Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 241: Demokratie und Rechtsstaat verteidigen

Ausweitung polizei­li­cher Befugnisse und polizei­li­cher Bedeu­tungs­zu­wachs als Anzeichen einer Verselb­stän­di­gung der Polizei

Martin Kutscha war auch ein Kritiker polizeilicher Befugnisse – insbesondere gegenüber politischen Versammlungen. Diese Kritik teilt er mit Benjamin Derin, der in seinem Beitrag die Ausweitung polizeilicher Befugnisse kritisiert. Im vorliegenden Artikel bemerkt Derin, dass die Polizei im öffentlichen Diskurs widersprüchlicher Weise als in Sicherheitsfragen involvierte Partei als Expertin (ohne Eigeninteresse) verstanden wird. Dies sei falsch und führe letztendlich zu einer Verschiebung der Gewaltenteilung und zur Ausweitung polizeilicher Befugnisse.

Darum, wie mit den Protesten der „Letzten Generation“ umzugehen ist, dreht sich bekanntlich seit Längerem eine intensive öffentliche Debatte. Das ist verständlich, schließlich stehen dahinter grundlegende gesellschaftliche Fragen: Es geht unter anderem um die möglicherweise existenzielle Problematik des Klimawandels und darum, wann und in welchen Formen Protest legitim ist. Von den Einen wird gefordert, mehr für den Klimaschutz zu tun, von den Anderen, die Aktivist*innen mittels staatlicher Repression und Präventivmaßnahmen zu bekämpfen.

Wie so oft waren in der medialen Rezeption die polizeilichen Einschätzungen hierzu besonders präsent. So war etwa vielfach zu lesen, die Gewerkschaft der Polizei (GdP) halte Allgemeinverfügungen zum Verbot von Straßenblockaden „für richtig, aber nicht ausreichend“. Die „hohen Bußgelder und möglichen Haftstrafen könnten eine wirksame Reaktion sein“, ein „spürbares Zeichen des Rechtsstaates“ seien sie allemal[1]. Und während beispielsweise die Berliner Justizsenatorin prüfen ließ, ob es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handele, begrüßte dies die GdP und ließ in der Presse zudem bereits verlautbaren: „Wir haben es nach unseren Kenntnissen mit einer hierarchisch organisierten kriminellen Vereinigung zu tun“[2]. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) verlangte vom Berliner Senat wiederum medienwirksam, einen „Unterbindungsgewahrsam nach bayerischem Vorbild“ einzuführen, wo „Klimachaoten“ präventiv „bis zu 30 Tage in Haft gehen“ könnten[3].

Forderungen von Polizeigewerkschaften nach härteren Strafen, repressiverem Vorgehen oder Gesetzesreformen sind nichts Neues. Der Wunsch nach einem längeren Präventivgewahrsam etwa reiht sich ein in das Ringen um die von Martin Kutscha (2019: 163) treffend als „normative Aufrüstung“ bezeichnete fortwährende Verschärfung der Polizeigesetze, die nicht zuletzt von den polizeilichen Interessenvertretungen gefordert oder befürwortet wurden und werden. Gefahrenabwehrrechtlich brachte dies in den vergangenen Jahren insbesondere die Vorverlagerung von Eingriffsschwellen (etwa durch Konzepte wie die „drohende Gefahr“), die Etablierung neuer und Intensivierung bestehender Überwachungsmaßnahmen (von klassischen Verdeckten Ermittler*innen über intelligente Kamerasysteme bis zu Online-Durchsuchung, Quellen-Telekommunikationsüberwachung und algorithmenbasierter Datenauswertung) sowie die Ausdehnung physischer Kontrollzugriffe (etwa durch die zeitliche und tatbestandliche Ausweitung von Präventivgewahrsam, Aufenthalts- und Kontaktverbote oder elektronische Fußfesseln). Im strafrechtlichen Bereich trat neben die Einführung neuer oder Erweiterung bestehender Tatbestände der Ausbau vor allem digitaler Ermittlungseingriffe, sodass das rechtliche und praktische Zugriffsfeld der Polizei hier insgesamt ebenfalls expandiert.

Die Ausweitung polizeilicher Befugnisse und die stetigen Forderungen polizeilicher Interessenvertretungen nach weitreichenderen Polizeigesetzen, härteren Strafgesetzen und einer insgesamt verdichteten Sicherheitsarchitektur sind jedoch nicht nur problematisch mit Blick auf das, was sie dort unmittelbar bewirken (sollen), sondern auch hinsichtlich dessen, was sie symptomatisch offenbaren: den potenziell diskursverschiebenden Einfluss, den die Polizei als zunehmend aktive Akteurin im öffentlichen und politischen Raum mittlerweile ausübt, und die gegenwärtigen Tendenzen polizeilicher Verselbständigung.

 

Benjamin Derin   ist Rechtsanwalt in Berlin und insbesondere in den Bereichen Strafverteidigung und Verfassungsrecht tätig. Er ist daneben wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Kriminologie und Strafrecht der Goethe-Universität Frankfurt und beschäftigt sich dort vor allem mit Forschung zu Polizei, Strafrecht und Gesellschaft. Er ist Redakteur der Zeitschrift CILIP – Bürgerrechte und Polizei und Autor diverser Fachpublikationen und allgemeiner Veröffentlichungen zu den Themen Grundrechte, Polizei und Strafverfahren. Zudem ist er Mitglied der Redaktion des Grundrechte-Reports.

Leider steht dieser Artikel nur in der Kaufversion der Zeitschrift vorgänge zur Verfügung. Sie können das Heft hier im Online-Shop der Humanistischen Union erwerben: die Druckausgabe für 14.- € zzgl. Versand, die PDF-/Online-Version für 5.- €.

 

 

 

nach oben