Publikationen / Mitteilungen / Mitteilungen Nr. 252

Editorial

Mitteilungen25208/2024Seite 1-3

Liebe Mitglieder der Humanistischen Union,

gerade sind in Paris die Olympischen Spiele zu Ende gegangen. Olympische Spiele gelten traditionell als Fest des Friedens; ihr Begründer Pierre de Coubertin hatte die Vorstellung, dass sich die Jugend der Welt lieber in sportlichen Disziplinen als auf dem Schlachtfeld misst.

Heute kann von Frieden keine Rede sein. Der Krieg in der Ukraine dauert an; ebenso in Gaza, wo in Folge des brutalen Terrorakts der Hamas vom 7. Oktober 2023 durch Israel ein Krieg geführt wird, den der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig bezeichnet. In unserer Stellungnahme forderten wir die Verantwortlichen in Deutschland dazu auf, diese Feststellung zum Anlass eines Kurswechsels zu nehmen. Insbesondere darf sachgerechte Kritik an der Regierungspolitik des Staates Israel nicht mit Antisemitismus in Verbindung gebracht werden – unbeschadet der Forderung, tatsächlichen Antisemitismus keinesfalls hinzunehmen.

In Deutschland wird erneut Russland als Feind propagiert – wir kennen das zuletzt aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Doch selbst die US-amerikanischen Geheimdienste halten es für unwahrscheinlich, dass Russland auf einen militärischen Konflikt mit dem Westen aus ist. Dies schließt sicherlich kleinere Operationen – etwa im Cyberraum – nicht aus. Doch müssen wir wirklich mit einem bevorstehenden Angriff rechnen?

Bundesverteidigungsminister Pistorius scheint das so zu sehen. Die sogenannte Zeitenwende lässt ihn nach „Kriegstüchtigkeit“ der deutschen Gesellschaft verlangen, vor jedem militärischen Gerät posieren, dessen er habhaft werden kann, und bei jeder Gelegenheit weitere Rüstungsbudgets fordern. Vielen Deutschen scheint das zu gefallen – als Verteidigungsminister genießt er höchste Beliebtheitswerte. Auch die wieder in der Diskussion befindliche Wehrpflicht stößt anscheinend auf die Zustimmung einer knappen Mehrheit.

Andere werden noch deutlicher: Wir erinnern uns daran, dass der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter schwadronierte, der Krieg müsse nach Russland getragen werden. Dass die Ukraine sich gegen einen Angriff auch auf russischem Boden verteidigt, ist wohl legitim. Doch wir Deutschen sollten uns nicht zuletzt angesichts unserer eigenen Geschichte mehr Zurückhaltung auferlegen: Die „Operation Barbarossa“ des national-sozialistischen Deutschlands forderte Millionen Menschenleben auf sowjetischer Seite, wozu damals nicht nur Russland, sondern auch die Ukraine und weitere Staaten gehörten. Es war die sowjetische Armee, die eine der furchtbarsten Einrichtungen befreite, die von Menschen geschaffen wurde: das Vernichtungslager von Auschwitz, das der industriellen Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Menschen diente.

Natürlich ist der deutsche Staat heute ein anderer, und natürlich muss ein Staat sich im Fall eines Angriffs verteidigen können. Aber (nicht nur) die deutsche Geschichte sollte uns zu wesentlich größerer Sensibilität mahnen.

Andere Pläne der NATO erinnern uns an die 1980er Jahre: Es sollen neue Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden aufgestellt werden, die mit atomaren Sprengköpfen ausgestattet werden können. Dass es diese perverse Waffe immer noch gibt, stellt denen, die für die Menschheit politische Verantwortung tragen, kein gutes Zeugnis aus. Vor vierzig Jahren gab es den sogenannten NATO-Doppelbeschluss, der die Stationierung dieser Waffen zumindest noch mit einem Verhandlungsangebot koppelte. Die massiven Proteste blieben am Ende ohne Wirkung. Heute sind Proteste kaum mehr wahrnehmbar, und auch auf das Verhandlungsangebot hat man diesmal verzichtet.

Das oft wiederholte Gerede von einer „Aufblähung“ des Deutschen Bundestags, das zu einer weiteren Delegitimierung des Parlaments in der Öffentlichkeit beige-tragen hat, ist zweifelhaft. Notwendig war es wohl trotzdem, dem Wachstum effektiv entgegenzuwirken. Eine wichtige Weichenstellung nahm nun das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss zur Änderung des Wahlrechts vor. Die Abschaffung von Überhang- und Ausgleichsmandaten ist demnach verfassungsgemäß, auch um den Preis, dass einzelne Wahlkreise möglicherweise keinen Abgeordneten mehr in den Bundestag entsenden. Dies begrüßen wir, da es das Verhältniswahlrecht stärkt. Leider wurde aber gleichzeitig die Fünf-Prozent-Sperrklausel für legitim erklärt, die die Stabilität des Parlaments über die Repräsentation kleiner Parteien stellt. In der derzeitigen Fassung muss aber die Grundmandatsklausel (vorerst) erhalten bleiben. Als Lösung schlägt das Bundesverfassungsgericht eine Regelung vor, die einseitig die CSU begünstigen würde und die Linke als die andere Partei, die in den letzten Jahren von der Grundmandatsklausel profitiert hat, außen vor lassen würde – im Sinne der Wahlrechtsgleichheit ein fragwürdiger Vorschlag.

Für die inhaltliche Arbeit in der Humanistischen Union sind zwei Dinge wichtig: zum einen naht die diesjährige Mitgliederversammlung, die am 16. und 17. November 2024 in Berlin und digital stattfinden wird. Wichtiger Tagesordnungspunkt ist die Neuwahl des Bundesvorstands – wer die Arbeit in der Humanistischen Union aktiv mitgestalten will, sei auch an dieser Stelle dazu aufgerufen, eine Kandidatur in Betracht zu ziehen. Zum Zweiten unsere Arbeitskreise: Der Arbeitskreis „Quo vadis, HU?“, der die Zukunft der HU im Blick und inzwischen seine Arbeit aufgenommen hat. Um inhaltliche Themen kümmern sich der Arbeitskreis „Demokratisierung“, der schon einige Zeit besteht, und ein neuer Arbeitskreis „Bürgerrechte in Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz“, dessen Gründungsaufruf in dieser Ausgabe der Mitteilungen zu finden ist.

Ich freue mich darauf, viele von Euch und Ihnen bei der Mitgliederversammlung in Berlin wiederzusehen und grüße Sie herzlich

Stefan Hügel

 

nach oben