Beitragsbild Ein aufrechter Jurist und engagierter Humanist
Publikationen / Mitteilungen / Mitteilungen Nr. 205/206

Ein aufrechter Jurist und engagierter Humanist

Aus: Mitteilungen Nr. 205/206 (2+3/2009), S. 40-41

Ein aufrechter Jurist und engagierter Humanist

Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903 – 1968. Eine Biographie.
2., durchgesehene Auflage 2009, C.H.Beck
638 S. mit 24 Abbildungen, Leinen
ISBN 978-3-406-58154-0, 34 Euro

Einer von jenen, die, vielfach angefeindet, gegen die geräuschlose Amnestierung von NS-Verbrechern, gegen die täterfreundliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und die Lethargie der Ermittlungsbehörden kämpften, hieß Fritz Bauer.

Als Ankläger brachte er den großen Frankfurter Auschwitz-Prozess in Gang, mit dem eine Mauer des Schweigens gebrochen wurde. Nun liegt die erste Biographie des früheren hessischen Generalstaatsanwalts vor.

Am Beginn der Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen Verbrechen in der frühen Bundesrepublik steht der Name eines Juristen, der sich das Ringen um den im Dritten Reich bis zur Unmenschlichkeit entstellten demokratischen Rechtsstaat zur Lebensaufgabe machte: Fritz Bauer.

Der überzeugte linke Sozialdemokrat und engagierte Jurist, der deutsch-jüdische Emigrant und unermüdliche Workaholic, ist eine Schlüsselfigur der Nachkriegsgeschichte. Aus dem skandinavischen Exil zurückgekehrt, wollte Bauer in der Justiz bei einem grundlegenden Neubeginn mithelfen, zunächst in Braunschweig, ab 1956 in Frankfurt am Main.

Fritz Bauer wollte ein Jurist aus ‚Freiheitssinn‘ werden. Seit Mitte der 20er-Jahre setzte er sich aktiv für die Verteidigung des Rechtsstaates und den Ausbau einer freiheitlichen, demokratischen Staatsordnung ein. In der Weimarer Republik wurde er zum radikal-demokratischen Sozialisten und politischen Akteur, der um die Verwirklichung der Menschenrechte kämpfte. Und auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als Verfolgung, KZ-Haft und zwölf Jahre harten Emigrantendaseins hinter ihm lagen, blieb das so. Es ist bezeichnend, dass er den einzigen Aufsatz, in dem er etwas mehr über seine persönliche Entwicklung preisgab, mit dem Titel versah: ‚Im Kampf um des Menschen Rechte‘.

Bereits mit 23 Jahren war Bauer Richter am Landgericht seiner Heimatstadt Stuttgart geworden. Nach der Rückkehr aus dem Exil war der enge Freund Kurt Schumachers und Willy Brandts einer der wenigen jüdischen Emigranten, die hohe Ämter in der Justiz bekleideten. Vom ersten Tag an ging es ihm darum – wie er selbst einmal schreibt – vor aller Augen offenzulegen, „wie dünn die Haut der Zivilisation war“.

Ich war vorhin in einem Café und habe gefrühstückt. Am Nebentisch saß eine Frau, vielleicht 30, 35, 40, und wie sie den Kaffee getrunken hat, dann rutschte ihr Pullover nach oben und ich sah die Auschwitz- Nummer. Das ist doch nun eine der Tatsachen, die uns durch Mark und Bein gehen müssen: Da ist ne junge Frau – sie lebt -, gestempelt wie ein Tier. Wir alle in Deutschland müssen doch erkennen, es gibt Grenzen, die jeder sieht, fühlen muss: Hab Achtung vor Deinem Mitmenschen. Also, solche Dinge dürfen nicht mehr geschehen, da darfst Du nicht mitmachen.

Die „Endlösung“ sollte vor Gericht. Dafür grub sich Bauer in Tag- und Nachtarbeit durch Aktenberge, hielt Vorträge, publizierte und trieb seine Frankfurter Behörde zu immer neuen Höchstleistungen, bis an die Grenzen der Belastbarkeit.
Detailliert beschreibt Irmtrud Wojak Bauers Spurensuche nach Eichmann, Bormann und Mengele – im Fall Eichmann war es Bauer, der dem Mossad den entscheidenden Hinweis auf den Aufenthalt des Massenmörders zuspielte und auf den Zugriff der Israelis setzte, weil er fürchtete, dass die Vorbereitung eines Verfahrens in Deutschland Eichmann durch ein Leck in der eigenen Behörde zugetragen werden könnte.

Bereits 1958 hatte Fritz Bauer begonnen, die Strafsache gegen Mulka und andere vorzubereiten und, wie er schrieb, „das unvorstellbare Grauen von Auschwitz“ zu dokumentieren. Der erste Auschwitz-Prozess, der mit 24 Angeklagten und hunderten Zeugen von Dezember 1963 bis August 1965 in Frankfurt stattfand, markiert einen Wendepunkt im Umgang mit den Straftaten des NS-Regimes. Dabei ging es Bauer, den Irmtrud Wojak nicht nur örtlich in die Nähe der gleichfalls nach Frankfurt zurückgekehrten Emigranten Horkheimer und Adorno rückt, um mehr als nur die Bestrafung der Täter.

Ich glaube, wir sollten – um ein Wort aufzugreifen – ich glaube, wir sollten den Hitler in uns selber finden und erkennen, was Ursachen dafür waren, dass diese ungeheuren, in der Geschichte einzigartigen Verbrechen geschehen konnten. Aufgabe all dieser Prozesse ist im Grunde genommen nicht nur, Geschichte zu schreiben, sondern – wenn es auch vielleicht vermessen klingt – Geschichte zu machen.

Ausschlaggebend war für Fritz Bauer, so seine Biographin, dass die Vergegenwärtigung des Grauens nicht auf den Gerichtssaal beschränkt blieb, sondern nach draußen wirkte.

Der Sinn der NS-Prozesse bestand für Fritz Bauer in der Wiederherstellung des Rechts und somit in der Anerkennung des Leids und Martyriums der Opfer der Gewaltherrschaft. Dies konnte nur durch das Aufdecken der Verbrechen geschehen. Zudem hoffte er, dass die Prozesse dazu beitragen könnten, die vielfältigen sozialen Mechanismen und Denkweisen aufzuklären, die zu der Eskalation der Gewalt und der Verbrechen geführt hatten. Vielleicht waren die von Erschütterung sprechenden Presseberichte über die von Bauer auf den Weg gebrachten NS-Prozesse ein Anzeichen dafür, dass sich das Bewusstsein seiner Zeitgenossen – wenn auch nur unmerklich – doch verändert hatte.

Vom Ausgang des ersten Auschwitz-Prozesses war Bauer enttäuscht. Er hatte auf ein Moment der Selbstreflexion, auf ein Schuldeingeständnis der Täter gehofft.

Also, ich muss Ihnen sagen, die Welt würde aufatmen, ich glaube, Deutschland würde aufatmen, und die gesamte Welt, und die Hinterbliebenen derer, die in Auschwitz gefallen sind, und die Luft würde gereinigt, wenn endlich einmal ein menschliches Wort fiele. Es ist nicht gefallen, und es wird auch nicht fallen.

Die Morddrohungen und Anfeindungen, die Bauer seit Beginn des Auschwitz-Prozesses erlebt hatte, ließen ihn zunehmend zweifeln, ob die Deutschen zu jener „geistigen Revolution“ des Erinnerns fähig sein würden, auf die er so rastlos hinarbeitete. Mit der Absicht, Vertreter der eigenen Zunft anzuklagen, machte er sich im Vorfeld der Euthanasieprozesse noch mehr Feinde, als er ohnehin schon hatte. Er erwog eine erneute Emigration. Und doch ging es ihm noch immer um die Zukunft, um Recht und Demokratie. Mit noch heute revolutionär anmutenden kriminologischen und rechtstheoretischen Positionen stritt er für eine durchgreifende Reform des Strafrechts und des Strafvollzugs, gab den Anstoß zur Gründung der Zeitschrift „Kritische Justiz“, deren erstes Erscheinen er nicht mehr erleben sollte.

Am 1. Juli 1968 wurde er tot in seiner Wohnung gefunden. Bauer starb allein, wie er gelebt hatte. „Ein Emigrant zu Hause“, wie der Schriftsteller Horst Krüger in einem Nachruf schrieb, „Ein Fremdling in der eigenen Stadt“. Vor allem aber war der furchtlose Ankläger Bauer ein unermüdlicher Anwalt des Rechts.

Immer wieder sollte in Erinnerung gebracht werden, dass es – nicht erst im Unrechtsregime, sondern auch im demokratischen Staat – das Recht und die Pflicht eines jeden ist, Widerstand zu leisten, wenn Unrecht geschieht oder gar die Würde des Menschen verletzt wird. Bauer sah darin keine Gewissensfrage, vielmehr die Verantwortung des Einzelnen in einem auf Achtung und Menschenwürde gründenden Staat, in dem ‚Gläubiger des Rechts‘ nicht nur der Staat, sondern auch der Bürger gegenüber seinem Mitbürger ist.

Mit ihrer ausgezeichneten Biographie bringt Irmtrud Wojak eine der prägendsten Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte in Erinnerung, einen aufrechten Juristen und engagierten Humanisten, einen großen Deutschen. In den detailreich und spannend erzählten Zeitläufen seines Lebens begegnet Fritz Bauer dem Leser als scharfsichtiger Idealist, der an der Menschheit zu verzweifeln drohte, den Menschen aber nie aufgab.

Alexandra Kemmerer
ist Juristin und verfasst als freie Journalistin regelmäßig
Beiträge für die Zeit, die FAZ und andere Medien.

Die Rezension wurde erstmals in „Andruck – Das Magazin für Politische Literatur“ (Deutschlandfunk, montags 19.15 Uhr) am 30. März 2009 gesendet. Wir danken Autorin & Redaktion für die Genehmigung zum Wiederabdruck.

nach oben