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Publikationen / Mitteilungen / Mitteilungen Nr. 253

Editorial

Mitteilungen25302/2025Seite 1-4

Das Problem, das persönliche Problem war doch nicht etwa, was unsere Feinde taten, sondern was unsere Freunde taten.

(Hannah Arendt)

Liebe Mitglieder der Humanistischen Union,

unser Verband steht in der Tradition unseres Gründungsmitglieds Fritz Bauer, der sich in den 1950er und 1960er Jahren, gegen erhebliche Widerstände, mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinandersetzte und bestrebt war, sie vor Gericht zu bringen. Dass ihm das mit den Frankfurter Auschwitz-Prozessen gelang, bleibt eins seiner großen Verdienste. Zeit seines Lebens wurde sein Engagement aber kaum honoriert; dass er niemals das Bundesverdienstkreuz erhielt, ist fast nicht zu glauben. Erst 2022, über 50 Jahre nach seinem Tod, wurde ihm die Wilhelm-Leuschner-Medaille, die höchste Auszeichnung des Landes Hessen, verliehen. Dass mit dem aktuellen Hessischen Ministerpräsidenten ein Angehöriger ausgerechnet der politischen Partei die Laudatio hielt, die immer wieder versucht hat, die antifaschistische Arbeit Fritz Bauers zu behindern, gehört wohl zu den vielen Absurditäten der bundesrepublikanischen Geschichte.

Am 27. Januar 2025 jährte sich die Befreiung von Auschwitz durch sowjetische Truppen zum 80. Mal. Und so gab es auch im Deutschen Bundestag eine Gedenk-stunde, in der an die furchtbaren Verbrechen von Auschwitz erinnert wurde. Doch nur wenige Stunden später passierte an gleicher Stelle etwas, das die Frage aufwirft, ob alle Mitglieder des Bundestags wirklich verstanden haben, worum es bei dieser Gedenkstunde ging, ob nicht solche Gedenkfeiern schon lange zum bedeutungs-losen Ritual erstarrt sind.

Zur Abstimmung gestellt wurde eine Entschließung zum Umgang mit Menschen, die aus Kriegsgebieten stammen und in Deutschland Schutz suchen. Dafür wurden mutmaßliche Mordanschläge zum Anlass genommen, die sich zuvor in Aschaffenburg, Magdeburg und an weiteren Standorten, später auch in München, ereignet haben – furchtbare Anschläge, die mehrere Todesopfer und viel Leid verursacht haben.

Der Umstand, dass es sich bei den Tätern um Menschen handelte, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, hat einen Reflex ausgelöst, der Geflüchtete pauschal als Gefährder ansieht. Aufgabe kluger Politik wäre es, solche Reflexe einzuordnen, zu bewerten und die gesellschaftlichen Folgerungen daraus zu ziehen – dabei besonders die wahren Gründe für solche Taten zu untersuchen, anstatt einfach die Herkunft verantwortlich zu machen.

Man kann aber auch rassistische Kampagnen beginnen, in denen man eine Verknüpfung von Flüchtenden mit solchen Attentaten herstellt und folgerichtig eine restriktive Migrationspolitik fordert. Diese Forderung kann man gemeinsam mit einer Partei durchsetzen, bei der vieles dafür spricht, dass sie als rechtsextremistisch im Sinne von verfassungsfeindlich einzustufen ist. Dafür haben sich mehrere Parteien im Deutschen Bundestag, kurz nach der Gedenkstunde an die Befreiung von Auschwitz, entschieden. Viel ist in den letzten Wochen von einer „Brandmauer“ die Rede. Seit dem 29. Januar wird das Bild immer verschwommener, gegen was diese „Brandmauer“ eigentlich abgrenzen soll. Und leider zeigt sich die fatale Wirkung solcher Debatten selbst bei einer Partei wie Bündnis90/Die Grünen, die sich der Rechtsentwicklung entgegenstellt, aber dennoch ein Papier wie ihren „10-Punkte-Plan“ veröffentlicht, der eine restriktive Sicherheitspolitik mit einer verstärkten Abschottung gegenüber Geflüchteten fordert und nebenbei Menschen mit psychischen Problemen als potenzielle Attentäter stigmatisiert.

Die Abstimmung gemeinsam mit der AfD ist dabei nur ein Aspekt, der sich freilich gut für aufgeregte Debatten in den Talkshows des deutschen Fernsehens eignet. Viel gravierender ist die Grundstimmung dieser Debatten: dass die Verknüpfung von Flüchtlingen mit den Attentaten kaum mehr hinterfragt, dass beim „Zustrombegrenzungsgesetz“ ein Name gewählt wird, der Menschen als „Strom“ bezeichnet und ihnen damit Individualität und Würde nimmt – die Würde, die nicht ohne Grund im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland an erster Stelle steht und die Fritz Bauer am (ehemaligen) Gerichtsgebäude in Frankfurt am Main als Relief anbringen ließ.

Noch mehr als die Entwicklungen in Deutschland geben die USA Anlass zu Sorge. Folgt man den Medienberichten, scheint der wiedergewählte Präsident Trump und seine Helferinnen und Helfer sich daran zu machen, systematisch die Grundlagen der Demokratie und des Schutzes von vulnerablen Minderheiten zu zerstören. Dazu zählt die Beendigung aller Initiativen, die Diversität und Inklusion zum Ziel haben – angeblich, um Diskriminierung gerade zu verhindern. In dieser Umdeutung von Begriffen liegt eine große politische und gesellschaftliche Gefahr.

International gilt es, den Einfluss von Plattformen sozialer Medien zurückzudrängen, die von mächtigen Einzelpersonen kontrolliert werden – es zuzulassen, dass öffentlicher Debatten- und Diskursraum unter oligarchische Kontrolle gebracht wird, ist schon lange ein Irrweg. Der Bundesvorstand der Humanistischen Union hat nun zumindest entschieden, den Account auf X nicht mehr weiter zu nutzen. Stattdessen nutzen wir Alternativen wie Mastodon und Bluesky – wobei Bluesky genau beobachtet werden muss, da es aufgrund seiner technischen Architektur im Gegensatz zu Mastodon ebenfalls von dominanten Einzelpersonen abhängig werden kann.

Eine Voraussetzung für den Schutz der Menschenwürde und die Verhinderung von Diskriminierung ist vor allem echte Demokratie. Und so hat der Arbeitskreis Demokratisierung der Humanistischen Union ein Papier erarbeitet, das ich allen Mitgliedern und Interessierten gerne ans Herz legen möchte. Wir schlagen darin eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch Bürgerräte und Volksentscheide vor. Dazu schlagen wir auch die Einrichtung einer neuen gelosten politischen Institution vor, die beides initiieren kann. Hinzu kommt eine stärkere Kontrolle von Parlamenten und Regierungen, Mitsprachemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen und Demokratisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Zudem möchte ich noch auf die nächste Mitgliederversammlung – voraussichtlich im September – hinweisen, in deren Rahmen wir in diesem Jahr auch wieder den Fritz-Bauer-Preis verleihen werden. Wer nicht so lange warten möchte, findet bei unserem regelmäßig am zweiten Mittwoch im Monat stattfindenden virtuellen Stamm-tisch die Möglichkeit, Gleichgesinnte zum Austausch über bürgerrechtliche Themen zu treffen.

Gerade erreicht uns die traurige Nachricht, dass Gerhart Baum verstorben ist. Wir verlieren mit ihm einen großen Liberalen im besten Sinne und Streiter für die Bürger-rechte. Er setzte sich besonders für den Datenschutz und gegen Staatstrojaner und Vorratsdatenspeicherung ein und war treibende Kraft hinter Verfassungsbeschwerden gegen digitale Überwachung. Als Bundesinnenminister leitete er die Rücknahme des „Radikalenerlasses“ ein. Noch im vergangenen Jahr präsentierte er den Grundrechte-Report. Die Bürgerrechte in Deutschland haben ihm viel zu verdanken.

Herzliche Grüße

Stefan Hügel

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