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Gleichheit und Differenz

Mitteilungen205/20609/2009Seite 10

Aus: Mitteilungen Nr. 205/206 (2+3/2009), S. 10

Gleichheit und Differenz

Wer darf eigentlich mitfeiern, wenn zur Party für den 60. Geburtstag des Grundgesetzes eingeladen wird? Die Zusammenstellung einer fiktiven Gästeliste nutzte Susanne Baer, um eine kleine Geschichte des Gleichheitsgrundsatzes zu entwerfen. Artikel 3 sei die Geschichte eines „Grundrechts von unten“, für dessen Anerkennung und Durchsetzung immer wieder mobilisiert werden musste.

Der Streit um Gleichheit und Differenz in der Verfassung begann bereits im parlamentarischen Rat, wo sich Elisabeth Selbert als eine von vier Frauen mit ihrer Forderung nach Gleichberechtigung zunächst nicht durchsetzen konnte. Die Gegenargumte sind noch heute geläufig – sie reichten von der Banalisierung (‘Ist doch klar… Wollen wir ja alle…’) bis zur offenen Ablehnung (‘Im Privaten geht das aber zu weit…’). Um die antifeministische Front zu durchbrechen, organisierte Selbert gemeinsam mit Frauenverbänden eine Postkartenaktion. Die veranlasste schließlich die FDP zum Einlenken und verhalf dem allgemeinen Gleichheitssatz zum Durchbruch.

Die Ernüchterung über den vermeintlichen Erfolg stellte sich bald ein: Auch so selbstverständliche Folgen wie gleicher Lohn für Frauen und Männer blieben aus, Artikel 3 Absatz 2 blieb zunächst ein „schlafendes Grundrecht“. Dass daraus mehr wurde, ist nicht zuletzt jenen über 100 Beschwerdeführer/innen zu danken, die gegen diskriminierende Praktiken in Karlsruhe, Kassel oder Leipzig klagten. Die Geschichte des Artikel 3 sei deshalb, so Baer, vor allem eine „Geschichte der Juristinnen und Juristen, die zur Protestbewegung befugt haben, und der Bürgerrechtsorganisationen und Gewerkschaften“.

Bei den zumeist männlichen Spruchkörpern der Gerichte trafen die Forderungen auf unterschiedliches Gehör: Während der allgemeine Gleichheitsgrundsatz in Karlsruhe eine „klare Erfolgsgeschichte“ verzeichnen konnte – immer wieder wurde der Gesetzgeber zu rationalem Handeln ermahnt – ignorierten die Richter Forderungen nach einer Gleichbehandlung von Männern und Frauen oft, lieferten für manche Form der Diskriminierung (1957 Homosexualität) gar biologische Begründungen ab. Viele Richterinnen und Richter mochte Baer deshalb nicht zur Party einladen – zu sehr seien die Gerichte im Bad des Zeitgeistes geschwommen.

(Zusammenfassung: Sven Lüders)

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