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Kirchen­ver­träge – Undemo­kra­ti­sche Vorzugs­be­hand­lung?

Referate bei den 4. Berliner Gesprächen. Mitteilungen Nr. 208/209 (1+2/2010), S. 23

Worum geht es?

Alle Bundesländer haben Verträge bzw. Konkordate mit der evangel. Kirche, dem Heiligen Stuhl und oft auch mit den jüdischen Gemeinden geschlossen. Jenseits der konkret vereinbarten Leistungen soll mit den Verträgen eine besondere Form staatlicher Anerkennung der Gemeinschaften verbunden sein. Nach der herrschenden Meinung des Staatskirchenrechts sollen sie den Status völkerrechtlicher Vereinbarungen besitzen.

In den Verträgen vereinbaren Staat und Religionsgemeinschaften die Regeln ihrer Kooperation. Da der staatliche Einfluss auf die Geschäfte der Religionsgemeinschaften von Verfassungs wegen beschränkt ist, beinhalten die Verträge v.a. staatliche Verpflichtungen: Neben den freien Staatsleistungen garantieren sie weitere zweckgebundene Zuwendungen (etwa Finanzierung theologischer Fakultäten), den kirchlichen Einfluss bei der Besetzung öffentlicher Gremien (z.B. Rundfunkräte) und den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen.

Staatskirchenverträge werden auf unbestimmte Dauer geschlossen. Bisher wurde in der Bundesrepublik noch kein Vertrag gekündigt. Offen ist, welche (Selbst-)Bindung die Verträge für den Staat entfalten, ob und wann sie kündbar sind. Mit der zunehmenden Vielfalt religiös/weltanschaulicher Gruppierungen in unserer Gesellschaft verstärkt sich das Problem der Gleichbehandlung: Soll oder muss der Staat mit allen vergleichbare Verträge abschließen? Bisher gibt es keine Verträge mit muslimischen Verbänden/Gemeinden, lediglich Hamburg hat entsprechende Verhandlungen über den Abschluss eines Staatskirchenvertrags aufgenommen.

Eine Übersicht aller Staatskirchenverträge findet sich beim Bundesministerium des Innern:
http://www.bmi.bund.de/cln_156/DE/Themen/PolitikGesellschaft/KirchenReligion/StaatReligion/StaatReligion_node.html

Rechtliche Grundlagen

keine

Auszüge aus den Referaten

Prof. Dr. Dirk Ehlers
Westfälische Wilhelms-Universität, Institut f. öffentl. Wirtschaftsrecht

„Rechtliche Bedenken gegen den Abschluss von Staatskirchenverträgen können allenfalls bestehen, wenn solche Verträge das Können und Dürfen des Gesetzgebers in demokratiewidriger Weise beschränken würden. Dies ist indessen nicht der Fall…“

„Der Verfassungsstaat hat … eine Verantwortung dafür, dass … die Grundrechtsverwirklichung nicht aus der Öffentlichkeit verbannt in einen privaten Raum abgeschoben wird.“ Er hat „ein legitimes Interesse an der Förderung gemeinwohldienlichen Wirkens der gesellschaftlichen Kräfte über die bloße Freiheitsgewährleistung hinaus.“  

Verfassungsrechtliche Grenzen des Kirchenvertragswesens:
1. „Der Staat kann seiner … Friedenssicherungsfunktion und Gemeinwohlverantwortung nur gerecht werden, wenn er in der Lage bleibt, Religionsgemeinschaften einseitige Grenzen zu ziehen…“ ;
2. „vertragliche Verständigung [darf] kein Vehikel sein, staatliche und religionsgemeinschaftliche Aufgabenwahrnehmungen untrennbar miteinander zu vermischen“;
3. „darauf zu achten, dass der Staatskirchenvertrag nicht zu einer Festschreibung der geregelten Verhältnisse für alle Zeiten führt.“

„Der demokratische Gesetzgeber unterliegt aber nicht nur der Vertragsbindung. Er ist zugleich von Verfassungs wegen verpflichtet, das Gemeinwohl stets neu zu konkretisieren.“  Im Konfliktfall „ist verfassungsrechtlich abzuwägen und zu entscheiden, ob die Religionsgemeinschaften unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse Vertrauensschutz beanspruchen können.“

Dr. Gerhard Czermak
Verwaltungsrichter, Schriftsteller, Beirat d. Giordano-Bruno-Stiftung

Staatskirchenverträge sind nicht erforderlich: „Dies umso mehr, als sich die Verfassungsrechtler einig sind: alle Staat-Kirche-Verträge dürfen nur solche Regelungen enthalten, die der Staat auch einseitig treffen dürfte, d.h. ohne kirchliche Mitwirkung.“

„Unbestreitbares Hauptmotiv für Kirchenverträge und Konkordate ist jedenfalls auf kirchlicher Seite die Überzeugung, der Vertrag begründe eine besondere Bestandsfestigkeit der Regelungen, die jeder Verfassungs- und Gesetzesnorm überlegen ist.“

„Es bedarf keines Vertrages und Vertragsgesetzes, um den Staat zusätzlich auf die Selbstverständlichkeit zu verpflichten, dass er seine eigene Verfassungs- und Rechtsordnung auch gegenüber den Kirchen einhalten muss.“

„Dem Parlament bleibt regelmäßig nur ein Ja oder Nein zu dem textlich bereits feststehenden Vertrag. Das brisante Verhältnis von Staat und Kirche wird der politischen Willensbildung im Parlament weitgehend entzogen und gleichzeitig vor der Öffentlichkeit abgeschirmt.“

„Mit einer vertraglichen Regelung wird einem künftigen, anders zusammengesetzten Parlament die Änderung der einmal getroffenen Entscheidung im Hinblick auf den zu erwartenden Vorwurf des Vertragsbruchs politisch und psychologisch erschwert… Mit dem Sinn der Demokratie und der Würde des Parlaments ist das unvereinbar.  So kommen teilweise Regelungen zustande, die einem Selbstkontrahieren nahekommen.“

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