Publikationen / Mitteilungen / Mitteilungen Nr. 243

Strikte Beweis­ver­wer­tungs­ver­bote – Ein Gebot des Rechts­s­taats

Mitteilungen24310/2020Seite 13 - 14

In: Mitteilungen 243 (03/2020), S. 13 – 14

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vom 14. März 2018 heißt es unter der Überschrift „Pakt für den Rechtsstaat“ im Unterpunkt „Verfahrensrecht“, dass die Koalitionsparteien „die systematische Kodifizierung der Regeln zur Zulässigkeit von Beweiserhebung und -verwertung“ prüfen wollen. Bislang gibt es hierzu keine grundsätzliche gesetzliche Regelung. Vielmehr entscheidet die Rechtsprechung im Einzelfall, indem sie eine Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse und dem Gewicht des Verfahrensverstoßes vornimmt. Das Ergebnis dieses Abwägungsprozesses ist nahezu nie voraussehbar.

Ein Arbeitskreis der Humanistischen Union hat zur dieser Problematik das Memorandum „Strikte Beweisverwertungsverbote – Ein Gebot des Rechtsstaats“ erarbeitet und einen konkreten Gesetzesvorschlag für einen neuen § 244a StPO vorgelegt. Im Sommer dieses Jahres hat die Bundesgeschäftsstelle die Ministerin und alle Mitglieder des Rechtsausschusses angeschrieben und ihnen das Memorandum und den Gesetzesvorschlag übersandt. Die Ministerin ließ durch ihre Staatssekretärin Frau Dr. Margareth Sudoff antworten, dass man sich in ihrem Hause der Problematik sehr bewusst sei und derzeit eine gesetzliche Regelung der Beweisverwertung prüfe und die „Ausführungen zur Thematik sowie lhren Formulierungsvorschlag für ein allgemeines umfassendes Verwertungsverbot […] in die Prüfung einbeziehen wird.“

Wir drucken hier die Einleitung des Memorandums ab – der vollständige Text kann auf der Homepage der HU nachgelesen oder heruntergeladen werden [URL].

Strikte Beweisverwertungsverbote – Ein Gebot des Rechtsstaats

I. Einleitung

Es ist keine neue Erkenntnis, dass auch die grundsätzlich rechtsstaatliche Ordnung eines Staates in der Praxis der Strafverfolgung Rechtsverletzungen durch Organe des Staates nicht ausschließt (Grünwald, JZ 1966, 489). Das Strafprozessrecht hat deshalb neben der Funktion der Ordnung des Strafverfahrens vor allem auch die Funktion der Begrenzung der Strafverfolgung im Interesse der Rechtsstaatlichkeit und des Grundrechtsschutzes (Grünwald, a.a.O).   Die Erforschung des Sachverhalts und die Bestrafung des Täters soll im Rechtsstaat eben nicht um jeden Preis erfolgen (BGHSt 14, 358), sondern nur auf dem vorgeschriebenen Weg. Deshalb ist ein Angeklagter nicht nur dann freizusprechen, wenn seine Schuld (mangels Beweisen) nicht erwiesen ist, sondern auch dann, wenn der Nachweis seiner Schuld nicht auf prozessordnungsgemäßem Weg geführt werden kann, weil keine in prozessordnungsgemäßem Verfahren zustande gekommen Beweise vorliegen (Wohlers, StV 2008, 434).

Das Gesetz enthält zu dem Konflikt zwischen Strafverfolgungsinteresse und den (Grund-) Rechten des Angeklagten und aller Bürger, deren Ausdruck die Beschränkungen der Strafverfolgung in der StPO sind, indem diese die Zulässigkeit bestimmter Maßnahmen (wie etwa eine Telekommunikationsüberwachung oder eine Wohnungsdurchsuchung) an die Einhaltung gesetzlicher Hürden knüpft, nur ganz rudimentäre Regelungen für bestimmte Einzelfälle (namentlich § 136a Abs. 3 S. 2 StPO im Fall der Folter). Damit überlässt das Gesetz die Verantwortung für die Frage, wann aus einem Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften bei der Beweisgewinnung die Unverwertbarkeit dieses Beweises im Prozess folgt – mithin auf einem für den rechtsstaatlichen Strafprozess zentralem Gebiet – nahezu vollständig den Strafgerichten und – bis einschließlich zur Anklageerhebung – den Staatsanwaltschaften.
Das Auftreten neuer Ermittlungsmethoden (bedingt durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse z.B. auf dem Gebiet der DNA-Analyse) und die beständige Fortentwicklung der technischen Möglichkeiten zur Kommunikation und deren Überwachung (man denke an den gesamten Bereich der Kommunikation über das Internet und über Mobiltelefone) führen dabei auch zu neuen Rechtsfragen auf dem Gebiet der Beweisverwertung (Vgl. bereits Grünwald, a.a.O) Unabhängig von diesen Entwicklungen scheint der Rechtsprechung in den vergangenen Jahrzehnten die Sensibilität für die oben genannten Fragen nahezu vollständig abhandengekommen zu sein (vgl. unten II. 2.). Eine Gesamtschau der jüngeren Rechtsprechung ergibt das Bild einer Verabsolutierung des Strafverfolgungsinteresses (vgl. Dallmeyer, HRRS 2009, 429, 430; vgl. auch bereits Grünwald, a.a.O).

Diese für den Rechtsstaat allgemein und für die (Grund-) Rechte der Bürger bedenkliche Entwicklung kann nur durch eine längst überfällige allgemeine gesetzliche Regelung über die Beweisverwertungsverbote in einen rechtsstaatskonformen Zustand überführt werden (unten V.).

nach oben