Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 241: Demokratie und Rechtsstaat verteidigen

Grund­recht­liche Perspek­tiven auf den Daten­schutz: Martin Kutscha als Verteidiger der Grundrechte gegen staatliche und private Überwachung

Martin Kutscha hat sich über mehr als vier Jahrzehnte intensiv mit Datenschutzthemen befasst. Dieser Beitrag von Hartmut Aden zeigt, dass der Schutz der Menschen vor den Konsequenzen exzessiver staatlicher Überwachung, unter anderem ihrer politischen Betätigung, den Ausgangspunkt seiner Arbeiten zum Datenschutz bildete. Mit der rasanten Ausbreitung und Kommerzialisierung des Internets richtete sich sein Blick verstärkt auch auf die massenhafte Datenverarbeitung durch Privatfirmen. Er analysierte die daraus entstehenden Risiken für die Grundrechte und sah den Staat in der Pflicht, hier zum Schutz der Grundrechte tätig zu werden.

 

  1. Einleitung: Von der Volks­zäh­lungs­ent­schei­dung zu den Grund­rechts­ri­siken der Inter­n­et­nut­zung

Mit der Volkszählungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 1983 (BVerfGE 65, 1) erhielt der Datenschutz als Kernelement des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung den Status eines Grundrechts. Somit ist die Etablierung dieses bis heute im deutschen Grundgesetz ungeschriebenen Grundrechts sehr eng mit der breiten sozialen Bewegung verbunden, die sich Anfang der 1980er Jahre innerhalb kurzer Zeit gegen die damals geplante Volkszählung formiert hatte. Der Bundestag hatte ein Gesetz verabschiedet, das die Datengrundlagen für die Bevölkerungsstatistik aktualisieren und zugleich die Inhalte der Melderegister mit den Realitäten abgleichen sollte. Dem lag die Annahme zugrunde, die damalige westdeutsche Bevölkerung nähme es mit der gesetzlichen Meldepflicht nicht sonderlich genau; etwa nach Umzügen, sodass die Register aktualisierungsbedürftig seien. Ausgerechnet kurz vor dem Jahr 1984, das George Orwell (1949) als Titel seines Romans über einen totalitären Überwachungsstaat gewählt hatte, wollte die Bundesrepublik ihre Bürger*innen intensiver ausforschen und mehr ihrer persönlichen Daten erfassen als jemals zuvor – und das vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen mit dem staatlichen Missbrauch von Informationen für repressive Zwecke, die gerade in Deutschland die öffentliche Debatte über den Datenschutz mitprägte (näher hierzu Aden 2022: 120f.). Gegen diese massenhafte Datenerhebung über die gesamte Bevölkerung engagierten sich breite gesellschaftliche Kreise in einer schnell wachsenden sozialen Bewegung (hierzu Appel/Hummel 1987; Massing 1987: 39f.) – darunter waren auch Jurist*innen. Diese Bewegung beschränkte sich nicht auf politischen Protest und Boykottaufrufe, sondern mobilisierte auch die Gerichte und war mit ihren Verfassungsbeschwerden im Dezember 1983 teilweise erfolgreich: Die Volkszählung konnte nicht in der geplanten Form durchgeführt werden. Die Verbindung von Volkszählungsdaten und Melderegisterabgleich durfte nicht stattfinden.

Für Martin Kutscha war die Anfang der 1980er Jahre geplante Volkszählung indes nicht der erste Anlass, sich kritisch mit staatlichen Datensammlungen über die Bevölkerung auseinanderzusetzen. Bereits in seiner 1976 an der Universität Bremen verteidigten und drei Jahre später veröffentlichten Dissertation zum Thema Verfassung und ‚streitbare Demokratie‘ setzte er sich kritisch mit der „Überwachung politischer Aktivitäten der Staatsbürger und [der] Weitergabe der dabei erlangten ‚Erkenntnisse‘ unter anderem an die Einstellungsbehörden für den öffentlichen Dienst“ durch die Verfassungsschutzämter auseinander (Kutscha 1979: 277). Ähnlich wie das BVerfG Jahre später in der Volkszählungsentscheidung argumentierte er in der publizierten Fassung seiner Dissertation, anknüpfend an eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin aus dem Jahr 1978,[1] durch „die Weitergabe von Verfassungsschutz-Erkenntnissen an Einstellungsbehörden“ werde „in die Grundrechte des Bewerbers (insbesondere Art. 1, 2 und 12 GG) eingegriffen, denn sie enthalten Tatsachen und Wertungen, die den Bewerber ‚persönlich und beruflich belasten‘“ (Kutscha 1979: 279). Auch die Überwachungsmaßnahmen von Post und Telekommunikation, die in den Schutzbereich von Art. 10 GG eingreifen, thematisierte Martin Kutscha bereits vor der Volkszählungsentscheidung (Kutscha 1981). Zeitlebens blieben die Grundrechte des Grundgesetzes im Fokus seiner einschlägigen Stellungnahmen in der Fachliteratur. Die Europäisierung des Datenschutzes durch die 2018 in Kraft getretene EU-Datenschutz-Grundverordnung bewertete er im Hinblick auf die Vereinheitlichung von Datenschutzstandards grundsätzlich positiv, betrachtete sie aber zugleich mit skeptischer Distanz, insbesondere wegen des Risikos einer Absenkung zuvor in Deutschland erreichter Schutzstandards (vgl. etwa Kutscha 2018a: 134f.).

 

PROF. DR. HARTMUT ADEN   ist Jurist und Politikwissenschaftler. Er ist Professor für Öffentliches Recht, Europarecht, Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR), zugleich Vizepräsident für Forschung (seit April 2020) und Mitglied des Forschungsinstituts für Öffentliche und Private Sicherheit (FÖPS Berlin). Zudem ist der Mitglied der Redaktion der vorgänge. Website: www.hwr.de/prof/hartmut-aden.

 

Leider steht dieser Artikel nur in der Kaufversion der Zeitschrift vorgänge zur Verfügung. Sie können das Heft hier im Online-Shop der Humanistischen Union erwerben: die Druckausgabe für 14.- € zzgl. Versand, die PDF-/Online-Version für 5.- €.

nach oben