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Partei­fi­nan­zie­rung korrigieren

Mitteilungen17703/2002Seite 7-8

Mitteilungen Nr. 177, S.7-8

„Unsere Demokratie bedarf dringend einer Auffrischung“ schrieb Tobias Baur zum Thema Volksabstimmung. Das gilt ebenso für die HUMANISTISCHE UNION (HU). Ihre Mitglieder sollten erkennen, dass die eben in Reaktion auf die Ereignisse des 11. September vorgenommene drastische Einschränkung der Bürgerrechte auch ein Beweis für ein Scheitern der Strategie ist, Bürgerrechte allein durch die Einflußnahme auf eine meinungsbildende und prominente Elite wahren oder gar fördern zu wollen. Die Einschränkung war durchsetzbar, weil die Bevölkerung nicht darüber aufgeklärt ist, dass ihre Menschenrechte nur durch ihre Bürgerrechte geschützt sind
und dass Informations-, Meinungs- und Bewegungsfreiheit in Form der Freiheit von staatlicher Überwachung nicht allein der privilegierten Elite zugute kommt, die sie am extensivsten nutzen kann und zu nutzen weiß. Dieses Aufklärungsdefizit erklärt, warum es gegen den erfolgten Schritt, hin zum „autoritären Staat“ keinen breiten Protest gegeben hat. Die in der HU versammelte kritische Intelligenz kann daraus lernen, dass ihre eigenen Freiheiten vom Freiheitsbewußtsein der gesamten Bevölkerung abhängen.
Der HU-Begründer Gerhard Szczesny hat sich selbst sehr wohl um eine breitere Aufklärung bemüht. Die ist aber erstens immer auch Selbst-Aufklärung und zweitens ein Prozess, der nie abgeschlossen werden kann.
Viele Gesellschaftsmitglieder können Parteien und Politiker immer weniger als Vertreter ihrer Grundinteressen betrachten, sehen sie vor allem mit dem Ziel agieren, sich selbst an der Macht zu halten, dafür notfalls Partei-Grundsätze und individuelle ethische Grundsätze zu opfern. Doch sie verfügen über keine Möglichkeit, dagegen zu protestieren. Eine Wahl-Enthaltung wird nicht den aktiven und bezahlten Mitgliedern des Politiksystems zur Last gelegt, sondern denen, die sich nicht mehr in der Lage sehen, auch nur ein kleinstes Übel zu wählen: sie werden der politischen Apathie
beschuldigt.
Daran ließe sich etwas ändern; werden doch die deutschen Parteien, unter Bezug auf ihre öffentliche Aufgabenstellung, seit 1959 ganz wesentlich mit staatlichen Mitteln finanziert. Dabei ist der von ihnen zu führende Wahlkampf speziell zu berücksichtigen.
Mein Vorschlag läuft darauf hinaus, als weiteren Korrekturfaktor
die Wahlbeteiligung einzuführen. Dazu wäre zunächst eine Einigung über eine „normale Wahlbeteiligung“ nötig. Wird diese genau erreicht, bleibt alles wie es ist. Wird sie überschritten, erhalten sämtliche Parteien einen festgelegten, mit der Beteiligungshöhe progressiv anwachsenden zusätzlichen Betrag pro Wählerstimme. Wird sie unterschritten, müssen sie einen ebenfalls progressiv anwachsenden Abzug hinnehmen. Die übrigen Finanzierungsregeln müssten darauf abgestimmt werden, dass die Parteien eine Wirkung ihres gemeinsamen Vermögens oder Unvermögens, Wähler an die
Urne zu bringen, als Belohnung oder Bestrafung deutlich zu spüren bekommen. Es dürfte also kein Ausgleich stattfinden, selbst wenn das zu einem Überschreiten der bisher als absolut gesetzten Obergrenze führen würde.
Auf diese Weise würde der Spieß einmal umgedreht, würden Parteien und Politiker für das Wahlverhalten der Bevölkerung
verantwortlich gemacht. Selbst wenn der Anreiz für Reformen mit dem Ziel bessere Wählbarkeit gering sein mag – sie würden immerhin gezwungen, sich mit dem Problem der Wahlenthaltung
auseinanderzusetzen, und diese würde bei jeder Wahl erneut zu einem öffentlich beachteten und diskutierten Thema werden. Der Gefahr, dass durch solch eine Möglichkeit Wählerinnen und Wähler dazu animiert werden könnten, den politischen Akteuren die rote Karte zu zeigen, würde durch die zu erwartende Repolitisierung begegnet. Die könnte das gesamte Politiksystem beleben und dazu beitragen, dass etwas von der idealen Balance zwischen ihm und dem Wirtschaftssystem wiedergewonnen wird, die durch die Dominanz der Global Players im letzteren verlorengegangen ist.
Ein bißchen Umdenken wäre für eine solche Initiative, die von Fachleuten präzisiert werden müsste, allerdings schon nötig.

                                                                                        Akelei Fischer

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