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„Dass alles, was außerhalb des Straf­voll­zugs strafbar ist, auch innerhalb des Straf­voll­zugs strafbar wird.“

Mitteilungen205/20609/2009Seite 42

Birgitta Wolf, 4. Februar 1913 – 25. April 2009. Aus: Mitteilungen Nr. 205/206 (2+3/2009), S. 42

Am 25. April 2009 verstarb Birgitta Wolf im Alter von 96 Jahren. Die deutsche Kriminologie und Öffentlichkeit verlieren mit ihr eine wichtige Streiterin für den humanen Strafvollzug. Über Jahrzehnte hat sich Birgitta Wolf mit Wort und Tat für die Rechte der Strafgefangenen eingesetzt. Bereits 1971 bescheinigte ihr die Humanistische Union: „Ihr ist es zu danken, wenn das Thema Strafvollzugsreform heute hierzulande ein Problem ist, das die Gesellschaft beschämt und antreibt.“ Folgerichtig zeichnete sie Birgitta Wolf im gleichen Jahr mit dem Fritz-Bauer-Preis aus. Es sollte bei weitem nicht die einzige Ehrung bleiben, die ihr zuteil wurde.

Die Publizistin und Kriminologin wurde am 4. Februar 1913 in Helgesta, Schweden, als Gräfin von Rosen geboren. Zusammen mit fünf Geschwistern wächst sie in gutbürgerlichen Verhältnissen auf und verlebt nach eigener Auskunft eine äußerst glückliche Kindheit. 1933 heiratet sie den deutschen Fabrikanten Albert Nestler. Ihre Ehe führt sie in die Verwandtschaft Hermann Görings ein; man ist bei Speer, Göbbels und selbst bei Hitler zu Gast.

Aber anstatt sich korrumpieren zu lassen, protestiert sie mit Mutter und Bruder gegen die Reichskristallnacht. Später nutzt sie ihre Beziehungen zu den Nazigrößen, um mit persönlichen Briefen Inhaftierten und KZ-Insassen zu helfen; flüchtenden jüdischen Frauen bietet sie Unterschlupf in ihrem Haus. Und damit sind bereits – Christian Pfeiffer hat darauf aufmerksam gemacht – drei wiederkehrende Elemente der Arbeit von Birgitta Wolf benannt: der öffentliche Protest, die Fürsorge für Inhaftierte und die Notaufnahme im eigenen Haus.

Nach dem Ende des Krieges setzt sie ihr Engagement nahtlos fort. Sie fordert einen menschenwürdigen Umgang mit Gefangenen ein, seien es inhaftierte KZ-Henker oder später die mutmaßlichen Terroristen der RAF. Ihre Bemühungen kennen dabei keine Grenzen: Virtuos variieren ihre Texte zwischen praktischer Lebenshilfe und intellektuellem Problemaufriss. Sie kennt keine Hemmschwellen, wenn es um den direkten Kontakt zu Häftlingen, aber auch um den Austausch mit Wissenschaftlern oder Politikern geht.

Im Laufe ihres Lebens erhält sie über 60.000 Briefe von Strafgefangenen, und sie kümmert sich um deren alltägliche Sorgen und Nöte. Sie lehnte es jedoch ab, ihre Arbeit als karitativ zu bezeichnen. Birgitta Wolf wollte nicht Brosamen des Mitleids verteilen, sondern die Systemfehler des Strafvollzugs beheben.

Dieser übergreifende Ansatz führt sie bis zur UNO: 1975 legt sie deren Generalversammlung gemeinsam mit dem Hamburger Strafgefangenen Denis Pecic einen Antrag vor, der die Abkehr vom Prinzip der Vergeltung, vom Schuldstrafrecht und die Anerkennung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für Gefangene einfordert.
Aber auch vor Ort, in Deutschland fordert sie immer wieder die fällige Reform des Strafvollzugs ein, mahnt die Verwirklichung unserer Verfassung in den Gefängnissen an. Zum 20. Jahrestag des Grundgesetzes fällt ihre Bilanz kritisch aus: Informationsfreiheit, Menschenwürde, körperliche Unversehrtheit, Schutz der Ehe werden über Gebühr eingeschränkt.

Manche Unzumutbarkeiten – wie die gemeinschaftliche Körpervisitation – sind mittlerweile Geschichte, viele der von ihr aufgeführten Beispiele aber immer noch gängige Praxis. Ihr Werk wird deshalb im 1969 von ihr gegründeten Verein, der „Nothilfe Birgitta Wolf“ fortgeführt.

Sven Lüders

Ausgewählte Beiträge von und über Birgitta Wolf in den vorgängen:

Christian Pfeiffer (1997): Die Ombudsfrau des deutschen Strafvollzuges. Laudatio zur Verleihung des Courage-Preises an

Birgitta Wolf, vorgänge 137, S. 132-138

Birgitta Wolf und Denis Pecic (1975): Antrag an die Generalversammlung der Vereinten Nationen. vorgänge 18, S. 105-108

Birgitta Wolf: Vom Elend des Strafvollzuges hierzulande. Rede beim Empfang des Fritz-Bauer-Preises 1971. vorgänge 11-12/1971, S. 384-389

Birgitta Wolf: Grundgesetz und Strafvollzug. Ein Vergleichsversuch an Hand von Beispielen. vorgänge Nr. 6/69, S. 211-215

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