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Das Ende des Infor­man­ten- und Daten­schut­zes?

Mitteilungen19911/2007Seite 6 - 9

Fachtagung zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland am 17. September 2007 in Berlin, Mitteilungen Nr. 199, Seite 6 – 9

Das Ende des Informanten- und Datenschutzes?

Die Humanistische Union hat am 17. September 2007 in Berlin eine rechtspolitische Tagung zur Einführung der sogenannten Vorratsdatenspeicherung durchgeführt. Die gut besuchte Veranstaltung wurde gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD), dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDVZ), der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di (dju), dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV), dem Deutschen Presserat, dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), dem Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) und dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) angeboten. Die Vorratsdatenspeicherung ist im „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen…“ enthalten, das am 9. November 2007 vom Bundestag verabschiedet wurde. (s. Bericht auf Seite 1) Sie verpflichtet alle Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen, sämtliche Angaben über die Kommunikationsverbindungen ihrer Kunden für die Dauer von sechs Monaten zu speichern und für eine eventuelle Einsichtnahme und Zugriff durch Polizei, Staatsanwaltschaften und Geheimdienste bereitzuhalten. Kritiker haben immer wieder auf die Gefahren hingewiesen: Die automatisierte Rekonstruktion des Kommunikationsverhaltens ermöglicht Kommunikations- und Bewegungsprofile und eröffnet den Einblick in individuelle Interessen und soziale Netzwerke des Einzelnen; sie greift damit tief in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger und ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Zu Beginn der Tagung stellten die Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, Prof. Dr. Rosemarie Will, und Dr. Christoph Fiedler vom Verband Deutscher Zeitungsverleger noch einmal die grundsätzlichen Kritikpunkte an der Speicherung der  Verbindungsdaten für eine spätere, in keiner Weise absehbare Verwendung dar. Beide verwiesen auf die hohe Bedeutung des Fernmeldegeheimnisses und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung für den Rechtsstaat, für eine freie  Bürgergesellschaft und für die ungehinderte Recherchearbeit der Medien.

Der erste Teil der Fachtagung unter Moderation des früheren Berliner Datenschutzbeauftragten Prof. Dr. Hansjürgen Garstka behandelte die „Ermittlungspraxis und die technischen Notwendigkeiten“ bei der Speicherung von Verbindungsdaten. Bundesanwalt Michael Bruns versuchte Verständnis für die Forderung der Strafverfolgungsbehörden nach einer längeren Speicherung der Verbindungsdaten zu gewinnen. Durch die zunehmende Ausweitung von Pauschaltarifen (flat rates) für Telefon-, Handy- und Internetnutzung entfalle die Notwendigkeit, Verbindungsdaten zu Abrechungszwecken zu speichern. Ermittlungsbemühungen zur Auswertung von Kommunikationsspuren Verdächtiger liefen deshalb immer häufiger ins Leere. Die unabhängig vom Vertragsverhältnis vorzunehmende Erfassung und Speicherung der Verbindungsdaten sei insofern nur eine logische Konsequenz des geänderten Kommunikationsverhaltens und zur Erhaltung einer wirksamen Strafverfolgung – gerade auch zur Entlastung Unschuldiger – unverzichtbar. Er sehe darin auch keine Ausweitung der staatlichen Überwachung, sondern nur den Ersatz von früher gegebenen Ermittlungsmöglichkeiten. Das in den U.S.A. übliche Quick-Freeze-Verfahren sei aus seiner Sicht kein geeignetes Mittel, weil der Gegenstand des Strafverfahrens in der Regel historischer Natur ist. Diese Positionen und Einschätzungen stießen allerdings in der anschließenden Diskussion auf heftigen Widerspruch. Klaus Landefeld vom eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V. stellte in seinem Vortrag dar, dass insbesondere im Internetbereich noch ganz erhebliche, ungelöste technische Probleme bestünden. Es existierten noch nicht einmal technische Richtlinien, was genau und wie zu speichern sei, so sich dass bei der Erfassung und Speicherung der Verbindungsdaten, ihrer Sicherung gegen zufällige Verluste oder unbefugte Zugriffe sowie bei der Gewährleistung der Beweissicherheit eine Vielzahl offener Fragen ergäben. Hinzu kämen – wie auch im Festnetz- und Mobiltelefonbereich – die Probleme des riesigen Datenumfanges und des dafür nötigen Speichervolumens sowie der fehlenden Harmonisierung der rechtlichen und technischen Regelwerke zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU.
Constanze Kurz vom Chaos Computer Club Berlin stellte in ihren Ausführungen die Vorratsdatenspeicherung in den Zusammenhang der anderen bereits vollzogenen oder beabsichtigten gesetzlichen Überwachungsmöglichkeiten (Ausweitung der Videoüberwachung, biometrische Daten in Ausweispapieren, automatisches Erfassen der Kfz-Kennzeichen, Online-Durchsuchung privater Festplatten). Sie erlebe in ihrer Arbeit jeden Tag, wie viele Bürgerinnen und Bürger um den Schutz ihrer Privatsphäre besorgt sind, zumal die Sicherung der Datensammlungen gegen Missbrauch oder Manipulation in keiner Weise gewährleistet sei. Vertrauen in die vorgesehenen Verfahrenssicherungen könne man nach den bisherigen Erfahrungen mit dem Richtervorbehalt bei der Telefonüberwachung oder mit der Benachrichtigung der Betroffenen nicht mehr haben. Im Gegenteil müsse man befürchten, dass auf die Einführung der Vorratsdatenspeicherung demnächst auch ein Verbot der anonymen Nutzung des Internet und eine erneute Diskussion über das Verbot von Anonymisierungsprogrammen folge.

Im zweiten Teil der Tagung wurde unter der Moderation von Prof. Dr. Rosemarie Will die Vorratsdatenspeicherung aus verfassungs- und europarechtlicher Sicht bewertet. Prof. Dr. Marion Albers sah die europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht durch die Binnenmarktkompetenz aus Art. 95 EG-Vertrag gedeckt. Dass auch in Brüssel insofern gewisse Zweifel bestanden haben, sei daraus abzulesen, dass in der Richtlinie zwar die Erfassung der Daten durch die Provider sehr detailliert geregelt, die Weitergabe der Daten an die zuständigen Behörden dagegen weitgehend offen gelassen werde. Aber auch bei der materiellen Vereinbarkeit mit den Gemeinschaftsgrundrechten (Berufsfreiheit der TK-Unternehmen, Schutz der Privatsphäre und der unbeobachteten Kommunikation der TK-Teilnehmer) bestehen aus ihrer Sicht erhebliche Zweifel. Bei der rechtlichen Beurteilung der Regelungen im deutschen Umsetzungsgesetz sei von Bedeutung, dass die große Mehrheit der gespeicherten Verbindungsdaten gar nicht für die im Gesetz auch nur unzureichend präzisierten Zwecke benötigt würden, also im Rechtssinn nicht erforderlich sind. Hinzu komme die große „Streubreite“ der gespeicherten Verbindungsdaten, der Umstand, dass sich bei diesen Daten die äußeren Umstände der Kommunikation nur schwer von den Inhalten des Austausches trennen ließen, sowie die Möglichkeit, Rückschlüsse auf Kommunikationsnetzwerke und -inhalte zu ziehen, woraus sich insgesamt aus ihrer Sicht ein unverhältnismäßiger Grundrechtseingriffs ergebe. Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des deutschen Umsetzungsgesetzes vertrat Prof. Dr. Thomas Würtenberger in seinem Vortrag gegensätzliche Positionen. Zunächst sei zu berücksichtigen, dass die Datenspeicherung bei den privaten Diensteanbietern erfolge und damit dem unmittelbaren Zugriff des Staates entzogen sei. Der mit der Speicherung verbundene Eingriff in das Fernmeldegeheimnis sei daher nicht so schwerwiegend wie in anderen Mitgliedesstaaten, die eine zentrale staatliche Datenspeicherung planten. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Datenspeicherung müsse berücksichtigt werden, dass die Verbindungsdaten nicht nur zur Aufklärung von Straftaten, sondern auch zur Abwehr von Gefahren genutzt werden sollen. Auch nur ein verhinderter terroristischer Anschlag qualifiziere nach seiner Auffassung die Vorratsdatenspeicherung schon als geeignete Maßnahme. Deshalb müsse die gesetzliche Entscheidung, ob künftig auf gespeicherte Verbindungsdaten zurückgegriffen werden darf, nach politischen Gesichtspunkten erfolgen. Die Entscheidung könne dann in einer späteren Evaluation kritisch überprüft werden. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des mit der Vorratsdatenspeicherung verbundenen Grundrechtseingriffs gab Herr Würtenberger zu bedenken, dass die Speicherung ja nur für den begrenzten Zeitraum von sechs Monaten erfolge und damit keine lückenlose Registrierung von Lebensäußerungen verbunden sei. Allerdings habe das Bundesverfassungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung zu Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis und in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sehr hohe Hürden errichtet, so dass er – auch im Hinblick auf die im Vortrag von Herrn Landefeld angesprochenen Probleme der technischen Datensicherheit und die finanzielle Belastung der TK-Unternehmen – insgesamt skeptisch sei, ob das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen werde. In der anschließenden, sehr lebhaften Diskussion wurden die Auffassungen des Referenten zur Geeignetheit der Vorratsdatenspeicherung und seine persönliche Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der damit verbundenen Grundrechtseingriffe sehr kritisch bewertet.

Der dritte Teil der Tagung unter der Moderation von Dr. Fredrik Roggan behandelte die „Verbindungsdaten in der Strafverfolgung„.
Prof. Dr. Petra Velten stellte in ihrem Vortrag zunächst heraus, dass die Vorratsdatenspeicherung einen weiteren Schritt in Richtung einer „panoptischen Gesellschaft“ darstelle, bei der auf der einen Seite der Bürger zunehmend durchschaubar und kontrollierbar werde, während auf der anderen Seite das staatliche Handeln nur begrenzt überprüfbar sei, weil gegen verdeckte Eingriffe ein effektiver Rechtsschutz kaum möglich ist. An der Vorratsdatenspeicherung ist aus ihrer Sicht besonders problematisch, dass bei einem Zugriff auf die Verbindungsdaten neben dem Beschuldigten auch sämtliche Kontaktpersonen des Beschuldigten ins Visier geraten (ohne bisher bestehende Zeugnisverweigerungsrechte zu berücksichtigen), dass dabei auch Zufallsfunde verwertet werden können, die möglicherweise zu neuen Vorfeldmaßnahmen führen und dass die gewonnenen Erkenntnisse als Ermittlungsansatz auch für Bagatellstraftaten nutzbar sind. Eine Begrenzung ergebe sich nur im Hinblick auf die beschränkten Personalkapazitäten der Strafverfolgungsbehörden, ohne dass dies aber nach außen transparent und damit auch kontrollierbar sei. Außerdem bestehe die Gefahr, dass die Aussagekraft der Verbindungsdaten überbewertet und andere Ermittlungsansätze vernachlässigt würden. Im Ergebnis führe der erweiterte Zugriff auf die Verbindungsdaten für die Betroffenen häufig zu einer Art Beweislastumkehr und werde nach ihrer Einschätzung nicht zur Vermeidung von Straftaten beitragen, sondern allenfalls angepasstes Verhalten fördern. Prof. Dr. Klaus Rogall setzte mit seinem Vortrag einen deutlichen Contrapunkt. Aus seiner Sicht sei die Vorratsdatenspeicherung für künftige Zwecke der Strafverfolgung unverzichtbar und auch hinreichend bestimmt. Ähnlich wie die DNA-Analysedatei des Bundeskriminalamtes dienten die Dateien der Provider mit den Verbindungsdaten ihrer Kunden der Strafverfolgungsvorsorge bzw. der Vorsorge für die Sicherheit der Bürger. Für die Geeignetheit der Vorratsdatenspeicherung reiche es nach seiner Auffassung aus, dass die gesetzgeberische Maßnahme darauf abziele, „es den Straftätern etwas schwerer zu machen„. Die Gefahr der missbräuchlichen Bildung von Persönlichkeits- und Bewegungsprofilen aus den Verbindungsdaten sei gering, weil für den Zugriff auf die Daten eine Tatverdacht erforderlich sei und der Ermittlungszweck die zulässigen Auswertungsmöglichkeiten begrenze. Ein Hauptproblem des Gesetzentwurfes sah Herr Rogall allerdings in der Datensicherheit. Die TK-Unternehmen müssten einen unbefugten Zugriff ihrer Mitarbeiter oder von Dritten verlässlich ausschließen. Abschließend wandte sich der Referent gegen die aus seiner Sicht überzogene Kritik an der Vorratsdatenspeicherung. Sie habe möglicherweise mit der Propagierung eines Angstsyndroms zu tun, das aus seiner Sicht „auf die insoweit nicht beifallwürdige Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts“ zurückgehe.
Die sehr deutlich von einander abweichenden Beurteilungen und Einschätzungen der beiden Referenten führten zu einer lebhaften Diskussion, bei der die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vehement verteidigt wurde und die Positionen von Prof. Velten deutlich mehr Zustimmung erhielten.

An dem Abschlusspodium zur „Vorratsdatenspeicherung in der medienpolitischen Diskussion“ nahmen unter der Moderation von Volker Hummel (Deutscher Journalisten-Verband) die Bundestagsabgeordnete und frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, der freie Journalist Detlef Drewes sowie Stephan Wels von der Abteilung Panorama des NDR teil. Die Runde beschäftigte sich vor allem mit den Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung auf die Arbeit der Medien und die Pressefreiheit. Leider war kein Vertreter der Regierungskoalition bereit gewesen, die mit der Vorratsdatenspeicherung verbundenen Einschränkungen der journalistischen Arbeit und die Eingriffe in die Zeugnisverweigerungsrechte zu begründen. Die Teilnehmer der Runde waren sich in der Einschätzung einig, dass auf Grund des fehlenden Informantenschutzes nicht nur die Arbeit der Journalisten erheblich beeinträchtigt, sondern auch die Kontroll- und Wächterfunktion der Medien entscheidend geschwächt werden. Dies wurde von Stephan Wels und Detlef Drewes durch die konkrete Darstellung der journalistischen Arbeitsweise und durch Erfahrungsberichte sehr anschaulich untermauert. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verwies darauf, dass auch über die Vorratsdatenspeicherung hinaus grundrechts- und rechtsstaatsfeindliche Tendenzen in der aktuellen Gesetzgebung und Diskussionen zur Steuer-Identifikationsnummer, zu biometrischen Merkmalen in Pässen und zur Online-Durchsuchung privater Festplatten zu beobachten seien. Die Fachtagung mit etwa 150 Teilnehmern hat vor den abschließenden Beratungen des Gesetzentwurfs zur Vorratsdatenspeicherung im Bundestag die unterschiedlichen Positionen deutlich werden lassen. Auf der Tagung fand die von der Humanistischen Union mit Nachdruck vertretene Kritik an diesem Vorhaben breiteste Zustimmung. Leider haben diese Einwände nicht zu einem Umdenken in der Politik geführt, so dass – wieder einmal – alle Hoffnungen auf dem Bundesverfassungsgericht ruhen. Neueste Entwicklungen in Brüssel (Forderung von Innen-Kommissar Frattini zur Erfassung und zehnjährigen Speicherung der Daten von Flugpassagieren, die in die EU einfliegen oder aus der EU ausfliegen) lassen sogar befürchten, dass die Datenhaltung auf Vorrat weiter auf dem Vormarsch ist.

Burckhard Nedden
war bis 2006 Datenschutzbeauftragter des Landes Niedersachsen

Dokumentation:
Eine gedruckte Dokumentation der Vorträge ist in Vorbereitung.
Die Tagungsbeiträge sind im Internet dokumentiert unter:
https://www.humanistische-union.de/vorratstagung/

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