Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 234: Strafvollzug in der Pandemie

Dankesrede zur Verleihung des Fritz-­Bau­e­r-­Preises der Humanis­ti­schen Union

vorgänge12/2021Seite 103-107

In: vorgänge Nr. 234 (2/2021), S. 103 – 106

Bei der Verleihung des Fritz-Bauer-Preises der Humanistischen Union am 11. September 2021 in Berlin (v.l.n.r.): Werner Koep-Kerstin, Markus Beckedahl und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Foto: Rürup/Humanistische Union).

 

Berlin, 11. September 2021

Danke Frau Leutheusser-Schnarrenberger für die schöne Laudatio. Ich weiß nicht, ob das heutige Datum für Eure Mitgliederversammlung und diese Preisverleihung bewusst als Statement gewählt wurde oder einfach nur Corona geschuldet ist. Auch wenn die Anschläge vom 11. September weit weg sind, sie waren und sind auch eine massive Zäsur in der Grundrechtspolitik.

Aber der 11. September hatte auch etwas Gutes: Ich kam zum ersten Mal in Kontakt mit der Humanistischen Union. Ich erinnere mich noch, wie ich damals als Mittzwanziger in Euer Büro kam und Nils Leopold und Tobias Baur kennenlernte. Die Humanistische Union koordinierte ein zivilgesellschaftliches Bündnis, dass sich gegen die zahlreichen Grundrechtseinschränkungen der Otto-Kataloge stellte. Der Widerstand war klein und wir kämpften weitgehend gegen die Windmühlen des Zeitgeistes namens War on terror. Aber zumindest mich motivierte die Zeit, nicht aufzugeben und weiter gegen die immer ausufernde Überwachung zu kämpfen – und nicht viel später netzpolitik.org zu gründen.
Seit zwanzig Jahren ist der Damm gebrochen, wir reden nur noch über die Ausweitung zahlreicher Überwachungsmaßnahmen, während das Bundesverfassungsgericht nicht mehr hinterher kommt, alle Überwachungsgesetze zeitnah zu überprüfen. Wir warten seit Jahren auf die Verhandlungen der Gesetze der vorherigen Großen Koalition, gegen die wir als Beschwerdeführer:innen zusammen mit anderen Organisationen klagen – sei es die Datenhehlerei, versteckt im Anhang des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung oder die drastische Erweiterung des automatisierten Biometriezugriffs durch sämtliche Polizeien und Geheimdienste sowie weitere Behörden. Und dazu kommen zahlreiche weitere Klagen gegen noch mehr Überwachungsgesetze, auch aus dieser Legislaturperiode. Aber es bringt auch Erfolge: Fast alle Überwachungsgesetze werden vom Bundesverfassungsgericht für zumindest in Teilen verfassungswidrig erklärt. Traurig ist es jedoch schon, dass dies keine politischen Konsequenzen hat, außer dass schnell wieder entlang der definierten roten Linien neue Überwachungsreformgesetze eingebracht werden. Gegen die dann wieder geklagt werden muss.

In der achtzehnjährigen Geschichte von netzpolitik.org haben wir zahlreiche Gesetzesprozesse ausführlich dokumentiert, kritisch begleitet und Öffentlichkeit für Grundrechtsaspekte geschaffen, die in der politischen und medialen Debatte häufig zu kurz kamen. Wir fanden die Vorratsdatenspeicherung schon vollkommen unverhältnismäßig und inakzeptabel, bevor der Widerstand cool wurde. Jetzt fiebern wir der kommenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes entgegen und hoffen, dass zum wiederholten Male die Vollprotokollierung unserer Verbindungsdaten, wer mit wem telefoniert und vor allem Dingen, wann unser Smartphone wo nach Hause telefoniert, gestoppt wird.

Lange war es schwierig über den massiven Ausbau der Massenüberwachung offen zu sprechen, ohne Angst haben zu müssen, in die Aluhut-Ecke der Verschwörungsmythen gerückt zu werden. Die Enthüllungen, die wir Edward Snowden zu verdanken haben, dokumentierten, dass alles noch viel schlimmer war, als selbst wir das befürchtet hatten. Unsere Bundesregierung duckte sich erst mal weg und versuchte zu suggerieren, dass man das alles auch erst aus der Zeitung erfahren habe. Durch die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses, bzw. vor allem der engagierten Arbeit der kleinen Opposition darin, allen voran Hans-Christian Ströbele und Martina Renner, und vieler investigativer Recherchen kam heraus, dass unsere Geheimdienste knietief mit im Überwachungssumpf von NSA und Co standen. Und häufig im Geheimen verfassungswidrig agierten.

Leider wurde das Ziel von Edward Snowden nicht erreicht, weniger Überwachung zu bekommen. Die Enthüllungen wurden nicht als Warnung, sondern als Machbarkeitsstudie gesehen. Die Massenüberwachung und die Befugnisse unserer 19 Geheimdienste wurden in den vergangenen Jahren massiv ausgeweitet, mittlerweile darf der BND legal noch viel mehr überwachen und es gibt Staatstrojaner für alle. Das im Namen der Sicherheit massive IT-Unsicherheit geschaffen wird, indem für die Munitionierung von Staatstrojanern Sicherheitslücken genutzt werden, die dann eben offen bleiben, ist dabei leider egal.

Ein Motto von uns war und ist: „Uns liegen Dokumente nicht nur vor, wir veröffentlichen sie auch.“ Wir praktizieren das schon lange, wenn auch nicht immer, weil manchmal gute Gründe dagegen sprechen. Und immer mehr entwickelt sich diese Praxis zu einer neuen Norm im Journalismus, denn Platz gibt es noch genug im Netz. Früher musste man erklären, warum man ein Dokument veröffentlichte. Heute ist es anders. Und das ist auch gut so. Denn wenn wir Originaldokumente veröffentlichen, können unsere Leser:innen unsere Arbeit besser kontrollieren, es schafft Vertrauen, wir teilen Wissen und Andere können darauf im Idealfall aufbauen.

Manchmal kann man deswegen auch Probleme bekommen, wie wir vor sechs Jahren feststellen konnten, als wir einen gelben Brief vom Generalbundesanwalt bekamen und über Ermittlungen wegen Landesverrat informiert wurden – gegen Andre Meister und mich sowie unsere Quellen. Wissen Sie noch, wer dahinter steckte? Es war der damalige Verfassungsschutzpräsident und heutige Verschwörungsideologe sowie CDU-Bundestagskandidat Hans-Georg-Maaßen, gedeckt von Kanzleramt und Bundesinnenministerium. Viele Details sind immer noch ungeklärt und vielleicht werden wir in 24 Jahren mehr erfahren, falls dann überhaupt die Akten freigegeben werden.

Dass wir vor einer Haus- und Redaktionsdurchsuchung durch den Generalbundesanwalt informiert wurden, war eher Zufall und Glück für uns. Wir suchten im Internet, was dieser Landesverrat eigentlich ist, stellten das Schreiben ins Netz und landeten im Zentrum einer Staatsaffäre: Der amtierende Generalbundesanwalt wurde gefeuert, die Ermittlungen nach wenigen Tagen eingestellt.
Auch wenn die öffentliche Aufmerksamkeit und die große Solidarität uns seinerzeit geschützt hat: Ermittlungen wegen „Landesverrats“ (§ 94) oder das direkt daneben stehende „Offenbaren von Staatsgeheimnissen“ (§ 95) hängen immer noch wie ein Damoklesschwert über investigativen Journalist:innen. Der damalige Justiz- und heutige Außenminister Heiko Maas versprach, den betreffenden Paragraphen zu reformieren und damit die Pressefreiheit besserzustellen. Seitdem ist nichts passiert, hier stellen sich Union-geführte Ministerien quer.
Wo sich die Union aber mit Sicherheit nicht querstellt, ist der Ausbau technisierter Überwachung, auch wenn es die Pressefreiheit weiter bedroht: Die aktuelle Große Koalition hat dem unter Maaßen kräftig gewachsenen Inlandsgeheimdienst noch mehr Überwachungsbefugnisse im Rahmen der Verfassungsschutzreform gegeben. Auch mit Staatstrojanern gegen Journalist:innen vorzugehen, wurde ihm erlaubt. Das ist als ein Angriff auf unsere Grundrechte, auf die Pressefreiheit und auch auf die IT-Sicherheit in Deutschland zu bewerten.

Aber nicht nur der Staat gefährdet in heutigen Zeiten unsere Grundrechte. Während viele Politiker:innen in den vergangenen zwölf Jahren damit beschäftigt waren, ihre Facebook-Seiten, Instagram-Accounts und Youtube-Kanäle für den nächsten Wahlkampf zu optimieren, wuchs die Macht der bisher viel zu unregulierten Plattformen massiv an. Wir haben uns als Gesellschaften abhängig von wenigen Unternehmen gemacht, auf deren Plattformen sich die neuen Öffentlichkeiten konstituieren. Aber leider sind es privatisierte Öffentlichkeiten und die Regeln, wie wir dort zu welchen Bedingungen kommunizieren und uns informieren können, werden weitgehend einseitig durch technisches Design und Allgemeine Geschäftsbedingungen vorgegeben. Das muss demokratischer ablaufen.

Momentan werden auf den Plattformen riesige Datenmengen gesammelt und ausgewertet, um detaillierte Profile von Nutzer:innen anzulegen, das Denken und die Wünsche von Nutzer:innen vorauszusagen und dann mittels Werbung die Menschen in eine bestimmte Richtung zu lenken. Diese Art von Werbung aber, die auf Vorhersagen und Manipulation unseres Verhaltens basiert, hat in einer freien Gesellschaft nichts zu suchen. Der Überwachungskapitalismus ist einfach ein furchtbares Geschäftsmodell für soziale Infrastrukturen.
Wir sollten es auch nicht resigniert akzeptieren, dass wir überall im Netz intransparent im Hintergrund zum Zwecke der Werbevermarktung oder der Massenüberwachung von Geheimdiensten ausspioniert werden. Und dabei vollkommen unklar ist, welche Daten über uns unkontrolliert gesammelt, verarbeitet, analysiert und weitergegeben werden.

Diesen Praktiken muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden, denn auch im öffentlichen Raum werden wir nicht totalüberwacht – auch wenn die Ausweitung von Videoüberwachung mit automatisierter Gesichtserkennung leider keine Science-Fiction mehr ist, sondern die aktuelle Forderung einer Regierungspartei in diesem Wahlkampf. Wir brauchen dringend ein Verbot biometrischer Massenüberwachung im öffentlichen Raum.

Sie sehen und hören, ich könnte stundenlang über zu viele Überwachungsgesetze sprechen. Aber heute sind wir ja hier zum Feiern, lesen Sie weitere Details lieber direkt bei uns auf netzpolitik.org. Wir danken allen unseren Unterstützer:innen, die unsere Arbeit erst ermöglichen. Ohne unsere Spender:innen könnten wir nicht so frei arbeiten und uns in Themen festbeißen. Ohne unsere vielen Tippgeber:innen wüssten wir viel weniger.

Euer Fritz-Bauer-Preis ist uns ein Ansporn, weiterhin engagiert gegen Grundrechtseinschränkungen anzuschreiben und Rahmenbedingungen für eine bessere digitale Gesellschaft schaffen zu wollen. Wir fühlen uns auch sehr geehrt, wenn man die lange Liste früherer Preisträger:innen anschaut, von denen viele den Grundrechtsdiskurs dieser Bundesrepublik entscheidend mitgeprägt haben. Und auf deren Schultern wir stehen und denen wir auch viele unserer Freiheiten zu verdanken haben.

Danke für Euer Engagement, danke, dass wir der Preisträger des diesjährigen Fritz-Bauer-Preis sein dürfen. Lasst uns weiter gemeinsam für Grundrechte eintreten und uns der ausufernden Überwachung entgegenstellen. Immer wieder, auch wenn es manchmal frustrierend ist. Freiheit, Demokratie und unsere Grundrechte sind es einfach wert.

nach oben