Beitragsbild An der Wiege der Grundrechte. Bericht von der 21. Delegiertenkonferenz am 13./14. Juni 2009 in Frankfurt/Main
Publikationen / Mitteilungen / Mitteilungen Nr. 205/206

An der Wiege der Grund­rechte. Bericht von der 21. Delegier­ten­kon­fe­renz am 13./14. Juni 2009 in Frank­fur­t/­Main

Mitteilungen205/20609/2009Seite 20-23

Aus: Mitteilungen Nr. 205/206 (2+3/2009), S. 20-23

An der Wiege der Grundrechte. Bericht von der 21. Delegiertenkonferenz am 13./14. Juni 2009 in Frankfurt/Main

Es war mehr als der Kreis der ‘üblichen Verdächtigen’, der sich im Juni diesen Jahres zur Delegiertenkonferenz (DK) einfand. Erfreulicherweise hatten einige neue Mitglieder den Mut gefasst, um ein Wochenende lang über die Geschicke der Humanistischen Union mit zu diskutieren und zu bestimmen. Es waren keine heiklen politischen Themen, die besonderes Interesse hervorriefen, eher die Frage nach der Zukunft der Humanistischen Union, die im Mittelpunkt der diesjährigen Versammlung stand. Die geplante Verschmelzung mit der Gustav Heinemann-Initiative (GHI) warf bereits bei den Wahlen ihre Schatten voraus: 45 Delegierte, so viele wie schon lange nicht mehr, wurden im Frühjahr bestimmt. Sie entschieden sich mit großer Mehrheit für eine Verschmelzung mit der GHI und diskutierten kontrovers über den Vorschlag zur Namensänderung. Daneben standen zahlreiche Anträge zur bürgerrechtlichen Positionsbestimmung auf dem Programm; bei einer Stadtführung durch Frankfurt kamen aber auch die kulturpolitischen Bedürfnisse nicht zu kurz.

Kritische Bilanz

Der Schein trügt. Geht man von den nackten Zahlen aus, steht es bestens um die HU: Die Mitgliederbilanz der vergangenen beiden Jahre ist positiv (+75/+73 Mitglieder), der Jahrzehnte währende Abwärtstrend vorerst gestoppt; die finanzielle Lage des Vereins ist stabil, in den vergangenen beiden Jahren konnten sogar leichte Überschüsse erwirtschaftet werden. Dennoch waren die Berichte von Vorstand und Geschäftsführung, mit denen die DK traditionell eröffnet wird, von einer selbstkritischen Einschätzung der Arbeitsfähigkeit des Verbandes geprägt.

Die Bundesvorsitzende, Rosemarie Will, wies auf die zahlreichen Veranstaltungen, Stellungnahmen und Veröffentlichungen der vergangenen Monate hin. Dennoch bleibt festzuhalten: Zwei geplante Tagungen – die IV. Berliner Gespräche zum Verhältnis von Staat, Religion und Weltanschauung sowie eine Tagung zur Privatisierung der Gesetzgebung – konnten aus organisatorischen bzw. finanziellen Gründen nicht realisiert werden. Zudem reizte die Humanistische Union das Kampagnenpotenzial vieler ihrer Themen nicht aus. Das betrifft etwa die Debatte um eine gesetzliche Anerkennung von Patientenverfügungen, den Protest gegen die Steuer-ID oder die immer wiederkehrenden Polizeiübergriffe und das darin sichtbar werdende Kontrolldefizit. Zudem gibt es immer wieder Unzufriedenheit, weil einzelne Themen vernachlässigt würden, die Außenwahrnehmung der HU als zu gering eingeschätzt wird.

Ursache dieser Probleme ist wohl ein strukturelles Defizit der HU: Das Engagement innerhalb des Verbandes konzentriert sich mehr und mehr beim Vorstand und der Geschäftsstelle; ihren Anspruch, Plattform für das Eigenengagement der Mitglieder zu sein, erfüllt die HU nur ansatzweise. Die ausführliche Diskussion der Ursachen und eine Lösung dieser Probleme beschrieb Rosemarie Will als vordringliche Aufgaben der nächsten Wahlperiode – erste Vorschläge dafür, wie mehr Mitglieder an der Verbandsarbeit beteiligt werden können und wie eine Professionalisierung aussehen könnte, liegen bereits auf dem Tisch (s. folgenden Beitrag).

Die Geschäftsführung ergänzte den Bericht um Finanz- und Mitgliederübersichten sowie einen Überblick dessen, was in den letzten 24 Monaten in der Geschäftsstelle geleistet wurde. Erfreulich auf der Einnahmeseite: Die HU, die sich bisher zu 80% aus Beiträgen und Spenden ihrer Mitglieder finanziert, erschließt sich zunehmend externe Finanzquellen. Allein in den letzten 12 Monaten konnten 15.000 € für verschiedene Projekte sowie fast 9.000 € an zweckgebundenen Kleinspenden (für die Musterklagen gegen die Steuer-ID und die Konkordatslehrstühle) eingeworben werden – ein Schritt in die richtige Richtung.

Die Namensfrage

Viele Vorschläge, aber auch kritische Anmerkungen haben Vorstand und Geschäftsführung zur Frage des Verbandsnamens erreicht. Der ausgehandelte Verschmelzungsvertrag sah bekanntlich vor, dass die Mitglieder demnächst in einer Urabstimmung über einen neuen Verbandsnamen entscheiden. Christoph Bruch fasste die Gründe für eine Namensänderung noch einmal zusammen: die Mehrdeutigkeit des Humanismus-Begriffs, Verwechslungsprobleme mit dem Humanistischen Verband und die fehlende Darstellung dessen, was die HU eigentlich betreibt, sind die wichtigsten. Diese Bedenken sind nicht neu: So versieht die HU seit 1993 ihren Briefbogen mit der Unterzeile „Bürgerrechtsorganisation“ und die HU-Mitteilungen mit dem Zusatz „für Bürgerrechte“. Das wir kein Weltanschauungsverein sind und der Humanismus der Humanistischen Union nicht als solcher verstanden werden soll, müssen wir selbst Referenten unserer eigenen Tagungen (wie zuletzt bei der Ringvorlesung „60 Jahre Grundgesetz“) immer wieder erläutern. Vor 16 Jahren, in den HU-Mitteilungen 142, legte Albert Eckert der HU nahe, sich nicht gegen die Umbenennung der Freidenker zum „Humanistischen Verband“ zu wehren (dies sei ohnehin ein internationaler, kaum aufzuhaltender Trend), sondern bei zunehmenden Verwechslungsproblemen über die Änderung des eigenen Namens nachzudenken. Damit ist klar: Die Fusion von HU und GHI ist nur ein Anlass, die schon lange gesehenen Mängel des Verbandsnamens zu kurieren.
Christoph Bruch stellte die bisherigen Vorschläge (s. rechts) für den neuen Verbandsnamen vor. Aus dieser Liste schälte sich im Vorstand eine Favoritin heraus, die

(Deutsche) Gesell­schaft für Bürger­rechte.

Damit war die Diskussion eröffnet. Für die ‘Gesellschaft’ spricht, dass sie eine nüchterne, politisch weitgehend neutrale Gemeinschaft bezeichnet – was zur HU passen dürfte; dass es Gesellschaften für Datenschutz, Informationsfreiheit und dergleichen mehr bereits gibt; dass die Bezeichnung gut übersetzbar ist und nicht zuletzt natürlich, dass die Bürgerrechte – auch in Abgrenzung zu den Menschenrechten, auf deren Bezugsrahmen die HU weniger zurückgreift – benannt sind. Allerdings: So richtig rockt der Name noch nicht, die Begeisterung unter den Mitgliedern hielt sich in Grenzen…

Einige vermissten den Humanismus-Bezug im Namen, andere lehnten einen nationalen Bezug auf Deutschland ab. Außerdem solle bedacht werden, dass man sich mit einem neuen Namen neue Zielgruppen erschließen könne – was mit einer ‘Gesellschaft’ eher schwierig wird. Schließlich wurde vor dem Aufwand einer Namensänderung und dem möglichen Verlust der Marke HU gewarnt.

Paradox dabei, dass in der Diskussion über die Außenwahrnehmung der HU oft beklagt wird, der Verband sei kaum sichtbar. Hier kann nur vermutet werden, dass Innenansicht über die lieb gewonnene „alte Dame HU“ und Außensicht auf einen kleinen politischen Akteur, der bevorzugt in Expertenkreisen verkehrt, durcheinander geraten.
So viel immerhin wurde in der Diskussion deutlich: Am Namen hängt für viele Mitglieder ein Stück Identität. Und die Erwartungen an einen neuen Namen sind hoch: Obwohl die Umbenennung „nur“ der (medialen) Außenwahrnehmung dient und keine Änderung des bürgerrechtlichen Kurses der HU angestrebt wird, schleichen sich in die Diskussion immer wieder Hoffnungen ein, das eine oder andere Problem des Verbandes ließe sich vielleicht mit einem neuen Namen gleich mit lösen.

Und wie soll es nun weitergehen mit der Namensentscheidung? Ziel der Vorstellung auf der Delegiertenkonferenz war, eine erste Rückmeldung zum Namensvorschlag einzuholen und Vorschläge für den weiteren Weg bis zur Urabstimmung zu sammeln. Aus der Runde wurde angeregt, einen Redaktionskreis einzuberufen, der die Namensvorschläge noch einmal kritisch prüft und die weitere Diskussion um die Namensänderung moderiert. Um die Für und Wider zu bestimmten Namensänderungen, aber auch zu den grundsätzlichen Bedenken einer Namensänderung ausführlich diskutieren zu können, soll ein Internetforum eingerichtet werden.

Vor einer Festlegung auf Favoriten sollten auch die Auswirkungen der Namensänderung auf Dritte (v.a. die Bildungswerke und die Lübecker Beratungsstelle) geklärt werden. Der weitere ‘Fahrplan’ zur Urabstimmung wird in der kommenden Ausgabe der Mitteilungen veröffentlicht – weitere Vorschläge der Mitglieder sind herzlich willkommen.

Verschmel­zung und Stand­ort­be­stim­mungen

Der Akt der Verschmelzung dauerte ganze 59 Minuten: Till Müller-Heidelberg, der den Vertrag ausgearbeitet hatte, und Rosemarie Will fassten den Verlauf der Fusionsverhandlungen zusammen und erläuterten die vertraglichen Bedingungen für das Zusammengehen der beiden Vereine. Nachdem HU und GHI schon viele Jahre lang sehr eng kooperieren, das Vorhaben seit über einem Jahr angekündigt und der Vertragsentwurf seit dem Lübecker Verbandstag (November 2008) vereinsöffentlich war, teilte die Mehrheit der Delegierten nicht die Kritik an einem fehlenden Verhandlungsmandat des Vorstandes.

Auch die Befürchtung eines Delegierten, bei der geplanten Fusion könnte es sich um eine „christliche Übernahme“ der HU handeln, vermochten die Delegierten nicht zu folgen. Zahlreiche Redner/innen verwiesen darauf, wie wichtig ihnen die Verbindung kirchenkritischer Positionen mit einer pluralistischen, religiös/weltanschaulicher Neutralität in der HU sei. Demzufolge stimmten am Ende 38 Delegierte für die Verschmelzung, 3 sprachen sich dagegen aus. Dieses Ergebnis war ein deutliches Signal und ein „Herzliches Willkommen“ an die zeitgleich tagende Mitgliederversammlung der GHI.

Neben der Verschmelzung und den Vereinswahlen bot die Delegiertenkonferenz natürlich auch Gelegenheit zur politischen Diskussion. Unter den diskutierten Anträgen waren nach mehreren missglückten Anläufen auch zwei sozialpolitische Stellungnahmen, die eine Mehrheit unter den Delegierten fanden. Die Beschlüsse der Versammlung werden ab Seite 25 dieser Ausgabe dokumentiert.

Sven Lüders
ist Geschäftsführer der Humanistischen Union

Informationen:

Die Auftaktveranstaltung der DK bildete ein Streitgespräch zum Arbeitnehmer-Datenschutz, an dem Roland Appel (HU NRW) und Roland Schäfer (Deutsche Vereinigung für Datenschutz) teilnahmen. Eine Dokumentation der Vorträge findet sich unter:
https://www.humanistische-union.de/veranstaltungen/berichte/.

Die Ergebnisse der Delegiertenwahlen sind auf Seite 29 dieser Ausgabe dokumentiert. Das Protokoll der Delegiertenkonferenz, die Arbeitsberichte von Vorstand und Geschäftsführung sowie die Finanzübersichten sind über die Geschäftsstelle oder im internen Bereich der HU-Webseite abrufbar: https://www.humanistische-union.de/login/.

nach oben