Beitragsbild Laudatio zur Verleihung des Fritz-Bauer-Preises 2023 an die Beschwerdeführenden der Verfassungsklagen gegen das deutsche Klimaschutzgesetz: Rastatt, 14. Oktober 2023
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Laudatio zur Verleihung des Fritz-­Bau­e­r-­Preises 2023 an die Beschwer­de­füh­renden der Verfas­sungs­klagen gegen das deutsche Klima­schutz­ge­setz: Rastatt, 14. Oktober 2023

Stefan Hügel hat Sie dafür gelobt, dass Sie sich als Beschwerdeführende vor dem Bundesverfassungsgericht engagiert haben. Ich schließe mich dem Lob von Herzen an. Über das Lob hinaus möchte ich aber einige weitere Dinge ansprechen.

Zunächst interessiert mich und ich denke uns alle, welches eigentlich Ihre Motive waren. Weiterhin möchte ich fragen, welche Rolle Sie als Kläger*in spielen können, und drittens, was Sie in der Sache erreicht haben, auch, wie Sie sich dazu verhalten werden.

I. Motive

Zunächst zu Ihren Motiven. Wir werden diese in Ihren Stellungnahmen noch näher kennenlernen, aber da nicht alle Geehrten hier sind und ich aus anderen Verfahren weitere Kläger*innen kennengelernt habe, möchte ich kurz meine eigenen Wahrnehmungen skizzieren.

Ganz im Vordergrund steht bei Ihnen und anderen Kläger*innen, die ich kenne, sicherlich die eigene Erfahrung und Anschauung.

Leider sind die mit Ihnen klagenden Landwirtsfamilien Backsen aus Pellworm und Blohm aus dem Alten Land nicht hier, aber sie sind diejenigen, die direkt und schon jetzt unter dem Klimawandel leiden, weil sie kostspielige Vorkehrungen gegen Überschwemmungen treffen müssen, weil sie Ernteausfälle wegen Trockenheiten haben, weil sich neue Schädlinge ausbreiten, und vieles mehr.

Besonders hart geschädigt durch Überflutungen, Waldbrände und Dürren sind die Kläger*innen aus Bangladesch und Nepal, vertreten durch Yi Yi Prue. Über Ihr Kommen, Frau Prue, freuen wir uns besonders.

Ganz anders betroffen sind die Jugendlichen unter Ihnen. Vielleicht gibt es für sie noch wenig gegenwärtige Schädigungen, aber für Sie geht es um ihr gesamtes zukünftiges Leben. Sie befürchten und müssen erwarten, dass Sie nicht mehr die Freiheiten werden beanspruchen können, die die Älteren unter uns genießen konnten.

II. Strategie

Ich bin sicher, diese eigenen Erfahrungen und Anschauungen sind es, die Sie motiviert haben mitzumachen. Manchmal wird allerdings gesagt, es handele sich doch eher um strategische Prozessführung. Damit komme ich zu der Rolle, die Sie in Prozessen spielen können. Das Stichwort Strategie gibt zu ein paar Gedanken Anlass. Man kann den Begriff so verstehen, dass Prozesse eigentlich nur geführt werden, um die allgemeine Öffentlichkeit auf den Klimawandel aufmerksam zu machen und die Medien mit entsprechenden Events zu füttern. Auf den Erfolg oder Misserfolg käme es dann gar nicht so sehr an.

Ich glaube, eine solche Zielsetzung wäre fatal. Kein Gericht nimmt eine Klage ernst, wenn es spürt, dass das Verfahren nur Futter für die Presse sein soll. Wie Goethe seinen Torquato Tasso sagen lässt: „So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt.“

In einem anderen Sinn strategisch muss ein Prozess aber trotzdem angelegt sein, wenn man ihn gewinnen will. Strategisch meint dann: auf den Erfolg des Prozesses zielend, nicht primär auf öffentliche Aufmerksamkeit. Die Kläger*innen müssen selbst betroffen sein, was in Ihrem Verfahren, wie gesagt, ja der Fall war. Und es sind engagierte Anwält*innen nötig, die signalisieren und beurteilen, welche Kandidat*innen aussichtsreich sind. Hilfestellung leisten dabei Umweltverbände, in Ihrem Fall der Solarenergie-Förderverein, der BUND, Germanwatch, Deutsche Umwelthilfe und Protect the Planet. Man könnte viele Geschichten darüber erzählen, wie Betroffene und ihre Jurist*innen zusammenfinden. Wenn es gut läuft, ist es aber nicht die einseitige Suche aus juristischer Perspektive, sondern gegenseitiges Sichfinden, ein Knüpfen von Netzwerken zwischen real Betroffenen und subsumierenden Jurist*innen.

Noch in einem zweiten Sinn muss ein Prozess strategisch sein, um Erfolg zu haben. Wenn eine Klage auf eine grundsätzliche Neuausrichtung der Rechtsprechung zielt, muss sie von Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden – ich sage begleitet, nicht ersetzt. Diese zu organisieren ist die andere Aufgabe der Umweltverbände, neben organisatorischer Hilfestellung für den Prozess.

Aber entscheidend ist dabei letztlich die Mitwirkung der Kläger*innen. Denn die Medien wollen konkrete Geschichten haben, und die können nur die Betroffenen selbst erzählen. In Ihrem Verfahren, ebenso wie in anderen, an denen ich beteiligt war, fügte es sich glücklich, dass die Kläger*innen selbstbewusst und interessant berichten und argumentieren konnten. So kommt es dann zu der Vielzahl von Presseberichten, die die Klimaprozesse wie auch den Ihrigen begleiten. Da Richter nicht im luftleeren Raum entscheiden, sondern im Strom der öffentlichen Meinung stehen, hat dies Auswirkungen auf die Bereitschaft, auch fachlich-rechtlich neue Wege zu gehen. Ich vermute, dass die Senatsmitglieder des Klimabeschlusses sich vom allgemeinen Wandel des Klimabewusstseins ermutigt und getragen fühlten.

Ein weiterer Aspekt Ihrer Rolle ist, inwieweit Sie eigentlich im Prozess selbst mitwirken können. Hier gibt es bemerkenswerte Defizite. Einerseits kommt es sehr auf Sie an, weil sich das Gericht auf eine Sache nur einlässt, wenn die Kläger*innen selbst betroffen sind. Die Möglichkeit, diese sogenannte Klagebefugnis zu verneinen, nutzen die Gerichte gern, um Klagen von vornherein abzuweisen. So können sie vermeiden, eine Stellungnahme mühsam zu erarbeiten, aber auch, sich öffentlicher Kritik auszusetzen, wenn es um hochumstrittene Themen geht.

Das BVerfG hat sich insoweit aber großzügig gezeigt und die Beschwerde ohne allzu genaue Prüfung der Klagebefugnis zugelassen. Ganz anders als der Gerichtshof der EU, der in einem Verfahren, das ich betreut habe, urteilte, die Kläger*innen seien im Rechtssinne nicht individuell betroffen, dies obwohl sie faktisch nachweislich geradezu existentiell geschädigt oder bedroht waren.

Andererseits, obwohl Sie als Klagebefugte so wichtig sind für den Prozess, Sie werden normalerweise persönlich gar nicht angehört. Vielmehr führen Ihre Prozessbevollmächtigten und die Richter*innen das Wort. Es wird mit Ihnen nicht diskutiert, Ihnen wird nichts erklärt. Sie dürfen vor dem Juristendeutsch der Schwarzberockten nur ehrfürchtig schweigen. Häufig findet nicht einmal eine mündliche Verhandlung statt, in der die Richter*innen ihre Auffassung vor den Klagenden und der Öffentlichkeit erklären und begründen müssen. Ich hatte das Gericht in dem erwähnten europäischen Verfahren um eine mündliche Verhandlung gebeten, mit der dringlichen Begründung, das Gericht möge den Kläger*innen und in aller Öffentlichkeit den Widerspruch bitte selbst erklären, dass sie einerseits nicht und andererseits doch individuell betroffen sind. Es gab darauf keine Antwort.

Für Gerichte sind Sie als Kläger*innen deshalb sozusagen Konstrukte, nicht Menschen von Fleisch und Blut. Es ließe sich lange darüber reden, ob und wie das geändert werden könnte.

III. Erfolg

Mein dritter und letzter Punkt: Welche Entscheidung ist denn letztlich herausgekommen, was hat sie bewirkt und wie kann es weitergehen? Die Anwält*innen der vier Klägergruppen haben einen reichen Strauß von juristischen Argumenten vorgebracht, um zu begründen, dass das Klimaschutzgesetz unzureichend sei und dadurch ihre Grundrechte verletze. Viele dieser Argumente werden im Beschluss des Gerichts abgearbeitet. Aber das tragende Argument hat der Senat selbst gefunden, oder genauer gesagt erfunden.

Nach bisher herrschender Meinung geht es schlicht darum, dass der Staat eine Schutzpflicht trägt, das heißt eine Pflicht, die Grundrechtsträger*innen vor Klimaschäden zu bewahren. Das Gericht hat dann zu beurteilen, ob diese Pflicht verletzt wurde. Das hängt von der Abwägung verschiedener Belange ab, die im Ermessen des Gesetzgebers steht. Das Gericht beschränkt sich dabei auf eine Prüfung eklatanter Ermessensmängel. Es fand solche Mängel aber nicht, darauf hinweisend, dass das Klimaschutzgesetz ja immerhin einige Vorgaben mache.

Nach diesem zunächst enttäuschenden Ergebnis macht das Gericht dann aber eine die damalige Juristerei überraschende Volte. Das Gericht versetzt sich in die Zukunft und sieht auf die Gesellschaft zukommen, dass der Staat die Freiheiten der Bürger*innen drastisch beschränken wird, weil angesichts der dann katastrophalen Umweltverhältnisse nicht zugelassen werden kann, dass noch weitere fossile Energie genutzt wird. Dann werden – dies sind meine Beispiele, das Gericht gab andere, weniger drastische – Verbrennerautos verboten, Strom aus fossiler Energie gekappt, Öl- oder Gasheizung ausrangiert, Wasserverbrauch rationiert, Fleischkonsum überteuert, Ferienflüge untersagt, etc.

Eine solche Vollbremsung (dieser sehr plastische Ausdruck stammt glaube ich von Rechtsanwalt Klinger) will das Gericht vermeiden. Es sagt, die zukünftigen Freiheitsbeschränkungen haben eine Vorwirkung auf heute und verpflichten den Gesetzgeber, die heutigen Emissionen von Treibhausgasen so zu beschränken, dass für die Zukunft noch etwas übrigbleibt. Das Gericht entschied dann, dass das Klimaschutzgesetz nachgebessert werden muss, um für die Zeit nach 2030, dem Zieljahr des Gesetzes, noch Zugriff auf Energie zu sichern, soweit diese noch nicht durch erneuerbare Quellen ersetzt worden ist.

Noch etwas Weiteres, weniger Beachtetes hat das Gericht beschert. Es hat sich auch in die Situation derjenigen versetzt, die, wie Yi Yi Prue, im Ausland leben und unter den Folgen deutscher und anderer Treibhausgasemissionen leiden. Es hat sich entschieden, grundsätzlich auch diese Personen in den Schutz deutscher Grundrechte einzubeziehen. Die Intensität dieses Schutzgebots im Ausland hat es allerdings herabgestuft, mit der Begründung, dass der deutsche Staat Anpassungsmaßnahmen wie Aufforstung oder schützende Infrastruktur im Ausland nicht vorschreiben könne. Ich halte das nicht für überzeugend, weil immerhin entsprechende Geldmittel zur Verfügung gestellt werden könnten.

Trotzdem und jedenfalls: Das Gericht hat zwei wichtige Weichen gestellt, indem es den Grundrechtsschutz auf Klimawandelfolgen in der Zukunft und im Ausland erstreckte. Das hat weltweit Aufmerksamkeit erweckt, in der Öffentlichkeit, aber besonders auch bei anderen Gerichten. Dabei hat das Gericht nicht nur etwas gelehrt, sondern es hat auch von anderen Gerichten gelernt, wie insbesondere von mutigen Urteilen niederländischer Gerichte. Wie überhaupt heute in Klimasachen ein transnationaler, ja weltweiter Dialog der Gerichte stattfindet. So läuft zur Zeit ein ganz ähnliches Verfahren wie Ihres vor dem Koreanischen Verfassungsgericht, und weitere vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Beide Gerichte studieren die Ergebnisse des BVerfG mit Sorgfalt.

Aber im Rückblick fragt sich doch, ob der Gerichtsbeschluss realiter etwas bewegt hat. Unmittelbar ja. Er wurde politisch allgemein begrüßt, meines Erachtens nicht zuletzt, weil das Gericht sich auf die Bedrohung von Freiheiten gestützt hat, und dagegen konnte ja auch die neoliberale FDP nichts haben. Innerhalb weniger Wochen wurde das Ziel der Einsparung von Emissionen von 55 Prozent bis 2030 auf 65 Prozent verschärft.

Inzwischen hat die Regierung aber den Mut verloren, wirklich radikal weiterzugehen. Das Reduktionsziel von 65 Prozent wird vermutlich nicht erreicht werden. Die Emissionsmengen, die streng auf die Hauptquellen zugeschnitten wurden, werden flexibilisiert. Grund dafür ist nicht nur mangelnder Wille der gewählten Organe, sondern auch die Bevölkerung selbst. Es sind die durchschnittlichen Hausbesitzer*innen, Autofahrer*innen und Konsument*innen, die zunehmend blockieren. Hinter ihnen stehen, das sei nicht vergessen, organisierte Interessen des alten Kapitalismus und deren Meinungsmacher. Auch diese beharrenden Kräfte, die Vielen und die Organisierten, berufen sich auf Grundrechte.

Dies bedeutet, grundrechtlich gesehen: In den vergangenen etwa 15 Jahren gelang es, Grundrechte zu Rechten auf mehr Klimaschutz auszubauen – im transnationalen Diskurs nennt man dies den climate rights turn – , aber wir geraten nun in eine gegenläufige Phase, in der Grundrechte gegen mehr Klimaschutz wieder entdeckt und neu eingestellt werden. Man könnte auch sagen, zukünftige Freiheiten treten in Konflikt mit gegenwärtigen Freiheiten.

Insgesamt geht es um eine Konkurrenz um knapper werdende Ressourcen, seien es Energie, Boden, Wasser, Wohnraum etc., und es steht der gegenwärtige gegen den zukünftigen Verbrauch. Das BVerfG hat insoweit klar Stellung genommen. Die Zukunft muss bewahrt werden, auch auf Kosten des gegenwärtigen Wohlstands.

Aber wenn sich dies politisch nicht durchsetzen lässt, was dann? Was tun Sie, die besorgte Jugend, dann? Fritz Bauer hat in seiner letzten Rede vor seinem Tod im Jahre 1968 ein großartiges Panorama des Widerstandsrechts gezeichnet. Er hat zwischen einem totalen Widerstandsrecht im Unrechtsstaat und einem partiellen Widerstandsrecht im Rechtsstaat unterschieden (Bauer 1968). Sicher gibt es heute bei uns keinen Anlass für den großen Widerstand, aber wohl doch für den partiellen, vielleicht auch einen, wie ihn die sogenannte Letzte Generation praktiziert.

In dieser Situation stehen Sie und müssen sich orientieren: Füge ich mich den herrschenden Verhältnissen? Versuche ich anders zu leben? Engagiere ich mich politisch? beteilige ich mich an weiteren Gerichtsverfahren? Leiste ich den kleinen Widerstand?

Wie immer Sie sich entscheiden, ich kann Ihnen nur wünschen, dass Sie nicht resignieren, sondern weiter die dicken Bretter bohren, dabei Erfolge erleben und Freude daran haben.

Literatur

Bauer, Fritz 1968: Ungehorsam und Widerstand in Geschichte und Gegenwart, in: vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, Nr. 8-9, S. 286-292.

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