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Schafft das Betäu­bungs­mit­tel­ge­setz ab!

vorgängevorgänge 10109/1989Seite 7-12

aus vorgänge 101,Heft 5/1989,S.7-12

Wir hören es jeden Tag: Der europäische Binnenmarkt kommt. Die letzten Europa-Wahlen haben uns daran erinnert, daß wenigstens auf der Ebene der Symbolik dieser Prozeß auch noch etwas mit uns, den Bürgerinnen und Bürgern, zu tun hat.

Der Schwerpunkt dieser europäischen Einigung liegt nach wie vor im Bereich der Wirtschaft. Wir assoziieren EG immer noch mit Konzernen, Mercedes, Banken und vagabundierenden Devisenreserven. Es gibt aber auch einen – illegalen – Wirtschaftszweig mit höchsten Wachstumsraten: Das organisierte Verbrechen. Nach einer Schätzung aus Baden-Württemberg (Bundesratsdrucksache 100/89) umfaßt dieser Bereich etwa 10 Prozent des Bruttosozialprodukts in der Bundesrepublik. Das Bundeskriminalamt beziffert die wirtschaftlichen Schäden auf über 10 Mrd. DM jährlich (Pressemitteilung des Bundesministers des Innern vom 27. September 1988). Die untere Grenze des Umsatzes beläuft sich nach Schätzungen des BKA auf 4,4 bis 5,8 Mrd. DM. Einigkeit herrscht auch darin, daß der Anteil der Drogenkriminalität an der organisierten Kriminalität steigt. Allgemein ist zu beobachten, daß immer weitere Bereiche des organisierten Verbrechens in den Drogenhandel eindringen, weil dort die Profitrate höher ist als in allen anderen Sektoren.

Ich halte nichts davon, dieses Phänomen der organisierten Kriminalität aus Gründen der politischen Bequemlichkeit wegzudefinieren, obwohl sie in der Propaganda der Sicherheitsapparate nach und nach den Terrorismus und dessen Bekämpfung ablöst. Polizei und Sicherheitsbürokratie begründen ihre Forderungen nach mehr Geld und mehr Einfluß mit den Gefährdungen dieser neuen Kriminalität.

Schauen wir einmal über den Tellerrand der Bundesrepublik hinaus, so gibt es allen Grund zur Sorge. Der Umsatz dieser Branche wird heute auf 300 bis 500 Mrd. US-Dollar geschätzt (Berndt Georg Thamm: Drogenfreigabe – Kapitulation oder Ausweg? Hilden 1989, S. 154). Die ungeheure Größe dieses Marktes wird durch folgende Vergleichszahlen deutlich. Die Summe entspricht dem zehnfachen des Haushaltes der EG und der Hälfte des Bruttosozialproduktes der Bundesrepublik Deutschland. Die Verschuldung der Dritten Welt beläuft sich auf 1200 Mrd. DM. In seiner Serie „Weltmacht Droge“ schrieb der „Spiegel“ Ende 1988, daß der Drogenhandel binnen weniger Jahre zum größten liquiden Finanzimperium aufgestiegen ist und wegen seines schieren Geld- und damit Korruptionspotentials von niemandem mehr zu kontrollieren ist.

Große Sorgen bereitet den Sicherheitsbürokratien der Europäischen Gemeinschaft die beabsichtigte Öffnung der Grenzen. Mittlerweile haben sich die Staaten des Schengener Abkommens darauf verständigt, den Wegfall der Grenzkontrollen einstweilen aufzuschieben. Heinrich Boge, der Präsident des Bundeskriminalamts, kann sich seinen Angstschweiß erst einmal von der Stirn wischen.

In der Sicherheitsbürokratie wird ungeachtet dieses Zeitgewinns intensiv daran gearbeitet, mit klassischen polizeilichen Maßnahmen der Drogenkriminalität Herr zu werden.

Verstärkter Informationsaustausch: Die Informationsgewinnung und -verarbeitung innerhalb der Polizei soll nicht auf schwere Kriminalität beschränkt bleiben. Auch eine Sachbeschädigung in einer Gaststätte könne der entscheidende Ansatz für die Aufklärung von Formen der organisierten Kriminalität sein. Die Zusammenarbeit im nationalen und internationalen Bereich erfordere aufeinander abgestimmte Informationssysteme.

Verdeckte Ermittler: Über die geltenden Richtlinien hinaus müsse den Strafverfolgungsbehörden ein ausreichender Spielraum für verdeckte Ermittlungen gegeben werden. Dazu gehöre die Zulässigkeit von Maßnahmen bereits im Vorfeld, d.h., ohne daß ein konkreter Tatverdacht geäußert worden ist. In einem neuen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts vom 3. November 1988 wird dem Einsatz einer halb kriminellen Geheimpolizei der Boden bereitet.

Einziehung von Verbrechensgewinnen: Hier hat der Bundesjustizminister mittlerweile einen Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht (Drucksache 418/89 vom 11. 8. 1989), der die Beweisanforderungen an die Herkunft von Vermögen vermindern soll. Zu den bereits geltenden Strafmaßnahmen soll eine Vermögensstrafe hinzu kommen. Hier stellt sich – wie bei allen anderen Maßnahmen auch – die Frage, ob diese neuen Formen der Kriminalitätsbekämpfung eine Art Einstiegsdroge werden soll, um sie auch in anderen Bereichen anwenden zu können.

Telefonüberwachung – Kontrollstellen: Der Bundesinnenminister hält eine Ausweitung der Telefonüberwachung bei Delikten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität für unabdingbar. Weiterhin sollen Kontrollstellen verstärkt eingerichtet werden. Der Referentenentwurf vom November 1988 bereitet die Umsetzung dieser Forderungen in ein Gesetz vor. Wir erleben hier erneut einen Pradigmenwechsel von den Sondernormen gegen terroristische Straftaten hin zur Gesetzgebung gegen die organisierte Kriminalität. Es ist eine Frage der Zeit, bis eine solche Praxis gang und gäbe wird (wenn dies nicht schon längst der Fall ist).

Kronzeugenregelung: Die angeblich positive Erfahrung mit der sogenannten kleinen Kronzeugenregelung im Betäubungsmittelrecht (§ 31 BTMG) soll Anlaß sein, diese Regelung auch auf den Bereich der organisierten Kriminalität auszudehnen.

Ausländische kriminelle Vereinigungen, die ihren Sitz im Ausland haben, aber in der Bundesrepublik Deutschland Straftaten begehen, sollen demnächst vom Generalbundesanwalt verfolgt werden. Rebmanns Superbehörde soll – gewiß auch aus Gründen der öffentlichen Reputation – nunmehr auch verstärkt bei der organisierten Kriminalität eingesetzt werden. (Innenpolitik, Information des Bundesministers des Innern, Nr. VII/ 1988, S. 2 ff.). Vielleicht wird dem obersten Verfolger der Republik erneut seine Amtszeit verlängert.

Gehen wir diesen Weg der Repression, so ist auch die Unterstützung der USA beim militärischen Einsatz gegen die Anbauländer konsequent. Polizeistaatliche Drogenbekämpfung muß – ihrer immanenten Logik folgend – beim Anbau beginnen und beim Endverbraucher aufhören.

Der Einsatz der Mittel müßte dann auch dem gigantischen Einfluß dieser Drogen-Mafia Rechnung tragen. Der kolumbianische Drogenkrieg nach der Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Galan läßt ahnen, welche militärischen Konflikte zu erwarten sind – wenn es weiterhin im Westen nichts Neues gibt. Die politische Macht und die märchenhaften Profite dieser Banden werden an dem bekannten Ausspruch deutlich, daß Leute, die zwei Jahre als Großdealer arbeiten, ihr gesamtes Leben in Luxus genießen können.

Besonders profitabel sind die Verdienstspannen im Kokaingeschäft. Mitte der achtziger Jahre erzielte ein in Bolivien gekauftes Kilo Kokain den dreißigfachen Preis in der Bundesrepublik. In einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 13. März 1989 erklärte Prof. Wolfram Keup, daß ein Gramm Straßen-Kokain nach seinen Ermittlungen etwa 226 DM kostet. Er geht von einem mittleren Tagesverbrauch in Höhe von 150 DM aus. Thamm weist darauf hin, daß in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre durch die Kokainüberproduktion in Südamerika der Preis gefallen ist. Insgesamt ist er starken Wellenbewegungen unterworfen, nach seinen Angaben schwankt der Preis für 1 g Kokain im Straßenhandel zwischen 140 und 260 DM. Für die vielen Millionen Kokainverbraucher werden mehrere 100 t Kokain jährlich produziert.

Extremen Schwankungen ist auch der Preis für Heroin ausgesetzt. Er pendelt zwischen 140 und 600 DM für 1 g. Keup legt eine mittlere obere Dosis von 1,2 g für seine Berechnungen zugrunde. Er kommt auf einen Tageskonsum im Bereich zwischen 180 und 200 DM.

Anders ist die Situation bei den Cannabis-Produkten (Haschisch und Marihuana). Es ist die billigste Substanz, die von den Konsumenten meist noch aus eigener Tasche bezahlt werden kann. Für 1 g Haschisch wurden zwischen 7 DM und 22 DM gezahlt. Es zeigt sich, daß die großen Profite bei den sogenannten harten Drogen gemacht werden. Diese stehen im Mittelpunkt des Interesses im internationalen Drogenhandel. Immerhin kostete 1 kg Haschisch im Ursprungsland Libanon Mitte der achtziger Jahre zwischen 90 und 200 DM. In der Bundesrepublik erzielte dasselbe Kilo einen Preis von über 12000 DM.

Die medienwirksamen Angaben über beschlagnahmte Drogen dienen der Irreführung der Öffentlichkeit. Die Rede ist nur vom Marktwert, der aber keineswegs mit dem tatsächlichen Schaden für die Händler identisch ist. Diese Beschlagnahmungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit unter 10 Prozent der Konsummenge liegen, sind mit ihrem finanziellen Verlust bereitseinkalkuliert. Ähnlich wie in den Verbrauchermärkten, wo vergammelter Joghurt und geklauter Schnaps auf die Konsumenten abgewälzt wird. Aktionen dieser Art mögen auch die Frustrationserlebnisse der Drogenpolizei besänftigen, willkommene Fototermine für den Minister sind es in jedem Fall. Mit einer wirksamen Bekämpfung des Drogenkonsums haben sie jedoch nichts zu tun.

Eine Verhinderung der Einfuhr ist unmöglich. Der Binnenmarkt wird es noch erschweren, die vielfältigen Importwege zu kontrollieren. Staaten und Gesellschaften in Europa sind auf den Freihandel zugeschnitten – da kann auch der illegale Zweig der Wirtschaft nicht mehr mit repressiven Mitteln erfolgversprechend bekämpft werden. Wer das Gegenteil behauptet, täuscht vorsätzlich die Öffentlichkeit.

Alfred Stümper, Landespolizeipräsident im Innenministerium Baden Württemberg, warnte bereits Anfang der achtziger Jahre vor dem gezielten Aufbau eines Kokainmarktes in West-Europa. „Auf Europa rollt eine ungeheure Kokain-Welle zu. Sie ist nicht mehr zu stoppen, kann allenfalls gestört werden, denn in dieses Geschäft ist schon zu viel investiert“ (zit. nach Thamm, S. 265). Die Markt-Sättigung in den USA, verbunden mit einem Preisverfall und einer gleichzeitigen Überproduktion in Süd-Amerika macht den EG-Raum zu einem außerordentlich lukrativen Markt. Hier wird es ebenso wenig wie in den Vereinigten Staaten gelingen, mit den herkömmlichen Polizeimethoden Erfolge zu erzielen – allenfalls bei der Preisgestaltung. Auch einer europäischen Exekutiv-Polizei (Euro-Cops), wie sie vom Bundeskanzler ersehnt wird, kann ein Durchbruch nicht gelingen. Das Bemühen der Sicherheitsorgane der westlichen Welt gleicht dem eines Hauseigentümers, der sein Hab und Gut mit einem elektrisch geladenen Gartenzaun vor Hochwasser schützen will.

Der ökonomischen Macht und dem politischen Einfluß der Drogen-Mafia steht das namenlose Elend der Suchtmittel-Abhängigen gegenüber. Die noch immer herrschende Politik hat all das nicht verhindern können.

Die offizielle Drogenpolitik ist bankrott! Das Bundesinnenministerium gab folgende Zahlen bekannt: Im Jahre 1988 starben 673 Menschen durch den Gebrauch von Betäubungsmitteln. Dies entspricht einer Steigerung von 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In der ersten Hälfte des Jahres 1989 setzt sich diese dramatische Steigerung um 50 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 1988 fort. In der Bundesrepublik leben gegenwärtig etwa 100000 Abhängige. Von ihnen sind ca. 50 Prozent HIV infiziert.

Kein Abhängiger ist in der Lage, auf längere Sicht die Kosten für seinen Tagesbedarf an harten Drogen selbst zu bezahlen. Er finanziert seinen Eigenbedarf durch Kleindealerei und Beschaffungskriminalität. Von den ca. 12000 Straftaten, die jeden Tag in der Bundesrepublik Deutschland begangen werden, stehen nach Auffassung von Experten viele im Zusammenhang mit dem Drogenhandel. Die Bundesregierung selbst beziffert den Anteil von Raubüberfällen auf Geschäfte, die von Drogenabhängigen begangen werden, auf ca. 13 Prozent. Bei Wohnungseinbrüchen liegt die Zahl bei etwa 10,7 Prozent (Bulletin der Bundesregierung vom 28. 4. 1989). Sie räumt jedoch selbst ein, daß Erkennbarkeit und Erfassung unvollständig sind. So sind offiziell in der Statistik nur 52,3 Prozent der aufgeklärten direkten Betäubungsmittel-Beschaffungsdelikte (Rezeptfälschung, Apothekeneinbruch) Drogenabhängigen zugeordnet worden. Auch beim aufgeklärten Diebstahl oder Raub wird die Drogenabhängigkeit der Täter mitunter nicht erkannt. Die Bundesregierung zieht die – völlig richtige – Schlußfolgerung, daß der Anteil von Konsumenten harter Drogen an den aufgeklärten Straftaten auch bei diesen Delikten weit höher liegen dürfte. Wie jede Statistik gibt auch diese nur Durchschnittswerte wieder. In bestimmten Problemzonen großer Städte ist der Anteil noch wesentlich höher. Die Initiative des Hamburger Ersten Bürgermeisters Henning Voscherau hängt gerade mit dieser hohen Konzentration der Drogenkriminalität in Ballungsgebieten zusammen.

Die Folgen dieser Praxis sind fatal. Drogen sind so teuer, weil sie illegal sind. Die Abhängigen, die ohnehin schwachen Glieder dieser Gesellschaft, müssen sich auf illegalem Wege ihren Stoff beschaffen. Zur Finanzierung müssen sie Straftaten begehen. Das Ergebnis dieser doppelten Illegalität ist die Entstehung eines Milieus, das sich jedem sinnvollen – auch therapeutischen – Zugriff entzieht. Das Betäubungsmittelgesetz, in der geltenden Fassung seit dem 1. Januar 1982 in Kraft, konnte dem selbstgesteckten Anspruch „Therapie statt Strafe“ nicht gerecht werden. In ihrem Bericht über die Rechtsprechung nach den strafrechtlichen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes in den Jahren 1985 bis 1987 (Bundestagsdrucksache 11/4329) räumt die Bundesregierung ein, daß 78 Prozent aller eingeleiteten Ermittlungsverfahren auf den Umgang mit geringen Mengen zum Eigenbedarf konzentriert sind. Das ursprünglich angegebene Ziel, sich auf Händler zu konzentrieren und nicht auf die Konsumenten, ist ganz offensichtlich nicht eingehalten worden. Der staatliche Verfolgungswahn hat dazu geführt, daß die Fraktionen von SPD und GRÜNEN Gesetzentwürfe eingebracht haben, um den MitarbeiterInnen von Suchtberatungsstellen ein Zeugnisverweigerungsrecht zu geben. Die Arbeit dieser Stellen wird bislang durch staatsanwaltschaftliche Zugriffe auf die Karteien erheblich gestört. Wie sollen die Betroffenen Vertrauen zu den BeraterInnen fassen, wenn sie damit rechnen müssen, daß die festgehaltenen Angaben auf dem Schreibtisch der Strafermittler landen?

Alle Versuche, Selbstschädigungen durch Drogengebrauch auf dem Verordnungswege verhindern zu wollen, sind von vornherein aussichtslos. Das Beispiel der USA zeigt, daß all diese Ansätze zu einem Desaster führen müssen. Der einzig richtige Weg, organisierte Kriminalität wirksam zu bekämpfen, liegt darin, dieser Mafia ökonomisch das Wasser abzugraben.

Der Staat muß den Knüppel des Strafrechts aus der Hand geben und den Betroffenen wirksam helfen. Gesellschaftliche Unterstützung und Aufklärung sind die besseren Wege zur Eindämmung des Drogenkonsums. Wir müssen uns damit abfinden, daß unsere Gesellschaft auf lange Sicht mit einem hohen Suchtverhalten leben wird. Es ist naiv zu glauben, Drogen aus der Gesellschaft fernhalten zu können. Aufgabe von Staat und Gesellschaft muß es vielmehr sein, durch Aufklärung und offene Diskussion die Betroffenen wenigstens in die Lage zu versetzen, mit den Suchtstoffen vernünftig umzugehen. Eine genaue Beratung bei der Erstellung der posen und der Qualität der Produkte, ebenso beim Gebrauch von Einweg-Spritzen, würde die Situation ein wenig erträglicher machen. Die bisherige staatliche Drogenpolitik ist Schuld daran, daß immer mehr Menschen auf verdreckten Bahnhofsklos krepieren. Sie treibt harmlose Haschischraucher in die Arme der Dealer, die ein massives Interesse daran haben, Heroin oder Kokain zu verkaufen. Die aggressive Ausdehnung der Märkte (Verkauf auf Schulhöfen) ist das logische Ergebnis der staatlich inszenierten Hoch-Preis-Politik. Die Mafia füllt sich ihre Taschen, die Kleindealer finanzieren ihren Konsum, Kinder und Jugendliche gehen vor die Hunde – und ein stolzer Minister posiert vor den Augen einer beeindruckten Öffentlichkeit mit einigen Säcken Rauschgift.

Noch immer ist die Forderung nach einer Freigabe der Drogen gesellschaftlich tabuisiert. Dennoch ist in den letzten Jahren einiges in Bewegung geraten. Im Oktober 1986 sprach sich der 20. Jugendgerichtstag für die Legalisierung des Erwerbs und Besitzes von Haschisch und Marihuana in geringen Mengen aus. Eine – wenngleich vorsichtige – Abkehr von der bisherigen Drogenpolitik ließ auch die damalige Gesundheitsministerium Rita Süssmuth erkennen. In einem Gespräch mit dem „Spiegel“ (Nr. 451988) gab sie zu bedenken, daß das Betäubungsmittelgesetz bei Kleinkonsumenten großzügiger sein sollte. Sie betonte allerdings, daß der gewerbsmäßige Handel verboten bleiben müsse und gegen Dealer gar nicht hart genug vorgegangen werden könne. Die Politikerin denkt in der richtigen Richtung, verkennt jedoch die Notwendigkeit, dem gewaltigen ökonomischen Anreiz für den Drogenhandel etwas entgegenzusetzen. In einem Antrag der Abgeordneten Frau Nickels und der Fraktion Die GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 11/4936) wird gefordert, Konsumenten nicht mehr zu bestrafen. Darüber hinaus wird die ärztliche Verschreibung von Ersatzstoffen ermöglicht, um ein therapeutisches und soziales Hilfsangebot durch die medizinische Linderung körperlicher Abhängigkeit zu begleiten. Die Verordnung soll über bisherige Modellversuche in einzelnen Ländern hinausgehen und in die Verantwortung des Arztes übertragen werden. Diesen Ärzten soll es auch gestattet sein, gebräuchliche Drogen ihren Patienten zu geben. Abhängige wären dann nicht mehr gezwungen, sich durch Kriminalität das Geld zu beschaffen, um auf verbotenen Wegen ihren Konsum zu befriedigen. Die ärztlich indizierte Abgabe harter Drogen ist die Grundvoraussetzung für eine neue Politik. Eine Freigabe lediglich von Cannabisprodukten greift die wirtschaftliche Substanz der Rauschgiftmafia nicht an. Dennoch muß überlegt werden, inwieweit sie zugänglich sein sollen. Sinnvoll ist es hier, diese Stoffe apothekenpflichtig zu machen.

Durch eine staatlich, beaufsichtigte Herstellung sauberer Drogen wird die Rauschgiftmafia ausgeschaltet. Die Form der Abgabe harter Drogen bedarf noch einer eingehenden konzeptionellen Diskussion. M.E. reicht es nicht aus, wenn der Arzt die Drogen in kleinen Mengen abgibt und die Betroffenen an Ort und Stelle konsumieren. Damit wird zwar einem weiteren Handel Einhalt geboten, den Bedürfnissen der Abhängigen nach ihrer Gemeinschaft wird so freilich nicht Rechnung getragen. Die Freigabe der Drogen muß zuvor jedoch in ganz Westeuropa erfolgen. Geschieht das nicht, besteht selbstverständlich die Gefahr, daß legal in der Bundesrepublik erhaltene Stoffe ins Ausland abwandern und dort mit hohem Gewinn verkauft werden. Allerdings war bisher die Bundesrepublik eines der Länder, die sich stets für eine harte unerbittliche Drogenpolitik eingesetzt haben. Die holländische Regierung steht unter einem erheblichen Druck, ihre bisher liberale Politik zu ändern. Eine Kehrtwende bundesdeutscher Drogenpolitik hätte eine große Signalwirkung in Europa.

Dem Konzept einer Entkriminalisierung wird immer wieder entgegengehalten, daß ein sprunghafter Anstieg des Drogenkonsums zu befürchten sei. Das Beispiel der Niederlande widerlegt diese Befürchtung. Die faktische Entkriminalisierung weicher Drogen führte dazu, daß die Zahl der BenutzerInnen zurückging. Während 1973 etwa 15 Prozent der holländischen Jugendlichen Cannabisprodukte konsumierten, waren es 1983 nur noch etwa drei Prozent. Auch die Zahl der KonsumentInnen harter Drogen ging zurück. Aus Amsterdam wird berichtet, daß die Zahl der Heroin-KonsumentInnen von 12 000 im Jahre 1982 auf 7 000 im Jahre 1989 zurückgegangen und das durchschnittliche Alter der Drogenabhängigen von 26 Jahren 1981 auf30 Jahre 1987 gestiegen ist (vgl. Axel Reeg, Strafrecht in der Drogenpolitik, in: Neue Kriminalpolitik, Heft 2, S. 30, 33).

Die nationalen Regierungen müssen endlich zur Kenntnis nehmen, daß ihre Prohibitions-Politik gescheitert ist. Sie hat den Abhängigen großes Leid zugefügt und gleichzeitig den profitablen Drogenhandel geschaffen. Diese Organisationen bedrohen den Frieden und die politische Stabilität überall in der Welt.

„Das Versagen der Prohibition hat aus einer Frage der persönlichen Wahl und der persönlichen Gesundheit ein weltweites Drama gemacht. Die daraus resultierende Kriminalität bedroht alle Bürger, ihre Sicherheit und ihre private Freiheit. Noch nie haben untaugliche Gesetze, wenn auch mit gutem Willen erlassen, einen derartigen Schaden angerichtet, seitdem die USA im Jahre 1919 mit ihrer Alkohol-Prohibitions-Politik begannen“ (Politische Resolution der Internationalen Liga für Drogen-Freigabe, Rom I. April 1989, abgedruckt bei Thamm, S. 361/362). Es ist an der Zeit, diese richtigen Einsichten in praktische Politik umzusetzen.

Überarbeitete Fassung eines Referats, das der Verfasser am 10. Juni 1989 auf der Delegierten-Konferenz der „Humanistischen Union“ in Frankfurt vorgetragen hat.

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