Auf dem Weg zu einer Bundesgeheimpolizei
Gesetzentwurf zur Reform des Bundeskriminalamtes. Aus: Mitteilungen Nr. 201, S. 1/2
Am 20. Juni 2008 fand im Deutschen Bundestag die erste Lesung der Novelle des Bundeskriminalamtsgesetzes statt. Die mit dem Gesetz geplante Aufwertung der Behörde stellt für die Bundesregierung eines der größten sicherheitspolitischen Vorhaben dieser Legislaturperiode dar. Demnach soll das BKA für die Abwehr terroristischer Gefahren zuständig werden, sofern diese einen internationalen Bezug haben. Dazu werden der Behörde Zwangsbefugnisse und zahlreiche geheimdienstliche Ermittlungsmethoden zugestanden, so auch die umstrittenen Online-Durchsuchungen. Trotz der breiten Kritik, die das Vorhaben bereits im Vorfeld erfuhr, will die große Koalition das Gesetz im Herbst verabschieden. Für September ist eine parlamentarische Sachverständigenanhörung geplant, an der mit Prof. Dr. Martin Kutscha und Dr. Fredrik Roggan zwei Vertreter der Humanistischen Union teilnehmen werden.
Mit dem Gesetz soll erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine zentrale Behörde mit Aufgaben der Gefahrenabwehr betraut werden, die zum Teil weit in das Vorfeld konkreter Rechtsgutsbeeinträchtigungen reichen. Würde der gegenwärtig diskutierte Entwurf zum Gesetz, wären in Zukunft mit zahlreichen Ermittlungsbefugnissen bürgerrechtliche Risiken auch für unbescholtene Bürger verbunden – etwa bei heimlichen „Online-Durchsuchungen“ ihrer Computer. Zugleich schwächt das Gesetz einmal mehr die föderale Struktur der Polizeiarbeit in Deutschland, die nach dem Ende der NS-Herrschaft eine machtbegrenzende Funktion erfüllen sollte. Dabei sind wirkliche Sicherheitsrisiken durch die „Kleingliedrigkeit“ der Polizeibehörden bislang nicht zu erkennen.
Kompetenzüberschreitungen
Die Kompetenz zu Vorfeldermittlungen ergibt sich im BKA-Gesetzentwurf aus der Aufnahme der Straftatenverhütung als Unterfall der Gefahrenabwehr. Das ist nicht nur semantisch verunglückt, sondern widerspricht der im Grundgesetz festgeschriebenen Kompetenzordnung. Denn Artikel 73 Abs.1 Nr. 9a GG spricht von der Abwehr terroristischer Gefahren in (Einzel-) Fällen, nicht aber von deren Verhütung. Im Rahmen dieser Straftatenverhütung (sog. „dritte Polizei-Aufgabe“) soll das Bundeskriminalamt nach dem Willen der Regierung zahlreiche Befugnisse zur heimlichen Ermittlung im Vorfeld möglicher Gefahren/Straftaten erhalten. Zu diesen Überwachungsbefugnissen zählen verdeckte Observationen, heimliche Videoüberwachungen, die Auswertung von Telekommunikations-Verbindungsdaten sowie der Einsatz von Ortungstechniken (beispielsweise Peilsendern), V-Leuten und Verdeckten Ermittlern.
Verfassungswidrige Rasterfahndungen
Mit der BKA-Novelle erlebt auch die Rasterfahndung eine Renaissance – eine solche freilich, die mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar ist. Nach dem Willen der Bundesregierung darf das BKA eine Rasterfahndung beginnen, wenn konkrete Vorbereitungshandlungen die Annahme rechtfertigen, dass Straftaten begangen werden könnten. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seiner Entscheidung vom 4. April 2006 zur Rasterfahndung in Nordrhein-Westfalen aber fest, dass diese nur bei einer „konkreten Gefahr für hochrangige Rechtsgüter“ zulässig sei. Davon kann bei Vorbereitungshandlungen aber noch keine Rede sein, denn bei ihnen handelt es sich eben nicht um (selbstständige) Gefahren. Ob aus ihnen jemals ein konkretes Gefahrenpotential erwächst, lässt sich zu diesem Zeitpunkt naturgemäß überhaupt noch nicht feststellen. Unabhängig davon hätte es nahe gelegen, auf die Rasterfahndungen ganz zu verzichten. Die zweifelhafte Methode hat ihre Erfolglosigkeit bereits mehrfach unter Beweis gestellt.
Verzicht auf präventive „Online-Durchsuchungen“
Als neue Befugnis soll das BKA verdeckt auf informationstechnische Systeme zugreifen dürfen, womit die sog. Online-Durchsuchungen gemeint sind. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung zum Nordrhein- Westfälischen Verfassungsschutzgesetz dieser Ausforschung der digitalen Privatsphäre allerdings enge Grenzen gesetzt. Als Voraussetzung verlangt es tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung (zukünftiger) konkreter Gefahren (BVerfG, NJW 2008, 822 [831]).
Durch den heimlichen Zugriff auf Computer und andere informationstechnische Systeme werden regelmäßig nicht nur gefahrenbezogene Erkenntnisse, sondern auch tiefe Einblicke in die „digitale Privat- und Intimsphäre“ der durchsuchten Personen gewonnen. Hierbei lässt es sich in vielen Fällen nicht vermeiden, dass die Ermittlungen auch den Kernbereich privater Lebensgestaltung verletzen. Darüber hinaus wird eine heimliche Ausforschung regelmäßig auch andere Personen (als die Zielperson) betreffen, deren Daten, aus welchen Gründen auch immer, auf dem „Zielcomputer“ gespeichert sind. Wer mit einer Zielperson von Online-Durchsuchungen im Kontakt steht, kann also seiner digitalen Privatsphäre schnell verlustig gehen. Schon diese „Streubreite“ der Maßnahme sollte Anlass sein, Online-Durchsuchungen grundsätzlich infrage zu stellen.
Darüber hinaus trifft der vorliegende Gesetzentwurf keinerlei Vorkehrungen dafür, um die Durchsuchung des „richtigen“ Computers zu garantieren. Online-Durchsuchungen unterscheiden sich von Lauschangriffen oder auch Telekommunikationsüberwachungen, bei denen die Orte bzw. die Gelegenheiten der Überwachung – von tatsächlichen Irrtümern abgesehen – mit Gewissheit feststehen. Bei Online-Durchsuchungen hingegen besteht ein erhebliches Risiko, dass Unverdächtige betroffen werden, wenn die Infiltration des Zielsystems „von außen“ (über eine Internetverbindung) bewirkt wird. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht wurde das nicht unerhebliche Risiko einer Ausforschung des falschen Rechners – unfreiwillig – durch den Präsidenten des BKA bestätigt: Auf die Frage danach, wann und wie die Ermittler erkennen können, dass sie den „richtigen“ Computer durchsuchen, ließ er durch einen Mitarbeiter antworten, dass dies dann der Fall sei, wenn die gesuchten Informationen gefunden wurden. Würde der vorliegende Entwurf also zum Gesetz, gehörte die irrtümliche Durchsuchung der Rechner von Unverdächtigen demnächst zum gesetzlich akzeptierten „Kollateralschaden“.
Ohnehin hat die Bundesregierung bisher keinen Nachweis dafür erbracht, dass präventive Online-Durchsuchungen unverzichtbar seien. Der bloße Hinweis auf – nicht zu bestreitende – terroristische Bedrohungen reicht hierfür allein nicht aus. Es bedürfte vielmehr des Nachweises, dass das bisherige Instrumentarium heimlicher Überwachungsmethoden nicht ausreicht und mithin nur Online-Durchsuchungen in der Lage sind, zukünftige Gefahren zu bewältigen.
Rückkehr zu einer rationalen Sicherheitspolitik
Die Bundesregierung verpasst mit dem Gesetzentwurf einmal mehr die Gelegenheit, zu einer rationalen Sicherheitspolitik zurückzukehren. Vielmehr versucht sie auf gesetzlicher Ebene einmal mehr „das Menschenmögliche“ (Innenminister Schäuble), um uns vor angeblich drohenden Attentaten zu schützen. Zur Demokratie gehört aber auch, dass es Räume gibt, die nicht überwacht werden dürfen und Kommunikationen, die niemand belauschen darf. Der Anspruch, absolute Sicherheit gewährleisten zu wollen, trägt totalitäre Züge. Eine rechtsstaatliche Sicherheitspolitik muss die Existenz von Gefährdungen anerkennen, die um den Preis einer Aufrechterhaltung kontrollierbarer Sicherheitsapparate bestehen und immer bestehen werden. Hiermit sind insbesondere Ermittlungsbefugnisse unverträglich, die planmäßig das Risiko der Ausforschung von Unbeteiligten eingehen, wie das im geplanten BKA-Gesetz der Fall ist.
Fredrik Roggan
war Prozessbevollmächtigter einer Verfassungsbeschwerde gegen die Online-Durchsuchungen und ist stellvertretener Bundesvorsitzender der Humanistischen Union
Hintergrund:
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Entwurf eines „Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt“ vom 17.6.2008, BT-Drs. 16/9588, abrufbar unter:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/095/1609588.pdf
Nils Leopold, Bundesverfassungsgericht und Rasterfahndung: Nach 30 Jahren zurück in die Büchse? In: Mitteilungen Nr. 193, S. 2-3
Zur Vergangenheit des BKA hat der Fritz-Bauer-Preisträger des Jahres 2003, Dieter Schenk, eine Dokumentation veröffentlicht:
Dieter Schenk (2003), Die braunen Wurzeln des BKA. Frankfurt a.M. (Fischer Taschenbuch)