Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 205: Reform der Sicherungsverwahrung

Erfahrungen mit der Sicher­heits­ver­wah­rung

aus: vorgänge Nr. 205 (Heft 1/2014), S. 17-28

(Red.) Für den Schwerpunkt hat die Redaktion der vorgänge Personen befragt, die (mit unterschiedlichem Hintergrund) unmittelbare Erfahrungen mit der Sicherungsverwahrung (SV) haben: den Bewährungshelfer Peter Asprion aus Freiburg/Breisgau, einen derzeit in der JVA Tegel in Berlin Sicherungsverwahrten, der unter dem Synonym „Bär“ genannt werden möchte und die derzeitige Leiterin der JVA Rosdorf (Niedersachsen), Regina-Christina Weichert-Pleuger. Die drei werden zu ihrer grundsätzlichen Haltung zur Sicherungsverwahrung sowie dazu befragt, wie die Gerichtsurteile zur Sicherungsverwahrung den Alltag in den SV-Einrichtungen tatsächlich verändert haben bzw. verändern (können).

Wie stehen Sie grundsätzlich zur Idee der Sicherungsverwahrung?

Asprion Die Sicherungsverwahrung ist ein inzwischen verbrauchtes Instrument, dessen Notwendigkeit durch die Kriminalitätsentwicklung nicht begründbar ist. Mitte der 1990er Jahre des letzten Jahrhunderts war die Zahl der Verwahrten soweit gesunken, dass über die Abschaffung der Sicherungsverwahrung in Fachkreisen diskutiert wurde. Ausgelöst durch wenige, spektakuläre Fälle und deren populistische Verwertung durch den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder („Einsperren für immer“) kam es zu einer durch Fakten nicht begründbaren Renaissance der Sicherungsverwahrung. Als in Konsequenz der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Laufe des Jahres 2010 ca. 80 Verwahrte aus der Verwahrung entlassen werden mussten, schürte dies – unterstützt durch bis dato ungekannte polizeiliche Maßnahmen, wie die Dauerobservation durch mehrere Beamte rund um die Uhr – die Ängste in der Bevölkerung und dämonisierte die Entlassenen. Seither ist es einem entlassenen Sicherungsverwahrten kaum mehr möglich, dieser Dämonisierung zu entkommen. Die Sicherungsverwahrung gehört abgeschafft; zeitliche Strafen bis 15 Jahre und die lebenslange Freiheitsstrafe sind ausreichende Maßnahmen, die gemäß unserem Strafgesetzbuch für schwere Delikte zur Verfügung stehen.

Weichert-Pleuger Die Sicherungsverwahrung dient dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren schweren Straftaten und verfolgt damit ein Ziel, das grundsätzlich zu unterstützen ist. Die besondere Problematik der Sicherungsverwahrung besteht darin, dass Sicherungsverwahrten die Freiheit entzogen wird, obwohl sie die richterlich verhängte Strafe wegen einer tatsächlich begangenen Straftat schon verbüßt haben, aber trotzdem die Befürchtung besteht, dass der Betroffene weiterhin gefährlich ist. De facto handelt es sich daher um eine prophylaktische Inhaftierung, mit der Ungewissheit, ob die zugrunde liegende Prognose weiterer Straftaten überhaupt zutrifft. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 4.  Mai 2011(1) hat deutlich gemacht, dass wegen dieser Kollision der Interessen der Allgemeinheit und der Interessen des Einzelnen insbesondere auch der Vollzug der Sicherungsverwahrung neu zu gestalten ist und immer darauf ausgerichtet sein muss, dem Sicherungsverwahrten eine Entlassungsperspektive zu schaffen. Mit dieser deutlichen Schwerpunktsetzung entspricht der Grundgedanke der Sicherungsverwahrung den Erfordernissen der Praxis, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Bereitschaft, sich einer erforderlichen Therapie zu unterziehen während der mit einem festen Entlassungszeitpunkt berechneten Strafhaft nicht immer selbstverständlich ist.

„Bär“ Die Sicherungsverwahrung ist ein Relikt einer Unrechtsjustiz, welche in der Zeit des Nationalsozialismus noch verschärft wurde. (…) Das Relikt wurde, zusammen mit vielen damaligen NS-Juristen, in die junge „BRD“ gerettet. Die Grundzüge des gesamten SV-Rechtes stammen vom NS-Oberstaatsanwalt Roland Freisler, dem Präsidenten des Volksgerichtshofes. Die SV ist eine unmoralische und menschenrechtswidrige Doppelbestrafung. Und durch die von uns SVlern hinzunehmende, unrechtmäßige, unverhältnismäßige Unterbringung in der JVA fügt die SV den betroffenen Menschen – mit dem Status eines gefangenen Bürgers ohne Strafe – nicht nur physische, sondern und hauptsächlich psychische Schäden zu, die nach Art. 104 Grundgesetz eigentlich zu vermeiden sind. (2) (…) Die menschenrechtlich erklärte Unschuldsvermutung wird außer Kraft gesetzt und der Verwahrte wird (teilweise unter extremen Bedingungen) dazu verurteilt, Beweise zu erbringen, dass er zukünftig keine weiteren Straftaten mehr begehen wird – gegenüber einem Gremium aus Staatsanwaltschaft, Gericht, JVA und anderen Beteiligten, z.B. Gutachter. Ein effektiver Rechtsschutz besteht nicht, unter anderem auch deshalb, weil eine Strafvollstreckungskammer (StVK) kein ordentliches Gericht ist, im Sinne eines eigentlich zuständigen Sondergerichtes, wie es die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) fordert. (…) Das Land Berlin hat mit dem Bau des teuren „Knastes im Knast“ 60 Plätze geschaffen (wobei dies bereits längst hätte geschehen müssen), damit „Menschen ohne Strafe“ (Sicherungsverwahrte, die Red.) länger festgehalten werden können. Dieses Gebäude hätte außerhalb des Gefängnisses gebaut werden müssen, mit Anbindung an die Infrastruktur der Stadt.

Wie bewerten Sie, dass die breite Spanne der Anlasstaten der primären Sicherungsverwahrung beibehalten wurde und wird?

Asprion Wenn die Sicherungsverwahrung abgeschafft ist, stellt sich diese Frage nicht mehr; bis dahin sollte das immer wieder behauptete Prinzip der Anwendung nur für gefährlichste Straftaten durch eine Begrenzung auf solche seinen Niederschlag finden.

Weichert-Pleuger Bei den Anlasstaten handelt es sich um Straftaten, die erheblich in die körperliche (und psychische) Unversehrtheit der Opfer eingreifen, daher ist der Katalog der Anlasstaten durchaus nachvollziehbar. Die Spanne ist ja auch insofern verkleinert worden, als z. B. ein Vermögensdelikt wie Betrug gerade nicht mehr als Anlassdelikt ausreichend ist. Im Übrigen ist die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht zuletzt auch daran geknüpft, dass bereits einschlägige Vorverurteilungen mit einer bestimmten Straflänge vorliegen. Zeit, die in dem Fall nicht genutzt wurde, um an den Ursachen der Straftaten zu arbeiten.

„Bär“ Bei der SV handelt es sich meines Erachtens um reine „Strafhaft“, die nach der EMRK menschenrechtswidrig ist, zumal nicht nur die unverhältnismäßige Unterbringung jedem einzelnen Betroffenen „Sonderopfer“ abverlangt. Die SVler, die ich kenne, sind sich ihrer Taten bewusst und würden auch ihre Opfer nicht verunglimpfen, geschweige denn die Taten bagatellisieren wollen. Jedem SVler wird jeden Tag neu bewusst, was für schreckliche Fehler er gemacht hat. Die Kriminalität der Menschen ohne Strafe zur „Geisteskrankheit“ umzuschreiben, um Menschen weiter wegsperren zu können, scheint dabei das Ziel eines Justiz- und Polizeistaates zu sein. Dieses „vorbeugende Aussortieren“ gleicht der Quadratur des Kreises und hat lediglich zum Ziel, einer, häufig von Medien aufgeheizten, Öffentlichkeit Sicherheit vorzugaukeln. Die Statistik von tatsächlichen Rückfalltätern bei den SVlern, analog zu den Strafgefangenen, spricht aber für sich.

Wie bewerten Sie die (Beibehaltung der) Gefährlichkeitsprognose als Anordnungsvoraussetzung?

Asprion Ich kann mich da nur Mark Twain anschließen: „Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn es um die Zukunft geht“. Selbst anerkannte forensische Gutachter, wie der Münchner Professor Dr. Nedopil gehen von einer hohen Fehlerquote bei Gefährlichkeitsprognosen aus. Die Rede ist da von 80 Prozent oder mehr falsch als gefährlich eingestuften Tätern. Rückfalluntersuchungen von als gefährlich eingestuften Tätern, die nicht in Verwahrung gekommen sind, bestätigen dies. Insbesondere ist hier die Arbeit von Michael Alex zu nennen. Auch von den 80 in 2010/2011 entlassenen Verwahrten sind kaum Rückfälle bekannt geworden. Vor diesem Hintergrund halte ich Prognosen als Entscheidungsgrundlage für derart schwerwiegende Eingriffe in Freiheitsrechte als eine zu schwache Begründung. Wir sollten dabei bleiben, Taten zu verurteilen und nicht zukünftige mögliche Delikte.

Weichert-Pleuger  Da das Ziel der Sicherungsverwahrung der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren schweren Straftaten ist, liegt es in der Natur der Sache, dass die fortbestehende Gefährlichkeit durch eine Prognose ermittelt wird.

„Bär“ Die moderne Wissenschaft bezeichnet die Gefährlichkeitsprognose als „Kaffeesatzleserei“. Meiner Ansicht nach sollten 65 bis 70 Prozent der „Menschen ohne Strafe“ sofort in die Freiheit entlassen werden, weil die gestellten Gutachten nicht von wirklich unabhängigen Gutachtern verfasst werden.

Wie bewerten Sie die Beibehaltung der nachträglichen Sicherungsverwahrung für sogenannte Altfälle, für nach Jugendstrafrecht Verurteilte und zur Tatzeit Heranwachsende? Wie bewerten Sie die Verknüpfung zwischen dem Urteil, in dem die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde, und einer späteren Freiheitsentziehung in Form der Sicherungsverwahrung?

Asprion Im Jugendstrafrecht hatte meines Erachtens die Sicherungsverwahrung nie einen Platz; der Alliierte Kontrollrat hat sie deshalb nach dem Krieg aus dem StGB gestrichen. Die allgemeine, nachträgliche Sicherungsverwahrung verstößt gegen die Menschenrechtskonvention. Die Hilfskonstruktion der „psychischen Störung“ hinkt – kranke Menschen gehören nicht verwahrt, sondern im Krankenhaus behandelt.

Weichert-Pleuger Keine Antwort.

„Bär“ Hier scheint es darum zu gehen, „die Bude voll zu kriegen“. Eine im Urteil angeordnete SV setzt voraus, dass der Strafvollzug oder die Psychiatrie keinerlei resozialisierende oder heilende Wirkung auf den festgehaltenen „Menschen ohne Strafe“ hat. Verbunden mit einer am „Strafende“ folgenden Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer und einem Beschluss zur weiteren Unterbringung in der SV weist dies meines Erachtens eine Art von „Vernichtungswillen“ auf. Heranwachsende und / oder Jugendliche in die SV zu stecken ist noch weitaus menschenverachtender als der Fußtritt der Justiz gegen die Menschenwürde von Erwachsenen.

Wie bewerten Sie das sogenannte Therapieunterbringungsgesetz (ThUG), dass über vorbehaltliche Sicherungsverwahrung entscheidet?

Asprion Es sind trickreiche Versuche der Politik, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu umgehen. Dass das ThUG bislang vorwiegend bis ausschließlich in Bayern Anwendung findet, spricht für eine politische Anwendung, wenn man davon ausgeht, dass bayerische Straftäter sich nicht wesentlich von denen aus anderen Regionen Deutschlands unterscheiden. Was die von der großen Koalition beabsichtigte Einführung einer nachträglichen Therapieunterbringung angeht, habe ich mich mit einigen Kriminologen in einem offenen Brief an den Bundesminister der Justiz gewandt und dringend abgeraten, dies zu tun. Der Brief wurde inzwischen von vielen weiteren Unterstützern mit unterzeichnet. (siehe S. 39 ff. in dieser Ausgabe)

Weichert-Pleuger Keine Antwort.

„Bär“ Das neue Therapieunterbringungsgesetz ist der Versuch, geistig gesunde Menschen in „Haft“ zu behalten, die laut geltendem Gesetz sowie nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes zu entlassen und zu entschädigen wären. Das Gesetz wird ganz bestimmt für verfassungswidrig erklärt. Die „Thesen“ der Justiz zur angeblichen Gefährlichkeit der zu entlassenen „Menschen ohne Strafe“ werden einerseits durch die Inkompetenz von befangenen Gutachtern, andererseits durch die „Unrechtsjustiz“ der Strafvollstreckungskammern fundiert. Weshalb gibt es eigentlich eine Strafvollstreckungskammer, wenn doch keine Haft mehr vorliegt und keine Strafe mehr vollzogen werden muss? Offenbar wirkt hier die Forderung des Ex-Bundeskanzlers Schröder: „Wegsperren für immer.“ immer noch nach.

Was sind für Sie die derzeit augenscheinlichsten Konsequenzen der Reform?

Asprion Unnötige Investitionen in Gebäude und bürokratische Versuche, „Therapie“, „Freiheitsorientierung“ und andere Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Die Ironie dabei ist, dass die Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts nichts als die Wiederholung wesentlicher Grundsätze des Strafvollzugsgesetzes von 1977 sind, die längst hätten umgesetzt sein können. Dafür, dass inhaltlich wenig in Angriff genommen wird, spricht der kürzlich ergangene Beschluss einer Strafvollstreckungskammer, die einen Verwahrten aus der JVA Werl entlassen wollte, weil bei ihm nicht die erforderlichen therapeutischen Maßnahmen durchgeführt wurden. Die Gelder würden sinnvoller für Unterstützungsmaßnahmen für Opfer von Straftaten verwendet. Deren Unterstützung betreibt die Politik im Wesentlichen vor allem auf der symbolischen, rhetorischen Ebene.

Weichert-Pleuger Für den Vollzug der Sicherungsverwahrung sind dies das Abstandsgebot, das durch die freizügigeren Rahmenbedingungen der Unterbringung deutlich wird und die Umsetzung des geforderten freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzuges.

„Bär“

  •  ein Fernseher mit größerer Diagonale
  •  Ledersofa im vermeintlichen Gruppenraum
  •  Verhöhnung durch die Umbenennung der Zellen in Zimmer
  • mehr Einkaufsmöglichkeiten, erhöhter Arbeitslohn sowie höheres Taschengeld
  •  Selbstversorgung nebst Zulagen für Sonderkost
  •  plötzliche Resozialisierungsbemühungen bei vollkommen perspektivlosen, desinformierten und desillusionierten Gefangenen
  •  beschäftigungstherapeutische Werkstätten: Korbflechterei und Fahrradwerkstatt (wobei letztere tatsächlich Anforderungen an die Insassen stellt, die dortige Arbeit gleicht der einer Werkstatt draußen)
  • tägliche Aufschlusszeiten
  •  eine „Leerzelle“ als Ausgleich für die fehlenden, vom Gesetzgeber festgelegten Quadratmeter „Wohnfläche“
  •  eine Staatsanwältin (die lediglich in Paragraphen denkt) als Vollzugsleiterin
  • eine höhere Dichte der Gruppenleiter/innen und Psychologen/innen bei den derzeit in dieser JVA untergebrachten SVlern

Eine wirkliche Förderung zur Erreichung der Entlassung wird sicher nicht so gewährleistet, wie es das Gesetz verlangt und wie es vom höchsten Gericht der BRD beschlossen worden ist. Undenkbar, dass Entscheidungen mit den SVlern getroffen werden; schließlich geht alles über deren, also unsere, Köpfe hinweg. Hier wird Vereinbarungsfähigkeit erwartet und verlangt, jedoch nicht erwidert.

Wie ist Ihr Eindruck vom neuen »freiheitsorientierten und therapiegerichteten Gesamtkonzept«?

Asprion Ich halte dies für nicht umsetzbar. Zum einen sind es nach wie vor Gefängnisse, die dies tun sollen. Und ein freiheitsorientiertes Gefängnis ist in sich ein Widerspruch. Das hat bereits die Nicht-Umsetzung des Strafvollzugsgesetzes von 1977 gezeigt, in dem der Offene Vollzug als Regelvollzug formuliert war, was bis heute nicht umgesetzt ist. Zum anderen ist fraglich, ob der „Therapieglaube“ des Bundesverfassungsgerichts realitätsgerecht ist. Es stellt sich die Frage, ob alle betroffenen Verurteilten therapiebedürftig oder therapiefähig sind und ob die bestehenden Einrichtungen jemals ein geeignetes therapeutisches Setting erreichen können.

Weichert-Pleuger Das Bundesverfassungsgericht hat einen freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzug der Sicherungsverwahrung gefordert. Es hat klargestellt, dass es nicht ausreicht, nur die (standardisierten) Angebote und Mittel des Strafvollzuges zu nutzen. Den Sicherungsverwahrten ist eine Entlassungsperspektive zu eröffnen. Dies bedeutet, dass individuelle und intensive Behandlungs- und Betreuungsangebote zu unterbreiten sind, wenn Standardmaßnahmen nicht ausreichen. Aus diesem Grund spielen psychologische; aber auch in großem Umfang psychiatrische Angebote eine zentrale Rolle im Vollzug der Sicherungsverwahrung, weil im Regelfall nur über die erfolgreiche Absolvierung dieser Maßnahmen eine Reduzierung der prognostizierten Gefährlichkeit möglich und erst dann eine Entlassung denkbar ist. Eine Intensivierung dieser Bemühungen der Vollzugsbehörden ist daher nötig.
Aber: trotz vielfältiger Angebote und intensiver Anstrengungen werden wir nicht jeden erreichen! Die Bemühungen der Vollzugsbehörden sind das Eine, die Angebote müssen auch genutzt werden. Und hierzu sind die Einsicht der Sicherungsverwahrten, dass therapeutische Behandlung erforderlich ist, sowie die Akzeptanz der angebotenen Maßnahmen nötig. Das ist jedoch nicht immer der Fall. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die Sicherungsverwahrten, sondern gleichermaßen auch für die Strafgefangenen mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung, denen auch intensive Angebote zur Reduzierung der Gefährlichkeit gemacht werden, um den Antritt der Sicherungsverwahrung möglichst zu vermeiden. (…)
Die Forderung eines freiheitsorientierten Vollzuges zielt darauf ab, den Kontakt der in der Regel langjährig inhaftierten Sicherungsverwahrten zur Außenwelt, vorzugsweise zu Angehörigen, zu erhalten oder neu zu schaffen. In Niedersachsen steht den Sicherungsverwahrten aus diesem Grund mindestens eine Ausführung im Monat zu, sofern sie noch keine weitergehenden vollzugsöffnenden Maßnahmen in Anspruch nehmen dürfen. Es sollen jedoch auch – wenn Sicherheitsaspekte nicht dagegen sprechen – möglichst selbständige vollzugsöffnende Maßnahmen wie z.B. Ausgang ermöglicht werden. Auch die Freiheitsorientierung ist ein wichtiges Standbein unserer Arbeit, wenn man das Ziel einer Entlassung in die Freiheit in ein Leben ohne weitere Straftaten verfolgt. Langjährig Inhaftierte ohne Außenkontakte verlieren den Bezug zur Gesellschaft und es gehen wichtige Entwicklungen an ihnen vorbei, deren Kenntnis aber nötig ist, um eine stabile Existenz nach der Entlassung zu schaffen und zu erhalten. Die Unfähigkeit, sich in diese veränderte Gesellschaft zu integrieren, ist durchaus ein Faktor, der neue Straftaten begünstigen kann.

„Bär“ Freiheitsorientierte und therapieausgerichtete Gesamtkonzepte im Strafvollzug, analog bei der SV, sind reine Makulatur. Sie dienen dazu, den Vorgaben des BVerfG pro forma gerecht zu werden. Der Berliner Gesamtvollzug ist aufgrund der freiheitsfeindlichen und antidemokratischen Strukturen (als quasi „totales System“) nicht fähig, die Behandlungsmaßnahmen, wie sie sonst in anderen Bundesländern zumindest ansatzweise umgesetzt werden, durchzuführen. Eine solche Behandlung müsste darauf ausgerichtet sein, zu vermeiden, dass ein Strafer die SV nach Haftende antreten muss, respektive die begonnene SV schnellstmöglich beenden zu können. Aber die Vorgaben werden nicht umgesetzt, auch weil es nach wie vor Beamte des Vollzuges sind, die nun eine „Betreuung“ durchführen müssen. Diese erfordert enorme Fähigkeiten im sozialen Umgang mit „Menschen ohne Strafe“. Die meisten SVler kennen diese Beamten bereits seit vielen Jahren, entsprechend voreingenommen sind sie ihnen gegenüber.

Sind die richterlichen Beschlüsse zu gesonderten Abteilungen und Gebäuden zur deutlichen Trennung zwischen Strafhaft und SV umgesetzt bzw. umsetzbar?

Asprion Das kann ich nicht beurteilen; dies müsste in einer umfassenden Evaluation bundesweit erkundet werden.

Weichert-Pleuger Das Bundesverfassungsgericht hat in der genannten Entscheidung unter anderem das sogenannte Abstandsgebot und den Trennungsgrundsatz formuliert. Beide Grundsätze werden durch die JVA Rosdorf umgesetzt. Die JVA Rosdorf ist seit dem 01. Juni 2013 für den Vollzug der Sicherungsverwahrung niedersächsischer und bremischer Sicherungsverwahrter zuständig. Hierfür ist innerhalb der bestehenden Anstalt eine baulich und räumlich abgetrennte (Trennungsgebot) Abteilung für die Unterbringung von Sicherungsverwahrten errichtet worden. Den Sicherungsverwahrten stehen Unterkunftsbereiche zur Verfügung, die sich in Größe und Ausgestaltung klar von den Hafträumen für Strafgefangene unterscheiden (Abstandsgebot) und im Rahmen des Wohngruppenvollzuges können großzügig angelegte Gemeinschaftseinrichtungen genutzt werden. Die Entscheidung, eine Abteilung innerhalb einer bestehenden Anstalt zu errichten, bietet im Gegensatz zu einer gesonderten Einrichtung für den Vollzug der Sicherungsverwahrung den Vorteil, bereits bestehende Infrastruktur z.B. für Besuch, Arbeit, Ausbildung und Freizeit nutzen zu können. Gruppenangebote, die Strafgefangenen gemacht werden, können von Sicherungsverwahrten ebenfalls in Anspruch genommen werden. Angesichts der im Verhältnis zu den Strafgefangenen nur kleinen Zahl der Sicherungsverwahrten in Niedersachsen bietet dies die Chance für eine breitere Palette von Angeboten. Die bisherige Praxis in Rosdorf hat gezeigt, dass diese Möglichkeit von den Sicherungsverwahrten auch genutzt wird.

„Bär“ Durch die unverhältnismäßige Unterbringung in der JVA ist das sogenannte Abstandsgebot nicht gewährleistet. Selbst durch den Umzug in den Neubau auf dem Gelände der JVA gäbe es nicht genügend Zwischenraum. Der Vollzug der SV bleibt dem einfachen Strafvollzug sehr ähnlich – der Berliner SV-Vollzug ist nahezu eine Kopie des Strafvollzugs und berücksichtigt das notwendige Abstandsgebot in keinster Weise. (…) Der Gesetzgeber hat dem Vollzug alle Möglichkeiten gegeben, gesetzliche Vorgaben im Sinne der Betroffenen umzusetzen, aber es findet weder eine generelle Förderung zur Minimierung einer wahrscheinlichen Gefährlichkeit statt, noch eine therapiegerichtete Behandlung, die sich auf eine Freilassung orientiert.

Wie ist Ihr Eindruck von den in Aussicht gestellten Neuerungen – z.B. für die Sicherungsverwahrten in Berlin: viermalige »Ausführung« im Jahr in Begleitung von BeamtInnen, Anspruch auf zehn statt einer Besuchsstunde im Monat und – abgesehen von dem Nachtverschluss zwischen 21.30 und 6 Uhr – »Bewegungsfreiheit« im Gebäude. Weiterhin: Anspruch auf Selbstverpflegung – mittels 75 Prozent mehr Lohn als Strafgefangene, maximal 300 Euro und Erhöhung des Schlüssels der psychologischen Betreuung.

Asprion Glaubt jemand, dass das wirklich nützt? Und: Was sollen die Strafgefangenen im Regelvollzug davon halten? Können diese nicht auf den Gedanken kommen, dass diese Regelungen Ihnen mindestens genauso zustehen, wenn man das Strafvollzugsgesetz ernst nimmt, zumal sie ja nicht als so gefährlich und schwierig angesehen werden?

Weichert-Pleuger Die in der Fragestellung genannten Aspekte sind Ausfluss des Abstandsgebotes und der Freiheitsorientierung, die das Bundesverfassungsgericht gefordert hat. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch keine konkreten Vorgaben zur Umsetzung dieser Grundsätze gemacht, so dass sich die Umsetzung in den Bundesländern durchaus unterscheiden kann. Niedersachsen z.B. eröffnet den Sicherungsverwahrten, wie bereits beschrieben, den Anspruch auf mindestens eine monatliche Ausführung, sofern noch keine weitergehenden vollzugsöffnenden Maßnahmen möglich sind. Es wird in Niedersachsen auch kein Besuchskontingent festgesetzt, da auch die Besuchsmöglichkeiten ein wesentlicher Baustein der Freiheitsorientierung ist. Aber unabhängig davon, auf welche Weise und in welchem Umfang diese Grundsätze umgesetzt werden, sind sie wichtige Teilaspekte der Vorbereitung der Sicherungsverwahrten auf ein Leben in Freiheit, das das Ziel des Vollzuges auch der Sicherungsverwahrung ist. Kritisch lässt sich in diesem Zusammenhang meines Erachtens nur fragen, aus welchen Gründen gerade Sicherungsverwahrten diese Vorteile gewährt werden, da auch für Strafgefangene das Ziel einer Wiedereingliederung in die Gesellschaft gilt.

„Bär“ Diese allgemeinen Veränderungen für die SVler können nicht ohne weiteres als solche angenommen werden. Die „Ausführungen“ (viermal im Jahr) führen eher dazu, dass sich der Betroffene wie ein Hund fühlt, der mal „Gassi“ geführt wird. Solange das „Gewaltenverhältnis“ im SV-Vollzug praktiziert wird, bleibt es Gefängnis. Insbesondere sind alle grundrechtlich beschränkenden Maßnahmen des Strafvollzuges auch für die SV gültig und selbst unmittelbarer Zwang. Zellen- und Körperdurchsuchungen zeigen an, dass man im „Knast“ ist. Die JVAs haben es geschafft, der Öffentlichkeit weiszumachen, dass es uns hier gut geht und alles den Vorgaben entspricht. Ich widerspreche dem ganz vehement und fordere nach wie vor die Freilassung. Die unverhältnismäßige Unterbringung, die wir hinnehmen müssen, ist nicht tragbar. (…) Die meisten hier haben bis heute einen schlimmeren Vollzug erlebt, als es den Menschen draußen jemals bewusst werden kann, da die Stellungnahmen eine andere Sprache sprechen. Es ist und bleibt uneingeschränkt ein Vollzug wie im Gefängnis.

Welche Rolle haben psychologische Beratungs- und Betreuungsangebote? Was bewirkt die Zusammenarbeit mit Bewährungshelfern, was kann/könnte sie bewirken?

Asprion Die Erfahrungen mit den im Jahr 2010 kurzfristig und unvorbereitet aus der Verwahrung entlassenen Sicherungsverwahrten zeigten übereinstimmend folgendes Bild: In den Anstalten wurden sie als gefährlich und nicht therapierbar oder therapiebereit abgeschrieben. Nach der Entlassung waren sie überwiegend überraschend kooperativ, arbeiteten mit ihren BewährungshelferInnen gut zusammen und ließen sich auf therapeutische Angebote ein; dies sowohl bei den ihnen per Weisung auferlegten Kontakten zu den Forensischen Ambulanzen als auch auf freiwilliger Basis bei niedergelassenen Therapeuten. Sie haben damit real den Nachweis erbracht, dass die bestehenden ambulanten Dienste angenommen werden und wirken. Im Detail habe ich zwei Beispiele in meinem Buch Gefährliche Freiheit? Das Ende der Sicherungsverwahrung, erschienen 2012 im Verlag Herder, dargestellt.

Weichert-Pleuger Wie gesagt, kommt den Behandlungsmaßnahmen eine zentrale Bedeutung zu, weil der Weg zur Entlassung im Regelfall nur über die erfolgreiche Absolvierung solcher Angebote führen wird. Überwiegend wird es hier um Angebote von Psychologen oder Psychiatern gehen, aber auch das Erlernen sozialer Kompetenzen wird einen Schwerpunkt setzen, so dass die Bedeutung sogenannter niederschwelliger Gruppenmaßnahmen im Freizeitbereich nicht zu unterschätzen ist.
Die Zusammenarbeit mit Bewährungshelfern war und ist unverzichtbar, um einen abrupten Wechsel von der intensiven Betreuung und Unterstützung während des Vollzuges in eine unbetreute Entlassungssituation zu vermeiden. Langjährig Inhaftierte benötigen auch in der Zeit nach der Entlassung einen Ansprechpartner, der sie in schwierigen Situationen unterstützt.

„Bär“ Beratung und Betreuung soll in meinen Augen die SVler haftfähig halten. Sie dienen einem Prinzip von Sicherheit und Ordnung, das versucht, teilweise schwer verzweifelte „Menschen ohne Strafe“ von Suiziden abzuhalten. (…) Es unterstützt den Umstand, dass ein SVler niemals wieder wird wirklich frei sein können. (…) Die SV gibt den JVA-Beamten ein explizites Betätigungsfeld für eine absolute soziale Kontrolle und ist gleichzeitig ein einzigartiges Experimentierfeld für psychiatrische und soziologische Maßnahmen – ähnlich einer „totalitären Hygiene“. (…)

Wie wirkt sich Ihrer Erfahrung nach die vorbehaltene Sicherungsverwahrung als Standardmaßnahme auf Resozialisierungsbemühungen im Strafvollzug aus (bzw. wie wird sie sich voraussichtlich auswirken)?

Asprion Zum einen kann es zu einer vordergründigen Anpassung kommen, eine authentische Zusammenarbeit mit dem Fachpersonal der Anstalten wird schwieriger bis unwahrscheinlich. Zum anderen wird möglicherweise das Denunziantentum in den Anstalten gefördert werden. Für ein notwendiges Minimum an Vertrauen, das eine Behandlung braucht, bleibt da kaum mehr Raum.

Weichert-Pleuger Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung könnte sich als Motivationsfaktor für die Behandlungsbemühungen während der Strafhaft erweisen. Wie bereits beschrieben, ist die Erkenntnis der Strafgefangenen, dass sie therapeutische Unterstützung benötigen und dass sie aktiv daran mitwirken müssen, nicht immer gegeben. Die Verurteilung zu einer Strafe, deren Ende auf den Tag genau berechnet ist, kann dazu verleiten, sich der Anstrengung einer Therapie nicht zu unterziehen.

„Bär“ Es wird medial und auch seitens der Justiz ein Klima der Angst geschaffen und die Anpassung der SVler an ihre Situation als vergebliches Unterfangen dargestellt. Dabei ist eine umfassende Anpassung an die Gesellschaft auch deshalb fast unmöglich, weil es an effektivem Rechtsschutz für die „Menschen ohne Strafe“ fehlt. Da der derzeit betriebene Vollzug der SV im Strafvollzug weder willens noch imstande ist, eine adäquate Sozialisierung zu erbringen, wird die Resozialisierung von vornherein unmöglich. Die SV sollte, wenn schon nicht abwendbar, zumindest im Vollzug dafür Sorge tragen, dass der „Mensch ohne Strafe“ so gut behandelt wird wie nur möglich und so schnell als möglich frei gelassen werden kann. Präventivhaft ist meines Erachtens eine Maßnahme, die den Menschen draußen „Sicherheit“ vermitteln soll. (…) Die meisten Menschen denken wahrscheinlich, dass wir mit jedem neuen Sozialarbeiter weiter „nach vorne“ kommen, aber tatsächlich ist mit jedem Wechsel, mit jeder neuen Regelung ein Neubeginn verbunden, der unsere Situation in einer „Schleife“ hält. Eine wirkliche Behandlung findet nicht statt. Es wird uns in dieser Hinsicht auch kein Vertrauen entgegengebracht, ich habe gar keine Gelegenheit, eine „Veränderung“ zu zeigen. Jemanden an die „lange Leine“ zu nehmen, ist das eine, aber wir werden eher an Gummibändern gehalten, die uns in hohem Bogen zurück katapultieren, wenn wir eine Bewegung zu viel machen.

Wie bewerten Sie im Hinblick auf Entlassungen die verschiedenen Erweiterungen der Führungsaufsicht (Betreuung in der psychiatrischen Ambulanz, elektronische Aufenthaltsüberwachung), wie entsprechende polizeiliche Observierungsmaßnahmen?

Asprion Die Unterstützung durch forensische Ambulanzen ist ein Schritt in eine gute Richtung. Die elektronische Überwachung wird bereits von der Polizei überwiegend als nicht nützlich bewertet; die offenen polizeilichen Observationen bedeuten praktisch eine Wiederkehr des Prangers. Insgesamt sind die Maßnahmen Ausdruck der Tendenz der Abkehr vom helfenden Wohlfahrtsstaat hin zu einem punitiven Überwachungsstaat. Straftaten verhindern sie nicht wirklich in dem suggerierten Ausmaß.

Weichert-Pleuger Die Einrichtung psychiatrischer Ambulanzen und in speziellen Fällen auch die elektronische Aufenthaltsüberwachung sind wichtige Aspekte in der Entlassungsphase der Sicherungsverwahrten, die den Übergang von der Inhaftierung in die Freiheit erleichtern. Die Ambulanzen bieten die Möglichkeit einer Nachbetreuung und Nachbehandlung der Entlassenen, die elektronische Aufenthaltsüberwachung kann in geeigneten Fällen bei der Überprüfung der Einhaltung von Weisungen (z.B. bestimmte Orte nicht aufzusuchen) unterstützen.

„Bär“ Es ist und bleibt eine totale Kontrolle. Würde uns mehr vertraut werden, gäbe es sicherlich mehr SVler, die mit einer elektronischen Fußfessel entlassen werden würden. Dennoch macht sich vermutlich niemand klar, was eine Freilassung für den einzelnen Betroffenen bedeutet, wenn er unter dieser totalen Kontrolle steht und gleichzeitig von Behörden fremdbestimmt wird, die einen schwer bestrafen können, allein nur, wenn er eine rote Ampel überqueren würde. Wenn die Behörden so mit uns zusammenarbeiten würden, dass wir unsere Bürgerrechte wahrnehmen könnten, wären viel mehr dieser Maßnahmen hinnehmbar. Aber das ist nicht der Fall. Es wird nicht mit uns, sondern über uns hinweg geredet. Für mich symbolisieren die derzeit festgehaltenen „Bürger ohne Strafe“ in der unverhältnismäßigen Unterbringung und die Maßnahmen in Psychiatrien, Alten- und Kinderheimen sowie im Knast doch sehr die „kranke Gesellschaft“.

Anmerkungen:

(1) BVerfG, 2 BvR 2365/09 vom 4.5.2011, Nr. 1-178.

(2) Artikel 104 Abs. 1 GG verbietet seelische und körperliche      Misshandlung.

(3) Nachträgliche Sicherungsverwahrung – ein rechtsstaatliches und kriminalpolitisches Debakel; Felix-Verlag 2010/2013.

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