„Rückkehr zum demokratischen freiheitlichen Rechtsstaat“ Forderungen zur Innenpolitik an die neue Bundesregierung*
Humanistische Union veröffentlicht Memorandum:
Mitteilungen Nr. 166, S. 36
Die neue Regierungsmehrheit ist 1998 nicht zuletzt deswegen zustande gekommen, weil engagierte Bürgerrechtler in ihr die letzte Chance gesehen haben, zur Grundrechtsordnung, wie sie die Verfassungsschöpfer von 1949 gedacht und gewollt haben, zurückzukehren. Nicht der weitere Abbau der Grundrechte, sondern die Wiederherstellung unveräußerlicher Menschenrechte unter anderem auf dem Gebiet der Polizei und der Geheimdienste kennzeichnet den „starken“ Staat, wie ihn die Verfassungsschöpfer verstanden haben.
Seit 1968 – mit der Einführung der Notstandsverfassung, der Beschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses und der Rechtsschutzgarantie – sind die Freiheitsrechte der Bürger kontinuierlich zum Zweck vermeintlich größerer „Sicherheit“ reduziert worden. „Sicherheit“ läßt sich in einer auf Vorteil bedachten Gesellschaft leicht und eingängig als Minimalisierung der allgemeinen und besonderen Lebensrisiken propagieren und als Bedürfnis vermarkten. Wer sich dabei als kompetenter Helfer zu profilieren versteht, gewinnt die Zustimmung der Menge, ihre Stimmen und damit die Macht zur Einführung und Nutzung „schärferer“ Machtmittel. Daß es hauptsächlich um die Macht im Staate geht und daß die Verfassung uns zuvörderst vor jener Macht und ihren Risiken schützen will, wird vergessen oder als überholt geleugnet, obwohl die Entscheidungsbände des Bundesverfassungsgerichts die Notwendigkeit der Machtbeschränkung, insbesondere zum Schutz der Minderheiten vor den Mehrheiten, nachdrücklich belegen. Die zunehmende Kritik am Bundesverfassungsgericht von Seiten der Mächtigen unterstreicht dies anschaulich.
Gäbe es wieder mehr Freiheit, mehr Toleranz und mehr Anständigkeit bei der Schaffung und Anwendung des Rechts, wäre die Arbeitsflut beim Bundesverfassungsgericht geringer und das Grundgesetz als Aufgabe des Rechts – im Sinne von Adolf Arndt – eher „erfüllt“.
Auf diesem Weg zur Freiheitsordnung müssen zunächst alle „Feindbilder“ überwunden werden, die seit jeher als Vehikel dienen, um die Forderung nach „Waffengleichheit“ zu begründen. Der Staat kann nicht zum „besseren“ Terroristen oder Umweltgangster werden. Man kann nicht mit Methoden des Unrechts Recht schaffen. Es bedarf auch nicht der Mittel des Bürgerkrieges, wenn die überwältigende Mehrheit des Volkes „Recht und Freiheit“ will. Folglich bedurfte es nicht der „Isolierung“ Verdächtiger, die ohne jeden Rückhalt im Publikum mit Attentaten die Welt verändern wollten. Es galt, sie zu fassen und – wie jeden Kriminellen – vor Gericht zu stellen. Dazu bedurfte es keiner „Kontaktsperre“, keiner Verteidigerbegrenzung und keiner „Kronzeugenregelung“, die nichts anderes war und ist als der Versuch, Mitwisser zu kaufen und zu korrumpieren. Bereits die Constitutio Criminalis Carolina des Jahres 1532 hat „belonte Zeugen“ ausdrücklich „verworffen“ und geboten, sie „peinlich zu strafen“. Auch noch der Code d‘Instruction Criminelle, vor bald 200 Jahren in westlichen Teilen Deutschlands geltend, schloß belohnte Denunzianten von der Vernehmung als Zeugen aus. Der Gesetzgeber vergangener Zeiten, im angeblich so finsteren Mittelalter, wußte warum. Die Gegenwart hat es vergessen und verändert Strafprozeß- und Polizeirecht.
Der vor 120 Jahren reformierte Strafprozeß, der zur Sicherung der Menschenrechte aller Beteiligten den Maximen der Fairness und Offenheit folgen soll, verträgt keine geheimen Ermittlungs- und unsittlichen Überführungsmethoden, weder im Strafprozeßrecht noch im Polizeirecht, welches allzuoft, wenn die Strafprozeßordnung „hinderlich“ erscheint, im Wege des Etikettenschwindels und zum angeblichen Zweck der Prävention benutzt wird, um Schranken des Ermittlungsverfahrens nach StPO zu unterlaufen.
Deswegen muß auch das Lauschen in Wohnungen Unverdächtiger, gleichgültig, ob nach StPO oder dem Polizeirecht, ebenso unterbleiben wie das Operieren mit „Schattenmännern“, also mit Polizisten, die sich mit Legenden und falschen Papieren, also mit Lug und Trug in das Vertrauen von jedem einschleichen sollen, der zur Aufklärung des Verdachtes beitragen könnte. Der falsche Prokurist, Bürovorsteher, Journalist oder Anwalt mag im Einzelfall „erfolgreich“ sein, aber er dient nicht dem Recht, sondern nur einem unrechtmäßigen Vorteil.
Das Täuschen im Rechtsverkehr wird nicht deshalb bestraft, weil jemand besonders geschützt werden muß, sondern weil die Täuschung des Redlichen in einer auf Redlichkeit angelegten und angewiesenen Gesellschaft zutiefst asozial und verwerflich ist. Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist dies ebenso dokumentiert wie im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Das Täuschungsverbot gilt auch für alle Gerichtsverfahren. Ein Zeuge, der nicht seinen wahren Namen sagt, macht sich ebenso – gegebenenfalls sogar des Meineides – strafbar wie jener, der zur Sache falsch aussagt. Aber der „verdeckte Ermittler“, wie der Geheimagent verschämt und zur Verschleierung seiner unseriösen Aufgabe genannt wird, soll jedermann, sogar das Gericht, über seine Identität belügen dürfen. Roxin sagt in seinem Standardlehrbuch des Strafrechts zurückhaltend eindeutig, daß diese Ermittlungsmethode eine „Ausnahme vom Täuschungsverbot“ ( § 136 a StPO) schaffen solle, aber das Problem damit „nicht abschließend geklärt“ sei. Der Widerspruch zum Anspruch auf ein „rechtsstaatliches Verfahren“ nach Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist ebenso offenkundig wie die Unvereinbarkeit der Methode mit dem Gebot zur Achtung der Menschenwürde nach Art. 1 des GG, wie sie von Immanuel Kant definiert und von den Grundgesetzschöpfern gedacht worden ist.
Es wäre für eine Regierungsmehrheit, die zur Wiederherstellung der Grundrechtsordnung berufen ist, vordringlich zu erwarten, daß sie sowohl das Strafprozeßrecht, den besten Seismographen des Rechtsstaates als auch das Polizeirecht wieder neu justiert. Daher ist das Bundespolizeirecht auf die Aufgabe der Gefahrenabwehr zurückzuführen und jegliche Ausforschung „zur besseren Kriminalitätsbekämpfung“ zu unterbinden. Die Polizei hat niemanden zu „bekämpfen“, sondern akute Rechtsgutgefahren abzuwehren, bis die zuständigen Instanzen die Konfliktregelung übernehmen können.
Der als Kellner, Sanitäter oder Bordmechaniker verkleidete Polizist wird zur Lebensrettung nach wie vor nötig sein, aber als Perspektivagent, der auf lange Sicht jemanden „beschatten“ soll, der im Geruch illegalen Treibens steht, liegt sein Tun jenseits der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten. Er operiert nämlich im Vorfeld von Gefahr und Verdacht und damit in jenem Freiheitsbereich, in dem jedermann „vom Staat in Ruhe zu lassen“ ist. Nur wer eine Gefahr für andere schafft, kann – neben dem Nothelfer – „polizeipflichtig“ sein. Dieses seit dem Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 geltende Prinzip hat in Art. 2 I i.V.m. Art. 1 GG Verfassungsrang erhalten (BVerGE 27,1 und 65, 1).
Zur Menschenwürde gehört die Autonomie. Ohne sie kann keine Willens- und Handlungsfreiheit gedacht werden. Das Risiko sozialschädlichen Verhaltens ist also unvermeidbar. Soll aber die Freiheit vorrangig erhalten bleiben, dann kann nur dem Mißbrauch im Einzelfall entgegen getreten werden und nicht vorher, nicht vor jeglichem Indiz für ein sozialschädliches Verhalten. Folglich hat jedermann bis dahin das Recht zur Selbstbestimmung, also auch zur Bestimmung dessen, was andere über sein Denken, Tun und Aussehen wissen dürfen.
Mit diesem Menschenbild des Grundgesetzes, wie es das Verfassungsgericht beschrieben hat, vertragen sich keine vorsorglichen Ausforschungen oder – wie es im Sprachgebrauch der Polizeioberen heißt – „Initiativermittlungen“, die auf eine präventivpolizeiliche Beschattung bis zur strafprozessualen Überführung zielen. Hier wird deutlich, wie mit dem angeblich präventiv auch ohne konkrete Gefahr einsetzbaren Polizeirecht unter Umgehung der Vorschriften der Strafprozeßordnung Erkenntnisse gesammelt werden, die letztendlich später, wenn es möglicherweise zu einer Straftat gekommen ist, als Erkenntnisse im Strafverfahren verwertet werden, obwohl sie in einem Ermittlungsverfahren nie hätten gewonnen werden können und dürfen. Dieser tagtägliche Etikettenschwindel muß beendet werden durch Rückführung des Polizeirechts weg von der diffusen Verdachtsschöpfung (die eo ipso rechtlich nicht greifbar und folglich auch nicht eingrenzbar ist) auf die Gefahrenabwehr.
Deshalb darf auch kein Unverdächtiger Objekt heimlicher Ausspähung sein. Für den Arbeitsbereich der Geheimdienste hat das Bundesverfassungsgericht im berühmten Abhörurteil (BVerfGE 30, 1/22f.) deswegen ausdrücklich festgestellt, daß „die durch die Überwachung erlangte Kenntnis anderen (Verwaltungs-) Behörden für ihre Zwecke“ nicht „zugänglich gemacht“ werden darf. Es sollte niemand durch die staatsnotwendige Geheimdienstarbeit im Vorfeld von Gefahr und Verdacht persönliche Nachteile erleiden. Diese Eingriffsschwelle kann auch nicht dadurch umgangen werden, daß durch den Gesetzgeber – wie in Bayern – dem Verfassungsschutz die Hilfe für die Strafverfolgungsbehörden als Aufgabe zugewiesen wird oder der Polizei selber kurzerhand geheimdienstliche Befugnisse im Gefahrenvorfeld eingeräumt werden. Zwar werden in den meisten Polizeigesetzen für die Methodenwahl „Tatsachen“ verlangt, die auf Tatabsicht schließen lassen, aber wenn dieser subjektive Schluß als Eingriffsvoraussetzung genügt, verbindet sich die Befugnismacht allzu leicht mit dem Ziel der Überführung aus der Gedankenwelt der „Kriminalitätsbekämpfung“, wobei Polizeirecht und Strafprozeßrecht als sich ergänzende Mittel zum Schutz der „Inneren Sicherheit“ mißverstanden werden.
Dieses Mißverstehen liegt auch den Versuchen zugrunde, eine Zusammenarbeit von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz (im G-10-Gesetz und im Bayerischen Verfassungsschutzgesetz) mit Polizei und Staatsanwaltschaften auf dem Gebiet der sog. Organisierten Kriminalität zu legalisieren. Die Geheimdienste werden verfassungswidrig als strafprozessual und polizeilich einsetzbare „Sicherheitsbehörden“ betrachtet. Das Ermittlungsverbot gegen Unverdächtige und das der Gleichbehandlung dienende Legalitätsprinzip sowie das Verbot der Beweismittelunterdrückung (durch das Geheimhalten von Quellen) werden außer Acht gelassen.
Das einzige Mittel, solche Irrtümer oder Mißbräuche auszuschließen, liegt in der konsequenten Abschaffung solcher Zusammenarbeitsmöglichkeiten, der strikten Trennung von geheimdienstlicher Aufklärungsarbeit, polizeilicher Präventionsarbeit im Gefahrenfall und strafprozessualer Ermittlungsarbeit bei einem konkreten Tatverdacht.
Darüber hinaus sind alle Methoden aus dem Arsenal der Geheimdienste (wo sie ihre spezifische Bedeutung haben) anderen Behörden zu untersagen. Wie im Strafprozeß ist auch im Polizeirecht der verdeckte Ermittler ersatzlos abzuschaffen. Bei einer erkannten Gefahr ist er überflüssig, und im Vorfeld einer Gefahr hat die Polizei ohnehin nichts zu suchen. Die Beschattung eines Menschen, dem die Polizei zutraut, daß er Strafbares tun wird, ist verbotene Ausforschung, ein Eingriff in die psychische Integrität, also ein Verstoß gegen Art. 1 des Grundgesetzes.
Darüber hinaus ist die Methode der „Fallenstellerei“ (Adolf Arndt) sittenwidrig im Sinne von Art. 2 Grundgesetz, auch wenn ein Polizist sich der Methoden von Lug und Trug bedient.
Die noch geltenden Ermächtigungen zu solchem Staatsunrecht gehen auf einen sogenannten Musterentwurf für bundeseinheitliche Polizeigesetze zurück, der vor mehr als 20 Jahren unter Beteiligung des Bundes erstellt worden war. Ebenso könnte der Bund wiederum an einer Reform mit dem Ziel einer Rücknahme geheimdienstlicher Methoden im Polizeibereich arbeiten. Denn verdeckte Ermittler müssen zwangsläufig tatbestandsmäßige Straftaten begehen, angeblich nur im unteren strafrechtlichen Bereich, wenn sie nicht auffallen wollen. Alle Rechtfertigungsversuche hierfür ändern aber nichts an dem Tatbestand, daß wir damit „beamtete Straftäter“ haben – eine für einen Rechtsstaat unerträgliche Konstruktion, die das notwendige Vertrauen zwischen Bevölkerung und Polizei zerstört.
Zu dieser Reform würde im Bundesrecht selber die Streichung der Heimlichkeitsbefugnisse in 23 II des Bundeskriminalamtsgesetzes und in §28 II des Bundesgrenzschutzgesetzes gehören, wo neben der Observation über Tage hinweg auch das heimliche Fotografieren und Abhören und der Einsatz von privaten Geheimagenturen gestattet sind. Diese Mittel sind für die schutzpolizeiliche Aufgabenerfüllung des Bundes unnötig und als Surrogat für das Fehlen strafprozessualer Ausforschungsbefugnisse ohnehin unzulässig.
Das Verbot von Ermittlungen ohne konkreten Verdacht gemäß §152 II der Strafprozeßordnung läßt die Verwertung von polizeilichen Vorfelderforschungen ohnehin nicht zu. Ebenso sind die Heimlichkeitsbefugnisse des Zollkriminalamtes zu revidieren.
Ein besonderes Ärgernis für die Bürgerrechtsbewegungen sind die neuen Befugnisse zur Kontrolle von Jedermann auch wenn gegen ihn oder sie nichts vorliegt. Diese von Bayern im Jahre 1995 geschaffene Polizeibefugnis hat zu entsprechenden Regelungen in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen geführt. In anderen Ländern sind solche Versuche zur Einführung der vom damaligen Bundesinnenminister so genannten „Schleierfahndung“ gescheitert, weil diese polizeirechtlich ausgestaltete Befugnis zum Zugriff auf jedermanns Privatheit und Integrität, um leichter gesuchte Personen zu finden, im Grunde eine Fahndung im Sinne der Strafprozeßordnung darstelle, die – wenn sie zulässig wäre – nur in der Strafprozeßordnung zu regeln sei. Aber auch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Strafverfahrensrecht und das Verfahrensrecht des Bundesgrenzschutzes ermächtigt nicht zur Einführung einer Kontrollbefugnis gegenüber jedermann, der sein Haus verläßt und auf Reisen geht.
Polizeipflichtig kann nur derjenige sein, der eine latente Gefahr – etwa als Kraftfahrzeugführer oder Kraftwerksbetreiber – oder eine akute Gefahr – als Rechtsstörer – herbeiführt. Die Annahme einer weitergehenden oder totalen Sozialpflichtigkeit setzt gedanklich voraus, daß jedermann ein Verbrecher oder Verdächtiger sein könnte. Darin liegt ein Verstoß gegen das vom Bundesverfassungsgericht immer wieder herausgearbeitete Menschenbild des Grundgesetzes, wonach bis zum Beweis des Gegenteils vom rechtstreuen Bürger auszugehen ist, der Subjekt und nicht Objekt staatlichen Handelns ist, und ein latenter Eingriff in die psychische Integrität von jedermann, wie der frühere Bundesinnenminister und Präsident des Bundesverfassungsgerichts Benda im Handbuch des Verfassungsrechts diesen Angriff auf die Menschenwürde beschrieben hat.
Folglich hat der Bund vordringlich die neue Befugnis zur Jedermannkontrolle durch den Bundesgrenzschutz außerhalb des Grenzgebietes, wie sie seit dem 1. Oktober 1998 gilt (§23 I i.V.m. §44 BGSG), ersatzlos wieder zu streichen. Gleiches gilt für die analogen Länderbefugnisse (Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG; §26 Abs. 1 Nr. 6 PolG B-W; §29 Abs. 1 Nr. 5 SOG M-V; §19 Abs. 1 Nr.5 Sachs PolG; §14 Abs.1 Nr. 5 ThürPAG). Niemand schuldet dem Staat seine Freiheit zur Erleichterung der Polizeiarbeit. Dies gilt erst recht, wenn es um eine grundrechtsbeschränkende Mitarbeit ohne jede Voraussetzung geht. Die Bürger wollen nicht in einem Polizeistaat leben, wo jede Bewegung unter Polizeivorbehalt steht und jeder nach Gutdünken der Polizeioberen kontrolliert werden kann. Dies anders zu sehen und zu betreiben, pervertiert die Freiheitsordnung zu einer Sicherheitsordnung, die am Ende das freie Atmen unmöglich macht, weil das Streben nach einer nie erreichbaren Sicherheit zwangsläufig in einem Sykophantenstaat enden muß, wie ihn Adolf Arndt hellsichtig genannt hat.
Dem Staat ist ein vorgreifliches Mißtrauen – anders als dem Bürger in einer Demokratie – nicht erlaubt. Der offen oder heimlich überwachte Bürger wird am Ende auf „lauter Fallen gefaßt sein und niemandem mehr Vertrauen entgegen bringen“ (Arndt). Dies mögen die Mächtigen nicht planen, aber ihr permanentes Sicherheitsversprechen wird sie – wie bisher – zu immer mehr Grundrechtsbeschränkungen und damit zu immer weniger Freiheit für alle führen. Hier sind Mut und Standfestigkeit gefordert, um jene Verfassungstreue zu zeigen, die das Bundesverfassungsgericht im sogenannten Extremistenbeschluß von 1975 (BVerfGE 39, 334) nicht nur für Außenseiter definiert hat. Es gilt, auch dem staatlichen Verfassungsverrat zu widerstehen.
Die amtierende Regierungsmehrheit wird sich an diesen grundrechtlichen Vorgaben messen lassen müssen. Wenn der Präsident des Bundesgerichtshofes Geiß „von der neuen Regierung erwartet, daß das Gewicht des Rechts und des Rechtsstaates wieder den ihm zustehenden Rang zurück erlange und daß in der Rechtspolitik statt des Kosten-Nutzen-Denkens wieder Gerechtigkeit und Qualität der Rechtsprechung im Mittelpunkt der Bemühungen stünden“, und wenn die Bundesjustizministerin in ihrem ZEIT-Gespräch im Januar 1999 dasselbe ausführt mit dem Satz „zur Demokratie gehören Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit“, so ist dem nichts hinzuzufügen – und dies gilt auch für das Innenressort.
Es geht nicht um das vermeintliche Recht auf Sicherheit, sondern um die Sicherheit des Rechts in einer demokratischen Freiheitsordnung.
Prof. Dr. Hans F. Lisken, Dr. Till Müller-Heidelberg
*Dieses Memorandum wurde federführend erstellt von dem früheren Polizeipräsidenten, Beirat und Fritz-Bauer-Preisträger, Prof. Dr. Hans F. Lisken kürzlich an den Bundesminister des Innern, Otto Schily, sowie weitere HU-Mitglieder in Kabinett und Bundestag, den Innenausschuß, die Innenminister der Länder sowie weitere InnenpolitikerInnen zugeleitet.
Unter dem selben Titel: „Rückkehr zum demokratischen freiheitlichen Rechtsstaat“ wurde Ende März ein umfangreiches Memorandum mit „Forderungen zur Rechtspolitik an dieselben AdressatInnen in Regierung und Bundestag sowie weitere RechtspolitikerInnen versendet. Letzteres wurde als gemeinsames Memorandum der Gustav Heinemann-Initiative und der Humanistischen Union erstellt, von der HU-Beirätin und Sprecherin der GHI, Dr. Ilse Bechthold in Abstimmung mit dem HU-Bundesvorsitzenden und ebenfalls vom HU-Bundesvorstand beschlossen.
Dieses Memorandum zur Rechtspolitik läßt sich leider nicht in den Mitteilungen abdrucken. Es kann gerne angefordert werden in der HU-Bundesgeschäftsstelle. mail: hu@ipn-b.de
Erste Reaktionen zeigen übrigens, daß beide Papiere „angekommen“ sind, wobei abzuwarten bleibt, in welchem Umfang unsere Forderungen auch politisches Gehör finden (T.B.)