Ansprache des HU-Bundesvorsitzenden Dr. Till Müller-Heidelberg
Die Humanistische Union verleiht den Fritz-Bauer-Preis:
Mitteilungen Nr. 166, S. 38
… ich begrüße Sie alle ganz herzlich zur Übergabe des Fritz-Bauer-Preises der Humanistischen Union 1999 und darf mich zunächst bei der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Frau Limbach, ebenso herzlich bedanken für ihre Begrüßungsworte und für die Möglichkeit, daß wir diese Preisverleihung heute im Bundesverfassungsgericht, am Sitz des Rechts vornehmen können, was für eine Bürgerrechtsorganisation, die seit bald 40 Jahren für die Einhaltung und den Ausbau der Grundrechte und des Rechtsstaates kämpft, von besonderer Bedeutung und Symbolkraft ist.
Die Humanistische Union, die älteste Bürgerrechtsorganisation Deutschlands, verleiht heute den Fritz-Bauer-Preis an Frau Helga Seibert. Leider kann ich den Preis heute Frau Seibert nicht persönlich überreichen. Mir ist aber nachdrücklich von mehreren Seiten versichert worden, wie sehr Frau Seibert, die so ganz unprätentiöse Verfassungsrichterin, sich gefreut hat, als ich ihr im Februar dieses Jahres als Bundesvorsitzender der Humanistischen Union den Fritz-Bauer-Preis angetragen und sie gebeten habe, ihn anzunehmen. Deshalb haben wir uns im Einvernehmen mit ihrer Familie und ihrem beruflichen Umfeld, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts und seiner Präsidentin Frau Limbach, entschlossen, dennoch heute diese Preisverleihung vorzunehmen und den Preis ihrem Bruder, Herrn Dr. Gerhard Seibert, zu überreichen.
Der ideelle Preis ist benannt nach Fritz Bauer, dem früheren hessischen Generalstaatsanwalt, und wird verliehen an Frauen und Männer, die sich besonders für Gerechtigkeit und Menschlichkeit eingesetzt haben. Wieso ist ein solcher Preis benannt nach einem Generalstaatsanwalt? Wieso wird er heute erstmals an eine ehemalige Bundesverfassungsrichterin verliehen? Was hat die heutige Preisträgerin gemeinsam mit ihren Vorgängerinnen und Vorgängern.
Fritz Bauer wurde 1933 als jüngster Richter in Deutschland wegen seiner Nazigegnerschaft aus dem Justizdienst entlassen, während die große Masse der deutschen Richterschaft mit den neuen Machthabern gut zurecht kam. Fritz Bauer fiel aus dem Rahmen. Als er 1961 als hessischer Generalstaatsanwalt zu den Mitgründern der ersten Bürgerrechtsorganisation in Deutschland, der Humanistischen Union, gehörte, war auch das nicht typisch für einen deutschen Staatsanwalt. Und als er mit Energie und gegen viele Widerstände in Frankfurt den Auschwitz-Prozeß durchsetzte, ging es ihm in erster Linie darum, dieses Schandmal nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, es allen bewußt zu machen, aufzuklären. Ein Strafprozeß als Instrument der Aufklärung, der gesellschaftlichen Entwicklung, und nicht in erster Linie zum Zwecke der Bestrafung auch das war ungewöhnlich. Die Höhe der Bestrafung war Fritz Bauer relativ gleichgültig. Eher im Gegenteil. In seiner Amtszeit war ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit als Generalstaatsanwalt die Humanisierung des Strafvollzugs.
Deshalb verleiht die Humanistische Union den Fritz-Bauer-Preis an Frauen und Männer, die aus dem Rahmen fallen, die gegen den Strich bürsten, die sich für Gerechtigkeit und Menschlichkeit einsetzen schlimm genug, daß letzteres häufig schon automatisch als aus dem Rahmen fallend gilt.
Wenn sich heute mit Frau Seibert erstmals eine Bundesverfassungsrichterin in die Liste der Fritz-Bauer-Preisträger einreiht, so stellt sich die Frage, was verbindet sie? Das Verbindende ist wie schon eben beim Namensgeber des Preises gezeigt das Handeln gegen den Trend, der Einsatz für Menschlichkeit und Gerechtigkeit, für Minderheitsgruppen, für die Schwachen. Wie ich es bei den letzten Preisverleihungen formuliert habe und heute schon aus Gründen der Kontinuität wiederholen möchte: Das Gemeinsame ist das Streben, eine gerechte menschliche Gesellschaft zu schaffen.
Hier reiht sich die heutige Preisträgerin würdig ein. Im einzelnen wird dies die Laudatorin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, darstellen. Dies ist immer die schwierige Abgrenzung zwischen Laudatio und Preisbegründung. Aber eins läßt sich schon jetzt feststellen: Während sich seit langem, von den Bürgerrechtsorganisationen überwiegend vergeblich bekämpft, ein Trend zum Abbau und zur Einschränkung von Grundrechten feststellen läßt, hat Frau Seibert in ihrem Arbeitsgebiet Familienrecht, Kindschaftsrecht, Gleichstellung gegen diesen allgemeinen Trend einen Ausbau und eine Vertiefung der Grundrechte erreicht. Und dabei hat sie sich nicht nur auf Artikel, Paragraphen und Dogmatik gestützt, sondern die soziale Wirklichkeit in den Blick genommen, weil es bei Rechtsprechung eben um Menschlichkeit und Gerechtigkeit zu gehen hat. In meinem Brief an Frau Seibert mit der Bitte, den Fritz-Bauer-Preis anzunehmen, habe ich geschrieben: Diese mit Ihrer Rechtsprechung erzielte Wirkung der Reformen im Ehe- und Kindschaftsrecht stellt für uns Bürgerrechtsarbeit im besten Sinne dar.
Deshalb überreicht die Humanistische Union heute stellvertretend für die Preisträgerin an ihren Bruder Dr. Gerhard Seibert den Fritz-Bauer-Preis, und wenn ich Ihnen nunmehr das Bildnis von Fritz Bauer und die Preismedaille überreiche, so möchte ich das darauf eingravierte Zitat von Fritz Bauer verlesen:
Gesetze sind nicht auf Pergament, sondern auf empfindliche
Menschenhaut geschrieben.
(Fritz Bauer, 1903 1968)
Ein Satz, den jeder Gesetzgeber und jeder Richter permanent bedenken sollte, wie es Frau Seibert vorbildhaft und preiswürdig getan hat.