Beitragsbild verklagt – verschmäht – verboten?
Publikationen / Mitteilungen / Mitteilungen Nr. 201

verklagt – verschmäht – verboten?

Mitteilungen20108/2008Seite 23-25

Gerichtliche Auseinandersetzungen um die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit. Aus: Mitteilungen Nr. 201, S. 23-25

verklagt – verschmäht – verboten?

Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Leben im real existierenden Sozialismus wird die Lebenswirklichkeit in der ehemaligen DDR verklärt und in ein immer milderes Licht gerückt. Mit Hilfe von Vereinen betreiben frühere Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes ihre Interessenpolitik, reden den SED-Staat schön und verharmlosen die Tätigkeit des MfS, wie beispielsweise die 1993 in Berlin gegründete „Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung“, in der sich ehemalige Angehörige der Grenztruppen, des MfS und der politisch verantwortlichen Organe organisiert haben. In Erinnerungsbüchern betreiben ehemalige Stasi-Offiziere Geschichtsverklitterung und diskreditieren die historische Aufarbeitung. Ungeniert treten frühere Täter öffentlich auf, deuten die Geschichte um und legitimieren die SED-Diktatur. Noch immer finden sie mit ihren Darstellungen ein dankbares Publikum, werden auf Tagungen eingeladen und als Zeitzeugen geadelt.

In jüngster Zeit versuchen ehemalige inoffizielle oder hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter mit Einzelklagen zu verhindern, dass ihre Rolle als Werkzeug der SED-Diktatur im Zusammenhang mit Projekten zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit öffentlich benannt wird. Ihre Aktivitäten richten sich vor allem gegen kleinere Vereine, wie Geschichtswerkstätten und Heimatvereine, die weder über die Kraft noch die finanziellen Mittel für einen langwierigen Rechtsstreit durch alle Instanzen verfügen. Aber auch die Süddeutsche Zeitung mußte bereits den „Einschüchterungsver-suchen“ (M. Birthler) nachgeben. Mit Berufung auf das Persönlichkeitsrecht wurde sie gezwungen, ganze Artikelpassagen zu schwärzen.

Im März diesen Jahres hat ein ehemaliger Inoffizieller Mitarbeiter im vogtländischen Reichenbach zunächst erfolgreich gegen eine Ausstellung geklagt, die von Schülern und ihrem Religionslehrer gestaltet und im örtlichen Rathaus präsentiert worden ist. Unter dem Titel „Stasi, Kirche und Schule – Christliches Handeln in der DDR“ informiert die Ausstellung u.a. über die Tätigkeit von Stasi-Spitzeln in Kirchenkreisen und wie sich die Menschen dagegen wehrten. Es wird u.a. dargestellt wie der Initiator der Ausstellung, der ehemalige Zwisckauer Dompfarrer Edmund Käbisch und seine Kirchengemeinde von der DDR-Staatssicherheit bespitzelt worden ist. Auf einer der Schautafeln wird der Inoffizielle Mitarbeiter (IM) „Schubert“ mit bürgerlichem Namen genannt. Im Jahre 1979 war „Schubert“ durch das Ministerium für Staatssicherheit angeworben worden. Jahrelang hatte er für die Stasi die Kreise von DDR-Regimegegnern und kirchliche Gruppen unterwandert und ließ sich, um Vertrauen zu gewinnen, auch taufen. Durch seine Hinweise sind mehrere Menschen festgenommen worden, vier von ihnen landeten im Gefängnis. Als Belohnung „für hervorragende Leistungen im Kampf gegen den Feind“ erhielt „Schubert“ mehrere Geldprämien und eine Reise zu den Olympischen Spielen in Moskau. Heute ist „Schubert“ ein erfolgreicher Unternehmer aus Reichenbachs Nachbardörfchen Neumark. Durch die Nennung seines Klarnamens in der Ausstellung sieht er seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Anfang März 2008 zog er deshalb vor Gericht. Nach Angaben seines Anwalts Thomas Höllrich, fürchtet der ehemalige Stasi-Agent Repressalien. In Reichenbach herrsche „Pogromstimmung“, so der Anwalt. Von der Ausstellung gehe eine Prangerwirkung aus, durch die sein Mandant seine Existenz bedroht sehe.

Das Landgericht Zwickau folgte den Ausführungen des Klägers und wertete die ausgestellten Aktenauszüge aus dem Stasi-Archiv als rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des ehemaligen Stasi-Spitzels. Die Nennung seines Namens, so die Richter, könne dessen „Ansehen und Wertschätzung in der öffentlichen Meinung herabwürdigen“. In einer Eilentscheidung untersagte das Gericht die Nennung des Klarnamens und ordnete die Schwärzung der Schautafel an. Die Ausstellung wurde daraufhin abgebaut.

Der Richterspruch löste Empörung im westlichen Sachsen aus. In Leserbriefen erregten sich Bürger darüber, dass frühere Spitzel nun mit Hilfe von Gerichten die Aufklärung und Aufarbeitung behinderten und sich die Täter von einst nun als Opfer darstellten. Ein beispielloser Vorgang, wie Martin Böttger, der Leiter der Chemnitzer Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde meint. „Das habe ich noch nicht erlebt, dass ein IM, der seine Tätigkeit nicht bestreitet, einen Anspruch auf Anonymität durchsetzt.“ Für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte sei es wichtig, die Täter beim Namen zu nennen. Nicht die Namensnennung von Stasi-Spitzeln sei das Unnormale, sondern die Nichtnennung.

Marianne Birthler kritisierte, dass das Gericht bei seiner Eilentscheidung die einschlägigen Bestimmungen des Stasi-Unterlagengesetzes völlig außer Acht gelassen hat. Das Gesetz gestattet ausdrücklich die Nennung von IM-Klarnamen in der Öffentlichkeit. Was die Stasi im Leben von Menschen angerichtet habe, so Birthler, sei das Werk von Menschen und habe Gesichter und Namen. Birthler betont: „Der Verrat ist nicht geschützt. Es ist eine klare Entscheidung des Gesetzgebers, dass Aufarbeitung nicht anonym erfolgt, dass der Verrat benannt wird und die, die früher für das MfS arbeiteten, nicht anonym bleiben.“ Der Gesetzgeber hat die Aufarbeitung der Stasi-Strukturen und die Information darüber, wer die Stützen des Stasi-Unterdrückungsapparates waren, als so wichtig eingestuft, dass dafür die allgemeinen Persönlichkeitsrechte von Stasi-Mitarbeitern teilweise eingeschränkt werden dürfen. Die Betroffenen haben das Recht zu erfahren, wer sie konkret ausspioniert hat.

Im Juni 2004 hatte das Leipziger Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Stasi-Unterlagen an die Presse und an Wissenschaftler nur mit Zustimmung der Betroffenen herausgegeben werden dürfen. Anders als das allgemeine Archivrecht unterscheidet der Gesetzgeber im Stasi-Unterlagen-Gesetz zwischen Betroffenen und Mitarbeitern der Stasi. „Betroffene“ sind in diesem Sinne ausschließlich die Observierten, nicht jedoch die Observateure. Auch Wissenschaftler, die zur Erforschung des SED-Regimes Einsicht in die Bestände des ehemaligen MfS nehmen wollen, müssen zuvor bei allen in den jeweiligen Berichten genannten Observierten die Genehmigung auf Akteneinsicht beantragen. Würden nun die Täter ebenfalls zu Betroffenen der eigenen Tat definiert und damit zu Entscheidungsebefugten über die Erteilung von Genehmigungen zur Akteneinsicht erhoben, macht man sie zu Entscheidungsträgern über die Aufarbeitung der DDR-Verbrechen.

Die Stadt Reichenbach und der Heimatverein Lichentanne, der seine Räumlichkeiten seit 2005 für die Unterbringung von Ausstellungsmaterial zur Verfügung gestellt hatte, legten Berufung gegen das Urteil vom 6. März ein. Mit Entscheidung vom 22. April hob das Landgericht Zwickau sein zuvor ergangenes Verbot der Namensnennung wieder auf. Der ehemalige IM „Schubert“ hatte seine Klage gegen die falschen Parteien gerichtet, so die Vorsitzende Richterin. Angeklagt waren die Stadt Reichenbach und ein lokaler Heimatverein als Träger der Ausstellung. Diese waren nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht für die Namensnennung verantwortlich. Verantwortlich, so das Gericht, ist der frühere Pfarrer Edmund Käbisch.

Die kulturpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt, wertet das Urteil als einen „Sieg für Aufklärung und glaubhafte Aufarbeitung“. Es schiebe den Versuchen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter und -Funktionäre, „ihre üble Tätigkeit klein oder schönzureden“ einen Riegel vor. Marianne Birthler bedauert hingegen, dass das Gericht keine inhaltliche, sondern nur eine formaljuristische Entscheidung getroffen hat. Die weitere Rechtsfrage wurde aus „prozessualen Gründen“ offengelassen und müssen im Hauptverfahren geklärt werden.

Die Klägerseite hat es verstanden, den Fall in der Öffentlichkeit als einen Widerstreit zwischen den allgemeinen Persönlichkeitsrechten des ehemaligen Stasi-Mitarbeiters und dem Recht auf freie Meinungsäußerung darzustellen. Ob dies wirklich der Fall ist, darf zumindest bezweifelt werden. Auch die allgemeinen Persönlichkeitsrechte von ehemaligen Mitarbeitern des MfS sind geschützt. Sie werden durch die Ausstellung nicht verletzt. Gemäß § 32 und 34 des Stasi-Unterlagengesetzes brauchen personenbezogene Daten ehemaliger Stasi-Mitarbeiter in Medien, Forschung und historischer Aufarbeitung nicht anonymisiert werden. Dies betrifft jedoch ausschließlich personenbezogene Daten im Zusammenhang mit der Stasi-Tätigkeit. Der Bereich der Privatsphäre und alle über die MfS-Tätigkeit hinaus reichenden Informationen zu den Tätern unterliegen der informationellen Selbstbestimmung. Als Aktion zur historisch-politischen Bildung steht die Nennung der Namen von Tätern im Rahmen der Ausstellung daher im Einklang mit dem Stasi-Unterlagengesetz. Ob darüber hinaus ein „überwiegendes schutzwürdiges Interessen“ des Klägers vorliegt, ist zumindest fraglich. Die Person des Klägers wird durch die Nennung seines Namens allein und die Darstellung des Falles im Begleittext nicht herabgewürdigt. Die Klägerseite konnte auch keine Indizien für eine ernsthafte Gefährdung von Leben und Gesundheit des IM „Schubert“ und seiner Familie vorlegen. Seit Anfang der 1990er Jahre hat die Stasiunterlagenbehörde rund 320.000 Auskünfte über Klarnamen und Stasispitzel erteilt. Zu Hexenjagden oder Selbstjustiz ist es bisher aber noch nicht gekommen, wie Marianne Birthler, die Bundesbeauftragte für die Unterlagen der ehemaligen Staatssicherheit der DDR (BStU) betont. Auch Martin Böttger, dem örtlichen Vertreter der Behörde, ist kein Fall bekannt, in dem ein früherer Spitzel um seine Sicherheit habe fürchten müssen.

Der endgültigen Entscheidung über die Zulässigkeit der öffentlichen Nennung der Namen ehemaliger Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit wird große Bedeutung beigemessen, schließlich betrifft sie die Frage der Rechtmäßigkeit essentieller Teile des Stasi-Unterlagengesetzes und damit grundsätzlich die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Sowohl Marianne Birthler, als auch ihr Amtsvorgänger Joachim Gauck befürchten gravierende Auswirkungen für die Aufarbeitung des DDR-Unrechts. Birthler hat bereits wiederholt vor Problemen bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit gewarnt, sollte sich der ehemalige Stasi-Mitarbeiter durchsetzen. Auf ein solches Präzedenzurteil könnten sich künftig alle Stasi-IM berufen, die um ihr Ansehen und ihre Wertschätzung in der Öffentlichkeit fürchten, wenn ihre frühere Spitzeltätigkeit offen gelegt werden würde.

Die Einschränkung der öffentlichen Aufklärung bringt das vereinte Deutschland um eine wichtige Erfahrung seiner totalitären Auswüchse. Die Zunkunft entscheidet sich in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Noch ist die Wirkungsgeschichte des Kommunismus nicht endgültig erforscht. Nur die Akteneinsicht hilft gegen den kollektiven Gedächtnisschwund. Es wäre sehr schädlich für die demokratische Kultur in Deutschland, wenn die in zahlreichen Geschichtswerkstätten arbeitenden Jugendlichen und Nicht-Historiker aus Furcht vor drohenden Klagen von Vertretern des SED-Regimes in ihrem Engagement gebremst würden.

Der Anwalt von IM „Schubert“ hat bereits eine weitere Klage vor dem Oberlandesgericht Dresden angekündigt und Ausstellungsinitiator Käbisch mit weiteren rechtlichen Schritten gedroht, sollte er – auch nach der jüngsten Aufhebung der einstweiligen Verfügung – erneut den Klarnamen seines Mandanten öffentlich benennen. Unter dem Titel „Die Stasi macht mobil – wehret den Anfängen“ startete die CDU Zwickau daher bereits einen Spendenaufruf, um den früheren Zwickauer Dompfarrer Edmund Käbisch bei der weiteren juristischen Auseinandersetzung zu unterstützen.

Doch allein die Drohung von Thomas Höllrich zeigt bereits Wirkung. Auch nach der Aufhebung der einstweiligen Verfügung gegen die Ausstellung, vermeidet es die deutsche Presse „aus rechtlichen Gründen“ (Der Spiegel), den Namen des Ex-Spitzels in der Berichterstattung zu nennen. Inzwischen geht ein weiterer ehemaliger IM gegen die Ausstellung vor, ebenfalls vertreten durch „Schubert´s“ Anwalt Höllrich.

Stephan A. Glienke
arbeitet am Centre for the Study of War, State and Society der Universität Exeter und ist Mitglied des Landesvorstandes der HU Niedersachsen

nach oben