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Geheime Dienste im parla­ments­freien Raum

vorgängevorgänge 10109/1989Seite 5-6

Fünf Minuten Staatsschutzphilosophie

aus vorgänge 101,Heft 5/1989,S.5-6

„Nicht mehr allein“ – unter diesem eher an Tanzstundengeflüster erinnernden Titel dachte kürzlich Friedrich Karl Fromme in der FAZ einen bangen Augenblick lang über die Abschaffung des Verfassungsschutzes nach. Wie das?

„In Berlin ist es schon geschehen“, vermerkt der Chronist unter dem 14. Juli und schreibt die Verfallsgeschichte dieser Republik fort: Im neu eingerichteten Kontrollausschuss des Abgeordnetenhauses sitzen jetzt leibhaftig „zwei Leute von den Alternativen (die Gruppierung ist entschlossener Gegner des Verfassungsschutzes) und ein Republikaner, dessen Partei daraufhin geprüft wird, ob sie vom Verfassungsschutz beobachtet werden solle“.

Den selbst erhobenen Einwand, ein Amt, „dem ohnehin weitgehendes Berufsausübungsverbot auferlegt werde, könne kontrolliert werden von wem auch immer“, läßt der Staatsschutzexperte nicht gelten. Wer entschieden sich ums Ganze sorgt, denkt stets vom Ernstfall her und ahnt, wo all das enden muß. Wird nämlich der Dienst „eines Tages durch gleiche Beteiligung aller Parteien an der Kontrolle lahmgelegt, könnte er schließlich auch abgeschafft werden“.

Da ist es gesagt, das böse Wort. Doch erst hier, angesichts schauriger Aussichten, eröffnet politischer Weitblick eine wahrhaft fundamentalistische Alternative: Bevor dienstfremde Kontrolle den Verfassungsschutz zur Strecke bringt, könnte schließlich auch diese Kontrolle abgeschafft werden. Warum also nicht aus der Not eine Tugend machen – zumal mit dem Abschied von der Kontrolle „ironischerweise eine an sich selbstverständliche Eigenheit eines Geheimdienstes wiederhergestellt wäre“? Obgleich bahnbrechend, ist die Idee doch nicht so weit ihrer Zeit voraus, wie es den Anschein hat. Schließlich wurde im Jahr 1981, als erstmals die Alternative Liste im Abgeordnetenhaus vertreten war, der parlamentarische Kontrollausschuß vorsorglich aufgelöst.

Daß die gegenwärtig „auf ein – immer noch beachtliches – Normalmaß“ schrumpfenden Parteien „in bestimmten kleinen, feinen Gremien … nicht mehr unter sich bleiben können“, bestätigte sich nach der Bundestagswahl von 1983. Die neue Mehrheit änderte flugs den Wahlmodus der Parlamentarischen Kontrollkommission – und die Grünen blieben vor der Tür. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar diese Manipulation mit „Gründen des Geheimschutzes“ gerechtfertigt, doch zu überzeugend sind die abweichenden Voten zweier Richter, als daß mit dieser Entscheidung noch lange Staatsgeheimnisse zu machen wären.

Wo also unsichere Kantonisten nicht mehr ausgegrenzt werden können und daher der parlamentarischen Aufsicht eine bescheidene Effizienzsteigerung droht, ist die Flucht in die unantastbare „Eigenheit eines Geheimdienstes“ konsequent. Warum sich auch bei der schlichten realpolitischen Frage aufhalten, ob eine ohnehin ins Gerede gekommene Behörde zur Abwechslung einmal an die kurze Leine zu legen sei. Es scheint in der manichäischen Natur der Sache begründet, den geheimnisumwobenen Dienst an der Staatssicherheit mit dem milden Licht parlamentarischer Öffentlichkeit (die sich regelmäßig auf verschlossene Sitzungszimmer beschränkt) für unvereinbar zu erklären. Dahin kommt es noch, daß ein verfassungsfreundlicher Dienst zur Kontrolle verfassungsfeindlicher Kräfte sich seinerseits von ausgerechnet jenen ideologischen Zersetzern beaufsichtigen lassen muß – eine ganz und gar verkehrte Welt!

Weg mit dem Verfassungsschutz beziehungsweise seiner Kontrolle – mit solchen Formeln läßt sich vielleicht noch eine Weile der Glaubensstreit um die stets gefahren umlagerte „innere Sicherheit“ der Deutschen fortsetzen. Weniger dramatisch inszenierte, aber praktisch folgen reichere Innenpolitik hat sich jedoch demnächst komplexeren Anforderungen zu stellen. Ein Geheimdienst zum Beispiel, dessen gesetzlicher Auftrag es gerade ist, weit im Vorfeld polizeilicher Gefahrenabwehr legale politische Betätigung wider die fdGO zu überwachen, wird sich dort, wo auch eine Fünfprozentklausel nicht mehr hilft, mit der Kontrolle durch den einen oder anderen seiner „Kunden“ anfreunden müssen.

Man kann diese Pluralisierung der parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes nüchtern als eine Chance zur effektiveren Sicherung demokratischer Freiheiten begreifen. Wer dagegen am herkömmlichen Sicherheitsphantasma festhält, mag getrost für den geheimen Dienst im parlamentsfreien Raum optieren. Gewiß, ein solches Staatsschutzreservat mag selbst bei hartgesottenen Verfassungsfeinden rechts-staatliche Skrupel wachrufen. Doch schmälert dies keineswegs Frommes Verdienst, in bewegter Zeit an eine sicherheitspolitische Utopie erinnert zu haben. Wer weiß, vielleicht sind wir eines Tages so freiheitlich und ziehen wirklich die Abschaffung des Verfassungsschutzes seiner – womöglich fruchtlosen – Kontrolle vor. Die parlamentarische Aufmerksamkeit könnte sich dann anderen Grauzonen zuwenden: den Staatsschutzdezernaten der Kriminalpolizei zum Beispiel. Wie deren Geschichte zeigt, ist es auch jenseits geheimdienstlicher Konspiration noch mühsam genug, eine zu ausufernder Prävention neigende polizeiliche Praxis rechtsstaatlich zu domestizieren und so auf rational nachvollziehbare Gefahrenabwehr zu beschränken.

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