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Sexual­po­litik in der Humanis­ti­schen Union

Mitteilungen Nr. 208/209 (1+2/2010), S. 29

Die nachfolgenden Zitate sind verschiedenen Arbeitspapieren der HU aus drei Jahrzehnten entnommen. Die Auswahl ist einseitig und erfasst ausschließlich solche Inhalte, mit denen eine kritische Auseinandersetzung angezeigt erscheint. Die erneute Wiedergabe erfolgt hier aus dokumentarischen Gründen, um den Gegenstand der Diskussion einzugrenzen. Sie markiert eine Differenz, keine Übereinstimmung mit den Positionen. 

Erklärung des Bundes­vor­stands zum Sexual­straf­recht. Entwurf vom 24.6.2000

„Die absolut und relativ außerordentlich raren Fälle sexueller Gewalthandlungen zur bedrohlichsten Gefahr für junge Menschen und ihre Abwendung zur vornehmsten Aufgabe staatlicher Politik zum Schutze von Kindheit und Jugend zu stilisieren, grenzt in seiner Blickverengung und in seinem Verlust von Proportionen an politische Fahrlässigkeit, wenn nicht Schlimmeres.“

„Die Unterstellung gewaltfreier und konsensbestimmter Sexualbeziehungen unter erwachsenen und gleichaltrigen Heterosexuellen … ist dabei bekanntlich ebenso fiktiv wie die Unterstellung, sexuelle Beziehungen unter altersungleichen Homosexuellen seien von vornherein und typischerweise gewaltbesetzt und -erzwungen. Nach dem Muster einer Logik, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, wird in der Kriminalpolitik wie in der öffentlichen Diskussion auf der Basis einer solchen verzerrten Wirklichkeitsdarstellung eine geradezu kreuzzugartige Kampagne gegen Pädophile und sogar deren Selbsthilfegruppen geführt.“

Diskussionspapier des Bundesvorstandes – erstellt im Auftrag der Delegiertenkonferenz 1999, die eine Unterstützung der „Bostoner Erklärung“ aufgrund ihrer einseitigen Parteinahme ablehnte und den AK Sexualstrafrecht/den Vorstand zur Erarbeitung einer eigenen Stellungnahme aufforderte. Der Text wurde am 24.6.2000 vom Vorstand verabschiedet und in den Mitteilungen 171 (S. 63-65) veröffentlicht. Der Verbandstag der HU lehnte die Erklärung im September 2000 in Marburg mehrheitlich ab – aufgrund der einseitigen, kriminologisch geprägten Sicht und der fehlenden Berücksichtigung der Opferperspektive. Zur Diskussion siehe: T. Baur in Mitteilungen 172, S. 85-88.

Presse­mit­tei­lung: Pornografie vermindert sexuelle Gewalt (15.11.1999)

„Die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten durch eine strikte Anwendung des Sexualstrafrechts hält die HU nach alledem für eine unverhältnismäßige Aktion des Staates, die keine Bürgerin und keinen Bürger schützen kann. In einer Freigabe der Pornografie und aller freiwilligen sexuellen Handlungen sieht die HU die Grundlage zur Verringerung von Gewalt und Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung.“

Pressemitteilung der Humanistischen Union im Nachgang zur Tagung „Pornografie und Jugendschutz“ in Mainz. Der Verbandstag der HU votierte im Herbst 2000 dafür, diese Erklärung zurück zu ziehen und nicht als Stellungnahme der HU zu verbreiten. Zur Diskussion siehe: K.S. Rürup in Mitteilungen 169, S. 13; U. Neumann in Mitteilungen 169, S. 13f.; LV Berlin in Mitteilungen 171, S. 67/75.

Presse­mit­tei­lung: Solida­ri­täts­er­klä­rung mit der AG Pädo (16.1.1999)

„Der Arbeitskreis unterstützt das auf Emanzipation basierende Selbsthilfekonzept der AG-Pädo und bewertet dieses als eine verantwortliche Form des Umganges mit der Thematik der Pädophilie. Die Selbsthilfegruppen sind dabei ein sinnvoller Beitrag zum Kinderschutz und verdienen eine weitreichende Förderung, da sie den Teilnehmer bei der Reflexion ihrer Neigung und Situation beistehen, wobei auch die Problematik der pädosexuellen Kontakte thematisiert wird. Die AG-Pädo hat das Vertrauen des Arbeitskreises. Sie leistet einen wesentlichen Beitrag zur Versachlichung der Thematik. Ihrer Kriminalisierung und Diskriminierung tritt der BAK Sexualstrafrecht der Humanistischen Union mit allem Nachdruck entgegen.“

Pressemitteilung des AK Sexualstrafrechts der Humanistischen Union.

Presse­mit­tei­lung: Keine Krimi­na­li­sie­rung von Selbst­hil­fe­gruppen (21.10.1998)

„Die Bezeichnung der Mitglieder der AG-Pädophilie, Fachgruppe der Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität e.V. (AHS) und der regionalen Selbsthilfegruppen als „Pädokriminelle” entbehrt jeglicher Grundlage. Die Gruppen verfolgen unserer Information und unserem Eindruck nach keinerlei kriminelle Aktivität. Ihr Ziel ist es, pädophilen Menschen eine Plattform zu geben, auf der sie über ihre Ängste und Nöte diskutieren können. Sie tragen mit dazu bei, das Selbstwertgefühl pädophiler Menschen zu stützen, und geben ihnen die Möglichkeit, gemeinsam ihr Verhalten zu reflektieren. Daher dienen diese Selbsthilfegruppen dem Kinderschutz und dürfen nicht diskriminiert werden.“

Pressemitteilung des AK Sexualstrafrechts der Humanistischen Union.

Presse­mit­tei­lung: Unter­stüt­zung d. Gnaden­ge­suchs für Peter Schult (19.12.1983)

„Eines sozialschädlichen Verhaltens habe sich Peter Schult somit nicht schuldig gemacht, sondern sei, so die HU, lediglich aufgrund überholter Vorstellungen von Sexualmoral verurteilt worden. Daß unser Sexualstrafrecht eine solche Verurteilung nach wie vor ermögliche, weise auf die politische Bedeutung des Falls Peter Schult hin. Noch immer gelte für homosexuelle Kontakte ein höheres Schutzalter als sonst (§175 StGB) und noch immer müsse bei sexuellen Kontakten mit Kindern nach § 176 StGB selbst dann verurteilt, werden, wenn das Kind einverstanden gewesen war und keinerlei Schädigung eingetreten sei.“

Pressemitteilung des LV Berlin. Anlass der Stellungnahme war die verweigerte Haftverschonung für den selbst bekennenden Päderasten Peter Schult, der während seiner Haft tödlich erkrankte.

Memorandum für ein humanes Sexual­straf­recht. Entwurf aus Dez. 1982

„Die Inhumanität dieses Strafgesetzes kommt aber auch darin zum Ausdruck, daß es die Anwendung von Gewalt in sexuellen Beziehungen in nicht vertretbarer Weise bagatellisiert. In Strafverfahren wegen Vergehen gemäß §§ 174 bis 176 oder § 180 StGB wird nach der Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit des Kontakts oft nur nebenbei oder auch gar nicht gefragt; entscheidend ist. der Tatbestand einer „sexuellen Handlung“; ob sie sich zwischen Liebenden oder mit Gewalt und Angst abgespielt hat, ist zweitrangig.“

Der Entwurf schlägt die Abschaffung des § 176 StGB (bei Erweiterung des Grundtatbestands von § 177 StGB) vor. Der Text wurde vom AK Sexualstrafrecht der HU Niedersachsen verfasst, in den Mitteilungen 101 (Dezember 1982) angekündigt und als Eigendruck auf Anfrage verschickt. Aus dem HU-Beirat gab es befürwortende wie ablehnende Stellungnahmen zum Vorschlag. Der Vorstand machte sich daraufhin das Memorandum nicht zu eigen, sondern stellt dem AK eine weitere Diskussion anheim. 

Antrag zur Delegier­ten­kon­fe­renz 1975: Unzuchtspa­ra­graph aufhe­ben/ent­schärfen

„Die Humanistische Union setzt sich dafür ein, daß Sexualität und Zärtlichkeit – gleich zwischen welchen Partnern – solange sie auf gegenseitiger Freiwilligkeit beruhen, nicht mehr bestraft werden. Insbesondere bemüht sie sich um Entschärfung, bzw. Abschaffung der §§ 174 (1) S. 1 StGB und 176 Ziffer 3 StGB (unzüchtige Handlungen mit Abhängigen bzw. Kindern).“

Der Antrag wurde von der Delegiertenkonferenz nicht behandelt und zur weiteren Bearbeitung an den Bundesvorstand überwiesen. Dieser fällte nach bisheriger Erkenntnis keinen Beschluss.

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