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Steno­gra­fi­scher Bericht der 38. Sitzung vom 20.06.2006

20. Juni 2006

Plenarprotokoll 16/38 des Deutschen Bundestages

Seiten: 3510-3520

Einer der Tagesordnungspunkte der 38. Sitzung des Deutschen Bundestages war die Richtlinie 2006/24/EG zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten.

Einige Abgeordnete äußerten sich im Einzelnen zu den aufgekommenen und aufkommenden Problemen der Richtlinie und ihrer Umsetzung:

1) Sabine Leutheus­ser-Schnar­ren­berger (FDP)

forderte die Bundesregierung abermals auf, Nichtigkeitsklage vor dem EuGH zu erheben und somit den fraktionsübergreifenden Antrag von Abgeordneten des Bundestages (BT-Drucks. 16/1622) anzunehmen. Die gewählte Rechtsgrundlage für den Erlass der Richtlinie wäre falsch. Sie erinnerte daran, dass dies der EuGH in seiner Entscheidung in einem ähnlich gelagerten Fall (Passagierdatenübereinkommen) ebenfalls so gesehen hat. Dass man sich beim Erlass der Richtlinie auf die selbe Rechtsgrundlage gestützt habe, wäre unverantwortlich und falsch.

2) Wolfgang Neskovic (Die Linke)

geht in seiner Rede auf die Prinzipien des sozialen Rechtsstaates ein. Insbesondere hebt er die Säule der Begrenzung rechtsstaatlichen Handels durch die Grundrechte hervor. Die Liste der Grundrechtsverletzungen durch Gesetze des Staates sei weitreichend. In diese Liste würde sich auch das bevorstehende Umsetzungsgesetz zur Vorratsdatenspeicherung einreihen. Die Grundbedingung eines demokratischen Staates, nämlich die Wahrung der Freiheitsrechte, wäre nicht mehr Bestandteil der heutigen Politik. Er verweist auf ein Zitat von Bundeskanzlerin Merkel, dass das demokratische Modell im Wettbewerb der globalen Wirtschaft mittlerweile auf dem Prüfstand stehe. Doch das deutsche Grundgesetz beinhalte kein Wirtschaftssystem, sondern nur ein demokratisches. Im Endeffekt sei heutzutage in der Politik nur noch der Kapitalismus übrig geblieben. Dieser würde den Schutz der Schwachen stetig abbauen und vordergründig nur noch den ökonomischen Zielen der Politik dienen.

3) Dr. Ole Schröder (CDU/CSU)

betont eindringlich, dass in der Bundesrepublik weder der Kapitalismus noch der Sozialismus oder der Überwachungsstaat übrig geblieben wäre. Es seien jedoch die soziale Marktwirtschaft und durchaus auch die Demokratie noch vorhanden. Diese Faktoren müssen gepflegt und aufrecht erhalten werden und nicht, wie es seiner Ansicht nach Herr Neskovic getan hat, beschimpft werden. Im Hinblick auf die vorgebrachte Kritik an der Vorratsdatenspeicherung von Frau Leutheusser-Schnarrenberger und Herrn Neskovic bleiben erwartete Ausführungen zur Vorratsdatenspeicherung in der Rede von Herrn Schröder aus. Und dies obwohl die CDU/CSU zusammen mit der SPD in ihrem Antrag an die Bundesregierung die Zustimmung zu dieser Richtlinie gefordert hatten (BT-Drucks. 16/545).

4) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

fordert ebenfalls die Bundesregierung auf, im Rahmen der Nichtigkeitsklage vor dem EuGH gegen die erlassene Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung tätig zu werden. Er bedauert den fehlenden Mut einzelner Abgeordneter von CDU/CSU und SPD die hinter vorgehaltener Hand geäußerten Bedenken an der Wirksamkeit der Richtlinie auch offenkundig zu machen. Er verdeutlicht, dass die Richtlinie den primären Zweck der Strafverfolgung hat und somit nicht aufgrund von Artikel 95 EG-Vertrag hätte erlassen werden dürfen. Artikel 5 EG-Vertrag lege eindeutig fest, dass die Gemeinschaft nur im Rahmen ihrer Kompetenzen tätig werden könne und sich selbst keine Kompetenzen zuschreiben dürfe. Auch wenn im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens die Kommission und der Rat die Regelungsmaterie von einem Rahmenbeschluss auf EU-Ebene in eine Richtlinie auf EG-Ebene umwandelten, so hätte sich der Regelungsinhalt trotzdem nicht geändert. Nun mag es Ansichten geben, dass die Ermächtigungsgrundlage unerheblich sei, solange das Europäische Parlament beteiligt worden ist, doch dagegen spräche zum einen, dass die Kompetenzregeln nicht nach Willkür und Bedarf geändert werden dürfen und zum anderen, dass es primär immer um den Schutz der Bürger- und Grundrechte gehen müsse. Dies sei nur garantiert, wenn auf nationaler Ebene ein durchsetzungsstarkes Verfassungsgericht den Schutz gewährt und man auf europäischer Ebene das Vertrauen in den Bürger- und Grundrechtsschutz aufrecht erhalten kann.

Abschließend bezieht sich Herr Montag auf das Argument der Kommission, dass man einen europarechtlichen Besitzstand verteidigen müsse, der aufgrund der Datenschutzrichtlinie 2002/58/EG geschaffen wurde. Seiner Ansicht nach wäre es sinnwidrig mit der Datenschutzrichtlinie, welche nur Mindestnormen für den Datenschutz festlegt, jetzt die Untergrabung und den Abbau des Datenschutzes und die Notwendigkeit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zu begründen. Die zweite Begründung, dass aufgrund der Pflicht privater Unternehmen, die Daten auf Vorrat zu speichern, ein sauberer Wettbewerb nur durch europäisch geregelte Normen zu sichern sei, wäre im vorliegenden Fall grotesk.

5) Brigitte Zypries (Bundes­mi­nis­terin der Justiz)

Zu Beginn ihrer Rede stellt Frau Zypries fest, dass der Bundestag einstimmig die Bundesregierung aufgefordert hätte, der Richtlinie zuzustimmen. Herr Montag berichtigt sie dahingehend, in einem genehmigten Zwischenruf, dass dieser Antrag ausschließlich mit den Stimmen der großen Koalition und gegen alle Stimmen der Opposition ergangen ist. Er weist sie ebenfalls darauf hin, dass die Koalition trotz dieser Abstimmung in ihrem Antrag unter Nr. 13 selbst die Wirksamkeit der Richtlinie, im Hinblick auf die Rechtsgrundlage, anzweifle. Frau Zypries merkt an, dass es das Bestreben der Bundesregierung war, sich inhaltlich an der Formulierung des Richtlinientextes zu beteiligen und nicht sich aus der Diskussion zu ziehen, nur weil sie Zweifel an der Rechtsgrundlage gehabt hätte. Die angestrebten Ziele, die Speicherdauer und den Umfang der zu speichernden Daten auf das geringstmögliche Maß zu reduzieren, seien erreicht worden.

Sie versucht, die Gegner der Richtlinie zu beschwichtigen, indem sie anmerkt, dass Irland mit Sicherheit Nichtigkeitsklage erheben und somit der Wille der Opposition verwirklicht werde, nur unter Ausschluss der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland. Es wäre nicht richtig gegen einen Rechtsakt Nichtigkeitsklage zu erheben, wenn man ihn selbst mit geprägt hat. Dies sei im vorliegenden Fall auch nicht nötig, denn die Richtlinie würde die Bürgerrechte wahren.

6) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

bittet Frau Zypries nochmals um Stellungnahme zu der Behauptung, dass die Richtlinie die Bürgerrechte wahre. Wie könne man dies gewährleisten, wenn durch die Richtlinie verdachtslos Telekommunikationsdaten von allen Bürgern auf mindestens sechs Monate gespeichert werden? Allein diese Tatsache würde schon einen erheblichen und grundrechtsrelevanten Eingriff in die Rechte der Bürger darstellen. Er fordert sie weiterhin auf, alle Gutachten und Schriftstücke, die auf europäischer Ebene dazu bestehen, den Oppositionsfraktionen zur Überprüfung zu übersenden.

7) Brigitte Zypries (Bundes­mi­nis­terin der Justiz)

verweist darauf, dass sich die Speicherung der Daten nur auf Verkehrs- und Standortdaten nicht aber auf den Inhalt der Daten bezieht. Die Bürger seien sich heutzutage darüber im Klaren, dass diese Daten gespeichert werden, auch wenn dies aufgrund der noch bestehenden Rechtslage nur zu Abrechnungszwecken erfolgt. Dass diese Daten im Wege eines Strafverfahrens auch an die Ermittlungsbehörden übersandt werden, sei ebenfalls bekannt. Sie betont nochmals ausdrücklich, dass es keinen Grund für eine Klageerhebung vor dem EuGH gäbe.

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