Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 242: Künstliche Intelligenz und Menschenrechte

Grußwort zur Verleihung des Fritz-­Bau­e­r-­Preises 2023 an die Beschwer­de­füh­renden der Verfas­sungs­klagen gegen das deutsche Klima­schutz­ge­setz: Rastatt, 14. Oktober 2023

In regelmäßigen Abständen vergibt die Humanistische Union den nach ihrem Mitbegründer benannten Fritz-Bauer-Preis. Der Preis wurde im Juli 1968, unmittelbar nach dem Tod des Namensgebers, von der Humanistischen Union gestiftet. Er wird seitdem an Persönlichkeiten oder Institutionen verliehen, die sich im Sinne Bauers darum bemühen, der Gerechtigkeit und Menschlichkeit in der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und im Strafvollzug Geltung zu verschaffen.

In diesem Jahr ging der Fritz-Bauer-Preis an die Beschwerdeführer*innen der Verfassungsklagen gegen das deutsche Klimaschutzgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass notwendige Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht, wie im angegriffenen Bundes-Klimaschutzgesetz geschehen, in eine unbestimmte Zukunft verschoben und damit auf junge und kommende Generationen abgewälzt werden dürfen. Dies ist mit den Grundrechten unvereinbar. Der Gerichtsentscheid hat weltweit Aufmerksamkeit erhalten, da es den Grundrechtsschutz auf Klimawandelfolgen auf künftige Generationen und das Ausland erstreckte. Die Humanistische Union sieht die Preisverleihung als Ehrung der vom Klimaschutzgesetz Betroffenen, die den Mut zur Klage hatten, aber auch als Mahnung an die Bundesregierung, den Klimaschutz als Menschenrecht nicht zu entleeren.

Wir dokumentieren im Folgenden die Begrüßungsrede von Stefan Hügel, dem Vorsitzenden des Bundesvorstands der Humanistischen Union, zur Preisverleihung, die Laudatio, die vom Juristen Prof. Dr. Gerd Winter gehalten wurde, sowie eine Auswahl der Statements der Preisträger*innen während der Preisverleihung.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freund*innen der Humanistischen Union,

und vor allem: liebe Preisträger*innen,

„[…] der letzte Monat war global mit großem Abstand der wärmste je beobachtete September. […] Es hat fast den Anschein, als habe die Temperatur einen regelrechten Satz gemacht“i, so war es vor wenigen Tagen in den Medien zu lesen. Damit ist viel dazu gesagt, warum wir in diesem Jahr den Fritz-Bauer-Preis an Euch und Sie verleihen, an die Kläger*innen vor dem Bundesverfassungsgericht, die sich dieser existenziellen Entwicklung mit juristischen Mitteln entgegenstemmen. Das Bundesverfassungsgericht hat auf Eure Verfassungsbeschwerde hin geurteilt, dass notwendige Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht, wie im angegriffenen Bundes-Klimaschutzgesetz geschehen, in eine unbestimmte Zukunft verschoben und damit auf die junge Generation und auf kommende Generationen abgewälzt werden dürfen. Dies ist mit den Grundrechten unvereinbar, so das Bundesverfassungsgericht, „[…] soweit eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen […] genügende Regelung über die Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume ab dem Jahr 2031 fehlt.“

Dass dieses Urteil zustande kommen konnte, verdanken wir Euch, den Beschwerdeführer*innen.

In den Leitsätzen zu seinem Beschluss vom 24. März 2021 führt das Bundesverfassungsgericht aus:

„Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG schließt den Schutz vor Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter durch Umweltbelastungen ein, gleich von wem und durch welche Umstände sie drohen. Die aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Sie kann eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen.“

Und weiter:

„Artikel 20a GG verpflichtet den Staat zum Klimaschutz. Dies zielt auch auf die Herstellung von Klimaneutralität. […] Besteht wissenschaftliche Ungewissheit über umweltrelevante Ursachenzusammenhänge, schließt die durch Artikel 20a GG dem Gesetzgeber auch zugunsten künftiger Generationen aufgegebene besondere Sorgfaltspflicht ein, bereits belastbare Hinweise auf die Möglichkeit gravierender oder irreversibler Beeinträchtigungen zu berücksichtigen.“

Dies gilt um so mehr, da notwendige Maßnahmen gegen den Klimawandel immer umfassender werden müssen, je weiter die Erwärmung der Erde fortgeschritten ist. Wir erlauben uns seit Jahrzehnten den Luxus, die schon lange bekannten Auswirkungen zu ignorieren. Die vom Bundesverfassungsgericht als Möglichkeit in Betracht gezogene wissenschaftliche Ungewissheit ist rein hypothetisch; sie besteht schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Wir verstehen immer besser, was die Klimaerwärmung für die Menschheit bedeutet: Zunehmende Hitze und Extremwetterereignisse, verheerende Brände und Überschwemmungen – mit katastrophalen Folgen bereits in den privilegierten gemäßigten Zonen. Weltweit betrachtet sind die Folgen noch wesentlich gravierender. Große Gebiete werden absehbar für den Menschen unbewohnbar werden. Die Physikerin Friederike Otto hat dazu beigetragen, Klimaereignisse durch die von ihr mitentwickelte Attributionsforschung auf ihre Ursachen zurückzuführen. Ist ein Ereignis noch „normales Wetter“, oder wurde es durch den Klimawandel ausgelöst? So können wir konkrete Verursacher für die Wetterphänomene haftbar machen – das Recht, das das Bundesverfassungsgericht durch Eure Initiative gesprochen hat, kann dank dieser Grundlagenarbeit auch durchgesetzt werden.

Wir verleihen den Fritz-Bauer-Preis an Personen, die, so die Widmung, „unbequem und unerschrocken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit Geltung verschaffen.“ Eure Klage vor dem Bundesverfassungsgericht und das Urteil haben dafür gesorgt, dass in einer existenziellen Menschheitsfrage Recht gesetzt wurde, an dem die Verantwortlichen nicht mehr vorbei können. Das macht Mut für das dringend notwendige Engagement gegen den Klimawandel und ist ein wichtiger Schritt, wenn wir die Entwicklung noch stoppen wollen. Sicher nicht der einzige Schritt, das zeigt schon mein einleitender Satz, aber die Grundlage für alles, was Rechtsprechung leisten kann. Das ist Anwendung des Rechts für die Menschheit im besten Sinne. Dafür danken wir Euch. Und dafür verleihen wir Euch heute den Fritz-Bauer-Preis 2023.

Anmerkungen

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