Beitragsbild Das Recht auf Faulheit im Lichte Künstlicher Intelligenz
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Das Recht auf Faulheit im Lichte Künstlicher Intelligenz

Naomi Klein zufolge handelt es sich um einen doppelten Raub, wenn einerseits Digitalfirmen verdeckt für das Training von generativer künstlicher Intelligenz urheberrechtlich geschütztes Material verwenden. Und sie andererseits dies mit Narrativen überlagern – von Klein als „Halluzinationen“ bezeichnet, die beispielsweise behaupten, uns ein Leben frei von Arbeit mit Zeit für Muße ermöglichen zu können. Philip Dingeldey macht eine Tour d’Horizon zur Rolle von Arbeit von der antiken Polis bis in unsere Zeit. Das Versprechen der Freiheit von Arbeit durch KI-Systeme sei allerdings kein falscher Sozialismus, wie Klein behauptet. Inzwischen existieren verschiedene Modelle unterschiedlicher Reichweite und Radikalität, die zeigen, wie mit einer Automatisierung, die zahlreiche Jobs überflüssig mache, umzugehen sei: Das reiche vom bedingungslosen Grundeinkommen über einen Postkapitalismus bis zum Sozialismus mit unscharfen Übergängen. Kapitalistische Verhältnisse würden aber durch ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht so eingeschränkt werden können, dass die Verbindung von Lohn und Arbeit, von Überproduktion und dem von Klein beschriebenen Raub beseitigt würden.

 

1. Einleitung

In ihrem vielbeachteten Aufsatz Der maskierte Raub behauptet Naomi Klein (2023), dass Digitalfirmen für das Training von generativer Künstlicher Intelligenz (KI) urheberrechtlich geschütztes Material verwenden, was nicht nur ein Raub, sondern vampirisch-ausbeuterisch sei und schließlich zu Privatisierung des geistigen Erbes führen könne.i Dabei handelt es sich aber nicht um einen offensichtlichen Datendiebstahl. Der Raub werde von diversen Narrativen, die Klein als „Halluzinationen“ beschreibt, verdeckt. Solche drogentripartigen „KI-Halluzinationen“ seien zum Beispiel, dass die KI uns von Armut und Krankheiten befreien, den Klimawandel besiegen, Einsamkeit beenden und uns ein Leben frei von Arbeit mit viel Zeit für Muße und Kontemplation ermöglichen werde.

„Es gibt eine Welt, in der generative KI als machtvolles, prognosefähiges Forschungswerkzeug und zur Ausübung lästiger Aufgaben verwendet werden könnte, um der Menschheit, anderen Lebewesen und unserer gemeinsamen Heimat zu nutzen. Aber damit dies geschieht, müssen diese Technologien in einer ökonomischen und sozialen Ordnung eingesetzt werden, die sich von unserer wesentlich unterscheidet: Sie müsste auf die menschlichen Bedürfnisse und den Schutz der planetarischen Systeme, die allen Leben ermöglichen, ausgerichtet sein“ (Klein 2023: 54).

Damit ist Klein nicht einfach nur eine Kritikerin digitaler Errungenschaften, sondern technikneutral: Es kommt darauf an, wer, in welchem sozioökonomischen (und eigentlich auch politischen) System Techniken wie und wozu einsetzt/einsetzen darf. Gleichwohl kommt Klein zu dem Schluss, dass in einem oligopolistischen digitalen Kapitalismus die versprochenen Lösungen sozialer, ökonomischer und ökologischer Probleme falsch sind. Vielmehr komme es zu einem routinemäßigen Diebstahl im Überwachungskapitalismus, bedingt durch die einseitige Transparenz zur Informationskontrolle durch Tech-Konzerne (Zuboff 2018; vgl. auch Staab 2019: 229-240). Der digitale Überwachungskapitalismus werde durch einen Trick ermöglicht: Silicon Valley dringe mit seinen vermeintlich disruptiven Innovationen in rechtsfreie Räume ein und bekämpfe jeden Regulierungsversuch. Verzögert würden solche Regulierungen sowie ein gesellschaftlich breiter Aufschrei – etwa gegen die Aushebelung des Datenschutzes durch Google, Meta etc.– durch philanthropische Versprechen und Heilsgeschichten, was alles möglich und besser für alle werde, wenn sich die jeweilige Innovation erst durchsetze. Wenn sich die Gesellschaft erst des Schadens bewusstwerde, ist die Technologie schon so verbreitet, dass eine staatliche Regulierung eines globalen Marktes durch politische Akteur*innen und Gerichte noch weniger erfolgversprechend sei (Klein 2023: 54-56).

Die Metapher des Kapitalismus als Rauschgift (die „KI-Halluzination“ als Trip) ist in der linken Kapitalismuskritik keineswegs neu. Kleins Kritik der Tech-Konzerne haftet beim Gebrauch der Metapher jedoch der Hauch einer Verschwörungstheorie an – Tech-Konzerne nutzten die „KI-Halluzinationen“ bewusst, um ihren Raub zu verschleiern –, was nur dadurch relativiert wird, dass sie die Halluzinationen nicht nur den Fans unter denen, die konsumieren und nutzen, sondern auch den Tech-Vorständen zuschreibt (Klein 2023: 53). Gleichwohl macht Klein einen interessanten Punkt, der ihre Diagnose in Beziehung zu insbesondere einer der von ihr behandelten „Halluzinationen“ betrifft: dass die KI uns von sinnloser oder lästiger Arbeit befreien wird. Klein stellt klar, dass das Versprechen der Befreiung von Arbeit durch technische Entwicklungen ein „falscher Sozialismus“ sei, und wir dann eigentlich über einen echten Sozialismus diskutieren müssten, während die generative KI aber den arbeits- und profitbasierten Kapitalismus stärke. „Wir leben vielmehr unter kapitalistischen Bedingungen, und deshalb werden die arbeitenden Menschen nicht plötzlich frei, Philosophen und Künstler zu werden, wenn der Markt mit Technologien geflutet wird, die ihre Aufgaben übernehmen können. Tatsächlich werden diese Menschen vor dem Abgrund stehen“ (Klein 2023: 61). In der Tat ist auch Kleins Feststellung des Datendiebstahls, der zur Privatisierung des geistigen Erbes führt, keineswegs neu. Andere Autor*innen wie Timo Daum (2019: 318-320) bemerken, dass es eine digitale Industrie gibt, die einen vergesellschaftlichten general intellect als proprietären Service gewinnbringend anbietet.

Wenn weder die Feststellung des Raubes noch der Halluzination neu ist, warum sind Kleins Thesen dann beachtenswert? Weil sie in der Synthese einen Dualismus – wenn auch nicht systematisch ausgearbeitet – der Arbeit markiert: Einerseits berauben Tech-Konzerne Menschen um ihre Arbeitsleistung, ihre Kreationen, andererseits versprechen dieselben Konzerne eine Freiheit von Arbeit – ob es sich dabei um eine bewusste Lüge oder einen gesamtgesellschaftlichen ideologischen Verblendungszusammenhang handelt, sei dahingestellt. Im Kapitalismus ist die Freiheit von Arbeit aber kein Versprechen, sondern eine Drohung: die Drohung des Raubes des Menschenrechts auf Arbeit. Aus dem maskierten Raub – so kann man Klein weiterdenken – wird ein doppelter Raub. Der eine Teil dieses Dualismus (der Raub von menschlich geschaffenen Werken) ist eher jung; der andere Part (die Freiheit von Arbeit oder das Recht auf Faulheit) ist dagegen alt. Das historische Bestreben, die menschliche Arbeit zu überwinden, ist nicht an digitalen Fortschritt gekoppelt. Diese technizistische oder utopische Debatte um Freiheit von Arbeit durch KI-Systeme ist im Anbetracht der Historie der Sozialtheorie in vielerlei Hinsicht eine Scheindebatte.

Daher sollen im Folgenden die wichtigsten kapitalismuskritischen Ideen zur Freiheit von Arbeit im Groben nachgezeichnet werden, um zu zeigen, inwiefern diese losgelöst von oder verbunden mit einer KI oder anderen technologischen Entwicklungen sind, um sie danach in die geschilderte Dualität einzuordnen.

2. Vormoderne

Doch zunächst sind ein paar Bemerkungen zum Streben einer Befreiung von Arbeit generell nötig. Denn es gibt eine jahrhundertealte Tradition, Arbeit und Erwerbstätigkeit nicht als Ethos, Menschenrecht oder Freiheit zu betrachten, sondern als Sklaverei und Unterdrückung. Auch wenn es manchen bizarr erscheinen mag: Die Freiheit von Arbeit galt vielen Sozialtheoretiker*innen und Philosoph*innen als eine (negative) Freiheitsform. Mit verschiedenen Konzepten wurden seit der Antike Arbeit und Freiheit voneinander getrennt. Formen der Muße, der Freizeit, des Denkens und Philosophierens sowie der Politik galten als Gegenteile der Arbeitszeit und -kraft. Diese pejorative Verwendung des Begriffs Arbeit zeigt sich schon etymologisch. Das lateinische Wort tripalium bezeichnet ein Folterinstrument. Das dazugehörige Verb tripalare bedeutet quälenii. Der Formulierung vom „Joch der Arbeit“ ist dem Zustand der Folter und der Sklaverei entlehnt. Kurz gesagt: Die Kritik der Arbeit und das Pochen auf Zeit abseits der Arbeit hat begriffsgeschichtliche Tradition.

Schon im klassischen Griechenland war der Arbeitsbegriff negativ konnotiert. Die Arbeit, damals vor allem körperlich bedingt, wurde vor allem auf Frauen, Sklaven und Nichtwohlhabende bezogen. Der Müßiggang wurde dagegen vor allem dem Adel zugeschrieben. Müßiggang wurde als frei kategorisiert, und Arbeit klassifizierte Aristoteles als Zwang. Nur derjenige, der frei von Zwängen ist, kann auch seine Freiheit ausleben (Arist. Pol. 1253 b 1-1254 a 18). Viele athenische Philosophen kamen zum Ergebnis, dass körperliche Arbeit Zeit und Kraft raube und unfrei mache, da man weder zwischenmenschliche Beziehungen pflegen noch am Gemeinwesen partizipieren könne. Dennoch wurde die Arbeit als Notwendigkeit akzeptiert. Durch harte Arbeit lässt sich die Existenz sichern und eventuell Armut überwinden, so der attisch-demokratische Politiker Perikles. Auch im republikanischen Rom sah es ähnlich aus. Zwar galt die Landwirtschaft als elementar wichtig, aber dennoch meinte Cicero, dass zumindest das Handwerk schmutzig und eine Werkstatt unedel sei. (Berthold/Oschmiansky 2020)

Diese Verurteilung der Arbeit als unfrei und unedel, als niedrige Tunsform, trotz ihrer Akzeptanz als notwendiges Übel für den Nichtadel, hat als Basis eine klare Differenzierung von zwei menschlichen Daseinsformen, die wir am klarsten bei Aristoteles (Arist. Pol. 1252 a 1-1253 b 23) formuliert finden: die Trennung der Sphären polis und oikos. Letzterer ist der Privathaushalt. Er ist eine vorpolitische Sphäre. Hier geht es um ökonomische Fragen, um den Selbsterhalt und das Überleben der Familie. Es geht um die Befreiung von Not und die Befriedigung von Grundbedürfnissen. Im Privaten offenbaren sich dabei ökonomische und soziale Ungleichheiten. Der oikos ist somit die Sphäre der Hierarchie, Ungleichheit und Unfreiheit, denn hier werden Notwendigkeiten getan, Mangelbedürfnisse befriedigt und Zwänge durch Arbeit erfüllt. Die Arbeit wird daher konzeptuell assoziiert mit Zwang, Unfreiheit, Not und Sklaverei. Denn Sklav*innen blieben stets im oikos und dem Arbeitszwang für einen anderen verhaftet. Die polis wiederum ist die Sphäre, in die der Mensch (oder im attischen Fall: der Mann) treten kann, wenn die privaten Zwänge und Nöte überwunden werden. (Meier 1983) Die polis ist damit das Gegenteil der ökonomischen Basis. Hier agiert derjenige, der sich vom oikos befreien kann, als Freier und Gleicher und partizipiert am Gemeinwesen. Solange er noch vom oikos unterdrückt wird, kann er für Aristoteles nicht legitim in die Sphäre der Freiheit gelangen und kann auch nicht öffentlich wirken, da er ansonsten nicht das Gemeinwesen im Kopf haben kann, sondern nur sein Überleben. (Dingeldey 2022: 43f./54) Arbeit ist also für die griechischen Klassiker das Gegenteil von Politik, Freiheit, Gleichheit und Gemeinschaftlichkeit.

Das klassische Griechenland war also keinesfalls dafür, Arbeit abzuschaffen. Dennoch ist Aristoteles‘ Theorie materialistisch, insofern er eine materielle Basis (oikos) annimmt, die befriedigt sein muss, um frei und gleich in der polis zu sein. Ähnlich unterteilt dies Hannah Arendt (2011). Von John Locke übernimmt sie die Unterteilung von Arbeiten und Herstellen. Beide sind im oikos anzusiedeln und entsprechen der Bedürfnisbefriedigung und dem Überleben durch Produktion und Reproduktion. Zusammen mit dem Handeln ergeben diese drei für sie die Vita activa. Handeln ist dabei politisch, das gemeinsame Reden im Politischen, um das Gemeinwesen frei zu formen. Doch darüber hinaus existiere die von Philosophen präferierte Vita contemplativa. Diese bedeutet entweder Kunst oder aber Philosophieren. Politik, Kunst und Philosophie sind also Daseinsformen, die sich als das freiheitliche Gegenteil von Arbeit definieren.

3. Moderne

Das typische Problem, das Arendt mit ihrer neoklassischen Kategorisierung aufweist, ist, dass das Ökonomische (als Soziales) immer weiter in das Gemeinwesen vordringt und die Öffentlichkeit inzwischen dominiert. Während in der Antike die Arbeit zwar das Leben der Gesellschaft in der Basis bestimmt, aber als unfreiheitlich abgestempelt wird, hofft Arendt darüber hinaus auf eine nur vage angedeutete Befreiung der Menschheit von Arbeit durch Technisierung – gemeint ist wohl Automatisierung (Arendt 2015: 35-79). Dass dementsprechend das Wirtschaftssystem geändert werden muss (und wie) beleuchtet sie aber nicht mehr.

3.1 Der Sozialismus im 21. Jahrhundert

Die Sozialist*innen des 19. Jahrhunderts jedenfalls akzeptieren noch das Credo der Arbeit. 1848 erklärte Frankreich etwa das Recht auf Arbeit. In der Tat galt das Recht auf Arbeit als revolutionäre Errungenschaft der Emanzipation. Nicht umsonst hat der liberale Alexis de Tocqueville (2006: 192-203) an der Behauptung des Rechts auf Arbeit kritisiert, dass würde ultimativ dazu führen würde, dass der Staat zum Arbeitgeber würde, was wiederum sozialistisch sei. Sozialismus und Recht auf Faulheit sind – das musste Klein etwas verkürzen – nicht per se identisch.

Anders als antike Philosophen will Karl Marx eine Befreiung für alle Menschen. Dabei sind Arbeit und Arbeitszeit im Industriekapitalismus die Quelle von Reichtum, der proletarische Mensch ist sklavisch eine Ressource. Die Arbeit müsse aufhören, die Quelle des privaten Reichtums zu sein, und die Arbeitszeit dürfe nicht mehr der Tauschwert der Produktion sein. Marx deduziert 1845/46 gar aus seiner Geschichtsauffassung, „daß in allen bisherigen Revolutionen die Art der Tätigkeit stets unangetastet blieb […], während die kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt und die Herrschaft aller Klassen mit den Klassen selbst aufhebt“ (Marx/Engels 1958: 69f.). Mit dem Ende der Arbeit folge das Ende des Privateigentums und des Klassenkampfes.

Diese kapitalismuskritische Kritik der Arbeit ist aber am pointiertesten von Paul Lafargue formuliert worden, der in seinem 1880 erschienenen Buch ein Recht auf Faulheit verlangt. Sein Ausgangspunkt sind Arbeitszeiten von 12 bis 14 Stunden pro Tag und Zwangsarbeit. Dementsprechend sei das Recht auf Arbeit bei dieser Ausbeutung schandhaft. „Man sagt, dass unsere Epoche das Jahrhundert der Arbeit sei; in Wirklichkeit ist es das Jahrhundert des Leids, des Elends und des Verfalls“ (Lafargue 2018: 18). Im Sinne der klassischen Philosophie verkündet er: „Sobald sie Fabrikarbeit einführen, heißt es ,Lebewohl‘ Freude, Gesundheit und Freiheit, ,Lebewohl‘ alles, was das Leben schön und lebenswert macht.“ (Lafargue 2018: 22) Die Arbeit wird – wie bei den Klassikern und Marx – mit Unterdrückung, Elend und Sklaverei als das Gegenteil von Freiheit und Muße betrachtet.

Lafargue (2018: 24) stellt den Produktionsverlauf möglichst absurd dar – und damit auch die Lohnarbeit. Die Massen an Arbeitsleistung würden zu Überproduktion führen, ohne dass es entsprechende Käufer*innen gebe. Die Konsequenz des Ungleichgewichts von Angebot und Nachfrage ist das Schließen von Fabriken. Arbeitslose müssen sich nun um eine neue Anstellung bemühen. Anstatt die überflüssig gewordene Arbeit sein lassen zu können und die Muße zu genießen, muss das Proletariat wegen der Lohnabhängigkeit um das Überleben kämpfen und sieht die Anstellung als Rettung seiner Existenz. Die Überproduktion verursache so allgemeinen Bankrott. Dem Kapitalist würden kurzzeitig Darlehen helfen, danach werden im Imperialismus neue Absatzmärkte gesucht und erobert. Haben sie dadurch einen Überschuss an Waren und Geld, exportieren sie die Arbeit und erschließen neue Bereiche und Sektoren. Ein erster Schritt dagegen müsse keine technische Errungenschaft, sondern die Ideologiekritik sein. Dann könne das Proletariat das Recht auf Faulheit proklamieren. Hierzu hat der Autor eine konkrete Forderung: Die maximale Arbeitszeit dürfe drei Stunden pro Tag betragen, und der Lohn müsste hoch genug sein, dass man davon leben kann, da es mehr an Arbeitskraft nicht brauche. Den Rest des Tages dürfe der Mensch faulenzen und feiern.

Aber anstatt mit dem industriellen Fortschritt die Arbeitszeit zu reduzieren und die Erholungszeit zu erhöhen, würde die Arbeit verdoppelt werden, als ob die Arbeiterschaft in Konkurrenz mit der Maschine trete. Die sklavische Arbeit habe „unsere Körper geschwächt und unseren Geist kleingemacht“ (Lafargue 2018: 33), denn mit ihr gehe nicht nur Ausbeutung einher, sondern auch die Gehirnwäsche und ein Kulturverfall, der den Genuss verbietet und dauernden, enthaltsamen Fleiß verlangt. Die proletarische Bewegung hätte im Zuge dieser Gehirnwäsche zwar die Bourgeoisie dafür bekämpft, dass sie ihr Geld und somit die Arbeiterschaft für sich arbeiten lassen und faul sein kann. Damit aber übernahmen sie das Narrativ der Arbeit, dass nur derjenige, der arbeitet, essen solle. Anstatt die Freiheit zur Faulheit für alle zu fordern, sei die Forderung gewesen, dass auch der Kapitalist arbeiten solle. Die kapitalistische Reaktion sei Repression und Polizeischutz. Dies verursache zwei Extreme: einerseits sich durch Überarbeitung getötet zu werden oder enthaltsam zu vegetieren, andererseits neue Begierden künstlich zu schaffen, damit der Mensch die Unmengen an Waren konsumiert. Viele Arbeiten würden unnötig werden, wenn man die kapitalistischen Verhältnisse beseitige. Das gesamte Militär und der starke Export wären unnötig. Stattdessen könnte das Volk mehr auf seine Gesundheit achten. Breche man den Konsumismus, so müsste man nicht mehr unnatürlich viel konsumieren.

„Um Arbeit für alle Nichtsnutze der gegenwärtigen Gesellschaft zu finden und die Weiterentwicklung der industriellen Werkzeuge auf unbestimmte Zeit zu fördern, wird die Arbeiterklasse, wie die Bourgeoisie, ihrer Vorliebe für Enthaltsamkeit Gewalt antun und ihre Konsumfähigkeit auf unbegrenzte Zeit ausbauen müssen“ (Lafargue 2018: 47).

Dagegen sieht Lafargue, wenn man Arbeit und Konsumismus überkommen könnte, enorme pazifizierende Möglichkeiten. Denn ein Teil der Bourgeoisie würde sich dem Volk anschließen, wenn sie vom übermäßigen Konsum befreit werden würden. Außerdem diene die Faulheit einem neuen kulturellen Höhepunkt: „Im System der Faulheit wird es, um die Zeit totzuschlagen, die uns Sekunde um Sekunde tötet, dauernd Aufführungen und Theatervorstellungen geben. Das ist eine Arbeit für unsere bourgeoisen Gesetzgeber“ (Lafargue 2018: 50).

Abschließend fasst er zusammen, dass das Recht auf Arbeit keine Freiheit und Gleichheit schaffe, denn dieses „Menschenrecht“ sei nur das Recht des Kapitalisten auf Ausbeutung und das proletarische „Recht auf Elend“. Die Arbeit wird kontrastiert mit Freude und einer Befreiung von der kapitalistischen Moral.

„Seit einem Jahrhundert bricht die erzwungene Arbeit ihre Knochen, zerschindet ihre Haut, quält ihre Nerven; seit einem Jahrhundert zerreißt der Hunger ihre Eingeweide und lässt ihr Gehirn halluzinieren […] Oh Faulheit, hab‘ Mitleid mit unserem langwierigen Elend! Oh, Faulheit, Mutter der Künste und der edlen Tugenden, sei der Balsam der menschlichen Ängste!“ (Lafargue 2018: 53)

Daran kann man sehen, dass Lafargue – bei aller Polemik – eine klassische Semantik gebraucht. Die Arbeit gilt als Schinden, Leid, Joch und Elend, die Faulheit sind Muße, Balsam, Tugend und Freiheit. Modern an dieser klassischen Konzeptualisierung ist, dass die Muße, die Faulheit nun allen zukommen solle.

Erwähnenswert ist abschließend auch, dass Lafargue die Technisierung erwähnt: „Unsere Maschinen, mit Feueratem, mit unermüdlichen Gliedern aus Stahl, mit wunderbarer, unerschöpflicher Fruchtbarkeit, erfüllen ihre heilige Arbeit folgsam und von selbst“ (Lafargue 2018: 58f.). Erstaunlich ist daran, dass Lafargue, bevor von KI die Rede ist, schon von der Befreiung von Arbeit durch Automatisierung redet. Dies sei schon im industriellen Zeitalter möglich. Sein stärkeres Argument ist die Überproduktion, die einen sinnlosen Zirkel aus übermäßiger Arbeit und sinnlosen, übersättigten Konsum generieren. Wenn diese überwunden werden, sinkt im Industriezeitalter der Arbeitsbedarf. Den Rest könnte zum größten Teil die teilautomatische Produktion.

Dies legt nahe, dass das Versprechen – oder die „Halluzination“ –, die KI könnte uns von Arbeit befreien, leer ist und Klein Recht hat, dass die Diskussion sich vielmehr um die Frage des Wirtschaftssystems drehen muss. Denn Lafargue behauptet gerade, dass eine Arbeitszeitreduktion nur von der Arbeiterschaft kritisiert wird, wenn der Lohn sinkt, und dass die Überwindung der Lohnarbeit im 19. Jahrhundert schon denkbar war, wenn man den Kapitalismus überwinden würde. Selbst wenn er sich damit zeitgenössisch verschätzt haben mag, stellt sich heute mit einer wesentlich fortgeschritteneren Technologie die Frage, ob wir überhaupt eine KI bräuchten, falls wir uns von vielen Arbeiten befreien wollten, sondern eben vornehmlich ein anderes Wirtschaftssystem und eine Überwindung der konsumistischen Ideologieiii. Will man eine Debatte darüber führen, ob es ein Recht auf Faulheit gibt oder ob wir einen Großteil der menschlichen Arbeit (insbesondere Lohnarbeit) überwinden wollen, scheint eine KI für diese Debatte nicht der entscheidende Punkt zu sein. Vereinfacht wäre die Regel: Mit dem Abbau des Konsumismus würden Überproduktion, Arbeitszwang und Imperialismus beendet. Dies führe zu weniger Arbeit, denn bei weniger künstlich geschaffenen Bedürfnissen könne auch der Grad an Produktivität sinken. Zudem beantwortet der Text, was die KI-Technologie, sofern sie von Arbeit befreien kann, nicht beantworten kann: wie Menschen in der Freizeit Selbstbestimmung und -entfaltung finden können und dass das Lohnarbeitssystem und der wachstumsbasierte Kapitalismus ein Hindernis dafür sind.

3.2 Die Gegenwart

Die Grundparameter des Diskurses innerhalb linker Bewegungen (aber nicht darauf beschränkt) zwischen dem Recht auf Arbeit und dem Recht auf Faulheit, wobei Anhänger*innen von Letzterem das Recht auf Arbeit als Pflicht zur Arbeit kritisieren, sind auch im Rahmen der KI-Diskussionen noch ähnlich zum 19. Jahrhundert.

Einerseits wird die These, die KI könnte Menschen von Arbeit befreien, von den Anhänger*innen des Rechts auf Arbeit als Horrorszenario des Raubes der Arbeit (und des Lohnes) verstanden, ein Narrativ, das mit der Einführung jeder neuen Technologie angeführt wurde, obgleich bislang keine Technologie zu Massenarbeitslosigkeit geführt hat. In dem Sinne wäre die Befreiung von Arbeit durch die KI dann – Klein weitergedacht – ein doppelter Raub: Erst werden menschliche Werke von der KI benutzt und weiterverarbeitet, ohne dies kenntlich zu machen, und dann werden den Menschen die Jobs genommen. Daher spielen auch nicht alle Akteur*innen, die KI-Systeme, neuronale Netze oder andere vermeintlich intelligente Technologien einsetzen wollen, das Narrativ, durch technische Entwicklung könnten wir von der Arbeit befreit werden, sondern führen andere Argumente an, wie dass sich so der Fachkräftemangel und demographische Wandel ausgleichen ließen und den Arbeitenden weniger stupide Aufgaben im Betrieb zukämen etc. In der Tat ist die Angst vor technologisch bedingter Arbeitslosigkeit nicht neu, denn bei jeder technologischen Innovation im Kapitalismus fürchteten Menschen um ihre Stelle/ihren Lohn, ohne dass dies je eingetreten wäre. Jedoch, so wird behauptet, sei es dieses Mal anders, da die Informationstechnologie und insbesondere neuronale Netze einen bahnbrechenden destruktiven Charakter hätten, bei dem Menschen jeder Qualifikation als Arbeitskraft (mindestens in der Produktion und dem Dienstleistungssektor womöglich aber auch in Wissenschaft und Medizin) obsolet gemacht werden könnten (Ford 2016; Susskind/Susskind 2015; vgl. hierzu Wajcman 2019: 22-25)iv. Kurz gesagt, die „Halluzination“, von der Klein in Bezug auf die Lohnarbeit schreibt, ist bislang kein flächendeckender Trip innerhalb des Technikoptimismus.v Gerade der Zusammenhang aus Lohn und Arbeit legt eine skeptische Haltung der Angestellten und Arbeiter*innen gegenüber Technologien nahe, die sie womöglich ersetzen könnten.

Die Anhängerschaft der Befreiung von Arbeit – ermöglicht durch neue Technologien, von denen die KI nur eine von mehreren wäre – sehen nicht immer einen direkten Zusammenhang zwischen Sozialismus und Recht auf Faulheit, wie es Klein und Lafargue tun. Prominent (vielleicht sogar hegemonial) ist in dem Kontext nämlich insbesondere die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens: ein Einkommen, das alle Bürger*innen oder Einwohner*innen vom Staat bekommen würden, was ausgleichen sollte, dass Menschen keine oder weniger Lohnarbeit verrichten würden und insbesondere sogenannte Bullshit-Jobs (Graeber 2020)vi wegfallen könnten. Auch wenn die Idee an Lafargue erinnern mag, dass sinnlose Tätigkeiten mit dem Recht auf Faulheit entfallen könnten, so verbliebe ein solches Grundeinkommen in einem wachstumsbasierten Kapitalismus und damit auch in der Überproduktion und dem Zusammenhang aus Lohn und Arbeit. In Bezug auf das bedingungslose Grundeinkommen variieren die Begründungen: Manche (idealistische) Akteur*innen meinen, dies würde in ein postmaterielles Zeitalter führen, in dem immer weniger Menschen arbeiten können/müssen/wollen (Precht 2018)vii; manche nehmen dies zum Anlass, den Sozialstaat abschaffen zu wollen und nicht nach Bedarf Transferleistungen auszuzahlen, sondern jedem das gleiche Minimum zu geben (Straubhaar 2017); andere lesen das Grundeinkommen quasisozialistisch und wollen die Wohlfahrtsstaatlichkeit gleichzeitig in einer Postarbeitsgesellschaft aufrechterhalten, wobei dies nur der erste reformistische Schritt hin zu einer postkapitalistischen technisierten Gesellschaft sein dürfe (Srnicek/Williams 2016: insb. 123-127; Mason 2016). So ergibt sich häufig die berechtigte Kritik von Links, das bedingungslose Grundeinkommen wäre eher eine neoliberale Agenda der Abschaffung der Wohlfahrtsstaatlichkeit, denn ein emanzipatorisches Instrument (Butterwegge 2023: 97-101) oder eine Stärkung sozialer Menschenrechte.

So könnte man Klein relativieren (auf deskriptive Weise, die normative Frage, was davon wünschenswert ist, ist wieder eine andere Frage): Falls wir uns von der Arbeit befreien wollen, brauchen wir nicht vornehmlich über KI-Systeme zu reden, sondern müssten stattdessen über Sozialismus oder Postkapitalismus oder ein bedingungsloses Grundeinkommen reden. Der Diskurs über KI und Freiheit von Arbeit scheint sich jedoch bei den Fans der Substituierung von menschlicher Arbeit nicht in Richtung Antikapitalismus zu entwickeln.

Innerhalb der kapitalismuskritischen Strömungen, die auf Seiten des Rechts auf Faulheit stehen, ergibt sich daraus auch eine Diversität an Ideen und Bewertungen, was sowohl die Beurteilung der Rolle der KI oder der neuronalen Netze und der Automatisierung als auch die Ausgestaltung des Sozialsystems in Bezug auf technologische Innovationen betrifft.

Ähnlich zu Lafargue behaupten neuerdings etwa Nick Srnicek und Alex Williams (2016: 85f.), dass eine Postarbeitsgesellschaft eine Welt sei, in der Menschen – ganz nach Marx‘ „Reich der Freiheit“ (Marx/Engels 1964: 828) – nicht an ihre Jobs gebunden sind, um ihr Leben kreativ zu bestreiten. Die Autoren erwähnen konventionell, dass (Teil-)Automatisierung und KI-Technologien dazu führen, Abläufe effektiver zu gestalten, sodass es weniger Arbeit für dieselbe Produktivität brauche. Das führe im Kapitalismus entweder zur Vernichtung von Arbeitsplätzen und/oder dazu, dass die Angestellten unmöglich sich in der Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts weiterqualifizieren könnten, um eine Anstellung zu behalten. Insbesondere führe im (Dienstleistungs-)Kapitalismus eine gestiegene Produktivität nicht zu einer Reduktion von Arbeit, sondern zu Überproduktion und Steigerung des Mehrwerts. Die Konsequenz sei: Die Prekarisierung würde in hochentwickelten Ökonomien steigen, die Zahl der Arbeitslosen wie auch die Dauer der Arbeitslosigkeit steige mit der Automatisierung, Slums werden wachsen, das Wirtschaftswachstum nehme ab, und es entstehe eine globale Ökonomie des Überlebenskampfes (Srnicek/Williams 2016: 86-90/99-105). Bis hierhin ist ihre Analyse nur eine Aktualisierung von Lafargue, unter Einbeziehung neuer technologischer Entwicklungen. Um ein sozialverträgliches Zukunftsszenario anzubieten, fordern die Autoren (etwas floskelhaft) Folgendes: Vollautomatisierung, eine Reduktion der Arbeitswoche respektive Arbeitszeit, ein universelles Grundeinkommen (als Ergänzung des Wohlfahrtsstaates, wie auch immer dies konkret aussehen würde) und ein Ende der Leistungsethik (Srnicek/Williams 2016: 109-127).

Erstaunlich ist an ihren Forderungen Mehreres: Anders als Lafargue konzentrieren sie sich fast ausschließlich auf das Arbeitsethos und die Reduktion von Arbeitszeit, aber verlieren zuweilen die Aspekte des Konsumismus aus den Augen, obwohl dieser im 20. und 21. Jahrhundert stark zugenommen hat. Ihre Forderungen nach Reduktion der Arbeit müssten, um konsistent zu sein, die Überproduktion stärker ins Zentrum der Kritik rücken. Stattdessen fokussieren sie sich nun eher auf technologische Entwicklungen, die ein Recht auf Faulheit ermöglichen sollen. Obwohl ihr Narrativ dem von Lafargue entspricht, hat ihre Argumentation doch einen weniger umfassenden Punkt: Befreiung von Arbeit durch Technik und radikale Sozialreformen, statt Ideologiekritik (nicht nur des Arbeitsethos, sondern auch des Konsumismus) und ein Ende von Wachstum und Überproduktion. Zuweilen ergänzen andere Kritiker*innen der Arbeit aus der Anhängerschaft des Postkapitalismus, dass ein universelles Grundeinkommen nur den Übergang in einen Postkapitalismus markieren würde und nicht die Lösung der Probleme und dass Maschinen, Algorithmen und KI-Technologien in einer automatisierten, aber demokratisch gelenkten Volkswirtschaft kostenlos zur Verfügung gestellt werden müssten (Mason 2016: 199-230).

Innerhalb des kapitalismuskritischen Diskurses des Rechts auf Faulheit gibt es auch relativierende Stimmen, was die Notwendigkeit von KIs betrifft. So bemerkt zwar etwa Dietmar Dath (2016: 17), dass weniger menschliche Arbeit nötig wird, wo die menschliche Arbeit Apparate erschafft, die die Arbeit erleichtern oder obsolet machen. Jedoch konstatiert er auch, dass, um eine demokratisch gelenkte Wirtschaft oder demokratische Planwirtschaft zu realisieren und sich von Arbeit und Überproduktion befreien zu können, man nicht zwangsweise auf Algorithmen oder KI-Systeme angewiesen sei. Dies sind politische und ökonomische Fragen, keine Fragen der Technologie. Zwar sollten wir keine Angst vor Maschinen haben, sondern vor dem Wirtschaftssystem, aber für sozialistische Ideen zur Freiheit von Arbeit sei Technologie eher ein Bonus, als die Ermöglichung einer Idee (die eben viel älter ist als KI-Systeme) (Dath 2016: 45-47). Das macht Dath gerade zu keinem Technikpessimisten, da auch er Maschinenstürmerei für falsch – obgleich für verständlich – hält, wenn KI-Systeme oder die Automatisierung Jobs gefährden (oder wenn dies von Arbeitenden als Gefahr empfunden wird, mag man hinzufügen), wobei er gerade dem Kapital und nicht den Arbeitnehmer*innen eine gewaltige Maschinenstürmerei attestiert, wenn technische Geräte gerade nicht produziert werden, um Dinge sozial zu verbessern, sondern für exklusive Zwecke (Krieg, Vernichtung etc.) zu hohen Preisen vertrieben werden (Dath 2016: 77-79). Dementsprechend ist Dath nicht technikfeindlich, aber kapitalismuskritisch. In diesem Zuge lehnt er auch ein bedingungsloses Grundeinkommen – er spricht hier noch von „Existenzgeld“ – ab, da dies kein starkes Eingreifen in die Produktion oder den Konsumismus bedeute. Kurz gesagt, dieser Reformismus sei nicht radikal genug. Die Ware-Geld-Beziehung und das Lohn-Arbeits-Verhältnis blieben unangetastet (Dath 2016: 40-44).

Damit ist Dath sogar eher in der Lafargue-Tradition einzuordnen als Srnicek und Williams oder andere Apologet*innen eines wie auch immer gearteten bedingungslosen Grundeinkommens. Denn sein Fokus ist weder, dass eine kapitalistische Technologie oder Digitalunternehmen die Menschen von Arbeit befreien werden, noch, dass ein Schritt zur Automatisierung zwingend notwendig sei, um Kapitalismusalternativen zu entwickeln, die nicht auf dem Konsumismus und der Lohnarbeit basieren würden. Vielmehr gebe eine Automatisierung für den Sozialismus mögliche Instrumente, Arbeit zu überwinden, was aber nicht politische, soziale oder ökonomische Fragen löst. Insofern ist er auch hier d’accord mit Klein. Sein Punkt geht nämlich eher in die Richtung, wie Menschen ihre Zeit möglichst selbstbestimmt verbringen können.

Etwas vereinfacht teilt Dath die menschliche Zeit in vier Sorten ein: Arbeitszeit, Konsumzeit, politische Zeit und unbestimmte Zeit. Dass es Überschneidungen von Sorten bei bestimmten Tätigkeiten gibt, ist offenkundig. Die Regel, die er in der Folge aber aufstellt, geht in eine andere Richtung:

„Niemand darf in diesem Gemeinwesen [ein fiktives Gemeinwesen für Freiheit, Gerechtigkeit, Zivilisation und Schönheit] über die Arbeitszeit einer anderen Person so verfügen, daß damit ein Zugewinn an Konsumzeit, politischer Zeit oder unbestimmter Zeit für diejenige Person erwirtschaftet wird, die fremde Arbeitszeit kommandiert und ihre Ergebnisse aneignet“ (Dath 2014: 15).

Ein Umbuchungsverbot von Zeitsorten verschiedener Personen würde nicht nur das Bewusstsein für die Sorten steigern und wie diese einander bedingen. Es würde auch klarmachen, inwiefern Zeit uns Freiheit ermöglicht oder sie verhindert. Zudem würde es viele Machtbeziehungen in einer arbeitsteiligen Gesellschaft zerstören, und auch die Differenz von produktiven und reproduktiven Aufgaben würde vermindert werden. Dies dürfte also keine Gesellschaft mehr sein, in der das Arbeitspensum der Angestellten oder Angeheuerten von Unternehmer*innen dazu genutzt wird, selbst die eigene Freizeit oder politische Zeit zu erhöhen. Die Kernthese, die für uns dabei relevant ist, ist, dass die Arbeitszeit der relevante Faktor ist, der Macht oder Freizeit verhindert. Eine kapitalistische, hierarchisch organisierte Gesellschafts- und Wirtschaftsform wäre so nicht denkbar. Die Lösung wäre, dass Freiheit von Arbeit gleich verteilt werden kann und nicht nur dem Wohlhabenden zugutekommt. In diesem Kontext kann dies auf Technik bezogen werden, da er Maschinen energetischer und informationeller Art vorsieht, die menschliche Selbstbestimmung ermöglichen sollen. Diese Maschinentypen dürften nicht exklusiv kontrolliert werden. (Dath 2014: 15-17/19-27)

Das heißt, eine KI wäre nur dann tauglich, uns von Arbeit zu befreien, sie zu erleichtern und uns mehr Zeit für Politik, Kunst und Faulheit zu ermöglichen, wenn die Technik/die Maschine unter kollektiv-demokratischer Kontrolle stünde. Dath spricht der KI also nicht per se ab, emanzipatorisch sein zu können. Damit sie dies sein könnte, sollte man aber nicht auf Versprechen (die Drohungen sein können) von der Befreiung von Arbeit durch Privatunternehmen hoffen, sondern müsste soziale Transformationen anstoßen.

4. Fazit

Die Debatte um eine Freiheit von Arbeit respektive einem Recht auf Faulheit, das die generative KI den Menschen ermöglichen soll, ist in kapitalistischen Verhältnissen also eine Scheindebatte. Das bestätigt Kleins These, dass Menschen im Kapitalismus ohne Arbeit nicht frei sind zu Kunst, Philosophie, Politik oder Faulheit sind, sondern ihre ökonomische Absicherung bedrohen würde – durch das Verhältnis von Arbeit und Lohn. Wahrscheinlich gilt das zuerst für die von der generativen KI beraubten Künstler*innen, Kreativen und Soloselbstständigen. Während man vermutet, die KI würde die Arbeit übernehmen und dem Menschen die Kunst lassen, macht die KI zunächst einmal Kunst und beraubt Kunstschaffende. Dadurch wird aus dem Versprechen der Freiheit von Arbeit nur die Drohung des doppelten Raubes. Fraglich bleibt bei den gegenwärtigen Horrorszenarien, KI-Systeme könnten unsere Arbeit (und die Politik) übernehmen, ob hier die von Klein behauptete Halluzination als Maskierung des Daten- und Werkraubes tatsächlich diskursiv wirkt oder ob dies nur eine Minderheit freudig erwartet. Denn in der Tat ist Maschinenstürmerei und Kritik technologischer Fortschritte – bedingt durch die Angst den Arbeitsplatz zu verlieren – nicht neu.

Genauso wenig ist aber die Debatte um eine Freiheit von Arbeit neu. Zwar ist sie stets daran gebunden, dass ein gewisser technischer Fortschritt es ermöglichen würde, nicht arbeiten zu müssen. Dies hängt aber nicht von einer KI an, und vor allem steht die Technik dabei seltener im Fokus. In den kapitalismuskritischen Debatten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts steht vielmehr im Vordergrund, dass ein Recht auf Faulheit sich nur entfalten könne, wenn das soziale und ökonomische System sich dafür wandelt und den Kapitalismus überwinde, um etwa die Überproduktion und den Konsumismus zu stoppen, oder mehr Zeit für Politik, Kunst oder Unbestimmtes zu gewinnen und die wirtschaftlichen und Zeitsorten-Hierarchien zu durchbrechen. Die zeitgenössische Technologie wird dabei meist eher als Bonus gelesen.

Jedoch ist das Versprechen der Freiheit von Arbeit durch KI-Systeme kein falscher Sozialismus, wie Klein behauptet. Vielmehr existieren inzwischen verschiedene Modelle verschiedener Reichweite oder Radikalität, wie mit einer Automatisierung, die zahlreiche Jobs überflüssig mache, umzugehen sei: vom bedingungslosen Grundeinkommen über einen Postkapitalismus bis zum Sozialismus, wobei die Übergänge zueinander manchmal nicht trennscharf sein mögen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre indes aber nicht in der Lage, kapitalistische Verhältnisse dermaßen einzudämmen, dass die Verbindung von Lohn und Arbeit, von Überproduktion und dem von Klein beschriebenen Raub beseitigen würde.

 

Dr. Philip Dingeldey ist einer von zwei Bundesgeschäftsführern der Humanistischen Union und hauptamtlicher Redakteur der vorgänge. Im Wintersemester 2022/23 hatte er die Gastprofessur für kritische Gesellschaftstheorie an der Justus-Liebig-Universität Gießen inne. Dingeldey hat Politische Theorie studiert und in Politikwissenschaft an der Technischen Universität Darmstadt promoviert. Seine Forschungsinteressen sind Demokratietheorie, Rechtstheorie und -philosophie, kritische Theorie, Republikanismus, Liberalismus, ökologisches politisches Denken und Ideengeschichte. Zuletzt von ihm erschienen: Von unmittelbarer Demokratie zur Repräsentation. Eine Ideengeschichte der großen bürgerlichen Revolutionen (Transcript: Bielefeld 2021).

 

Literatur

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Arendt, Hannah 2015: Was ist Politik? Fragmente aus dem Nachlass, München/Zürich.

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Berthold, Julia/Oschmiansky, Frank 2020: Der Arbeitsbegriff im Wandel der Zeit, in: Bundeszentrale für politische Bildung online vom 27.02.2020, https://www.bpb.de/themen/arbeit/arbeitsmarktpolitik/305854/der-arbeitsbegriff-im-wandel-der-zeiten/ (Stand: 12.09.2023).

Butterwegge, Christoph 2023: Das bedingungslose Grundeinkommen. Sozialpolitische Sackgasse oder Königsweg der Demokratie?, in: vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, Nr. 241 = Jg. 61, H. 1, S. 91-103.

Chalmers, Madeleine 2023: AI Narratives and the French Touch, in: Cave, Stephen/ Dihal, Kanta (Hrsg.): Imagining AI: How the World Sees Intelligent Machines, Oxford, S. 39-54.

Dath, Dietmar 2014: Klassenkampf im Dunkeln. Zehn zeitgemäße sozialistische Übungen, Hamburg.

Dath, Dietmar 2016: Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus, Berlin.

Daum, Timo 2019: Künstliche Intelligenz als vorerst letzte Maschine des digitalen Kapitals, in: Nuss, Sabine/Butollo, Florian (Hrsg.): Marx und die Roboter. Vernetzte Produktion, Künstlicher Intelligenz und lebendige Arbeit, Berlin, S. 311-326.

Dingeldey, Philip 2022: Von unmittelbarer Demokratie zur Repräsentation. Eine Ideengeschichte der großen bürgerlichen Revolutionen, Bielefeld.

Ford, Martin 2016: Aufstieg der Roboter. Wie unsere Arbeitswelt gerade auf den Kopf gestellt wird – und wie wir darauf reagieren müssen, Kulmbach.

Graeber, David 2020: Bullshitjobs. Vom wahren Sinn der Arbeit, Stuttgart.

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Lafargue, Paul 2018 [1880]: Das Recht auf Faulheit, Stuttgart.

Marx, Karl/Engels, Friedrich 1958 [1845/46]: Werke, Bd. 3, Berlin.

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Mason, Paul 2016: Postkapitalismus. Grundrisse einer kommenden Ökonomie, Berlin.

Meier, Christian 1983: Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt am Main.

Muggenthaler, Ferdinand 2023: Auf den Weg in die KI-tokratie? Künstliche Intelligenz und die autoritäre Gefahr, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 68, H. 9, S. 57-66.

Precht, Richard David 2018: Jäger, Hirten, Kritiker. Eine Utopie für die digitale Gesellschaft, München.

Precht, Richard David 2023: Das Ende der Mühsal?, in: Philosophie Magazin vom 07.09.2023, https://www.philomag.de/artikel/das-ende-der-muehsal (Stand: 12.09.2023).

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Susskind, Richard/Susskind, Daniel 2015: The Future of the Professions: How Technology Will Transform the Work of Human Experts, Oxford.

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Zuboff, Shoshana 2018: Das Zeitalter der Überwachungskapitalismus, Frankfurt am Main/New York.

Anmerkungen:

i So sind KI-Systeme zumindest gereift genug, um es dem digitalen Kapital zu ermöglichen, ihren Datenextraktionsimus zu optimieren und aus Datenmeeren und -strömen verwertbare Informationen und daraus wiederum ein rentables Geschäft zu machen, sei es mit dem Verkauf von Informationen oder der Wiederverwendung von menschlich geschaffenen Werken (Daum 2019: 311f.)

ii Davon stammen in romanischen Sprachen die entsprechenden Worte für Arbeit, etwa das spanische trabajo oder das französische travailler.

iii Daher wird Lafargue auch seltener in Bezug auf moderne Technologien rezipiert. Eine sinnvolle Rezeption im technologischen Kontext ist verortet im Rahmen eines französischen metareflexiven Narrativs, statt eines Futurismus oder einer erhöhten Geschwindigkeit der Produktion (vgl. auch Chalmers 2023: 39-54).

iv Vgl. hierzu den Beitrag von Annabell Lamberth im vorliegenden Heft.

v So werden auch Horrorszenarien entwickelt, dass KI-Systeme bald alle Jobs automatisieren könnten und dies mit einem Kontrollverlust der Zivilisation einhergehen, wenn diese Systeme nicht beschränkt oder von staatlicher Seite reguliert werden, da die Automatisierung nicht in Händen von Unternehmensleitungen liegen dürften (vgl. hierzu Muggenthaler 2023: 58-62).

vi Ein Bullshit-Job ist – David Graeber zufolge – eine (nicht unbedingt schlecht bezahlte) Lohnarbeit, die als sinnlos, unnötig oder schädlich wahrgenommen wird, sodass selbst Arbeitnehmer*innen die Existenz ihre Jobs nicht rechtfertigen können.

vii Am widersprüchlichsten ist hier gewiss Richard David Precht. Einerseits redet er davon, das bedingungslose Grundeinkommen könne in eine postmaterialistische Ära führen, in der es keinen Sozialstaat mehr brauche und dies Freiheit bedeute; neuerdings führt er die Idee, KI-Systeme könnten menschliche Arbeit obsolet machen, als Argument dafür an, dass dies eine Chance sei, Marx‘ Ideen zu verwirklichen (Precht 2023). Precht laviert also irgendwo zwischen einem idealistisch gefärbten Marxismus (schon ein Widerspruch in sich) und einem progressivem Neoliberalismus, ohne auf Konsistenz zu achten.

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