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Die Entlohnung von Straf­ge­fan­genen

Anmerkung zu einer Entscheidung des OLG Frankfurt (3 VAs 58/67)

Aus: vorgänge Heft 6/1969, S. 299/300

Die erste Konferenz der Vereinten Nationen über „Verbrechensverhütung und -behandlung“ in Genf 1955 verfolgte laut Präambel den Zweck, „auf der Grundlage der allgemein anerkannten gegenwärtigen Auffassung… die allgemein als gut anerkannten Grundsätze… für die Behandlung der Gefangenen aufzustellen“. Die Nr. 76 dieser Grundsätze lautet[1]: „Es muss ein System einer angemessenen Entlohnung für die Arbeit der Gefangenen vorgesehen werden. Unter diesem System müssen die Gefangenen die Erlaubnis haben, wenigstens einen Teil ihres Verdienstes… zum eigenen Gebrauch auszugeben und einen Teil ihres Verdienstes an ihre Familien zu senden…“ Der zweite Kongreß der Vereinten Nationen über „Gefangenenarbeit“ in London 1960 bekräftigte diese Grundsätze und statuierte: „Die Gewährung einer reinen Anerkennungsbelohnung an Gefangene, die praktische Arbeit leisten, ist mit der gegenwärtigen Auffassung vom Strafvollzug unvereinbar. Die Festsetzung eines Mindestlohns würde bereits einen Schritt vorwärts bedeuten. Das Endziel ist die Bezahlung einer normalen Entlohnung, die der des freien Arbeiters entspricht, vorausgesetzt, daß die Arbeitsleistung nach Menge und Güte die gleiche ist“[2].

Deutschland gehört den Vereinten Nationen nicht an, rechnet sich aber zu den Kulturstaaten, deren Organisation die Vereinten Nationen sind, hat auch an den genannten Kongressen teilgenommen. Deshalb ist zu prüfen, ob die Empfehlungen tatsächlich keinerlei rechtliche Wirkung für die deutschen Strafgefangenen haben, so daß diese sich weiterhin mit einem Spottgeld von höchstens 1,50 DM pro Tag, noch nicht einmal eine Anerkennungsbelohnung, abfinden müssen. Das OLG Frankfurt macht sich diese Prüfung zu leicht, wenn es die Ergebnisse der Kongresse der Vereinten Nationen einfach für Empfehlungen an den Landesgesetzgeber ohne unmittelbare völkerrechtliche Verbindlichkeit hält, indem es Blau unvollständig zitiert. Blau stellt ausdrücklich fest[3], daß die meisten Kulturnationen die „Minima“ als verbindliche Empfehlung betrachten.

Wenn die Empfehlungen für den Gesetzgeber völkerrechtlich nicht verbindlich sind, so können sie es gleichwohl für Verwaltung und Rechtsprechung sein. Die völkerrechtliche Unverbindlichkeit folgt aus der Souveränität des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber ist völkerrechtlich frei, Verwaltung und Rechtsprechung aber sind an Gesetz und Recht gebunden. Die Präambel bezeichnet die Grundsätze ausdrücklich als Ausfluß der allgemein anerkannten gegenwärtigen Auffassung, das ist soviel wie eine allgemeine Rechtsüberzeugung der Kulturnationen. Es wäre zu prüfen gewesen, ob nicht diese Rechtsüberzeugung von der Art ist, daß sie unabhängig von positiver Satzung für alle Kulturstaaten verbindlich ist, wie es die Rechtsprechung für Überzeugungen von solchen Rechtsgrundsätzen ausgesprochen hat, die mit Wert und Würde der Persönlichkeit zusammenhängen[4]. Selbst wenn das zu verneinen gewesen wäre – ich sehe nicht weshalb -, so bestünde ein zweiter Grund für die Verbindlichkeit der Empfehlungen: die Bestimmung des Art. 20 III GG, die die Rechtsprechung außer an das Gesetz auch an das Recht bindet. Was nach der Auffassung aller Kulturnationen Recht ist, muß es auch in Deutschland sein. Kultur verpflichtet[5].

Wenn der Gesetzgeber seine Stunde versäumt, ist es an den Gerichten, dem Recht Geltung zu verschaffen. Dieser Verfassungsauftrag muß endlich ernst genommen werden, zeigt sich doch der Gesetzgeber durch sein schwerfälliges Verfahren hoffnungslos überlastet und immer weniger imstande, die notwendigen Reformen des Rechts auch nur in Angriff zu nehmen, solange sich keine mächtige Interessentengruppe dafür stark macht – dafür aber werden die Strafgefangenen, mögen sie auch eine Gewerkschaft gründen, wohl immer zu schwach bleiben. Dieser Schritt ist für die Rechtsprechung um so mehr geboten, als es kein entgegenstehendes positives Gesetz gibt, sondern nur eine gesetzliche Lücke auszufüllen ist. Der Ruf nach dem Gesetzgeber ist nur eine Flucht aus der eigenen durch Art. 20 III GG begründeten Verantwortung.

Wenig überzeugend ist auch die Argumentation, mit der das OLG Frankfurt das Vorliegen einer entschädigungspflichtigen Enteignung verneint. Schutzwürdiges Eigentum im Sinne des Art. 14 GG ist nicht nur der sächliche Besitz des Menschen, der in aller Regel das Produkt seiner Erwerbstätigkeit ist, sondern in erster Linie die Arbeitskraft als Grundlage seiner Erwerbstätigkeit selbst. Eine Auffassung, die formalistisch den Eigentumsbegriff auf erworbene vermögenswerte Rechte einengt, den in der Person des Menschen liegenden Quell des Erwerbs aber ohne Schutz ließe, entspricht einer liberal- kapitalistischen Staatsauffassung, nicht aber der eines demokratischen und sozialen Staates, der Deutschland nach Art. 20 I GG sein soll. Für diese ist der Schutz des Eigentums nur eine Konsequenz des Schutzes der Menschenwürde: Art. 1 GG. Die Menschenwürde wird aber durch unbelohnte Zwangsarbeit schwerer verletzt als durch entschädigungslose Eingriffe in sächliches Eigentum; die Zwangsarbeit zieht den Menschen selbst in Mitleidenschaft, die Enteignung nur seinen Besitz. Deshalb mußte Art. 12 III GG die Zulässigkeit einer Zwangsarbeit ausdrücklich anordnen. Mehr hat dieser Artikel aber nicht getan; er hat keineswegs die unbezahlte Zwangsarbeit für zulässig erklärt oder den Art. 14 III GG eingeschränkt.

Die vom OLG Frankfurt gezogene Folgerung aus dem Schweigen des Gesetzgebers ist methodisch nicht mehr haltbar[6]. Das Schweigen beweist gar nichts, insbesondere nicht, daß der Gesetzgeber daran gedacht hat, eine unbezahlte Zwangsarbeit sei entgegen Art. 14 III GG zulässig, denn wenn der Gesetzgeber das gedacht hätte und hätte sagen wollen, so hätte er es mit Worten statt mit Schweigen gesagt. Der Gesetzgeber hat ja den Eigentumsbegriff nicht näher bestimmt und mußte deshalb keineswegs notwendig erkennen, daß unbezahlte Zwangsarbeit eine entschädigungspflichtige Enteignung sein könne, weil eventuell die menschliche Arbeitskraft vom Eigentumsbegriff umfaßt werden würde. Jede Annahme, daß der Gesetzgeber an die Frage gedacht und sie schweigend hätte lösen wollen, ist eine vom Ergebnis her bestimmte Unterstellung.

Es gibt nur einen gewichtigen Einwand gegen eine gerechte Entlohnung der Strafgefangenen, und der lautet: die Gefängnisverwaltungen sind zur Zeit technisch nicht in der Lage, die notwendige Lohnbuchhaltung (es müßten Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden) einzurichten. Diesen Einwand hat aber das OLG Frankfurt mit Recht weggelassen, denn er ist rechtlich nicht gültig. Gerade die Gerichte vermögen die Justizverwaltung zu den nötigen Investitionen zu zwingen. Es ist noch nicht lange her, dass ein OLG unter Berufung auf die Menschenwürde der Justizverwaltung die Belegung von Gefängniszellen mit drei Mann verbot, eine Übung, die bis dahin ebenfalls als unvermeidbar gegolten hatte. Das angeblich Unvermeidbare erweist sich sehr schnell als vermeidbar, wenn erst eine klare Sprache gesprochen wird. Das OLG Frankfurt wäre gut beraten gewesen, wenn es im Geist jenes anderen OLGs geurteilt hätte. Es kostet die Gerichte nicht viel, den Strafgefangenen und ihren Familien das zu geben, was ihnen nach der Auffassung aller Kulturvölker von Rechts wegen zusteht und was sie in vielen Ländern schon haben, nicht nur in demokratischen Staaten wie Schweden, Italien oder Finnland, sondern auch in Portugal und Jugoslawien, – selbst die DDR zahlt mehr als wir.

1 Abgedruckt in: Strafvollzug in Deutschland, Fischer-Bücherei Nr. 841, S. 11.

2 aaO. S. 226.

3 aaO. S.75.

4 OGHSt, 2, 271; BGHZ 3, 94; BVerfG 1, 32; vgl. dazu Naturrecht oder Kulturrecht? in Rasehorn/Ostermeyer/Huhn/Hasse: Im Namen des Volkes? Neuwied 1968 S. 109 ff.

5 aaO. S.115.

6 Huhn in: Im Namen des Volkes? S. 83 ff.

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