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Für ein Forum zur juris­ti­schen Zeitge­schichte

Mitteilungen16606/1999Seite 52

Leserbrief zum Plädoyer für ein Forum zur juristischen Zeitgeschichte:

Mitteilungen Nr. 166, S. 52

Zum Plädoyer für ein Forum zur juristischen Zeitgeschichte von Helmut Kramer, erschienen in den Mitteilungen, Nr. 165 vom März 1999, Seite 4, äußert HU-Mitglied Dr. Emmerich, Schwerin, seine Sicht der Dinge:

Helmut Kramer bricht eine Lanze für die Staats- und Rechtsgeschichte allgemein. Dafür habe ich volles Verständnis. Völlig unverständlich ist es aber für mich, daß er mit der heute üblichen Selbstverständlichkeit Nazi-Faschismus und „SED-Justiz“ unter dem Dach des sogenannten Unrechtsstaates subsummiert. Gab, gibt es überhaupt einen Unrechtsstaat? Wer bestimmt das? Hat ein Staat das Recht, über das Recht eines anderen Recht zu sprechen? Kann das Recht der DDR rückwirkend, mit den Maßstäben des einzig möglichen deutschen Rechtsstaates, der BRD, uminterpretiert werden? Warum gelten die Grundrechte für ehemalige DDR-Hoheitsträger nur eingeschränkt (Artikel 103 Absatz 2)? Hat das Institut der Verjährung seine innerdeutsche Bedeutung für den Osten verloren? Warum kann ich als ehemaliger DDR-Staatsbürger rückwirkend bis zum 12.10.1949 (neunundvierzig) strafrechtlich verfolgt werden? Gibt es nicht Gründe genug, von „Siegerjustiz“, Siegermentalität, Rentenstrafrecht zu sprechen?
Selbstverständlich sind diese und viele andere Fragen mit den Gesetzen und rechtsstaatlichen Entscheidungen, unter anderem des Bundesverfassungsgerichts so zu beantworten. Wodurch unterscheidet sich dieser „Rechtsstaat“ nun vom „Unrechtsstaat“? Ich stimme mit Helmut Kramer dann voll überein, wenn er gerade am Beispiel auch dieser Rechtskatastrophe, die nach dem Beitritt/Anschluß der DDR gemäß Artikel 23 GG (alt) über die ehemaligen DDR-BürgerInnen und ihre Hoheitsträger hereinbrach, nachweist, daß rechtsgeschichtliche Aufarbeitungen notwendig sind. Zumal Helmut Kramer nicht zufällig auf die „latent fortbestehenden Gefahren“ verweist. Ja, auch ich bin dafür, ein entwickeltes Wissen und Rechtsgefühl zu entwickeln und für den Rechtsstaat einzutreten. Das einem Strafrentner oder einem Antragsteller auf Vertriebenenzuwendung in Neufünftland zu erklären, der „vor oder nach dem Ende“ des faschstischen Raubkrieges „einem totalitären System erheblich Vorschub geleistet oder durch sein Verhalten gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen“ hat, ist eben das eigentliche Problem. Vom Rentenunrecht ist jeder ehemalige DDR-Bürger betroffen. Seine Lebensarbeitsleistung wird einfach niedriger bewertet (Entgeltpunkte Ost). Viele der Vertriebenen waren zum Zeitpunkt der Vertreibung Kinder oder Jugendliche. Warum kann bei denen, die in der DDR bei ihren Eltern blieben, ihre Tätigkeit in der DDR und für den Staat DDR als Ausschlußtatbestand ausgelegt werden?

Dr. Klaus Emmerich

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