Lasten des Verurteilten wirkt zudem, dass neue Tatsachen, die eine besondere Gefährlichkeit über die Anlasstat hinaus begründen, nicht erforderlich sind, um die Sicherungsverwahrung anzuordnen. Somit bietet auch ein angepasstes Verhalten im Strafvollzug keinen abschließenden Schutz vor weiterem Freiheitsentzug. Diese Bedrohung und die daraus resultierende Ungewissheit bzgl. des Entlassungszeitpunktes betreffen bei einer nachträglichen Anordnungsmöglichkeit alle Strafgefangenen, die die formalen Voraussetzungen erfüllen. Durch die Unbefristetheit der Maßnahme ist zudem auch nach der Anordnung im Einzelfall unsicher, zu welchem Zeitpunkt eine mögliche Entlassung bevorsteht. Zunehmende Deprivation und Hoffnungslosigkeit, die einer erfolgreichen Resozialisierung unmittelbar entgegenwirken, sind die Folgen.

Besondere Schwierigkeiten ergeben sich bei einer Gefährlichkeitsprognose für junge, noch in der Entwicklung befindliche Menschen. Sichere Prognosemethoden, die vorhersagen könnten, ob eine Person in der Zukunft wieder straffällig wird, existieren ohnehin nicht. Bei der Beurteilung von Jugendlichen, Heranwachsen und Jungerwachsenen steigert sich die hohe Fehleranfälligkeit der Methoden zusätzlich aufgrund der sich verändernden Persönlichkeit und der höheren Beeinflussbarkeit. Dies gilt umso mehr, da die Gesamtwürdigung zu einem Zeitpunkt stattfindet, in dem sich der Verurteilte im Strafvollzug befindet, die Einschätzung also auch auf einem Verhalten in einer ungewöhnlichen, vom normalen Umfeld weitgehend abgekoppelten Umgebung basieren kann. Die Unzulänglichkeiten der Prognosemethoden dürften dabei regelmäßig zu Lasten des Verurteilten gehen, da Gutachter häufig das Risiko positiver Prognosen scheuen werden, die im Fall einer Rückfälligkeit als ihre Fehlentscheidungen ausgelegt werden.

Diese unsichere empirische Basis kann in rechtsstaatskonformer Weise das Wegsperren über die angemessen Strafe hinaus jedenfalls nicht legitimieren, was sich auch in der Ablehnung des Gesetzesentwurfs durch sechs der acht an der Anhörung des Rechtauschutzes beteiligten Gutachter zeigt.

Dennoch wurde der Gesetzesentwurf beschlossen, wobei bereits die Problemanalyse im Entwurf der Bundesregierung eine mangelnde Orientierung an relevanten gesamt-gesellschaftlichen Grundlagen und eine Fokussierung auf Einzelfälle offenbart. So heißt es einführend: „Beispiele der jüngeren Vergangenheit haben gezeigt, dass auch junge Straftäter trotz Verbüßung einer mehrjährigen Jugendstrafe wegen schwerer Verbrechen weiterhin in hohem Maße für andere Menschen gefährlich sein können.“ Nicht hinreichend beachtet wurde, dass die Anzahl der erfassten Taten, die Anlass für eine Sicherungsverwahrung sein können, seit Jahren stagniert und bei schwersten Delikten wie Mord und sonstigen vorsätzlichen Tötungen stark rückläufig ist (von 1995 bis 2007 ein Rückgang um ca. 40 %). Gleichzeit stieg die Anzahl der in Sicherungsverwahrung befindlichen Personen im Zeitraum von 1995 bis 2007 von 183 auf 427, also um ca. 130 %.

Die Verschärfung des Jugendstrafrechts ist rational nicht zu begründen. Sie schadet den Jugendlichen und Heranwachsenden, erschwert die Wiedereingliederung in die Gesellschaft und im Einzelfall basiert die Entscheidung auf unausgereiften Zukunftsprognosen. Insgesamt findet die Einführung der Sicherungsverwahrung keinen Rückhalt in der Entwicklung der erfassten Straftaten. Die vom Gesetzgeber angestoßene Diskussion schürt ein weiteres Mal Unsicherheit in der Bevölkerung vor angeblich unkontrollierbaren, unverbesserlichen, gewalttätigen jungen Menschen. Lösungen für bestehende Bildungs-, Integrations- und soziale Probleme, die Gewaltdelinquenz befördern, bietet sie nicht.

Dr. Jens Puschke
ist im Bundesvorstand der Humanistischen Union

nach oben