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Gesetz­ent­wurf zur Suizid­bei­hilfe auf dem Prüfstand der Experten

Mitteilungen21712/2012Seite 13

Mitteilungen 218/219 (III/IV) – Dezember 2012, Seite 10

Am 12. Dezember 2012 führte der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages eine öffentliche Anhörung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung (BT-Drs. 17/11126) durch. Ich war dazu als Sachverständige eingeladen, da wir bereits zum Referentenentwurf dieses Gesetzes im Mai Stellung bezogen hatten (s. Mitteilungen Nr. 217, S. 13). Unsere Stellungnahme habe ich auch schriftlich zur Anhörung eingereicht, weil der Gesetzentwurf der Bundesregierung der dort entwickelten Linie folgte.

Um es vorwegzunehmen: Die auftretenden Probleme der Sterbebegleitung werden durch den Vorschlag in keiner Weise gelöst, sie werden vielmehr weiter verdrängt und zum Teil kriminalisiert. Statt eine professionelle Sterbebegleitung durch Ärzte zu erlauben und zu ermöglichen, wird so getan, als sei die Lösung für das „Problem“ der Selbsttötungen ein strafbewehrtes Verbot für eine gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung. Nahezu jeder bedarf entweder als naher Angehöriger eines Sterbenden oder als Sterbender selbst professioneller Hilfe. Bislang hat der Gesetzgeber sich einer Regelung im Strafgesetzbuch über die erlaubten Formen der Sterbehilfe (passive und indirekte) verweigert. Deshalb kommt es immer wieder zu juristischen Streitfällen, die dann von den Gerichten gelöst werden müssen. Statt sich dieses existenziellen Problems als Strafgesetzgeber anzunehmen und die zulässigen Formen der Sterbehilfe klar im Strafgesetzbuch zu regeln, wird mit dem vorgeschlagenen § 217 das Tabu vergrößert.

Bereits nach den einleitenden Statements der Sachverständigen war klar, dass keiner der Sachverständigen den Entwurf für gelungen hielt. Die Kritik wurde allerdings unterschiedlich begründet, z.T. auch gegensätzlich. Während die Ärzte Eugen Brysch (Deutsche Hospitz-Stiftung, Berlin) und Dr. Rainer Freynhagen (Zentrum für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie & Palliativmedizin, Tutzing) in ihren Stellungnahmen vorrangig den Ausbau der Hospitze und der Pallitivmedizin als wirksame Mittel gegen ein Ansteigen der Suizide einforderten, ging der Vertreterin der Bundesärztekammer Dr. Marlis Hübner der Entwurf deshalb nicht weit genug, weil sein Verbot die organisierte Sterbehilfe Außen vor lasse. Wegen des Nichterfassen der organisierten Sterbehilfe sahen auch Dr. Graf (Richter am Bundesgerichtshof) und Prof. Schwarz (Universität Würzburg) keinen tatsächlichen Anwendungsbereich des Gesetzes, hoben aber die generalpräventive Wirkung eines solchen Gesetzes hervor. Grundsätzliche Kritik am Gesetzentwurf – und zwar in der selben Richtung wie wir – übten hingegen Prof. Saliger (Bucerius Law School) und Prof. Rosenau (Universität Augsburg). Auch für sie war der Entwurf verfassungswidrig und verstößt gegen Grundprinzipien des Strafrechts.

Auf der Linie unserer Stellungnahme habe ich dem Ausschuss vorgetragen, dass die Humanistische Union den vorgeschlagenen § 217 StGB ablehnt, weil seine gesellschaftspolitische Zielsetzung verfehlt ist, die vorgeschlagene Regelung zudem verfassungswidrig ist und die Grundsätze rechtsstaatlichen Strafens verletzt.

Mit dem Vorschlag, die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung zu kriminalisieren, wendet sich die Regierungskoalition einem Problem zu, dessen Existenz sie selbst nicht nachweisen kann. In der Entwurfsbegründung werden keinerlei Fakten für die These benannt, dass auch in Deutschland die Suizid-Fälle zunehmen, bei denen gegen Entgelt Hilfe geleistet werde. Auch aus der amtlichen Suizid-Statistik lässt sich kein Zusammenhang mit der behaupteten Verbreitung gewerbsmäßiger Angebote herstellen. Stattdessen wurde die Entwicklung der Suizidraten in anderen Ländern herangezogen, um ein Verbot der gewerbsmäßigen Suizidförderung in Deutschland zu rechtfertigen. Der Verweis auf die Statistiken aus den Niederlanden, der Schweiz und Belgien ist jedoch komplett irreführend. Bei den dort von der Statistik erfassten Fällen kommt es auf die Gewerbsmäßigkeit überhaupt nicht an. Ob der Anstieg der meldepflichtigen Tötungen in diesen Ländern auf die Liberalisierung der Sterbehilfe, auf zunehmende Aktivitäten organisierter Anbieter der Suizidbeihilfe oder andere Faktoren zurückzuführen ist, wird von den Autoren des Gesetzentwurfs in keiner Weise hinterfragt. Die genannten Zahlen allein können deshalb in keiner Weise eine verfassungsrechtliche Eignung von § 217  belegen.

Der Versuch, den § 217 als Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, misslingt dem Gesetzentwurf aber auch sonst, die vorgeschlagene Regelung ist verfassungswidrig. Bei meiner abschließenden Aufzählung der strafrechtlichen Brüche, die mit dem Gesetzentwurf einhergehen, konnte ich auf die ausführliche strafrechtliche Kritik der Kollegen Rosenau und Salinger verweisen. Der vorgeschlagene § 217 ist als abstraktes Gefährdungsdelikt konstruiert. Abstrakte Gefährdungsdelikte zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine bestimmte Handlung (das heißt, eine bloße Tätigkeit) als generell gefährlich ansehen, ohne die Gefährdung eines bestimmten Objekts im Einzelfall vorauszusetzen. Das zu schützende Rechtsgut muss also weder verletzt noch konkret gefährdet sein. Es kommt nur darauf an, ob man eine Handlung für sich genommen schon als so gefährlich ansehen will, dass diese Tätigkeit als solche von vornherein verboten werden soll. Eine solche abstrakte Gefährdungsnorm verlässt regelmäßig das rechtsstaatliche Tatprinzip des Strafrechts und verlagert Strafbarkeiten weit in das Vorfeld von eigentlichen Tatbezügen. In vorliegenden Fall ist sie geeignet die Straffreiheit des Suizides zu konterkarieren.

Am Ende der Anhörung war es die Hoffnung vieler Sachverständiger, dass der Regierungskoalition die Zeit und Kraft fehlen mögen, diesen unsinnigen Vorschlag durchzusetzen.

Rosemarie Will

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