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Humanis­ti­sche Union zu Perso­nen­kenn­zei­chen und Daten­schutz­ge­setz

31. Dezember 1976

Erklärung der Humanistischen Union zum Personenkennzeichen und Datenschutz / Memorandum zum Bundes-Datenschutzgesetz. Aus: vorgänge Nr. 24 (Heft 6/1976), S. 113 – 117

(vg) Das Gesetz zur Einführung eines Personenkennzeichens wurde gottseidank vorerst durch den Rechtsausschuß des Bundestags gestoppt. Das sogenannte Datenschutzgesetz wurde – unzulänglich – inzwischen verabschiedet. Durch ein für die elektronische Datenverarbeitung nützliches Personenkennzeichen wie durch die umsichgrei f ende Einrichtung von Datenbanken über Personen wird ohne Zweifel tief und gefährlich eingegriffen in die Privatsphäre der Bürger. Die Humanistische Union konnte dazu nicht schweigen. Im Mai 1976 hat ihr Bundesvorstand deutlich zur Sache Stellung genommen. Die offizielle Erklärung veröffentlichen wir hier an erster Stelle.

Zur Frage des Datenschutzes hat die „Arbeitsgemeinschaftt Datenbanken und Datenschutz“ der HU in Dortmund in einem Memorandum Probleme dargelegt und schwerwiegende Einwände formuliert. Mag sein, daß dieses Memorandum – man hörte das Sowohlalsauch von „Fachleuten“ – einiges zu schwarz, anderes offenbar aber nicht schwarz genug sieht. Wir verstehen leider von dieser geheimnisvollen Materie allesamt wohl nur allzuwenig. Die im ganzen doch wohl fundierte Warnung vor den möglichen Mißbräuchen elektronischer Informationssysteme darf nicht in den Wind geschlagen werden; zumal auch im Deutschen Bundestag allenfalls eine oder zwei Hände voll Abgeordneter Kompetenz in der Sache erworben haben, aber (nominell) 496 Abgeordnete ihre Hand dafür oder dawider erhoben haben. Immerhin: dieses Gesetz soll nach zweijähriger Erprobung neu behandelt und gegebenenfalls novelliert werden.

Erklärung der Humanis­ti­schen Union zum Perso­nen­kenn­zei­chen und Datenschutz

Der Bundesvorstand der Humanistischen Union begrüßt das einstimmige Votum des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 5. Mai 1976, durch das die geplante Einführung eines Personenkennzeichens im Meldegesetz als unzulässig bezeichnet wurde.

Die Humanistische Union ist der Auffassung, daß die Einführung einer bundeseinheitlichen Bevölkerungsnumerierung durch eine die elektronische Datenverarbeitung erleichternde Kennziffer (Personenkennzeichen) als eine einschneidende Änderung des Verhältnisses zwischen den Verwaltungen (in Staat und Wirtschaft) und dem Staatsbürger anzusehen ist. Die möglichen verfassungspolitischen Konsequenzen sind bisher nicht ausreichend diskutiert worden. Das ist deshalb besonders bedenklich, weil ein einmal eingeführtes Personenkennzeichen praktisch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Ein einmal eingeführtes Personenkennzeichen kann dagegen leicht auf immer neue Bereiche ausgedehnt werden. Wegen der nach der Einführung des PK möglichen totalen Erfassung des Individuums würde eine durch keinerlei gesellschaftliche oder verfassungspolitische Entscheidung legitimierte Machtverschiebung zugunsten der Verwaltung eintreten – auch wenn die Verwaltungen dies zunächst weder wollen noch nutzen – und es würden Verhaltensänderungen der Bürger zu erwarten sein.

In der gegenwärtigen Auseinandersetzung zweifelt der Rechtsausschuß an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Einführung einer zwölfstelligen computergerechten Kennzeichnung jeder Person. Bundesregierung und Innenausschuß des Bundestages treten einer solchen Auslegung des „Grundgesetzes“ entgegen und verweisen nicht nur auf die von einzelnen Bundesländern aufgewandten Millionenbeträge, sondern auch auf einen nur erwarteten Rationalisierungseffekt. Bedenken gegen das Personenkennzeichen werden von dieser Seite immer wieder als emotional oder als Affekt gegen den technischen Fortschritt abgetan.
Die Humanistische Union ist der Auffassung, daß es nicht genügt, die Einführung des PK vorerst zurückzustellen, zudem sie befürchtet, daß dies nur aus wahltaktischen Erwägungen geschehen könnte. Die konsequenzenreiche Bedeutung des Personenkennzeichens muß jetzt im Blick auf die verfassungspolitischen Auswirkungen  öffentlich erörtert werden:

  • Es geht um die Frage, ob die Verwalter von Staatsgewalt im modernen Verfassungsstaat noch bereit sind, den Schutz der Persönlichkeit höher zu setzen als bloße Rentabilität und Perfektion der Verwaltung.
  • Es geht um die Frage, ob der Staatsbürger auch im demokratischen Sozialstaat absolut sicher sein kann, daß mit Hilfe des Personenkennzeichens nicht mit dem Motiv sozialer Daseinsvorsorge, unter dem Aspekt vorbeugenden Staatsschutzes oder mißbräuchlich nahezu lückenlose Persönlichkeits- und Lebensprofile einzelner Bürger zusammengestellt werden können, ohne daß dieser etwas dagegen tun kann.
  • Es geht um die Frage, ob in einer rechtsstaatlichen Demokratie nicht auch Vorsorge dagegen getroffen werden muß, daß ein (auf welchem Wege auch immer) an ihrer Stelle an die Macht gelangtes antidemokratisches Regime oder ein solches, das sich an rechtsstaatliche Prinzipien nicht gebunden fühlt, die für den demokratischen Rechtsstaat geschaffenen und in ihm möglicherweise akzeptablen Instrumente nun zur Herrschaftssicherung, zur Überwachung und Überprüfung
    jedes Staatsbürgers und damit zum Zwecke politischer Unterdrückung einsetzen kann.

Solche Fragen werden in den Vereinigten Staaten nicht nur diskutiert. Der „Privacy Act“ vom 31. 12. 1974 hat der Fortentwicklung der „Social Security Number“ hin auf ein allgemeines Personenkennzeichen vorerst eine Grenze gesetzt. Es gibt Entwürfe für ein grundsätzliches Verbot jedes allgemeinen Personenkennzeichens. In der Bundesrepublik wurde demgegenüber von den Befürwortern des PK die grundsätzliche verfassungspolitische Entscheidung ausgeklammert, verharmlost oder sogar verschleiert. Ein Beispiel dafür ist die Tatsache, daß das Personenkennzeichen damit angepriesen wird, die polizeiliche Abmeldung könne dann beim Wohnungswechsel der Bürger wegfallen.

Der Bundesvorstand der Humanistischen Union begrüßt, daß der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Burkhard Hirsch, in Erkenntnis der Bedeutung des Datenschutzes eine Grundgesetzergänzung angeregt hat, durch die ausdrücklich der „Anspruch auf Schutz der persönlichen Daten“ als Grundrecht verfassungsrechtlich verankert wird. Unabhängig von einer solchen Grundgesetzänderung hält die Humanistische Union die Verabschiedung eines Datenschutzgesetzes noch in dieser Legislaturperiode für zwingend notwendig. Der vom Innenausschuß des Bundestages vorgelegte Entwurf enthält zwar noch immer erhebliche Mängel (beispielsweise die Ausnahmebestimmungen für den Adressenhandel, die noch nicht ganz präzise Regelung der Grenzen der Amtshilfe bei persönlichen Daten, d.h. der nahezu uneingeschränkten Zugriffsmöglichkeiten der staatlichen Verwaltung auf persönliche Daten). Gegenüber dem Mißbrauch von Daten, der gegenwärtig möglich ist, sind solche Mängel jedoch nicht gewichtig genug, um die Verabschiedung eines Datenschutzgesetzes zu verzögern.

Memorandum zum Bundes­-­Da­ten­schutz­ge­setz

1 Grundsätzliche Mängel

Sosehr die Bestrebungen zu begrüßen sind, die negativen sozialen Auswirkungen einer bisher weitgehend unkontrollierten Entwicklung hochtechnisierter Informationssysteme durch die Verabschiedung eines Datenschutzgesetzes in den Griff zu bekommen, so sehr ist zu bezweifeln, daß dies durch den z.Z. im Bundestag und Bundesrat behandelten Gesetzentwurf auch nur annähernd gelingt.

1.1 Mangelhafter Erfassungsschutz: Das Gesetz bezieht sich auf den Schutz vor Mißbrauch bereits erhobener Daten. Die grundlegendere Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen bestimmte Daten überhaupt erfaßt werden dürfen, wird sowohl für den öffentlichen Bereich ( § 6; alle Paragraphenangaben nach Bundestagsdrucksache 7/5277; die Ergebnisse des Vermittlungsausschusses – Bundestagsdrucksache 7/5568 sind berücksichtigt) als auch für den privatwirtschaftlichen Bereich ( § § 17 und 24) durch die völlige Unbestimmtheit der entsprechenden Regelungen praktisch unbeantwortet gelassen. Demgegenüber ist zu fordern, daß das Gesetz für die einzelnen Verwaltungen die Erstellung von Katalogen der Daten vorschreibt, die zur Erfüllung der jeweiligen Verwaltungsaufgaben unbedingt erforderlich sind und daher erfaßt werden dürfen. Desgleichen muß im Gesetz ein Schutz vor Datenerfassung durch private Unternehmen, soweit sie ohne Einwilligung und Wissen geschieht, klar formuliert werden.

1.2 Fehlender Schutz vor Mißbrauch neuer Datentechnologien (Datenverbund, internationaler Datenverkehr): Einer der wichtigsten Gründe für die Ausarbeitung eines Datenschutzgesetzes bestand in der geplanten Einführung eines bundeseinheitlichen Personenkennzeichens, das die Zusammenführung verschiedener Datensätze zu einem Dossier oder Persönlichkeitsprofil wesentlich vereinfacht und dadurch die Gefahr einer völligen Transparenz der Privatsphäre heraufbeschwört. Die schon zum Schutz von Einzeldaten – wie weiter unten gezeigt wird – in vieler Hinsicht unzureichenden Bestimmungen des Gesetzes reichen zum Schutz der auf die Gesamtpersönlichkeit gerichteten (und eine neue Qualität darstellenden) hochsensiblen Verbunddaten (Dossiers) in keiner Weise aus. Der Gesetzentwurf geht nirgendwo auf diesen Tatbestand der Persönlichkeitsgefährdung durch Datenverbundsysteme ein. Dagegen muß die Forderung aufgestellt werden, daß die Anfertigung von Dossiers durch Datenverbund generell zu verbieten ist.

Jeder Datenschutz reicht nur bis an die Grenzen seines territorialen Geltungsbereichs. Das vorliegende Bundesdatenschutzgesetz sieht keinerlei eigene Maßnahmen oder Aufträge an die Regierung vor, eine die Schutzbestimmungen dieses Gesetzes umgehende Datenverarbeitung personenbezogener Daten deutscher Staatsbürger in ausländischen Rechenzentren und Datenbanken zu verhindern. Solchem das Gesetz umgehenden grenzüberschreitendem Datenverkehr (Datenflucht, Entstehung von Datenoasen) muß durch eigene Bestimmungen des Gesetzes und geeignete Maßnahmen der Exekutive entgegengewirkt werden.

1.3 Fehlender Schutz für gruppenbezogene und gesellschaftsbezogene Daten: Das Gesetz bezieht sich ausdrücklich nur auf den Schutz vor Mißbrauch personenbezogener Daten. Es fehlt der Schutz für gruppenbezogene Daten und für gesellschaftsbezogene Daten.

Unter gruppenbezogenen Daten sollen solche Daten verstanden werden, die sich unmittelbar auf Vereinigungen als solche beziehen. Das heißt insbesondere, daß Daten über politische und weltanschauliche Positionen von Vereinigungen dem Datenschutz unterliegen müssen.

Datenschutz – in einem umfassenderen Sinn – muß schließlich auch vor dem Zurückbehalten gesamtgesellschaftlich wichtiger Daten (gesellschaftsbezogener Daten) schützen; als Beispiele mögen hier die Daten zum Umweltschutz und zur Bildungsplanung genannt werden. Das Vorenthalten solcher gesellschaftsbezogener Daten droht von seiten derjenigen, die die Verfügungsgewalt über die entsprechenden technologischen Mittel innehaben, nämlich staatliche Exekutive und private Wirtschaft. Ohne die Verankerung eines solchen Schutzes gesellschaftsbezogener Daten wird sich die Schere zwischen Bevölkerung und Volksvertretung einerseits und staatlicher Exekutive andererseits hinsichtlich der Verfügung über planungs- und entscheidungsrelevante Daten und Datentechnologien weiter öffnen.

Das Gesetz konkretisiert durch den Schutz personenbezogener Daten das Grundrecht auf freie Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen (Art 2, Grundgesetz) für den Bereich der Informationsverarbeitung. Die Aufnahme gruppenbezogener und gesellschaftsbezogener Daten in den Schutz des Gesetzes würde zur Sicherung anderer durch die Datenverarbeitung gefährdeter Verfassungsnormen, vor allem der Grundrechte auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art 8 und 9, Grundgesetz) sowie die Souveränität des Volkes und seiner Vertretung (Art 20, Grundgesetz) beitragen.

1.4 Notwendige Ergänzung des Grundrechtskatalogs: Die große Gefährdung, die der Gesellschaft und jedem Einzelnen aus dem Mißbrauch der neuen Informationstechnologien erwachsen kann, gibt Anlaß zu der Forderung nach einer zweifachen Ergänzung des Grundrechtskatalogs des Grundgesetzes: Zum einen muß ein „Grundrecht auf personenbezogenen und gruppenbezogenen Datenschutz“ eingeführt werden. Zum anderen ist – im Sinne eines „Grundrechts auf Information“ – der Art. 5, Abs. 1 des Grundgesetzes („Jeder hat das Recht, … sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“) zu einem Gebot für den Staat zu verstärken, gesellschaftlich und politisch wichtige Daten allgemein zugänglich zu machen.

2 Nicht­ge­schützte Daten

2.1 Freie Daten, allgemein zugängliche Daten: Auch die de-facto-Ausklammerung der in der Privatwirtschaft verfügbaren sog „freien Daten“ (Name, Titel, akademische Grade, Geburtsdatum, Beruf, Branchen- oder Geschäftsbezeichnung, Anschrift, Rufnummer; Zugehörigkeit zu einer Personengruppe) aus dem Datenschutz ( § § 18, Abs. 2; 24, Abs 3) stellt eine erhebliche Gefährdung der Persönlichkeitsrechte des Einzelnen dar, vor allem da die „Zugehörigkeit zu einer Personengruppe“ beliebig spezifiziert werden kann (z.B. besteht die Gefahr, daß ein „Industrieschutzunternehmen“ X die „schutzwürdigen Belange des Betroffenen“ nicht beeinträchtigt sieht, wenn es für einen Industriebetrieb Y eine Liste aller in diesem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer erstellt, die Gewerkschaftsmitglieder sind, am letzten „wilden“ Streik teilgenommen haben und in den zurückliegenden beiden Monaten mehr als 3mal verspätet zur Arbeit erschienen sind).

Schließlich sind auch die „Daten aus allgemein zugänglichen Quellen“ durch den vorliegenden Gesetzentwurf nicht hinreichend geschützt ( § § 24, Abs 1, Satz 2; 20, Abs 4, Nr 4); d.h. selbst wenn solche Daten aus allgemein zugänglichen Quellen, etwa aus einer Pressenotiz, falsch sind oder wenn die Speicherung und Übermittlung solcher allgemein zugänglicher Daten zur Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange des Betroffenen führt, unterliegen sie bei Datenverarbeitung für fremde Zwecke (4. Abschnitt) nicht dem Datenschutz.

Hier kann die Forderung nur lauten: Vollständige Einbeziehung der freien und allgemein zugänglichen Daten in den Datenschutz!

2.2 Daten des „Geheimbereichs“ (Verfassungsschutz, Nachrichtendienste, Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft, Finanzbehörden): Die Datensammlung, die Datenspeicherung und der Datenaustausch bei den genannten Behörden ist fast uneingeschränkt zulässig und unterliegt nicht der Kontrolle des Gesetzes ( § 10, Abs 2, Nr 1). Darüberhinaus können die genannten Behörden des „Geheimbereichs“ bei allen anderen Behörden beliebig viele „normale“ Daten anfordern; diese Übermittlung unterliegt nicht mehr der behördlichen Auskunftspflicht gegenüber dem Betroffenen ( § 11, Abs 3, Nr 4), so daß die mögliche Unrichtigkeit dieser Daten vom Bürger nicht mehr beanstandet werden kann. Der Datenspezialist Prof. Dr. Wilhelm Steinmüller vertritt die Ansicht, daß § 11, Abs 3, Nr 4 die Auslegung zuläßt, daß dann, wenn eine Behörde des staatlichen Geheimbereichs personenbezogene Daten abruft, der Bürger von diesem Zeitpunkt an nicht mehr Auskunft über diese Daten verlangen kann. (Prof. Dr. Wilhelm Steinmüller, Bild der Wissenschaft, 7/76, S 77). Eine derartige Ausweitung des „Geheimbereichs“ wäre verfassungswidrig. Der Tendenz zur Aushöhlung des Datenschutzgesetzes durch den „Geheimbereich“ muß die Forderung nach Eingrenzung dieses „Geheimbereichs“ und nach Kontrolle auch dieser Datenverarbeitungsaktivitäten durch einen unabhängigen Bundesbeauftragten für Datenschutz entgegengesetzt werden.

3 Unzurei­chender Schutz gegen Datenhandel

Bereits die oben erläuterten ungeschützten „freien Daten“ und „allgemein zugänglichen Daten“ bieten für kommerzielle Rechercheunternehmen genügend Material zur Herstellung von und zum Handel mit Dossiers über Einzelpersonen und Personengruppen. Information über Menschen wird zur reinen Ware, ihre Herstellung kennt keine Grenzen außer denen des Marktes und der Gewinnoptimierung.

Diese Tendenz wird durch das Gesetz nicht – wie man aufgrund seines Namens vermuten sollte – eingedämmt, sondern noch gefördert: Die Weitergabe von Behördendaten an Privatfirmen (z.B. auch an Adressenhändler, Auskunfteien usw) ist entgegen bisher geltendem Recht in § 8, Abs 1, Satz 1 ausdrücklich zugelassen, wenn der Empfänger ein „berechtigtes Interesse“ an den Daten glaubhaft machen kann, was in aller Regel nicht sehr schwer sein dürfte. Die Interessen des Betroffenen sind dagegen nur durch die vage Formel berücksichtigt, daß die Weitergabe nicht seine „schutzwürdigen Belange“ beeinträchtigen dürfe. So besteht die Gefahr, daß in Zukunft ein Unternehmen bei der Einstellung eines Arbeitnehmers den Verfassungsschutz nach seinen – möglicherweise nicht einmal zutreffenden – Erkenntnissen über frühere politische Aktivitäten des Bewerbers befragt, und dies mit dem Argument der Aufrechterhaltung des sozialen Friedens im Betrieb als einem „berechtigten Interesse“ rechtfertigt. Ein Gesetz, das so etwas legitimiert, dient nicht dem Schutze des Bürgers, sondern macht diesen zunehmend schutzlos.

Aber auch der umgekehrte Datenhandel, die Belieferung staatlicher Behörden durch private Rechercheunternehmen ist durch das neue Gesetz ermöglicht (da § 24, Abs 3 insofern keine Beschränkung enthält). Das erschließt den privaten Detekteien, Schutzunternehmen usw. ganz neue Absatzmärkte, etwa die systematische Sammlung und den Verkauf politisch relevanter Daten an den Verfassungsschutz (nach DER SPIEGEL 48/ 1973 eine Praxis, deren sich die Industrieschutzfirma G. & F. Mihm OHG in Kassel, nach eigenen Angaben „größte private Abwehrorganisation Europas“, schon vor einigen Jahren rühmte). Soll das Datenschutzgesetz nicht in sein Gegenteil entarten, so muß der Handel der Behörden mit personenbezogenen Daten generell verboten werden. Auch die nicht-kommerzielle Weitergabe staatlich erfaßter Daten muß auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben, d.h. die Formel vom „berechtigten Interesse“ des Empfängers muß durch eine genaue Definition der Ausnahmen ersetzt werden. Insbesondere ist auch die Generalklausel zur praktisch unbeschränkten Übermittlung staatlich erfaßter Daten an die Kirchen ( § 7, Abs 2) ersatzlos zu streichen.

4 Unzurei­chende Regelung der Auskunfts­pflicht

Hängt über dem Datenschutzgesetz ohnehin schon das Damoklesschwert der Wirtschaftlichkeit („Erforderlich sind [Schutz-]Maßnahmen nur, wenn ihr Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck steht“ § 4, Abs. 1, Satz 2), so führt insbesondere die im Gesetz vorgesehene Gebührenpflichtigkeit eines Auskunftsbegehrens der Betroffenen ( § § 11, Abs. 4; 20, Abs. 3; 26, Abs. 3) zu einer wesentlichen Aushöhlung dieses für das gesamte Gesetz zentralen Auskunftsrechts. Der Rationalisierungseffekt der automatischen Datenverarbeitung darf nicht einseitig von Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung vereinnahmt werden; vielmehr sind zu den Gesamtkosten der Automatisierung neben den Installations- und Betriebsaufwendungen auch die sozialen Folgekosten, wie sie etwa durch die Auskunftspflicht entstehen, zu rechnen. Diese Gesamtkosten sind von der automatisierenden Stelle zu tragen.
Die Gebührenpflichtigkeit ist daher zu streichen. Gleichzeitig ist im Gesetz zu verankern, daß für Nachteile, die durch unrichtige Daten oder unzulässige Datenverarbeitung entstanden sind, Schadenersatz zu leisten ist.

5 Unzurei­chende Kontrolle des Daten­schutzes

Die institutionelle Kontrolle des Datenschutzes durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz ( § § 15 a-e) und den betrieblichen Beauftragten für den Datenschutz ( § § 22, 22a, 30) ist völlig unzureichend.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte wird auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt und beim Bundesinnenminister angesiedelt ( § 15 a, Abs 1, Satz 1 bzw Abs 5). Angesichts der Tatsache, daß die Institution des Bundesdatenschutzbeauftragten gerade zur Kontrolle der Exekutive in das Gesetz aufgenommen wurde, bedeutet die Auswahl der entsprechenden Person durch die Bundesregierung eine Schwächung dieser nur als unabhängig zu denkenden Institution. Die Bestellung des Beauftragten für den Datenschutz kann daher nur Aufgabe des Parlamentes sein. Die Aufgaben und Rechte des Bundesdatenschutzbeauftragten aus § § 15 c, 15 d sind: Erarbeitung von Empfehlungen zur Verbesserung des Datenschutzes, Beratung der Behörden, Erstellung von Gutachten, Vorlage von Tätigkeitsberichten, Beanstandung mangelhafter Datenschutzmaßnahmen im öffentlichen Bereich; er besitzt Rederecht im Bundestag. Diese Rechte bleiben so lange eine stumpfe Waffe gegen Datenmißbrauch, so lange sie nicht durch wirksame Sanktionsmöglichkeiten des Beauftragten gegenüber einer illegalen Datenverarbeitungspraxis staatlicher Behörden (einschl. des „Geheimbereichs“) und durch ausreichende personelle und sachliche Mittel für eine effektive Überwachung des Datenschutzes ergänzt werden.

Schließlich ist auch die Stellung des betrieblichen Datenschutzbeauftragten durch im Gesetz eingebaute Abhängigkeiten und wegen fehlender Kompetenzen mehr als geschwächt. Der Datenschutzbeauftragte ist unmittelbar der Geschäftsleitung, deren Praxis er hinsichtlich der Datenverarbeitung kontrollieren soll, unterstellt ( § 22, Abs 3, Satz 1). Er ist zwar laut Gesetz nicht weisungsgebunden und darf auch wegen seiner Tätigkeit nicht benachteiligt werden. Dennoch erfüllt der Datenschutzbeauftragte in seiner jetzigen Form weitgehend Alibi-Funktion, da ein Datenschutzbeauftragter ohnehin nur eingestellt werden wird, wenn er sich der Geschäftsleitung gegenüber loyal verhält. Insofern ist seine Anstellung im zu kontrollierenden Unternehmen selbst sicher nicht unproblematisch! Zu alledem wurde auch noch auf die gesetzliche Verankerung eines Anrufungsrechts des Datenschutzbeauftragten durch die Arbeitnehmer eines Betriebs verzichtet, ebenso wie auf die Einführung eines Kündigungsschutzes für den Datenschutzbeauftragten. Hier wird deutlich, daß auch der Datenschutzbeauftragte im Interessenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit steht und daß eine solche Institution besonderer Sicherungen und Befugnisse bedarf.

Die Forderung lautet: Einführung unabhängiger Kontrollinstanzen mit dem Recht zur Verhängung von Sanktionen, mit Anrufungsrecht für die Belegschaft, mit Kündigungsschutz und mit einer sachlichen und personellen Ausstattung, die einen wirkungsvollen betrieblichen Datenschutz ermöglicht.

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