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Die PID als Bürger­rechts­frage

Mitteilungen21203/2011Seite 8-11

Plädoyer für eine liberale Positionierung der HU zur Präimplantationsdiagnostik. Mitteilungen Nr. 212 (1/2011), S. 8-11

Alle Welt streitet gegenwärtig über die Präimplantationsdiagnostik (PID), wir als Bürgerrechtsorganisation bislang nicht. Im Folgenden will ich zeigen, dass es beim Streit um die PID um ein grundlegendes bürgerrechtliches Problem der Gegenwart geht. Deshalb werbe ich dafür, dass wir uns aktiv in diesen Streit einschalten. Der Grund dafür ist einfach: Ich halte den Streit um die neuen Gentechnologien beziehungsweise die sich daraus ergebenden neuen Möglichkeiten der Medizin für eines der wichtigsten Felder der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die Geltung von Grundrechten. Deshalb meine ich, dass eine Bürgerrechtsorganisation wie die Humanistische Union, die den Anspruch einer umfassenden Verteidigung von Menschen- und Bürgerrechten hat, dazu nicht schweigen sollte.

Der Anlass für den gegen­wär­tigen Streit um die PID

Die gegenwärtigen gesetzgeberischen Versuche zur Regelung der PID  hat ein Berliner Frauenarzt mit einer Selbstanzeige ins Rollen gebracht. In den Jahren 2005 und 2006 wandten sich drei Paare mit dem Ziel einer extrakorporalen Befruchtung an den Arzt. In allen Fällen wies einer der Partner genetische Belastungen auf. Aufgrund dessen bestand die Gefahr, dass auch die erzeugten Embryonen genetisch belastet sein würden, was einen Abort, eine Totgeburt, ein Versterben des Neugeborenen nach der Geburt oder die Geburt eines schwerkranken Kindes hochwahrscheinlich machte.
Im Hinblick auf die Gefahrenlage und dem Wunsch seiner Patienten entsprechend führte der Angeklagte jeweils eine Präimplantationsdiagnostik (PID) an pluripotenten, d.h. nicht zu einem lebensfähigen Organismus entwicklungsfähigen Zellen durch. Die Untersuchung diente dem Zweck, nur Embryonen ohne genetische Anomalien übertragen zu können. Dies geschah in allen Fällen. Embryonen mit festgestellten Chromosomenanomalien wurden hingegen nicht weiter kultiviert und starben ab.
Das Landgericht Berlin hat den Frauenarzt vom Vorwurf einer dreifachen strafbaren Verletzung des Embryonenschutzgesetzes freigesprochen (Urteil vom 14. Mai 2009 – (512) 1 Kap Js 1424/06 KLs (26/08). Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin hat der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil des Landgerichts bestätigt (Urteil vom 6. Juli 2010 – 5 StR 386).

Der BGH gelangte in Übereinstimmung mit dem Landgericht zu der Auffassung, dass der Angeklagte weder § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG (missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken) noch § 2 Abs. 1 ESchG (missbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen) verletzt habe. Das Embryonenschutzgesetz erlaube die extrakorporale Befruchtung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ohne weitere Einschränkungen. Bei einer genetischen Belastung der Eltern berge das Einpflanzen des Embryos (ohne vorherige PID) das Risiko, dass sich die Schwangere im weiteren Verlauf nach einer Pränataldiagnostik für einen Schwangerschaftsabbruch entscheide. Eine Pränataldiagnostik sei bei genetischen Indikationen der Eltern ärztlicherseits angezeigt, bei ihr würden zudem die selben Diagnosemethoden angewandt wie bei einer PID. Die PID erspare der Frau daher ggf. die Einsetzung der befruchteten Zellen und den späteren Schwangerschaftsabbruch. Einen gesetzgeberischen Willen zum Verbot der PID konnte der BGH daher nicht erkennen – die Regelungslücke im Embryonenschutzgesetz erkläre sich allein daraus, dass dieses Verfahren beim Erlass nicht zur Verfügung stand.

Die Richter des BGH betonten jedoch, dass ihre Entscheidung zur Freigabe der PID nur die Untersuchung von Zellen auf schwerwiegende genetische Schäden erfasse. Eine darüber hinausgehende Selektion von Embryonen, etwa zur Bestimmung des Geschlechts oder anderer genetischer Merkmale für „Wunschkinder“, bliebe auch weiterhin verboten.

Das Problem ist für uns nicht neu

Schon auf der Delegiertenkonferenz zum 40. Jubiläum der HU im Jahre 2001 haben wir uns mit dem Thema beschäftigt: Nach einem Referat des Medizinethikers Michael Wunder (von 2000-2005 Mitglied Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“, seit 2008 Mitglied des Deutschen Ethikrats) beschloss die Versammlung, einen Arbeitskreis Gentechnik einzurichten. Er sollte sich mit gesetzlichen Voraussetzungen, ethischen Grundlagen und bürgerrechtlichen Folgeerscheinungen der Genforschung befassen und unter der Federführung von Dietrich Schade und Nils Leopold eine Verbandsposition vorbereiten. Als Orientierungspunkte für eine bürgerrechtliche Positionierung wurden damals benannt:

  1. Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch darf nicht angetastet werden.
  2. Frauen sind über die Risiken der PID und vergleichbarer Technologien aufzuklären.
  3. Negative Folgen für den gesellschaftlichen Umgang mit Behinderung und Behinderten müssen geklärt und verhindert werden. 
  4. Die datenschutzrechtlichen Aspekte genetischer Testverfahren sind dringend diskussions- und regelungsbedürftig.

Die Bemühungen, innerhalb eines Arbeitskreises bioethische Positionen der HU zu entwickeln, sind leider gescheitert. Zu gegensätzlich waren die Positionen, die damals innerhalb des Arbeitskreises vertreten wurden. Fortan beschränkte sich die HU auf die Weiterentwicklung ihrer Positionen zur Sterbehilfe und zur Patientenverfügung. Dies sollten wir schnell ändern, weil gegenwärtig nicht nur die PID gesetzlich geregelt werden soll, sondern auch andere gesetzliche Neuregelungen bioethischer Streitfragen (z.B. Organspenden) anstehen, zu denen die HU Position beziehen müsste.

Was ist die PID?

Die PID wird bei einer künstlichen Befruchtung angewandt. Durch sie sind konkrete Aussagen über genetische Schädigungen einer oder mehrerer in vitro befruchteter Embryozellen möglich, noch bevor diese in die Gebärmutter eingesetzt werden. Bei der PID wird das Erbgut eines Embryos durch die Entnahme von ein bis zwei Zellen ca. drei Tage nach der Befruchtung untersucht. Die Analyse kann bestimmte krankheitsrelevante Mutationen oder Chromosomenanomalien nachweisen. Genetisch stark vorbelasteten Eltern, die etwa bereits ein schwer krankes Kind haben oder bei denen in früheren Schwangerschaften bereits pränatal genetische Störungen diagnostiziert wurden, bietet die PID eine Chance, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen.

Das Verfahren ist in vielen Ländern legalisiert, innerhalb Europas etwa in Großbritannien, Frankreich, Spanien, Skandinavien, Belgien und den Niederlanden. In Deutschland ging man bis zur Entscheidung des Berliner Landgerichtes 2009 und der Bestätigung durch den Bundesgerichtshof (BGH) 2010 davon aus, dass die PID nach dem Embryonenschutzgesetz verboten sei. Durch den Wegfall des vermeintlichen gesetzlichen Verbotes gilt die PID in Deutschland derzeit richterrechtlich als erlaubt (s. Infokasten: Der Anlass). Wie so oft bei der Schaffung von Richterrecht wird die nun entstandene, neue Rechtslage als unsicher angesehen, die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung übereinstimmend festgestellt.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom Juli vergangenen Jahres entfacht den Streit über die PID in der gesamten Gesellschaft: Parteien und Kirchen, Deutscher Ethikrat und Nationale Akademie der Wissenschaften legten Stellungnahmen vor. Diese Stellungnahmen zeigen, dass einerseits die Gesellschaft hinsichtlich der PID tief gespalten ist, andererseits ergibt sich bei genauerem Hinsehen aber auch eine knappe Mehrheit für die PID. In einer demokratischen Gesellschaft muss der Gesetzgeber einen solchen Streit entscheiden. Da die Parteien in der PID-Frage allesamt zerstritten sind, kam es wie in vergleichbaren Fällen zu Gesetzentwürfen aus der Mitte des Bundestages, die kurz nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe vorliegen sollen.

Die drei Gesetz­ent­würfe zur PID

Für die parlamentarischen Beratungen im Bundestag sind drei Gesetzentwürfe angekündigt, von denen einer die PID im begrenzten Umfang erlauben will, ein zweiter sie generell verbieten und ein dritter sie für sehr wenige Ausnahmefälle zulassen will.

Der Öffnungsantrag

Der Öffnungsantrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Peter Hintze, Heinz Lanfermann, Jerzy Montag u.a. will die PID in Ausnahmefällen gestatten, wenn ein oder beide Elternteile die Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit in sich tragen oder mit einer Tot- oder Fehlgeburt zu rechnen ist. Das Gesetz verzichtet auf eine Auflistung von Krankheiten als Indikation für eine PID. Die Entscheidung, in welchen Fällen eine PID durchgeführt werden kann, obliegt dem verantwortlich handelnden Arzt und einer interdisziplinär zusammengesetzten Ethikkommission, die über jeden Fall einzeln entscheiden muss. Um Rechtssicherheit für die betroffenen Paare und die Ärzte herzustellen, sollen Voraussetzungen und Verfahren einer PID im Embryonenschutzgesetz geregelt werden: Zur Vermeidung von Missbräuchen ist ein verpflichtendes Aufklärungs- und Beratungsgespräch vorgesehen, ferner das positive Votum der zu beteiligenden Ethikkommission. Zur Gewährleistung eines hohen medizinischen Standards soll die PID nur an lizenzierten Zentren vorgenommen werden. Die Bundesregierung soll zudem in jeder Legislaturperiode einen Erfahrungsbericht zur PID vorlegen.

Bei der Abwägung zwischen den Ängsten und Nöten der Betroffenen und ethischen Bedenken wegen der Nichtimplantation eines schwer geschädigten Embryos trifft dieser Gesetzentwurf eine Entscheidung zugunsten der betroffenen Frau.

Der Verbotsantrag

Eine zweite Abgeordnetengruppe um Pascal Kober, Andrea Nahles, Wolfgang Neškovic, Ulla Schmidt, Johannes Singhammer u.a. spricht sich mit ihrem Entwurf für ein vollständiges Verbot der PID aus. Nach der Entscheidung des BGH müsse die PID aus ethischen und gesellschaftspolitischen Gründen verboten werden. Die Werteordnung des Grundgesetzes bestimme ausdrücklich, das jeder Mensch den gleichen Anspruch auf Würde und die gleichen und unveräußerlichen Rechte auf Teilhabe besitze. Dieses Wertegefüge würde durch die Zulassung der PID nachhaltig beschädigt. Die Schutzfunktion des Staates gegenüber dem ungeborenen Leben rechtfertige das Verbot der PID: Im Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen (GenDG) soll deshalb ein Verbot der Durchführung von PID verankert, die Durchführung der PID unter Strafe zu gestellt werden.

Der vermittelnde Entwurf: zweifach begrenzte Zulassung

Die Abgeordneten René Röspel, Priska Hinz, Patrick Meinhardt, Norbert Lammert u.a. bringen einen Entwurf zur begrenzten Zulassung der PID ein. Anders als der erste Entwurf begrenzt dieser Vorschlag die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik mittels eines zweistufigen Verfahrens: Die PID bleibe grundsätzlich rechtswidrig. Von diesem Grundsatz darf nur dann abgewichen und eine PID vorgenommen werden, wenn bei mindestens einem Elternteil eine humangenetisch diagnostizierte Disposition vorliegen, die zudem mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu Fehl- oder Totgeburten oder zum Tod des Kindes im ersten Lebensjahr führt. Kriterium für die Zulässigkeit ist auch hier nicht ein bestimmtes Krankheitsbild des Embryos, sondern allein dessen (Über-) Lebensfähigkeit. Auch dieser Entwurf sieht eine verpflichtende Beratung sowie das positive Votum einer Ethikkommission vor.

Die zweistufige Beschränkung der Zulässigkeit der Durchführung einer PID – auf die genetische Vorbelastung mindestens eines Elternteils und die Lebensfähigkeit des Embryos – soll sicherstellen, dass die Indikationsstellung klar begrenzt bleibe und nicht nachträglich ausgeweitet werde. Die Erfahrungen in anderen Ländern, in denen die PID zugelassen wurde, zeige, dass eine Begrenzung auf schwere Krankheitsbilder nicht möglich sei.

Die AutorInnen des zweiten Entwurfs sehen keinen grundsätzlichen Wertungswiderspruch darin, jene diagnostischen Verfahren, die im Rahmen der vorgeburtlichen genetischen Untersuchung (Pränataldiagnostik – PND) zulässig sind, bei der Reproduktionsmedizin (PID) zu verbieten. Die PND diene der Vorsorge, also dem Schutz von Mutter und Kind während einer Schwangerschaft. Ein Schwangerschaftsabbruch nach einer PND ist laut § 218a Abs. 2 StGB nur dann nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und dies nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise möglich ist. Diese Konfliktlage – zwischen dem Lebensanspruch des Embryos und der Gesundheit der Schwangeren – liege jedoch im Rahmen der reproduktionsmedizinischen Behandlung (bei einer PID) nicht vor. Es bestehe keine Schwangerschaft, zudem würden bei der PID gezielt mehrere Embryonen erzeugt, aus denen selektiert werde.

Grund­satz­kritik an der PID: die Selektion unwerten Lebens

Bei allen Wertungsunterschieden, die zwischen den drei Gesetzentwürfen sichtbar werden, teilen sie jedoch eine grundsätzliche Einschätzung über die von der PID ausgehende Gefahr: die Selektion unwerten Lebens. Eine grundsätzliche Freigabe der PID – die keiner der vorliegenden Entwürfe vertritt – wird paradigmatisch ausgeschlossen, da eine solche Freigabe unweigerlich Menschen mit Behinderungen diskriminieren würde. Auf Probe erzeugte Embryonen, die mittels einer PID nach bestimmten Krankheitsmerkmalen oder zu erwartenden Behinderungen aussortiert werden sollen, stellen – so der Tenor der PID-Kritik – gewollt oder ungewollt die Würde eines jeden Menschen mit den gleichen Merkmalen in Frage. Wenn der Gesetzgeber sich für die Zulässigkeit der PID bei „schweren genetischen Schäden“ ausspräche, würde er damit in lebenswerte und lebensunwerte, erwünschte oder unerwünschte Krankheiten und Behinderungen unterteilen. Eine derartige Entscheidung sei mit der grundgesetzlich verankerten Unantastbarkeit menschlicher Würde nicht vereinbar, egal ob sie vom Gesetzgeber selbst oder durch eine Einzelfallentscheidung der Eltern und ihre beratenden Ärzte getroffenen und durch eine Ethikkommission gebilligt werde.

Wie können wir einen bürger­recht­li­chen Standpunkt in Sachen PID gewinnen und begründen?

Wenn wir, wie 2001 von unseren Delegierten beschlossen, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch mit unserer Position zur PID nicht antasten wollen, müssen wir uns zunächst darüber klar werden, was das eigentlich für den Umgang mit der PID bedeutet.
Seit langem wird in der Diskussion um die PID auf Wertungswidersprüche hingewiesen. Obwohl das Bundesverfassungsgericht in seinen zwei Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch einen abgestuften Lebensschutz in Bezug auf das vorgeburtliche Leben verneinte, ist die natürlich befruchtete Eizelle nach den Schwangerschaftsurteilen keineswegs absolut geschützt. Sie darf durch Benutzung einer Spirale oder der „Pille danach“ an der Einnistung gehindert und ausgeschieden werden. Nach der Nidation darf das ungeborene Leben bis zur 12. Woche abgetötet werden, wenn die Schwangere die Schwangerschaft als schwere, außergewöhnliche und unzumutbare Belastung empfindet. Darüber hinaus darf bis zur 22. Woche abgetrieben werden, wenn nach ärztlicher Erkenntnis das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren gefährdet ist, unter anderem durch die Belastung der Schwangeren mit einem vermutlich behinderten Kind. Es gibt somit durchaus Abstufungen und Abwägungen beim Lebensschutz des Embryos in vivo. All dies wird aus dem Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau gefolgert, trotz der Schutzpflicht des Staates für die Menschenwürde des vorgeburtlichen Lebens.

Beim Embryo in vitro dagegen soll dies nicht gelten. So wird die künstlich in der Petrischale befruchtete Eizelle stärker geschützt als im Uterus. Bei ihr soll all das verboten sein, was nicht zur Einpflanzung und damit zur Schwangerschaft führt. Ein Verbot der PID schützt also den Embryo in vitro absolut – im Unterschied zum Embryo in vivo, an dem eine Pränataldiagnostik mit folgender Abtreibung zulässig bleibt.

Auch das bislang geltende Verbot der verbrauchenden Embryonenforschung steht im Widerspruch zum Stammzellengesetz und zur Praxis der künstlichen Befruchtung: Für die künstliche Befruchtung können Embryonen erzeugt werden, für die Forschung hingegen sind Embryonen nur unter den Voraussetzungen des Stammzellengesetzes verwendbar.

Diese Situation wirft die Frage auf: Ist das, was wir derzeit in der Rechtsordnung an Abstufungen, Brüchen und Ungereimtheiten beim Embryonenschutz vorfinden, verfassungsrechtlich aus Gründen des Würdeschutzes tatsächlich geboten? Dass diese Brüche und Ungereimtheiten sich allesamt aus dem Schutz der Menschenwürde ergeben sollen, leuchtet jedenfalls nicht ein. Vielmehr wird angesichts dieser Wertungswidersprüche sichtbar, dass es bei einem Verbot der PID letztlich um die alte Auseinandersetzung darüber geht, ob das vorgeburtliche Leben absolut zu schützen ist oder aber ob diesbezüglich auch andere Erwägungen gelten dürfen. Wollen wir also die in der Auseinandersetzung um den Schwangerschaftsabbruch gewonnenen bürgerrechtlichen  Positionen nicht aufgeben, müssen wir m.E. strikt gegen ein Verbot der PID argumentieren und – weitergehend als die bisherigen gesetzgeberischen Vorschläge – die rechtliche Gleichbehandlung der PID mit der PND fordern.

Dabei ist klar, dass einer solchen Argumentation die Kritik am angeblich menschenverachtenden Selektionsvorgang entgegengehalten wird, wie sie z.B. Ernst-Wolfgang Böckenförde vor wenigen Tagen in der FAZ vortrug: Die PID sondere nicht nur „defekte“ Samen- oder Eizellen, sondern menschliche Lebewesen aus, wirke als Selektionsinstrument. Deutlicher könne man nicht zum Ausdruck bringen, dass der Embryo keinen Anteil an menschlicher Würde habe. Solche Vorwürfe sind keineswegs neu, sie wurden bereits in der Diskussion um die Freigabe des Schwangerschaftsabbruches vorgetragen. Letztlich geht es wieder einmal darum, wie weit ein absoluter Würdeschutz des vorgeburtlichen Lebens angenommen wird. Der gesellschaftliche Kompromiss zum Schwangerschaftsabbruch tut das nicht, wir sollten es deshalb in der Frage der PID auch nicht tun.

Rosemarie Will
ist Professorin für öffentliches Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin und Bundesvorsitzende der Humanistischen Union. Ihr persönlicher Beitrag zum Thema eröffnet die verbandsinterne Diskussion.

Zum Thema:

Ernst-Wolfgang Böckenförde, Einspruch im Namen der Menschenwürde. FAZ vom 15.3.2011

Deutscher Ethikrat, Stellungnahme Präimplantationsdiagnostik vom 8.3.2011, abrufbar unter http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-praeimplantationsdiagnostik.pdf

Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, Präimplantationsdiagnostik (PID) – Auswirkungen einer begrenzten Zulassung in Deutschland. Ad-hoc-Stellungnahme vom 18.1.2011, abrufbar unter http://www.leopoldina.org (-> Politik -> Empfehlungen).

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