Themen / Datenschutz

Aktuelles aus der Innen­po­litik

16. Juni 2004

Mitteilungen Nr. 185, S.9

Wichtige laufende Verfahren zu bürger­recht­li­chen Fragen
IMSI-Catcher-Klage

Das Verfahren ist beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anhängig. Konkrete Termine zum Fortgang des Verfahrens sind bislang nicht angeordnet. Eine Kopie der Klage kann über die Bundesgeschäftsstelle bezogen werden.

Bürger­steig­über­wa­chung durch Private

Das Urteil des Amtsgerichts Berlin-Mitte zur Videoüberwachung öffentlicher Gehwege durch Private ist rechtskräftig. Es kann in Kopie über die Geschäftsstelle bezogen werden.

Biometrie in Pässen und Perso­na­l­aus­weisen

Noch vor zwanzig Jahren wäre es beinahe zu einem Volksaufstand gekommen: die drohende Datenerfassung aller Bürger durch das Volkszählungsgesetz mobilisierte Tausende in ihrem Protest und brachte Bürgerrechten und HU neuen Zulauf. Heute scheint die Situation anders: von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt, abgeschirmt durch internationale und europäische Gremien, schicken sich die Industriestaaten weltweit an, ihre BürgerInnen technisch zu vermessen und abzuspeichern. Die Rede ist von der Einführung biometrischer Merkmale, unveränderlichen körperlichen Merkmalen, in Pässen und Personalausweisen. Am 8. Juni diesen Jahres haben nun die Innenminister Europas (Rat für Justiz und Inneres) ihre Entscheidung bekräftigt, auf nationaler Ebene für mindestens zwei biometrische Merkmale in EU-Reisepässen zu sorgen. Festgelegt hat man sich bereits auf die Gesichtserkennung. Noch offen, aber mit „starker Tendenz“ präferiert werden als zweites Merkmal Fingerabdrücke. Hierfür sprechen, so die Innenminister, mögliche Synergieeffekte aus den Erfahrungen mit der Erfassung von Ausländern. Diese werden im EU-Rahmen bereits in vollem Umfang erkennungsdienstlich behandelt. Das dürfte demnächst uns allen drohen. Denn der Fingerabdruck wird auch deshalb geschätzt, weil er den Datenbankenabgleich mit vorhandenen Datenbanken erlaubt, so z.B. sieht es die Kommission. Genau dieser Datenbankabgleich aber ist nach deutscher Rechtslage für Reisepässe und Personalausweise noch ausgeschlossen, ein Ergebnis der Auseinandersetzungen um das sog. Otto-Paket II. Die HU hatte sich damals ebenfalls für diese wichtige Einschränkung zum Schutz der BürgerInnen vor staatlichem Missbrauch stark gemacht. Derzeit sieht alles danach aus, dass der nationale Kompromiss im Sinne der Bürgerrechte „auf kaltem Wege“, sprich über Brüssel, ausgehebelt werden wird. Motor des Geschehens ist – der bundesdeutsche Innenminister.

Luftsicherheit

Ihr Verdacht, das Flugzeug, in dem sie sich gerade befinden, könnte entführt worden sein, sollte Ihnen zukünftig Anlass zur Sorge geben. Sorge vor dem Abschuss durch eigene Mitbürger. Denn mit dem jetzt kurz vor seiner Verabschiedung stehenden „Luftsicherheitsgesetz“ erhält die Bundeswehr das Recht, vermeintlich zum Zwecke eines Terroranschlages in Gewalt gebrachte, vollbesetzte Verkehrs-maschinen abzuschießen. Bei einer Sachverständigenanhörung im Dt. Bundestag sahen sich die geladenen Rechtsprofessoren erst auf direkte Nachfrage veranlasst, Einschätzungen über die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Regelung im Hinblick auf Artikel 1 Grundgesetz abzugeben. Der Tenor lautete: die vermeintliche Rettung Tausender rechtfertige die sichere staatliche Tötung von ein paar Hundert Passagieren. Es stünde Utilitarismus versus Fatalismus. Nicht zur Sprache kam unter den Volksvertretern, dass Entscheidungen zur sicheren Tötung immer unter Unsicherheit über die tatsächlichen Verhältnisse an Bord sowie die möglichen Auswirkungen eines Abschusses am Boden erfolgen werden. Und dass es unser Recht im Grundsatz nicht erlaubt, das Leben eines Menschen gegen das eines anderen abzuwägen. HU-Beiratsmitglied Dr. Burkhard Hirsch schrieb dazu am 10. Mai 2004 in der SZ: „Das Gesetz gaukelt Handlungsfähigkeit vor. Doch es ist ein Dokument parlamentarischer Taktiererei, des Herumredens und der Hilflosigkeit. Es sollte möglich sein, zu bekennen, dass uns der Terrorismus an Grenzen führt, die rechtlich nicht mehr bewältigt werden können. Das berechtigt uns nicht, so zu tun, als könnten wir diese Grenzen mit gesetzestechnischen Finten überschreiten. (…) Der Krieg gegen den Terror beginnt, unsere Rechtstraditionen und unsere Verfassung, unsere moralischen Maßstäbe und unser Gewissen, also uns selbst zu vergiften.“ Kritische Beobachter gehen davon aus, dass dieses Gesetz wiederum nach Karlsruhe gehen wird, ja gehen muss.

nach oben