Frankfurt/Main: „Seine Ideen haben gesiegt". Fritz Bauer kehrte zurück in den Club Voltaire
Mitteilungen Nr. 212 (1/2011), S. 23
Die Regionale Arbeitsgruppe Rhein-Main von „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ holte Ilona Ziok, Regisseurin des Dokumentarfilms „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ für vier Filmvorführungen mit anschließendem Filmgespräch ins Rhein-Main-Gebiet. Die Veranstaltung im Frankfurter Club Voltaire in Zusammenarbeit mit der hessischen Landeszentrale für politische Bildung und der Humanistischen Union, zu deren Wegbereitern vor 50 Jahren Fritz Bauer zählte, war sicherlich der Höhepunkt der kleinen Filmreise. Bereits zwei Stunden vor Filmbeginn war der Club ausverkauft.
Auf dem Podium begrüßte Moderator Peter Menne (Ortsverband Frankfurt der HU) neben Ilona Ziok auch Heiner Halberstadt, Mitbegründer des Club Voltaire, der vom damaligen hessischen Generalstaatsanwalt einige Male aufgesucht wurde. Halberstadt hatte Fritz Bauer zu Lebzeiten über die gemeinsame Freundin Helga Einsele kennengelernt. Einsele und Bauer einte das Streben nach einer Humanisierung des Strafrechts in Anlehnung an den bedeutenden Rechtsphilosphen Gustav Radbruch.
Zunächst verfolgte das Publikum im Club Voltaire den eindrucksvollen und von der Filmbewertungsstelle zu Recht mit dem Prädikat „einstimmig besonders wertvoll“ gekennzeichneten Film über einen großen Aufklärer und Demokraten. Als Generalstaatsanwalt in Braunschweig führte Fritz Bauer 1952 den Prozess gegen Otto-Ernst Remer, der die Männer des „20. Juli“ als Vaterlandsverräter bezeichnet hatte. Regisseurin Ziok will mit dem Film auch die Bedeutung dieses Prozesses unterstreichen. Das Verdienst Bauers bestehe darin, das NS-Regime zum Unrechtsstaat erklärt und somit den Widerstand gegen Hitler rehabilitiert zu haben.
Mit dem Auschwitz-Prozess (1963-1965), den es ohne den hessischen Generalstaatsanwalt nicht gegeben hätte, erreichte Bauer eine größere Öffentlichkeit und räumte endgültig mit der „Auschwitz-Lüge“ auf. Kaum bekannt war hingegen sein Anteil an der Ergreifung Adolf Eichmanns, den Organisator der Massenvernichtung in Auschwitz. Vor seinem Tod galt sein Bestreben, die Verantwortlichen aus Medizin und Justiz an der Euthanasie zur Rechenschaft zu ziehen. Diese wichtigen Stationen seines beruflichen Lebens illustriert Ziok durch Interviews mit Freunden, Kollegen und Wegbegleitern in einer geschickten Montagetechnik. Besonders eindrucksvoll wird „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ aber durch das Herzstück des Films, den Ausschnitten aus der „Kellerklub“-Talkshow des Hessischen Rundfunks (1964). Dort formulierte Bauer die ethischen Richtlinien seines Handelns und richtete seine Hoffnung auf die deutsche Jugend.
Daran knüpfte in der anschließenden Diskussion auch Heiner Halberstadt an. Fritz Bauer habe stets die Frage bewegt, wie es um die Jugend im Nachkriegsdeutschland bestellt sei. Aus dem Publikum meldete sich Christian Raabe, im Auschwitz-Prozess Vertreter der Nebenkläger, zu Wort. Der Film zeige ein authentisches Bild der Persönlichkeit Fritz Bauers. Anstoß nahm Raabe jedoch an den Spekulationen um dessen Tod, die der Film unterstütze. Ilona Ziok entgegnete, dass sie sich an Mordthesen nicht beteilige, sondern nur auf die damaligen Versäumnisse hinweise, geäußert durch den Gerichtsmediziner Gerchow. Der Titel „Tod auf Raten“ solle dem Prozesscharakter einer zunehmenden Vereinsamung und Depression Rechnung tragen, im Film durch Zeitzeugen wie Thomas Harlan und Ralph Giordano belegt. Denn, so Ziok, letztlich habe die Nachkriegsgesellschaft mit ihrer Verdrängungsmentalität Bauer auf dem Gewissen. Er erhielt regelmäßig Drohbriefe und galt in den eigenen juristischen Kreisen als Nestbeschmutzer. Er fühlte sich, als ob von allen Seiten die Wände auf ihn einstürzten, wie er in einer besonders eindringlichen und gleichzeitig niederschmetternden Filmpassage schildert.
Der Dokumentarfilm wäre zu lang geworden, entgegnete die Regisseurin auf die Frage Peter Mennes, ob der Aspekt der Humanisierung des Strafrechts in Zusammenhang mit einer von Bauer angestrebten Justizvollzugsreform nicht zu kurz gekommen sei. Zum Schluss der eindrucksvollen Veranstaltung im Club Voltaire zitierte Ilona Ziok aus ihrem Film Rolf Tiefenthal, den Neffen Fritz Bauers: „Seine Ideen haben gesiegt!“
Andreas Dickerboom, Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.,
Sprecher der Regionalen Arbeitsgruppe Rhein-Main