Bremen: Wegschließen ist keine Alternative -Diskussion zur Sicherungsverwahrung geht weiter
Mitteilungen Nr. 212 (1/2011), S. 21/22
Der Bremer Landesverband der Humanistischen Union hatte eingeladen. Das Thema lautete: „Sicherungsverwahrung contra Menschenrechte“. Eine schwere Kost, wie ein Teilnehmer nach der Veranstaltung zutreffend feststellte. Aktuell war die Veranstaltung im November 2010 deshalb, weil die abschließenden Beratungen des Bundestages über die Neuregelung der Sicherungsverwahrung unmittelbar bevor standen. An dem Abend referiert Helmut Pollähne, renommierter Strafverteidiger, Privatdozent an der Uni Bremen und Vorstandsmitglied des Komitees für Grundrechte und Demokratie. In die Bremer ‚Villa Ichon‘ fanden fast 20 Personen, darunter auch erstaunlich viele junge Leute. Kirsten Wiese, die für die HU moderierte: „Ein toller Erfolg bei diesem Thema.“
Sicherungsverwahrung ist das „schärfste Schwert“, das allerletzte Mittel in Extremfällen, das Strafgefangenen widerfahren kann. Helmut Pollähne ging zunächst auf die Geschichte der Sicherungsverwahrung im deutschen Recht ein. 1933 von den Nazis im Reichstag als ‚Gewohnheitsverbrechergesetz‘ verabschiedet und nach 1945 beibehalten, wurde dieses Recht 1995 auch für die fünf neuen Bundesländer wirksam. Worum geht es dabei? Sicherungsverwahrung ist eine freiheitsentziehende Maßregel im deutschen Strafrecht. Grundlage bildet die Gefährlichkeit des Straftäters, die im Wege einer Prognose festgestellt werden muss.
Erst im Frühjahr 2010 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg dieses Thema wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. „Konventionswidrig“, stellten die Richter fest. Gemeint war die nachträgliche Anordnung einer Sicherungsverwahrung. Die war bis 1998 auf zehn Jahre befristet, seit der Gesetzesänderung gab es keine Begrenzung mehr nach oben, was bedeutete, dass Betroffene quasi lebenslänglich „untergebracht“ wurden. Und das Bundesverfassungsgericht bestätigte diese Rechtslage als grundgesetzkonform.
Von der Entscheidung des EGMR sind etwa 200 Personen betroffen. Die Justiz versucht überwiegend, die Entscheidung aus Straßburg zu unterlaufen. So hatte noch am 7.11.2010 der BGH entschieden, dass Personen „weggesperrt“ bleiben, da die Zulässigkeit der Entscheidung des EGMR dort ende, wo nationales Recht überwiege. Helmut Pollähne bezeichnete es als Etikettenschwindel, wenn in Bremen versucht werde, Betroffene als dissoziale Persönlichkeiten in der Psychiatrie unterzubringen.
Das Entsetzen in der breiten Öffentlichkeit basiert auf dem Umgang mit Sexualstraftaten. „Sehr verständlich“, äußerte jemand in einem Zwischenruf. Immerhin sitzen zur Zeit etwa 500 Personen in der sogenannten Sicherungsverwahrung. Helmut Pollähne verwies dagegen auf die wissenschaftlichen Zweifel an der Wirksamkeit der Sicherungsverwahrung: So komme der Jurist und Psychologe Michael Alex zu dem Schluss, „dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung als zusätzliches Instrument zur Delinquenzvermeidung weder erforderlich noch geeignet“ sei. Es wäre daher konsequent, die fortschreitende Ausweitung der Sicherungsverwahrung zu stoppen und die nachträgliche Sicherungsverwahrung schnellstens wieder zurück zu nehmen. Immer wieder komme es zu Fehlprognosen: Geradezu paradox der Fall, wo einem (inzwischen) an den Rollstuhl gefesselten Verwahrten unterstellt wurde, er könne künftig wieder Einbrüche begehen.
Kirsten Wiese stellte in der anschließenden Diskussion dem Referenten die Gretchenfrage: „Kannst Du Dir eine Gesellschaft ohne Sicherungsverwahrung vorstellen?“ Seine Antwort: „Man darf nicht unterstellen, dass es keine Rückfalltaten mehr geben wird. Dann wird die Diskussion ehrlicher. Und: Nur etwa 50 Prozent der Einsitzenden sind Sexualstraftäter. Es ist wohl zunächst ein ‚Klimawechsel‘ in der Gesellschaft erforderlich. Das Strafvollzugsgesetz schreibt die Resozialisierung verbindlich vor. Sie gilt für alle Betroffenen.“
Die meisten TeilnehmerInnen gingen an diesem Abend sehr nachdenklich nach Hause.