Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 241: Demokratie und Rechtsstaat verteidigen

Das bedin­gungs­lose Grund­ein­kom­men: Sozial­po­li­ti­sche Sackgasse oder Königsweg der Demokratie?

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) erfreut sich in vielen politischen Lagern und sozialen Milieus einer hohen Beliebtheit. Welche sozial- wie wirtschaftspolitischen Erwartungen damit verbunden sind und welche Folgen die Einführung eines BGE in Deutschland hätte, erörtert Christoph Butterwegge im folgender aktualisierter Version seines ursprünglich 2017 in den vorgängen publizierten Beitrags. Nach seiner Einschätzung taugt das BGE allenfalls zur Bekämpfung absoluter Armut in Entwicklungsländern, in reichen Industrienationen wie Deutschland dagegen zementiere es die bestehende soziale Ungleichheit und senke die bisherigen, am (Sonder-)Bedarfsfall orientierten Sozialleistungen für die wirklich Bedürftigen. Wer mehr Gerechtigkeit wolle, komme deshalb um eine Umverteilung des Vermögens nicht herum.

 

Während der Covid-19-Pandemie ist das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) als mögliche Lösung für die durch das Virus ausgelösten sozialen Verwerfungen erneut auf die politische Tagesordnung gelangt. Für die beiden Soziologen Rolf G. Heinze und Jürgen Schupp (2022: 9f.) verkörpert das Jahr 2020, das Jahr des Pandemieausbruchs, in Deutschland hinsichtlich des Grundeinkommens sogar einen vorläufigen historischen Gipfel der öffentlichen Wahrnehmung.

Bei vielen Menschen, die durch Entlassung, Kurzarbeit oder Schließung ihres Geschäfts spürbare Einkommensverluste erlitten, herrschte vor allem im bundesweiten Shutdown, der am 22. März 2020 begann, existenzielle Verunsicherung. In einer unübersichtlichen Krisensituation wie der Pandemie nimmt die Attraktivität plakativer Losungen und simpler Lösungen für komplexe Probleme zu. BGE-Befürworter*innen warben für ihr Konzept mit dem Argument, die außergewöhnlichen Umstände erforderten unkonventionelle Lösungen. In einer Petition an den Bundestag wurde die Einführung eines BGE von monatlich 800 bis 1.200 Euro pro Person für ein halbes Jahr gefordert, was Armut und den sozialen Absturz von Millionen Menschen verhindern, aber auch die Massenkaufkraft erhöhen, den Konsum ankurbeln und die Coronakrise ökonomisch meistern helfen sollte. Ähnlich vage wie die Bezifferung des auszuzahlenden Geldbetrages in der Petition fiel der Vorschlag insgesamt aus. Von einem Konzept kann überhaupt nicht die Rede sein, gibt es doch zahlreiche Grundeinkommensmodelle, die sich etwa im Hinblick auf die Leistungshöhe und die Refinanzierung der geplanten Universalleistung unterscheiden (Blaschke/Otto/Schepers 2012; Butterwegge/Rinke 2018; Kovke/Priddat 2019).

Gerade in Krisensituationen kommt es für den Sozialstaat darauf an, seine begrenzten Ressourcen im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit auf jene Personen zu konzentrieren, die sie wirklich brauchen (Butterwegge 2022: 218ff.). Beispielsweise dürfen Künstler*innen und Kulturschaffende, wenn ihnen Aufträge oder Auftritte wegbrechen, nicht pauschal unterstützt werden. Dieter Bohlen, Helene Fischer und Roland Kaiser brauchten während der Pandemie ebenso wenig Staatshilfe wie der Maler Gerhard Richter, weil sie Multimillionäre sind. Hingegen hätten die scheinselbstständige Maskenbildnerin, der freiberuflich tätige Messebauer, die Honorarkraft in der Erwachsenenbildung und die prekär beschäftigte Grafikdesignerin von dem Grundeinkommen vielleicht noch nicht einmal ihre Miete zahlen können, falls sie in einer begehrten Großstadtlage wohnen.

 

Prof. Dr. Christoph Butterwegge   Jahrgang 1951, studierte bis 1975 Sozialwissenschaft, Philosophie, Rechtswissenschaft und Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum. Er promovierte an der Universität Bremen mit einer Arbeit über „SPD und Staat heute“ zum Dr. rer. pol. (1980), seine Habilitation (1990) untersuchte Theorie und Praxis der österreichischen Sozialdemokratie. Nach einer wissenschaftlichen Mitarbeit in der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung (1991-94) und einer Vertretungsprofessur für Sozialpolitik an der FH in Potsdam (1994-1997) war er von 1998 bis zu seinem Ruhestand im Juli 2016 Professor für Politikwissenschaft am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften an der Universität Köln. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen unter anderem Armut, soziale Gerechtigkeit und Demokratie sowie Migration, Rechtsextremismus und Rassismus. 2017 kandidierte er für das Amt des Bundespräsidenten.

 

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