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Die Lehren aus dem FIFA-­De­bakel

in: vorgänge Nr. 223 (3/2018), S. 27-29

Wem gehört der Sport?

Sport hat eine wichtige gesellschaftliche Funktion, zunächst zur Erhaltung der eigenen Fitness. Auch für Passivsportler auf der Couch vor dem Fernseher oder im Stadion ist er aber bisweilen sinnstiftend:[1] Wer möchte nicht „seinen“ Club, „seine“ Nationalmannschaft gewinnen sehen. Im Übrigen ist Sport ein Riesengeschäft. Man denke an Ausstatter, Sponsoren, aber auch an die astronomischen Transferzahlungen für Spieler oder auch deren stattliche Löhne. Kurz: Wer Sport und Sportorganisation als Privatsache abtut, verkürzt die Realität.

Die FIFA-Story

Die FIFA war zwar schon früh ein Machtzentrum, finanziell schlingerte sie aber über Jahrzehnte knapp am Bankrott vorbei. Erst als Adi Dassler mit Sepp Blatter (damals noch unter der Präsidentschaft von João Havelange) das neue Finanzsystem entwickelten, änderte sich fast alles: Marketing-, Fernseh- und Merchandisingrechte wurden gezielt verkauft. Bei jeder WM stiegen die Einnahmen und erreichten bald die Milliarden. Blatter (nunmehr als Präsident) und seine Getreuen sahen aber keine Veranlassung, die Struktur der FIFA zu verändern. Sie blieb ein schlichter Verein, bis 2002 noch ohne international anerkannte Buchführung. Geld und Pfründe wurden freihändig unter den Getreuen verteilt, das weitere Stimmvolk (die über 200 Landesorganisationen) wurden mit jährlichen Millionenzahlungen an das Blatter-Regime gebunden. Erst als die Protagonisten begannen, sich gegenseitig zu bekämpfen (erst die Herausforderung durch Hayatou, dann durch Bin Hammam) wurden Schritte zur Reorganisation auf dem Wege der Selbstregulierung eingeleitet. Als einer jener, die die Verantwortung für die Reorganisation von 2011 bis 2014 innehatten, habe ich miterlebt, wie sich insbesondere die UEFA (unter Platini und Infantino) gegen essentielle Reformanliegen (Amtszeitbeschränkung und zentrale Integritätsprüfung) gesperrt hat. Die Reform kam (wenn auch nur auf dem Papier) erst voran, als die staatliche Justiz (das U.S. Department of Justice [DOJ] betreffend die Vergabe von Veranstaltungen in Lateinamerika und die Schweizer Bundesanwaltschaft betreffend die WM in Russland und Katar) einschritt. Allerdings hat der neu gewählte Präsident, Gianni Infantino, sofort sämtliches Personal – insbesondere die erst kurz zuvor bestellten unabhängigen Ethiker und Finanzaufseher – durch seine Freunde und durch unschädliche, weil inkompetente Amtsträger ersetzt. Man muss die Selbstreorganisation der FIFA heute (leider) als gescheitert bezeichnen.

Die FIFA steht nicht alleine da

Aufgrund weiterer persönlicher Erfahrungen, nunmehr als Mitglied des „Vetting Board“ (Integritätsprüfung) des IAAF (des weltweiten Leichtathletikverbandes), habe ich erfahren, wie andere Sportdachverbände mit vergleichbaren Manipulationsrisiken zu kämpfen haben: Inzwischen ist bekannt, dass in Russland ein System des Staatsdopings etabliert wurde, das stark an die Gebräuche zur Zeit der Sowjetunion erinnert. Bereits vor der Olympiade von London wurden etwa bei der russischen Marathonläuferin Liliya Shobukhova extreme Blutwerte festgestellt (nach Feststellung des Britischen Unterhauses wiesen zwei Werte eine Wahrscheinlichkeit von 1:1 Milliarde auf, natürlich zu sein[2]). In einer ARD-Dokumentation von 2014 wurde das russische Staatsdoping ein erstes Mal bloß gestellt. Die Dokumentation enthüllte auch, dass Frau Shobukhova vom Sohn des damaligen Leichtathletikpräsidenten Lamine Diack erpresst worden sei. Der Sohn habe für die Geheimhaltung des Dopingbefundes 450.000 € an eine Briefkastenfirma gefordert. Als der Läuferin später seitens des Verbandes bedeutet wurde, dass man die Befunde nicht dauernd geheim halten könne und sie mit einer Sperre rechnen müsse, forderte sie das Geld zurück. Wie die Britische Unterhauskommission[3] berichtet, habe sie aber lediglich 300.000 € zurückerhalten. Der IAAF-Präsident Diack ist inzwischen abgesetzt worden und befindet sich derzeit in Frankreich im Gefängnis. Sein Sohn ist auf der Flucht. Der Nachfolger Diacks, Lord Sebastian Coe, muss sich gegenwärtig gegenüber dem Britischen Parlament und der Öffentlichkeit rechtfertigen, warum er mehr als ein halbes Jahr lang auf Informationen über den Skandal nicht reagiert habe.[4]

Staatliche Regulierung versus Selbst­re­gu­lie­rung

Beiden oben dargestellten Beispielen ist zu entnehmen, dass die Sportdachverbände kaum in der Lage sind, sich selbst aus dem Sumpf zu befreien, in dem sie sich befinden. Es versteht sich, dass sich öffentliche Instanzen einschalten, schließlich nehmen die Sportdachverbände eine öffentliche Funktion wahr.[5] So hat vor kurzem die Parlamentarische Versammlung des Europarates einen unter dem Vorsitz von Anne Brasseur ausgearbeiteten Bericht verabschiedet, in dem Sitzstaaten von Sportorganisationen zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung aufgefordert werden.[6]

Es liegt nahe, dass sich die Schweiz als Sitzstaat von ca. 60 Sportdachverbänden und verwandten Organisationen (etwa das Sportgericht [CAS/TAS] und die Welt-Anti-Doping-Behörde [Wada]) mit staatlichen Vorgaben zur Regulierung der Sportdachverbände befasst.[7] Allerdings verfügen FIFA & Co. im Schweizer Parlament über eine starke Hausmacht, sodass es erneut gelingen wird, entsprechende Regulierungsvorstöße abzublocken.[8]

Grenzen staatlicher Regulierung

Die staatliche Regulierung der Sportdachverbände stößt in der spezifisch schweizerischen Landschaft auf typische Grenzen: Die Schweiz versteht sich als besonders liberales Land, wenn es darum geht, als Sitzstaat von multinationalen Unternehmen zu dienen. In einzelnen Branchen geht sie dabei erhebliche Risiken ein. Es ist bekannt, dass sie als Geldwäschezentrum für Diktatorengelder, für organisierte Kriminelle und Wirtschaftsverbrecher eine lange Tradition hat. In neuerer Zeit ist die Schweiz zum größten Rohstoffhandelsplatz der Welt avanciert. Die Konzentration der Sportdachverbände hat durchaus ihre Logik in diesem Umfeld.

Über die Jahre haben die Sportdachverbände es auch verstanden, sich eine parlamentarische Lobby aufzubauen. Es kommt hinzu, dass die Schweiz – bei aller demokratischen Tradition – noch immer über kein Parteienfinanzierungsgesetz verfügt, das Parlamentarier und Lobbyisten zur Offenlegung der empfangenen Gelder verpflichten würde.[9] Kurz: Das Scheitern der staatlichen Regulierung der Sportdachverbände ist eine weitere Folge der Serie „Piratenhafen Schweiz“.

MARK PIETH   Strafrechtsprofessor an der Universität Basel, vormals Sektionschef Wirtschaftsstrafrecht im Schweizer Bundesamt für Justiz und internationaler Regulator (Gründungsmitglied FATF und 24 Jahre Präsident der OECD Working Group on Bribery), Präsident und Gründer des Basel Institute on Governance. Initiant diverser Collective Actions im Bereich Geldwäsche- und Korruptionsprävention.

Anmerkungen:

1. Mark Pieth (Hrsg.), Die FIFA Reform, Zürich/St. Gallen 2014, 7.

2. House of Commons, Digital, Culture, Media and Sport Committee, Combatting doping in sport, Fourth Report of Session 2017–19, 5.3.2018, S. 12.

3. Ebd., S. 13.

4. Ebd., S. 11–15.

5. Pieth (Endnote 1), 25 ff.

6. SRF vom 24.1.2018: „Kampf gegen die Korruption, Europarat will FIFA extern kontrollieren lassen.“

7. Pieth (Endnote 1), 25 ff.

8. Noch offen aber ist die Antwort auf die Interpellation Müller Thomas (NR: 18.3285 v. 15.3.2018): „Wie schätzt der Bundesrat die FIFA-Resolution des Europarats ein?“.

9. So die Kritik des Europarats (GRECO) in seiner dritten Evaluationsrunde; vgl. zur Empfehlung (Rec(2003)4).

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