Das Briefgeheimnis auf dem Weg ins Abseits?
Humanistische Union erhebt Beschwerde gegen Postdurchsuchung in Hamburg
Mitteilungen Nr. 197, S. 1
Die Generalbundesanwaltschaft ist dafür bekannt, dass sie bestehende Rechtsnormen kreativ anwendet, wenn es nach ihrer Ansicht die Sicherheitslage in Deutschland erfordert. Als die Richter des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) im Januar einen Antrag auf heimliche Online-Durchsuchungen ablehnten, enthielt ihre Entscheidung einige bemerkenswerte Hinweise auf den Antrag der Generalbundesanwaltschaft. Offenbar hatte jene mit zum Teil aberwitzigen Begründungen versucht, die bestehenden Regelungen für Durchsuchungen und Beschlagnahmungen so weit auszudehnen, dass auch ein heimliches Eindringen in fremde Computer davon gedeckt sei. In ihrem Antrag hatten die obersten Ermittler etwa argumentiert, das heimliche Eindringen sei mit einer offenen Hausdurchsuchung vergleichbar, da der Computernutzer während der Durchsuchung ja anwesend sei – er sitze vor dem eingeschalteten Rechner. Die Richter des BGH sahen sich angesichts solcher Streiche dazu veranlasst, den Ermittlern in ihrer Entscheidung noch einmal die rechtsstaatliche Schutzfunktion jener Vorgaben für eine offene Hausdurchsuchung zu erläutern, mit denen die Betroffenen Dauer und Umfang des staatlichen Eindringens in ihre Wohnung kontrollieren können.
Das Urteil hat auf seiten der Ermittler leider keine Wirkung im Sinne eines gestiegenen rechtsstaatlichen Bewußtseins entfaltet. Ende Mai wurde bekannt, dass im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen eine mutmaßliche terroristische Vereinigung eine Postdurchsuchung in einem Hamburger Briefzentrum stattfand. Die Art und Weise, in der hier nach verdächtiger Post gesucht wurde, lassen erneut Zweifel an der rechtsstaatlichen Binnenkultur der zuständigen Ermittlungsbehörde aufkommen. Presseberichten zufolge hatten etwa 20 Beamte des Bundeskriminalamtes über mehrere Tage im Briefzentrum die Post einschlägig bekannter Stadtviertel durchsucht. Ihr Augenmerk galt besonders an Zeitungsredaktionen adressierten Sendungen, hinter denen sich Bekennerschreiben verbergen könnten.
Nach zahlreichen Berichten sah sich die Generalbundesanwaltschaft (GBA) am 25. Mai dazu veranlasst, zu der Postdurchsuchung eine klarstellende Erklärung abzugeben. Diese Erklärung, die bis heute auf den Internetseiten der GBA zu finden ist, wirft jedoch mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Darin heißt es: „Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Bundesanwaltschaft … hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs eine räumlich beschränkte Postbeschlagnahme gemäß § 99, 100 StPO im Briefzentrum 20 in Hamburg angeordnet.“ Ein einfacher Blick in die Strafprozessordnung zeigt aber, dass diese keine räumlich beschränkte Postdurchsuchung vorsieht. Sie erlaubt lediglich eine Postbeschlagnahme, bei der die von einem Beschuldigten stammenden bzw. für ihn bestimmten Sendungen aussortiert werden. Das rasterartige Suchen nach verdächtigen Briefen eines ganzen Einzugsbereichs ist in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen. Bleibt also die Frage, ob der Beschluss zur Beschlagnahme der verdächtigen Briefsendungen wirklich „räumlich beschränkt“ und damit rechtswidrig erging, oder ob es konkrete Beschuldigte gab.
An der Hamburger Durchsuchung irritiert jedoch auch die Art und Weise ihrer Ausführung – sie gleicht eher einer Razzia, denn einer rechtsstaatlichen Postbeschlagnahme. Um die Sendungen eines Beschuldigten zu beschlagnahmen, müssen sie zunächst aus dem Postverkehr aussortiert werden. Bei dieser Suche geraten naturgemäß viele Briefsendungen Dritter in den Blick – im Hamburger Briefzentrum 20 werden täglich über 3 Millionen Sendungen verarbeitet. Sie alle unterliegen dem Postgeheimnis. Damit deren Absender und Empfänger bei der Suche nach zu beschlagnahmenden Sendungen nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, dürfen üblicherweise nur Bedienstete der Post die Beschlagnahme ausführen. So sehen es die Dienstanweisungen der Postdienstleister vor, so sehen es auch die Kommentatoren der Strafprozessordnung: „Die Postbeschlagnahme ist die Weisung an ein Postunternehmen, die bereits vorliegenden und/oder die künftig zu erwartenden Postsendungen und Telegramme … auszusondern und auszuliefern.“ (Meyer-Goßner 2006, StPO, S. 336)
Warum die Ermittler im vorliegenden Fall von diesem Verfahren abwichen, dazu schweigt sich die Generalbundesanwaltschaft bisher aus. In der knappen „Erklärung“ zu der Durchsuchung heißt es nur: „Ziel dieser strafprozessualen Maßnahme waren … lediglich Briefe, deren äußeres Erscheinungsbild aufgrund der bisherigen Erkenntnisse darauf schließen ließ, dass es sich bei ihrem Inhalt um Selbstbezichtungsschreiben handeln könnte. Im Ergebnis wurde daher auch lediglich ein Brief geöffnet. Die übrigen Postsendungen wurden nur äußerlich in Augenschein genommen und sodann unverzüglich in den weiteren Postgang gegeben.“ Auch dieser Teil der Erklärung wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Offenbar haben die Ermittler bei ihrem mehrtätigen Einsatz zahlreiche Briefsendungen nach einem äußerlichen Suchraster für Bekennerschreiben geprüft, etwa auf fehlende Absenderangaben oder bekannten Empfängeradressen. Während zahlreiche Briefsendungen durch ihre Hände gingen, konnten die Absender und Empfänger vertraulicher Korrespondenz nur darauf hoffen, dass ihre Briefe nicht zufällig dem Suchraster ähnelten. Gegenüber den Beschwichtigungsversuchen des Generalbundesanwalts bleibt festzuhalten: Auch Briefsendungen mit von außen nicht erkennbaren Absenderangaben unterliegen dem Briefgeheimnis. Und auch das äußerliche in Augenschein nehmen von Postsendungen stellt einen Eingriff in das Briefgeheimnis dar. Jenes schützt nicht nur den im Umschlag verborgenen Text, sondern ebenso die äußeren Umstände des Postverkehrs. Wer an wen, wann und in welcher Form schreibt, geht niemanden etwas an.
Die Humanistische Union (HU) hat sich nach dem Bekanntwerden der Hamburger Vorfälle entschlossen, die Rechtmäßigkeit der Postdurchsuchung prüfen zu lassen. Im Auftrag eines betroffenen Hamburger Rechtsanwalts, dessen Kanzlei im Einzugsbereich des Briefzentrums 20 liegt, hat Fredrik Roggan eine Beschwerde eingelegt und Antrag auf Akteneinsicht beim Generalbundesanwalt gestellt. Ziel der Beschwerde ist es, eine gerichtliche Prüfung darüber zu erreichen, inwiefern die Anordnung und die Ausführung der Durchsuchung den Vorschriften für eine rechtsstaatliche Postbeschlagnahme genügten.
Für die rechtspolitische Diskussion verdeutlicht die Hamburger Postdurchsuchung einmal mehr den Trend, dass Ermittlungsbehörden die bestehenden gesetzlichen Grenzen für verdeckte Überwachungsmaßnahmen ständig auszuweiten suchen und sich dabei wenig um den Schutz grundrechtlich verbriefter Freiheiten scheren. So wurde etwa bekannt, dass im Hamburger Fall die Ermittler zunächst versuchten, ohne richterlichen Beschluss nach verdächtiger Post zu suchen. In diesem Fall war es den Postmitarbeitern des Briefzentrums zu verdanken, dass diese auf die Einhaltung zumindest einiger rechtsstaatlicher Vorgaben achteten. Dabei sind die Voraussetzungen für eine Postbeschlagnahme schon äußerst niedrig angelegt: es bedarf lediglich eines Anfangsverdachts zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.
Darüber hinaus bezieht sich der Beschluss zur Postdurchsuchung einmal mehr auf eine terroristische Vereinigung, gegen die ermittelt werde. Die Begründung von immer mehr Grundrechtseingriffen mit terroristischen Gefahren ist nicht neu. Kürzlich gab die Bundesregierung bekannt, dass die Generalbundesanwaltschaft allein im vergangenen Jahr 79 Verfahren wegen „Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung“ eingeleitet hat (BT-Drs. 16/5696). Doch welcher Terrorismus verbirgt sich dahinter? Die von der mutmaßlichen Hamburger Terrorgruppe verübten Anschläge richteten sich weder gegen Personen noch gegen die Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland, es handelte sich um Brandanschläge auf leerstehende Fahrzeuge. Diese Form des „Terrorismus“ sollte auch mit herkömmlichen Methoden der Strafverfolgung zu bekämpfen sein.
Sven Lüders
ist Geschäftsführer der Humanistischen Union