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Gerhard Stuby (1934 - 2020)

in: vorgänge Nr. 231/232 (3-4/2020), S. 213-214

Mit Gerhard Stuby starb am 24. August 2020 im Alter von 86 Jahren ein großer Jurist, ein Vertreter kritischer Wissenschaft. Er war kein Rechtswissenschaftler im Elfenbeinturm, vielmehr verstand er es, in sozialwissenschaftlichen und historischen Kategorien zu denken und politisch zu handeln. Er mischte sich ein und gestaltete nicht nur den wissenschaftlichen Diskurs, indem er die Juristinnen- und Juristenausbildung in Bremen für die Sozialwissenschaften öffnete, die einstufige Juristinnenausbildung in Bremen mit aufbaute und die darin enthaltene Reform zu seiner Sache machte; einer Sache, die er auch vertrat, nachdem in Bremen der Schritt zurück zum Alten wieder angetreten worden war.

Gerhard Stuby wuchs in Saarbrücken auf, studierte Rechtswissenschaft, katholische Theologie und Philosophie in Trier, München, Grenoble und abschließend in Freiburg, wo er die juristischen Staatsexamina ablegte und bei Erik Wolf im Jahre 1963 seine Dissertation über „Recht und Solidarität bei Albert Camus“ schrieb, mit der er seine konsequente interdisziplinäre Denkweise eindrucksvoll bewies. Darüber hinaus belegt sie aber auch eine suchende Haltung nach einer gesellschaftlichen Ordnung, die auf den Grundsätzen der Solidarität, Gerechtigkeit und Gewaltlosigkeit basiert.

Seine Habilitationsschrift „Wissenschaft und Bildungsplanung“ wurde wegen „marxistischer Ansätze“ abgelehnt – eine Ablehnungsbegründung, die in den bleiernen Zeiten des Kalten Krieges möglich war. In seinem Buch „Disziplinierung der Wissenschaft“ verteidigte Stuby im Jahre 1970 die Studentinnen- und Studentenbewegung und positionierte sich eindeutig.

Es folgten Assistenzjahre an den Universitäten Freiburg und Mannheim und eine Vertretungsprofessur in Marburg, wo Wolfgang Abendroth, der Nestor einer historisch und dialektisch orientierten Politikwissenschaft, zu seinem Förderer wurde. Abendroth riet ihm, einen Ruf an die Universität Bremen anzunehmen. 1971 erhielt Gerhard Stuby dort eine Professur für öffentliches Recht und wissenschaftliche Politik an der gerade gegründeten Universität. Der Berufung gingen allerdings heftige Angriffe gegen ihn voraus.

Nahezu dreißig Jahre lehrte, forschte und arbeitete Gerhard Stuby bis zu seiner Emeritierung im Wintersemester 1999/2000 in Bremen. Er war Mitglied in der Gesetzgebungskommission für die einstufige Juristinnen- und Juristenausbildung und zwischenzeitlich Konrektor der Universität.

In die drei Jahrzehnte an der Universität Bremen fällt sein Wirken bei der Gründung der Vereinigung Demokratischer Juristen (VDJ), deren erster und langjähriger Vorsitzender er werden sollte. Gerhard Stuby engagierte sich gegen die Praxis der Berufsverbote in der Bundesrepublik und für den Menschenrechtsschutz, letzteres vornehmlich im Rahmen seiner Arbeit der 1946 gegründeten Internationalen Vereinigung demokratischer Juristen, die einen Beratungsstatus bei der UNO besaß und deren Vizevorsitzender er wurde. In dieser Funktion nahm er an zahlreichen Missionen im Irak, in Chile, El Salvador, in Kambodscha, Palästina und Mexiko teil. Gerhard Stuby forschte und stritt für ein demokratisches, Emanzipation ermöglichendes Völkerrecht. Das besaß für ihn eine Bedeutung, die sein Leben und seine Arbeit prägte.

Angesichts seiner Haltung für eine demokratisch verfasste und auf Solidarität fußende Gesellschaft scheute Stuby nicht die Zusammenarbeit mit Kommunistinnen und Kommunisten, was seine Arbeit im VDJ, in den auch Juristinnen und Juristen aufgenommen wurden, die Mitglied einer kommunistischen Partei waren, verdeutlicht. Es war diese fehlende Scheu und eine opportunismusbefreite Haltung, die für Stuby einschneidende Folgen hatte, als er im Jahre 1978 aus der SPD ausgeschlossen wurde. Dieser Versuch politischer Isolation hatte für den Wissenschaftler weitreichende Folgen, führte der Parteiausschluss doch zugleich zum Ausschluss von Publikationsmöglichkeiten.

Gerhard Stuby blieb trotzdem einem sozialdemokratischen Grundverständnis von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit, von Demokratie und Gleichheit treu. 1989 gelang ihm mit der Fürsprache durch sozialdemokratische Prominenz die Wiederaufnahme in die Partei. Trotzdem kämpfte er – sich selbst treu – fünf Jahre später für das Recht der PDS auf Einzug in den Bundestag. In einem gemeinsamen Gutachten mit seinem Freund und Kollegen Norman Paech konnte das Bundesverfassungsgericht von der Unrechtmäßigkeit des Vorgehens von CDU und SPD gegen den Einzug der PDS in den Bundestag überzeugt werden.

Diese konsequente Haltung widerspiegelt sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit und der ihr innewohnenden steten Verbindung von historischer Reflexion, politik- und rechtswissenschaftlicher Analyse. Gerhard Stubys historisches Verstehen des Grundgesetzes als antifaschistisch begründet begleitete auch seine letzten Arbeiten über internationale Verträge von Versailles über Rapallo, Locarno, dem Briand-Kellogg-Pakt bis zum Hitler-Stalin-Pakt.

Dieses gebildete und sich Bilder machende Betrachten der Welt über den Tellerrand des Faches hinaus machte Gerhard Stuby zum Lehrer nicht nur für Juristinnen und Juristen, sondern in gleichem Maße für Sozialwissenschaftler, Historikerinnen und all jene, die Zusammenhänge und ihre komplexen Wirkmechanismen verstehen wollen.  Ihnen hätte Gerhard Stuby mit dem Worten des Überlebenden der Shoa, Roman Kent, das elfte Gebot ins Stammbuch geschrieben: „Du sollst nicht gleichgültig sein.“

Wolfram Grams

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