Polizeistaatliches Urteil gegen Demonstranten in München
Aus: vorgänge Heft 6/1969, S. 221
Ein Münchener Schöffengericht unter dem Vorsitz des AGRats Günter Fruh verurteilte am 27. Mai den 27jährigen Rechtsreferendar Rolf Pohle, früher zeitweise ASTA-Vorsitzender der münchener Universität und später Organisator der Rechtshilfe für Demonstranten in München, wegen schweren Landfriedensbruchs und Nötigung zu 15 Monaten Gefängnis. Es entsprach damit voll dem Strafantrag des Staatsanwalts Dieter Emrich und verwarf das Plädoyer des Verteidigers Alfred Minar auf Freispruch.
Das Gericht übernahm die Darstellung des Staatsanwalts, der als erwiesen darstellte, was die Verfolgungsbehörde als Tathergang ermittelt zu haben meinte: Rolf Pohle habe sich am Karfreitag 1968 an einer Demonstration gegen den Springer-Verlag vor der Ausfahrt des Buchgewerbehauses in der münchener Barer Straße beteiligt. Dabei sei es zu Ausschreitungen gekommen und eine Barriere errichtet worden, mit dem Ziel, die Auslieferung der Bild-Zeitung zu verhindern. Demonstranten, darunter auch der Angeklagte Pohle, hätten sich auf der Barer Straße niedergesetzt, Polizisten hätten sie durch eine Raumkette wegdrängen müssen, und nur durch Einsatz von Wasserwerfern hätten Ausschreitungen verhindert werden können.
Staatsanwalt Emrich hielt seine Darstellung für nachgewiesen durch Zeugenaussagen und Vorführung von Foto- und Filmmaterial der Polizei und des ZDF. Daß der Angeklagte am Barrikadenbau beteiligt gewesen sei, kombinierte Emrich, da er dafür keine Zeugen hatte, aus ungenauen Fotos und aus der Mitteilung Pohles vor einem Studenten-Convent, er habe auch schon Barrikaden gebaut (allerdings ohne Angabe von Zeit und Ort).
So hielt der Staatsanwalt die Beteiligung am Barrikadenbau für erwiesen; Pohle habe sich damit des schweren Landfriedensbruchs schuldig gemacht. Pohle wäre aber auch, meinte Emrich, auch ohne tätliche Beteiligung Mittäter im Sinne des Paragraphen, weil er die Tat als seine eigene gewollt hat. Außerdem liege Nötigung vor, weil er durch sein Hinsetzen vor die Barrikade die Auslieferung der Bildzeitung habe verhindern wollen. Eine solche Handlungsweise sei auch durch kein politisches Motiv entschuldigt, sondern als verwerflich anzusehen.
Der Verteidiger, Rechtsanwalt Minar, sah schon in tatsächlicher Hinsicht die Anklage als nicht erwiesen an. Der Film des ZDF, der vom Staatsanwalt erst während der Verhandlung -eingeführt worden sei, sei als Beweismittel nicht verwendbar, weil er Szenen zeige, die nicht am Tatort und zur Tatzeit aufgenommen worden seien, weil er außerdem nicht chronologisch den Ablauf zeige, sondern geschnitten sei. Auch lasse sich nicht sicher nachweisen, ob es der Angeklagte sei, den man auf den Fotos und Filmen erkannt haben wolle.
Zum Tatvorwurf selbst – wenn das Gericht der Ansicht sei, die Beteiligung Pohles sei erkennbar – müsse das Gericht aber prüfen, ob sein Mandant nicht bei verfassungskonformer Auslegung der Gesetze freigesprochen werden müsse. Der Anwalt wies auf den Entscheid eines Esslinger Amtsgerichts in einem ganz ähnlichen Fall – ebenfalls die Blockade einer Springer-Druckerei während der Osterunruhen 1968 – hin, das die Demonstration als verfassungskonform und die Demonstrationsforin als sozialadäquat bezeichnet hatte. Sollte das Gericht aber diese Auffassung nicht teilen, so müsse es zumindest prüfen, ob Pohle nicht in einem Verbotsirrtum gehandelt habe.
Nun, das Gericht ließ sich durch nichts anfechten, es folgte dem Staatsanwalt und verurteilte Pohle zu 15 Monaten Gefängnis. Dieses Urteil ist fürwahr ein justizieller Exzeß, ein Terrorurteil fast, eine Abschreckungsdemonstration der Staatsmacht, daß sie die Staatsräson rücksichtslos durchsetzen wolle.
Als wirkliches Verbrechen nachgewiesen kann allenfalls gelten, daß Rolf Pohle sich am Karfreitag 1968 vor dem Münchener Buchgewerbehaus auf die Straße gesetzt hat. Außerdem soll er, ohne stringenten Beweis, einen Balken zum Barrikadenbau herbeigetragen haben. Die Fotos, die zum Beweise dienen sollten, wurden der Presse im Gerichtssaal nicht gezeigt. Auf den vorgeführten ZDF-Filmen konnte niemand Pohle sehen, aber das Gericht ließ sich von einem Polizeibeamten bestätigen, er habe Pohle erkannt. Bemerkenswert für das Verfahren ist schließlich noch eine Äußerung des Staatsanwalts Emrich, die das Gericht ungerügt durchgehen ließ, als sich während der Verhandlung aus dem Zuschauerraum ein Zeuge meldete. Emrich gab zu hören: Ich muß seiner Vernehmung zustimmen, dazu bin ich verpflichtet, auch auf die Gefahr hin, daß der Zeuge Entlastendes sagt.
Selbst wenn schließlich das Gericht der Meinung war, es müsse den geltenden Paragraphen folgen, so hat es doch versäumt zu berücksichtigen, a) daß die Rechtsprechung, wie unterschiedliche Urteile zeigen, selbst unsicher und in Verwirrung ist; b) daß der Bundestag seit einiger Zeit bemüht ist, den antiquierten Tatbestand des Landfriedensbruchs im Lichte der verfassungsmäßigen Grundrechte zu revidieren; und c) daß zwischen einer Tat und ihrer Bestrafung ein vernünftiges Verhältnis bestehen muß. 15 Monate Gefängnis aber für einen bisher unbescholtenen, nicht vorbestraften 27jährigen Mann (ein solches Strafmaß schließt Aussetzung und Bewährung aus) widersprechen vollständig dem elementaren Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ein solches Urteil ist staatstotalitär und terroristisch.