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Du bist nicht allein. Zur Video­über­wa­chung öffent­li­cher Räume

20. März 2002

Grundrechte-Report 2002, S. 59-64

Videobilder, die nach den Attentaten in den USA ausgewertet werden, zeigen den Terroristen Mohammed Atta, kurz vor dem Todesflug auf das World Trade Center, an einem Geldautomaten, im Supermarkt und am Flughafen von Portland (Maine). Nach und nach veröffentlichen die Medien weitere Videobilder: Wenige Tage vor dem 11. September war einer der Attentäter wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten und bei der Polizeikontrolle gefilmt worden. Die Bilder, die letztlich noch bloße Zufallsfunde darstellten, gingen um die Welt. Sie waren zunächst die einzigen sichtbaren Erkenntnisse bei der Frage nach den Tätern. Wie ein immer dichter gewirktes Mosaik aber rekonstruieren Videobilder das Leben von sich scheinbar anonym in der Masse der Bevölkerung bewegenden Menschen. Irgendwo läuft offenbar immer eine Kamera. Aus Großbritannien (zur Lage in England vgl. bereits Th. Weichert in Grundrechte- Report 2000, S. 45– 49) ist bereits seit langem bekannt: Polizeiliche Ermittlungen nach einer Straftat beginnen heute so: Scotland Yard schwärmt aus. Die Beamten, mit einer großen Plastiktüte bewaffnet, suchen alle Videoüberwachungsanlagen am Tatort und in der Umgebung auf, sammeln die vorhandenen Videobänder ein und werten diese dann auf Hinweise aus.

Video­ka­meras, Gesichts­er­ken­nung und Ausweise

Die Sicherheitsbranche boomt nicht erst seit dem Anschlag weltweit. Endlich aber verkauft sich nun auch die bei Kameras mitlieferbare Gesichtserkennungssoftware. So haben in den USA bereits die Flughäfen von Oakland, Boston, Fresno und Providence den Einsatz dieser «Biometriktechnik » in Verbindung mit Videoaufnahmen eingeführt oder kündigen dies an. Die Technik erlaubt es, digital erhobene und gespeicherte Bilder vollautomatisch auszuwerten: Bereits bekannte, in einer Bilddatenbank gespeicherte Gesichter, aber auch bestimmte Bewegungsmuster können auf diese Weise wiedererkannt werden. Kanadische Flughäfen und Spielcasinos verwenden diese Technik bereits seit längerem. US-amerikanische Bürgerrechtler (American Civil Liberties Union (ACLU); vgl. unter http:// www.aclu.org) kritisieren, dass auch mit Hilfe dieser neuen Geräte kein Einziger der Attentäter gestoppt worden wäre. Denn die Täter waren bis dato nicht in Erscheinung getreten und ihre Bilder in keiner (Fahndungs-)Datenbank vorgehalten. Jetzt wird diskutiert, die Gesichtsdaten (so genannte biometrische Merkmale) der Gesamtbevölkerung in einer zentralen Referenzdatei zu speichern. Im Januar 2001 ist in Tampa (Florida) das gesamte Publikum eines Fußballstadions mit Kameras und Gesichtserkennungssoftware erfasst worden. Die Bilder wurden in Bruchteilen von Sekunden mit einer Bilddatenbank abgeglichen. 19 «Kleinstkriminelle » konnten identifiziert werden. Schwerwiegender Straftaten Verdächtige wurden nicht entdeckt. Jedoch kam es zu zahlreichen Fehlidentifizierungen. Die ausnahmslose Erfassung aller anwesenden Bürger führte zu heftiger Kritik. Sachverständige sind sich einig, dass Gesichtserkennungssysteme nach wie vor eine hohe Fehlertoleranz aufweisen: Fehlerkennungen und Nichterkennungen lie gen bei bis zu 50 Prozent. Die Mitte 2001 auch auf das Vergnügungsviertel der Stadt Tampa erweiterte Videoüberwachung ist zwischenzeitlich wegen Erfolglosigkeit eingestellt worden (vgl. dazu www.heise.de / newsticker / data /odi-

06.01.02-001/ ).

Voll im Bilde – auch bei uns

In Deutschland hat sich vor allem die von Privaten zu verantwortende Videoüberwachung rasant ausgeweitet. Markantes Beispiel hierfür stellt das so genannte 3-S-Konzept (Sicherheit, Sauberkeit, Service) der Deutschen Bahn dar, als dessen integraler Bestandteil umfassende Videoüberwachungen (noch ohne Gesichtserkennung) der Bahnhöfe eingeführt wurden. Die Bahnhöfe aller größeren bundesdeutschen Städte sind mit zum Teil mehr als 100 Kameras ausgestattet, die jeden Winkel des Geländes ausspionieren. Kaufhäuser sowie Banken und Tankstellen sind ebenfalls mit aufwendigen Überwachungsanlagen ausgestattet. Die Überwachung der im privaten Besitz befindlichen, jedoch eigentlich öffentlichen Plätze ist bereits umfangreich.

Die polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Plätze ist noch nicht ganz so umfassend. In Pilotprojekten, in der Stadt Leipzig bereits seit 1997, bemüht man sich um den Nachweis der Notwendigkeit und Effektivität der Überwachung des öffentlichen Raums bei der Kriminalitätsbekämpfung. Der wissenschaftliche Beweis hierfür gilt allerdings bis heute als nicht geführt. Klagen von Bürgern gegen die Überwachung wurden in Mannheim und Halle dessen ungeachtet zurückgewiesen. Die Verantwortlichen versichern regelmäßig, dass eine flächendeckende Überwachung nicht beabsichtigt sei. Erklärtes Ziel aber ist es, zeitgemäßer symbolischer Politik entsprechend, mit Überwachung die Steigerung des «subjektiven Sicherheitsgefühls der Bevölkerung» zu erreichen.

Gesetze gegen die Ausbrei­tung?

Was bleibt von einer demokratischen Gesellschaft, wenn Bürger aus Furcht vor Identifikation und Repressalien nicht mehr an öffentlichen Versammlungen teilnehmen oder sich, unter dem Blick allgegenwärtiger Kameras, nicht mehr unbefangen bewegen und miteinander kommunizieren, sprich ihre Bürgerrechte ausüben können oder wollen? Innerhalb der letzten zwei Jahre haben alle Bundesländer (mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz und Thüringen – Gesetzesentwürfe liegen jedoch vor) Befugnisnormen für die Videoüberwachung so genannter gefährlicher Orte geschaffen. Damit wird rechtlich eine neue Qualität der Überwachung erreicht. Bestehende Regelungen zur Überwachung von Veranstaltungen oder bestimmter gefährdeter Objekte hatten die Erfassung gänzlich Unbeteiligter durch die Kameras (teilweise ausdrücklich) in Kauf genommen. Jetzt wird jedoch jeder Bürger pauschal unter Verdacht gestellt. In der Konsequenz wird einmal mehr der rechtsstaatliche Grundsatz der Beschränkung polizeilicher Eingriffe auf so genannte Störer, also auf diejenigen, von denen tatsächlich eine Gefahr ausgeht, missachtet. Diese Form der Überwachung stellt eine weitere fragwürdige, weil bislang in ihren gesellschaftlichen und rechtlichen Folgen nicht absehbare Maßnahme so genannter «Gefahrenvorsorge» dar.

Private Filmwut

Eine weitere Regelung zur Videoüberwachung ist im Mai 2001 in Kraft getreten: § 6b des Bundesdatenschutzgesetzes erlaubt «die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke (. . .)» Mit dieser Vorschrift werden erstmals private Überwacher explizit einer rechtlichen Regelung unterworfen. Denn diese haben nach Verfassungsrecht ebenfalls das betroffene Grundrecht des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 GG) zu beachten. Doch die Regelung setzt der Überwachung keine Grenzen. Vielmehr verschafft sie für die über die Republik verstreuten und willkürlich aufgehängten Kameras eine weite Rechtsgrundlage. Das so genannte «berechtigte Interesse» nutzen Juristen als Leerformel. Anstatt gesetzlich zumindest enge Ausnahmen für die Zulässigkeit – etwa den Zweck der «öffentlichen Sicherheit » – festzulegen, kann weiterhin jeder Betreiber selbst beliebige Zwecke festlegen. Laut Gesetz sind auf Hinweisschildern die Verantwortlichen zu benennen. Aber der Betroffene erfährt nicht, zu welchem Zweck die Kamera dort hängt und wie die Verantwortlichen zu kontaktieren sind. Auch können die oft ganze Fußgängerzonen mitablichtenden Filme an die Polizei weitergegeben werden, obwohl Private sich nicht an die für die Polizei geltenden höheren Eingriffshürden (etwa nachweislich gefährlicher Ort; schneller präventiver Zugriff) halten müssen. Schließlich konnte man sich auch nicht einigen, Meldepflichten bzw. ein öffentlich geführtes Melderegister einzuführen. Der vom Verfassungsgericht wiederholt geforderten Beachtung möglicher gesamtgesellschaftlicher Konsequenzen zunehmender Überwachung wurde somit nicht gefolgt. Videoüberwachungen am Arbeitsplatz bleiben gesetzlich weiterhin ungeregelt, weil es sich dort meist nicht um öffentlich zugängliche Räume handelt. Hier müssen sich Bürger in ihrem Recht weiterhin auf vereinzelt gebliebene Gerichtsentscheidungen stützen. So bleibt der einzelne Bürger letztlich David im Kampf gegen die Ausspionierung von privat und von oben. Der weiteren unkontrollierten Ausbreitung, bis hin zu einer flächendeckenden Videoüberwachung,bleibt damit Tür und Tor geöffnet.

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