Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 192: Wandel der Öffentlichkeit

Das unaus­weich­liche Scheitern der Klima­po­litik

aus: Vorgänge 192 ( Heft 4/2010), S.103-112

Dem Zukunftsoptimismus der Moderne, der vor allem die politische Linke immer schon beflügelte, begegnete der Philosoph Walter Benjamin in seinen Betrachtungen zur Geschichte mit der Figur der Angelus Novus, von dessen künstlerischem Vorbild er 1940 schrieb: „Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind angespannt. Wo anderen eine Kette von Begebenheiten erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert.” Benjamins Engel der Geschichte sieht die Schrecken in der Vergangenheit und kann das Zerschlagene nicht mehr zusammenfügen, weil der Sturm des Fortschritts ihn unablässig der Zukunft zutreibt, der er den Rücken zugewandt hat.

Mittlerweile bläst uns der Wind des Fortschritts in den Rücken, wir sehen die Katastrophe in der Zukunft, auf die wir unaufhaltsam zutreiben. Diese Zukunft, das lässt sich mit einer gewissen klimatologischen Genauigkeit sagen, ist bei 2 Grad zusätzlicher Erderwärmung erreicht, und in dem Maße, wie die Zeit, die bis zum Eintritt der Katastrophe bleibt, verrinnt, nimmt zwar die Zahl derjenigen zu, die sie erleben und erleiden werden, nicht jedoch im gleichen Maße die Bereitschaft, sie abzuwenden.

In einem eigentümlichen Kontrast zu der physikalischen Gesetzmäßigkeit, mit der sich die verschiedenen Faktoren des Klimawandels zu einem unausweichlichen Szenario verdichten, steht die beredte Weitschweifigkeit, mit der seit Jahren die erforderlichen Konsequenzen weder vom Bürger noch vom Politiker gezogen werden. Dabei sind diese Konsequenzen, was die stoffliche Seite der Medaille betrifft, klar konturiert und werden grosso modo weder von dem einen noch von dem anderen grundsätzlich in Frage gestellt.

Das Intergovernmental Panel an Climate Change (IPCC) hält zur Abwendung der Katastrophe eine Reduktion der globalen Treibhausgasemissionen um mindestens 80 bis 90 Prozent innerhalb der nächsten vierzig Jahre fair erforderlich. Wird der derzeitige Anstieg der Emissionen fortgeschrieben, ist die 2-Grad-Marke etwa im Jahr 2033 er-reicht. Damit sind eine Zielbestimmung und ein Zeitfenster festgelegt, die mittlerweile in der wissenschaftlichen Gemeinde unumstritten sind und als Richtschnur einer global zu gestaltenden Klimapolitik genommen werden können.

Mit dem Stern Review on the Economics of Climate Change liegt gleichzeitig eine globale Kosten-Nutzen-Analyse vor. Er veranschlagt die jährlichen Kosten für die Stabilisierung der Treibhausgas-Emission auf ein Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. Wird nicht gehandelt, werden die Kosten des Klimawandels dem Verlust von wenigstens fünf Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts entsprechen, berücksichtigt man eine Reihe von weiteren Risiken und Einflüssen kann diese Summe auf bis zu zwanzig Prozent ansteigen.

Die Notwendigkeit wie auch der nutzenkalkulatorische Vorteil einer schnellen CO2-Reduktion sind folglich offensichtlich, die globale Interdependenz der Akteure ist unabweisbar und auch das sich ergebende Folgeproblem der Lastenverteilung ist zumindest rationalen Kriterien zugänglich. Die weltweit durchschnittliche CO2-Emission von 4,38 Tonnen pro Kopf und Jahr ist das Doppelte des gerade noch Akzeptablen, die Emission eines Deutschen liegt bei 9,8, die eines US-Amerikaners bei 19,1 Tonnen.

Die Disparität der Bringeschuld, die diese Zahlen offenbaren, ist unbestritten. Doch wurden Zahlungsmodi entwickelt, die den unterschiedlichen Fähigkeiten, diese zu begleichen, in einer Weise Rechnung tragen, die dem gemeinsamen Ziel nicht abträglich sind. Der mit dem CO2-Ausstoß korrelierende „ökologische Fußabdruck” eines Landes misst, wie groß die Fläche ist, die notwendig ist, um den Lebensstil und Lebensstandard eines Menschen dauerhaft zu ermöglichen. Die globale Kapazität liegt bei ca. 1,8 ha per capita, die tatsächliche Nutzung gut 25 Prozent darüber. Die Inanspruchnahme der Fläche verteilt sich sehr unterschiedlich auf die verschiedenen Regionen. Europa beispielsweise benötigt 4,7 ha pro Person, Deutschland liegt noch ein Fünftel darüber. Die USA benötigen 9,6 ha, China hingegen 1,6 ha.

Da einerseits die USA und andere Staaten kaum in der Lage, geschweige denn Willens sind, stante pede ihren Fußabdruck auf das globale Durchschnittsmaß zu reduzieren, andererseits es unwahrscheinlich ist, dass Länder wie Burundi oder der Kongo, deren Beanspruchung bei ca, einem Viertel der durchschnittlichen globalen Kapazität liegt, die restlichen drei Viertel in absehbarer Zeit nutzen werden, lässt sich daraus ein Win-Win-Modell formen, bei dem Letztere einen geldwerten Vorteil daraus schlagen, dass sie ihre „ungenutzten” Kapazitäten den Vielverbrauchern zur Verbesserung ihrer Klimabilanz abtreten. Mit einem solchen an der Stabilität der politischen Systeme orientierten realistischen Ansatz wäre zwar nicht der Gerechtigkeit Genüge getan, die der Brundland-Report einst zur ökologischen Maxime machte, wohl aber eine Möglichkeit gefunden, dem Gefangenendilemma der Klimapolitik, welches den eigennützigen als den günstigen Weg ausweist, zu entgehen.

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat auf Basis dieser Überlegung ein Modell für den Emissionshandel entwickelt. Danach dürfen bis 2050 750 Mrd. Tonnen CO2 emittiert werden, wenn das 2°-Klima-Ziel eingehalten werden soll. Der WBGU hat die Staaten in drei Gruppen eingeteilt: In Gruppe 1 sind vor allem die Industrieländer mit einer Pro-Kopf-Emission von mehr als 5,4 t; Gruppe 2 umfasst vor allem Schwellenländer, es sind die Staaten, deren
Pro-Kopf-Emission zwischen 2,7 und 5,4 t liegt; Gruppe 3 schließlich liegt mit seinen Werten darunter, in ihr finden sich vor allem die Entwicklungsländer.

Hätten die Staaten der Gruppe 1 keine Möglichkeit zum Emissionshandel, so müssten sie ihren CO2-Ausstoß bis 2020 von derzeit 12 t per capita auf 4 t per capita senken. Könnten sie jedoch ihr Budget durch Handel um 75 Prozent erhöhen, so läge die Zielmarge bei 8 t. Deutschland müsste in der gleichen Zeit seine Emissionen halbieren, wo-von es 35 Prozent selbst und den Rest durch Kooperation mit Entwicklungsländer erbringen könnte. Der beidseitige Vorteil dieses Geschäftes Emissionsrecht gegen Geld und Technologietransfer liegt auf der Hand. Es ist womöglich der einzige realistische Modus, um zu einer globalen Verabredung über Klimaziele zu kommen – doch auch er ist bislang gescheitert.

Die Erfahrungen der letzten beiden Jahrzehnte legen die Vermutung nahe, dass globales Klima und nationale Gesellschaften, gleich ob diktatorisch oder demokratisch verfasst, verschiedenen Systemlogiken gehorchen, zwischen denen weder Normen noch Interessen, weder Sollen noch Wollen Verbindungen knüpfen können, die hinreichend stabil sind, beides miteinander zu einer konkreten Politik zu vermitteln. Dass der Verursacher für die Beseitigung eines Mangels verantwortlich ist und er auch für einen da-durch bereits eingetreten Schaden haftet, mag ein jeder einsehen, dessen Gerechtigkeitsempfinden alltäglich an KFZ- oder Haftpflicht-Versicherungen geschult wird, in der haftungsfreien Sphäre des Klimas gelten andere Regeln.

Und während die öffentliche Debatte von Zielen erfüllt ist, macht sich die ernüchternde Befürchtung breit, dass diese womöglich nicht erreicht werden können. Denn es ist offensichtlich, dass spätestens wenn die Klimabefunde in Handlungsstrategien gegossen werden sollen, der Begriff Nachhaltigkeit allenfalls das mathematisch messbare Equilibrum zwischen Ressourcenverbrauch und -regeneration innerhalb des Ölcosystems festlegt, damit aber noch keine Aussage über eine entsprechende Gesellschaftsformation oder gar eine diese zum Ziel nehmenden Politik getroffen ist.

Es mag von daher analytisch sinnvoller sein, sich von den einsichtigen physikalischen Vorgaben zu lösen und den amorpheren Formen der Gesellschaft und der Politik zuzuwenden. Denn auch wenn durch globalen Emissionshandel die Geschwindigkeit, mit der in den Industrieländern die COZ-Emission reduziert werden muss, abgedämpft wird, so werden die Rückwirkungen auf die gesellschaftlichen Systeme beträchtlich und für diese bislang augenscheinlich untragbar sein. Für die entwickelten kapitalistischen Länder reichen die Vorstellungen bis hin zu einer mit Wohlstandseinbußen verbundenen Transformation, die „The great transformation” von Karl Polanyi in nichts nachsteht.

Einen globalen Eindruck von den notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen kann man gewinnen, wenn man den ökologischen Fußabdruck eines Landes in Verhältnis setzt zu seinem Entwicklungsstand und dabei nicht das Bruttoinlandsprodukt, sondern den Human Development Index des United Nations Development Programme (UNDP) zugrunde legt. Dessen Parameter sind aussagekräftiger, da sie sich nicht lediglich an ökonomischen Kennziffern orientieren, sonder Lebenserwartung, Alphabetisierungsgrad, Schuleinschreibungsrate und Kaufkraft per capita zum Maßstab nehmen. Das UNDP teilt nach diesem Index die Staaten in vier Gruppen ein, die mit sehr hoher, mit hoher, mit mittlerer und mit niedriger Entwicklung, wobei sich die westlichen Industrienationen in der ersten, Länder wie Polen, Saudi-Arabien oder Russland in der zweiten, China und Indien in der dritten Gruppe befinden. Unter all diesen Ländern ist nur ein einziges, dessen ökologischer Fußabdruck es als nachhaltig ausweist und das zugleich eine hohe Entwicklung aufweist: Kuba. Hingegen hat sich die Spitzengruppe unter den 38 sehr hoch entwickelten Staaten, zu der auch Deutschland gehört, diesen Status mit einer überproportionalen Ausbeutung der Ökosysteme erkämpft.

Selbst wenn man von der dortigen diktatorischen Herrschaft absieht, so strahlt Kuba als rolemodel einer nachhaltig lebenden Gesellschaft zumindest in den Industrieländern nur einen begrenzten Charme aus. Als Zukunftsszenario wirkt die Insel in der Karibik hierzulande allenfalls wie eine Reminiszenz an die wachstums- und konsumkritischen Debatten der siebziger und frühen achtziger Jahre, jedoch nicht wie eine reale Perspektive. Doch es wirkt verunsichernd, denn es gibt andererseits keine realistische Variante, die Wohlstandssicherung und Klimaschutz auf einen Nenner bringt, die dem entgegen-gehalten werden könnte. Während mittlerweile mit einer hinreichenden Genauigkeit die klimatischen Veränderungen prognostiziert und die notwendigen technologischen Implementierungen zu ihrer Eindämmung benannt und beide in ihrer Entwicklung prognostiziert werden können, gibt es kaum Szenarien, welche die ökonomischen und gesellschaftlichen Konsequenzen des Klimawandels erfassen und ihnen die Veränderungen gegenüberstellen, die eine konsequente Klimapolitik in beiden hervorrufen würde. Der Staat ist als zentraler Akteur der ökologischen Transformation gefragt, schon weil er derzeit nicht beantworten kann, in welchem Maße er dabei selbst transformiert wird. Angesichts der Tiefe der Veränderungen erstaunt, dass der deutsche Staat, Bundesregierung und Bundestag, zwar Expertenwissen und -rat zu der physikalisch-technologischen Seite der Medaille, nicht jedoch zur ökonomisch-sozialen abrufen. Auch bei den der Ökologie besonders verpflichteten Partei der Grünen klafft auf diesem Feld eine erstaunliche Wissens- und Strategielücke, die man auch als einen Mangel an Selbst-Reflexion interpretieren kann.

Seit um Nachhaltigkeit gestritten wird, hängt die Bestimmung der und die Bereitschaft zu den ökologisch notwendigen Veränderungen nicht nur von ihrem Gegenstand ab, sondern auch von dem gesellschaftlichen Umfeld und dem wissenschaftlichen Kontext in denen sie erörtert werden. Umweltpolitik ist global und zugleich pfadabhängig. Im Deutschland der siebziger und frühen achtziger Jahre fanden Denis Meadows „Die Grenzen des Wachstums” ihren Resonanzboden in der systemkritischen Haltung einer Alternativbewegung, die nur zu bereit war, über die Schwächen der Analyse hinwegzusehen, um sie in die seit Ende der sechziger Jahre gepflegte kritische Infragestellung des kapitalistischen Modells und des darin eingebundenen individuellen Konsumverhaltens zu implementieren. In dem Maße, wie diese Bewegung sich parlamentarisch orientierte, die Gewinnung von gesellschaftlichen Mehrheiten in ihren Blick rückte und der generelle Skeptizismus gegenüber Technik der Einsicht wich, diese auch für die eigenen Zwecke nutzen zu können, wurde im Laufe der neunziger Jahre aus der Systemveränderung eine Systemverbesserung. Programmatisch dafür wurde der „Faktor 4”, mit dem Ernst Ulrich von Weizsäcker für „doppelter Wohlstand, halbierter Naturverbrauch” warb. Allenfalls wurde noch vom Wuppertaler Institut ein „Überkonsum” kritisiert, ansonsten ging man aber davon aus, dass man dem „Klimawandel”, der „die Grenzen des Wachstums” als Negativ-Orientierung ablöste, mit der „Energiewende”, der „Verkehrswende” und weiteren Wenden in einer Weise Herr werde, der die Zustimmung der Bevölkerung, wenn sie denn rational erwäge, sicher sein müsse, da sie kaum materielle Einbußen zu fürchten hätte.

Längst sind diese Wenden aus den Nischen alternativer Randständigkeit in die Zentren regierungsamtlicher Allgemeinplätze gewandert. Ökologie ist von einer Grenze des Wachstums zum „Wachstumsmotor” mutiert, Wind- und Solarenergie ein „Exportschlager”, ein „ökologisches Industriezeitalter” ist angebrochen. „Green new deal” lautet der neue Transmissionsriemen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, mit dem das auf den alten Industrien basierte korporatistische Modell abgelöst werden soll. Letzteres hat die soziale Gerechtigkeit befördert, ersteres soll nun diese mit der Generationengerechtigkeit in Einklang bringen.

Ein Win-win-Modell, an dem sich nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die politische Klasse orientiert. Denn für Konservative, für Sozialdemokraten und Linke und auch für den überwiegenden Teil der Grünen ist Wirtschaftswachstum ein unhintergehbares Paradigma ihrer Politik, denn, so der Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie Gustav-Adolf Horn, „eine Wirtschaft ohne Wachstum wäre keine friedliche Wirtschaft. Denn das bedeutet steigende Arbeitslosenzahlen und wachsende Verteilungskämpfe.” Und das bedeutet den Verlust politischer Mehrheiten.

Wenn es aber stimmt, „dass dauerhaftes Nicht-Wachsen die Stabilität der Sicherungssysteme und der Gesellschaft gefährdet”, wie es der Chefökonom der UNCTAD Heiner Flassbeck formuliert, so müsste eine ökologische Position, die dieses Paradigma infrage stellt und Mehrheiten gewinnen will, angeben können, wie diese Stabilität trotzdem gesichert werden kann. Das kann sie bislang allenfalls unzureichend. Andererseits gibt es für diese Infragestellung nach wie vor gute Gründe, denn dass es in einem begrenzten Ökosystem wie der Erde kein unbegrenztes Wachstum gegen kann, weil Ressourcen und Senkenfunktion nicht unerschöpflich sind, wird allein schon durch die Tatsache untermauert, dass der ökologische Fußabdruck des durchschnittlichen Erdenbürgers sich aufgrund des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums in den letzten fünfzig Jahren halbiert hat. Und dass die westlichen Industrienationen den größten Anteil der Veränderungsleistungen zu erbringen haben, ist wohl unstrittig.

Die Charakterisierung dieses Anteils als eine „dritten industriellen Revolution” dürfte zutreffend sein. Der „Übergang vom fossilen zum postfossilen Zeitalter” bedeute, dass „die Menschheit (…) ihr gesamtes Reproduktionssystem und ihren Stoffwechsel neu konstruieren“1 muss. Für die Kulturwissenschaftler Claus Leggewie und Harald Welzer stellt sich angesichts der Tiefe der Umwälzung bereits die Frage, ob Demokratien den Klimawandel bewältigen können. Auch unter den Klimaforschern und Umweltschützern mehren sich die Stimmen, die angesichts des enger werdenden Zeitfensters von einem Versagen demokratischer Prozesse reden und als Therapeutikum Klima-und andere Expertenräte ins Spiel bringen. Leggewie und Welzer sehen die Zustimmung zur Demokratie mehr und mehr unter Druck.[2] Nun ist diese Zustimmung bereits unabhängig vom Klimawandel seit Ende der achtziger Jahre dramatisch gesunken und auch wenn dieser den Prozess noch beschleunigen sollte, dürfte an dessen vorläufigem Ende kaum die ersehnte platonische Vernunft-Diktatur von Expertenräten stehen, welche die Staaten in einer die Zustimmung des Volkes sichernden Weise auf klimatisch verträgliche Bahnen lenken. Von daher mag es womöglich ergiebiger, wenn auch ernüchternder sein, in die entgegengesetzte Richtung zu denken und den Klimawandel als Variable des demokratischen Prozesses zu betrachten.

Dessen Erosion ließ sich in den letzten beiden Jahrzehnten an einer schwindenden Wahlbeteiligung und einem nachlassenden Engagement in den Parteien, aber auch in den neuen sozialen Bewegungen ablesen; dieser bröckelnden Basis stehen demokratische Institutionen gegenüber, die zwar formal noch funktionieren, an die Stelle der Gestaltung der Politik durch den Souverän jedoch den Nachvollzug von ökonomisch determinierten Sachzwängen treten lassen. Diese Entwicklung, für die der englische Politologe Colin Crouch den Begriff „Postdemokratie” prägte, geht einher mit einer wachsenden Segregation der Gesellschaft, mit Einkommens- und Vermögensunterschieden, mit Exklusion, Prekarisierung und Migration. Damit nimmt die Fähigkeit der Demokratie, sich ihrer eigenen sozial-kulturellen Voraussetzungen zu vergewissern ab. Die Input-Legitimation des Systems sinkt, dieser Mangel muss durch Output-Legitimation kompensiert werden, ohne dass dies in hinreichendem Maße gelingen kann. Damit sind auch die Ressourcen des Staates, Klimapolitik in einer Akzeptanz sichernden Weise zu gestalten geschrumpft. Zugleich schwinden die Möglichkeiten, steuernd auf die Ebene ihrer Input-Legitimation durch die Förderung politischer und bürgerschaftlicher Partizipation Einfluss zu nehmen. Eine solche Förderung betrachten Leggewie und Welzer aber „als integralen Bestandteil ein künftigen Klimapolitik von unten”. Denn der Umbau der Industriegesellschaft funktioniert ihrer Ansicht nach nur dann, „wenn er als Projekt angelegt wird, in das sich die Gesellschaftsmitglieder identitär einschreiben können, ihn also als ihr Projekt begreifen. Dann wird Veränderung nicht zu einem Implementierungsproblem, sondern zu einem Identitätsgenerator. Das geht wiederum nur, wenn das Politikangebot partizipatorisch und aktivierend gedacht ist.” Damit hätte sich der circulus vitiosus der Klimapolitik geschlossen.

Leggewies Anliegen klingt wie eine Reminiszenz an die partizipatorischen Hochzeiten früherer Jahre, wogegen nichts einzuwenden wäre, würde mit diesem Idealbild nicht normativ eingeklagt, was zunächst analytisch zu begründen wäre. Warum sollte die Neigung zur demokratischen Einflussnahme angesichts des Klimawandels steigen, wo sie doch in den letzten zwanzig Jahren in jeder Hinsicht kontinuierlich niederging und es ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen gab, die diese Veränderung des Politischen plausibel machen. Die Theorien über Postdemokratie, Globalisierung und Individualisierung sprechen nicht nur von den Veränderungen der ökonomischen Verhältnisse und der demokratischen Institutionen sondern auch von einem Struktur- und Mentalitätswandel der Gesellschaft. Die linke Theorie und politische Praxis neigt dazu, in dieser Veränderung lediglich eine Krise zu erkennen, das Produkt eines falschen „neoliberalen” Bewusstseins, deren Überwindung eine Rückkehr zum status quo ante des zeitlosen Soll-Zustandes der „Goldenen Zeitalters” der Demokratie eröffnet, ohne diese Hoffnung untermauern zu können. Diese Theorie versagt, wenn man davon ausgeht, dass es sich um eine Phase der Transformation handelt, deren Revision so wenig möglich wie deren Ergebnis absehbar ist. „In spätmodernen Gesellschaften sind Identitätsbildung und Selbstverwirklichung nicht nur in hohem Maße individualisiert, sondern seit sich der Markt praktisch alle Lebensbereiche erschlossen hat, und mit seiner Produktpalette selbst die intimsten Denk- und Verhaltensweisen des Menschen bestimmt, sind sie in allererster Linie eine Frage von Produktauswahl und IConsumentenverhalten.” Diese zeitgemäße, von Ingolf Blühdorn[3] formulierte Fassung der demokratische Identität müsste mit dem von Leggewie und Welzer in normativ-politischer Absicht geforderten Identitätsgenerator erst einmal in Einklang gebracht werden, damit dieser laufen kann.

Zumindest die Startschwierigkeiten werden offensichtlich, angesichts der sozialen Formation, auf die sich die Erwartungen u. a, stützen. Die LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) sind die von der Werbeforschung und der ökologisch orientierten Politik als nennenswerte Zielgruppe ausgemachte zeitgemäße Fassung dessen, was früher als eine an Suffizienz orientierte, sich durch demonstrative Bedürfnislosigkeit exponierende •Alternativbewegung war. Ohne ihre moralischen Beweggründe zu diskreditieren, kann man über diese Kohorte sagen, dass es sich um eine relativ begüterte Käuferschicht handelt, deren verändertes Konsumverhalten zwar nachhaltiger als das ähnlich einkommensstarker Bevölkerungsgruppen ist, aber an der Klimabilanz wenig ändert. Eine Studie des Umweltbundesamtes kam im Dezember 2010 zu dem Ergebnis, dass das in Umweltbelangen besondern engagierte „sozialökologische Milieu” selbst kein sehr konsequentes Umweltverhalten an den Tag legt. Die Vertreter dieser Gruppe hätten meist ein höheres Einkommen, oft ein eigenes Haus, häufig im Grünen, mit einem höheren Flächen- und Energieverbrauch und starker Motorisierung. Ihr ökologischer Fußabdruck ist ungleich größer als jener der in Umweltbelangen eher gleichgültigen Rentner und Unterschichtler, die, da sie ärmer leben, mehr für den Klimaschutz tun.

Die LOHAS sind das spätmoderne Individuum, das sich nach der marktwirtschaftlichen Durchdringung aller seiner Lebensbereiche in seiner ldentitätsbildung und Selbstverwirklichung weitestgehend auf die vom Markt angebotenen Möglichkeiten beschränkt, „gleichwohl aber den Anspruch erhebt, gegenüber dem Markt Autonomie und Priorität zu haben“.[4] Dieser Autonomie-Anspruch löst sich nicht mehr vornehmlich in einem verstärkten demokratischen Engagement ein, sondern in Erwartungen, dass das output der Politik ihm diese Identitätsbildung ermöglicht, ohne einen zu hohen Preis dafür zu verlangen.

Im Kampf gegen die Klimakatastrophe hat sich die demokratische Politik von daher aus nicht intendierten, gleichwohl plausiblen Gründen von den eigenen Ressourcen ab-gewandt, die klimapolitischen Bemühungen konzentrieren sich nicht mehr auf den Bürger, sondern auf den Konsumenten, dessen Bereitschaft zum Engagement durch Energieeffizienzlabel für Haushaltsgeräte, Energiepässe für Gebäude, Verkaufsverbot von Glühlampen, Orientierung der KFZ-Steuer am CO2-Ausstoß etc. gefördert wird. Der entsprechende Kaufakt ist folglich einer, der politische Identität markiert, auch wenn er bisweilen wenig Sinn macht.

Seit dem Jahr 2001 werden Wind- und Solarenergie durch das Erneuerbare-Energie-Gesetz gefördert und den Konsumenten wird suggeriert, durch den Kauf von „Solarstrom”, durch die Wahl der entsprechenden Stromanbieter einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Doch durch den Kauf von Solarstrom reduzieren sich keineswegs die Emissionen. Denn das EEG sorgt lediglich dafür, dass sich in Deutschland der Anteil an fossilem Strom reduziert. Entsprechend weniger Emissionszertifikate der EU brauchen die deutschen Kraftwerksbetreiber. Die überschüssigen Zertifikate werden zu sinkenden Preisen an der Energiebörse an die Energieunternehmen der anderen EU-Länder verkauft. „Dadurch”, so rechnet der Ökonom Hans-Werner Sinn vor, „erhöht sich der Aus-stoß an Kohlendioxid in diesen Ländern genau in dem Umfang, wie er in Deutschland fällt. Was für die Umwelt erreicht wird, hängt allein davon ab, wie viele Emissionsrechte die EU verteilt. Die Einspeisetarife des EEG leisten keinerlei zusätzlichen Beitrag. Sie machen den Strom in Deutschland nur teurer – und in anderen Ländern billiger.“[5] Ein Umstand, der von der wachsenden Ökostrom-Industrie und den Öko-Parteien gerne verschwiegen wird, lässt er doch das, was als eigener und eigenes Verdienst gefeiert wird, in einem fahlen Licht erscheinen. Dabei weiß auch bei den Grünen so mancher Experte um das Milchmädchenhafte der eigenen Ölco-Bilanz.[6]

Die ökologische Konsumentenpolitik simuliert mit jeden Kaufakt einen Fortschritt, der real nicht gegeben ist, gleichwohl aber das Bewusstsein beflügelt, auf der richtigen Seite zu stehen. Dieser ldentitätsgewinn hat seinen Preis. Veranschaulicht man sich, dass ein Emissionszertifikat für eine Tonne CO2 mit ca. 14 Euro gehandelt wird, die Vermeidungskosten, nach Sinns Berechnungen [7] bei Windenergie hingegen 37 bis 91 Euro, bei einer Photovoltaik-Anlage gar 420 bis 611 Euro betragen, so wird deutlich, dass die effizientere und kostengünstigere Variante der Klimapolitik eher darin bestünde, Emissionszertifikate an der Börse aufzukaufen und auf den dadurch entstehenden Innovationsdiuck zu bauen. Diese Möglichkeit war allerdings bei der Einführung des EU-Emissionshandelssystem 2005 nicht vorgesehen. Wenn, dann ist erst ab 2020 mit einem steuernden Effekt dieses System zu rechnen. Doch auch dann liefe eine verringerte Nachfrage der EU nach fossilen Brennstoffen lediglich darauf hinaus, dass die in der EU freigegebenen Mengen in Amerika, China und anderen Ländern verbrannt würden. Auch dies also bestenfalls ein Nullsummenspiel. Ändern würde sich das erst, „in-dem der Emissionshandel der UN, der 30 Prozent des Weltausstoßes erfasst, auf 100 Prozent ausgedehnt und nach EU-Vorbild weiterentwickelt wird. Dazu müssen USA, China und Indien ins Boot Icommen,“[8] Die Chancen, dies noch innerhalb des 2°-Zeit fensters zu erreichen, stehen eher schlecht.

Die Klimapolitik steckt in einem Dilemma. So sie sich den Spielräumen der Postdemokratie und den Regeln der diese tragenden Konsum-Gesellschaft nolens volens faktisch angepasst hat, wird sie kontinuierlich mit dem Ergebnis konfrontiert, dass sich diese Anpassung nicht auszahlt, misst man den Output an den physikalisch definierten Zielen und den davon abhängenden Zeiträumen. Orientiert sie sich andererseits allein an diesen Zielen, so kann sie sich zwar auf die Macht der Vernunft berufen, sie kann aber angesichts der realen Mächte keine Erfolg versprechende Strategie zu ihrer Durchsetzung benennen. Das ist vor allem ein Dilemma der Parteien, die den Klimawandel zum Kernanliegen ihrer Politik gemacht haben.

Nun sind große Umwälzungen selten Resultat von Strategien gewesen, das ist eher eine Revolutionsmystik des 20. Jahrhunderts, die immer auch einen Plan der „richtigen” Gesellschaft in sich barg. Zugleich belegt die erfolgreichste Revolution dieses Jahrhunderts, die von 1989, dass ökonomische und gesellschaftliche Transformationen mit globaler Auswirkung auch von schwachen politischen Kräften ins Werk gesetzt werden können, wenn der Boden dazu bereit ist. Bereit sein heißt auch, zerstört sein. Klimapolitik ist kontingent und die Differenz zwischen Sollen und Möglichkeit wird sich wahrscheinlich nur in einem Prozess schließen, dessen Motor nicht nur Vernunft und Verhandlungen, sondern vielmehr auch Katastrophen sein werden.

Die Ökonomie des Klimawandels hat einige Mühe darauf verwendet, künftige Schäden und jetzigen Nutzen in eine Kosten-Nutzen-Relation zu zwängen und den Preis zu ermitteln, der heute zur Vermeidung dieser Schäden gezahlt werden müsste. Der Stern-Report ist das prominenteste Beispiel einer solchen Diskontierung. Deren Handicap liegt darin, dass sie den Anschein einer kalkulierbaren Relation zwischen dem Morgen und dem Heute erweckt. Die Klima-Ökonomie und mit ihr die Klima-Politik hand-haben den Klimawandel wie Versicherungsmathematiker als ein Risiko, unangenehm zwar, aber im Prinzip beherrschbar.

Dagegen hat der Harvard-Ökonom Martin L. Weitzman in seiner Kommentierung des Stern-Reports darauf verwiesen, dass die Bereitschaft, Geld für die Vermeidung der Klimaerwärmung bereitzustellen, weniger von der Größe des ermittelbaren künftigen Schadens abhängt als vielmehr von dem Wunsch bestimmt ist, die Möglichkeit einer ruinösen Katastrophe abzuwenden, auch wenn diese noch so gering ist. Menschen reagieren nicht auf Risiken, sondern auf Gefahren. Und der Klimawandel ist eine Gefahr. Denn je mehr und je schneller wir Treibhausgase ausstoßen, desto mehr gerät unser Klima aus der Balance. Es sind, wie der Potsdamer Klimaforscher Anders Levermann feststellt, im Grunde gar nicht die vorhersagbaren Folgen der Erderwärmung, wie der wahrscheinliche Verlust des „ewigen Eises” am Nordpol, die uns Sorgen machen sollten. Es sind vielmehr die Ereignisse, die wir nicht vorhersagen können, die unsere Grenzen bestimmen.

Es ist die Angst vor dem nicht mehr Beherrschbaren, welche die Menschen zum Handeln drängt. In solchen Momenten, die Namen wie Tschernobyl, Katrina oder Pakistan tragen, lassen sie sich auch nicht mehr durch Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen beruhigen. Es sind solche Momente, die politischen Handlungsdruck erzeugen und bei den Verantwortlichen die Bereitschaft befördern können, sich in einer globalen Übereinkunft den Ursachen zuzuwenden. Ob es diese Bereitschaft geben wird, hängt nicht allein von der Dimension der Katastrophe ab, sondern auch von dem Grad der Gefahr, von ihr betroffen sein zu können, und von dem politischen Kontext, in dem sie interpretiert und verarbeitet wird.

Das bedeutet, dass die Ziele der globalen Klimapolitik auch verfehlt werden können, dass zeitliche Limits gestreckt werden und so den divergierenden Interessen der global entscheidenden Akteure angepasst werden. Derzeit werden weltweit die Szenarien der Erderwärmung für den kommenden Bericht des Weltklimarats IPCC berechnet. Bei allen möglichen Väriationen en detail steht für Levermann, dessen Potsdamer Institut an der Berechnung der Emissionsszenarien und Klimamodelle beteiligt ist, ein fundamentales Ergebnis bereits fest: „Wir befinden uns weiterhin auf dem wärmsten der möglichen Zulcunftspfade.”

Nicht wenige Vertreter von Politik und Ökonomie brechen bereits das weltweite Klimarisiko auf die jeweilige nationale Diskontrate herunter und richten die nationale Klimapolitik auf ein mehr oder weniger gelingendes Anpassungsmanagement aus, bei dem das Ziel einer globalen Begrenzung zwar nicht aufgegeben wird, aber daneben Strategien zur Eingrenzung der Klimafolgen treten, sei es zur Abwehr von Flüchtlingsströmen, zur Verteidigung von Wasserressourcen oder zur Erschließung neuer Nahi-ungs- und Energiequellen oder zur Einführung von durch die Klimaveränderung rentabel werdenden Produktionsformen. Dass die Möglichkeiten dazu global höchst ungleich verteilt sind, dass vor allem die Staaten dabei das Nachsehen haben, die eh schon zu den armen der Welt zählen, verletzt das Gerechtigkeitsempfinden, doch war das im Zweifelsfall immer schon den jeweiligen nationalen Interessen nachgeordnet. Und die Nationen, auf die es bei einer globalen Klimaregelung ankommt, zählen nicht zu den armen. Klimapolitik wird nicht besser, aber vielleicht realistischer, wenn sie die Katastrophen auch denkt, auf deren Vermeidung sie sich konzentriert.

[1] Daniel Hausknost (2008): Rasender Stillstand. Die simulierte Nachhaltigkeitsrevolution, Osteuropa 4-5/ 2008.
[2] Claus Leggewie, Harald Welzer (2009): ICönnen Demokratien den Klimawandel bewältigen, Transit Europäische Revue Nr. 36.
[3] Ingolfur Blühdorn (2008): Klimadebatte und Postdemokratie, Transit Europäische Revue Nr. 36.
[4] Ingolfur Blühdorn .(2006): Billig will ich Postdemokratische Wende und simulative Demokratie FNSB 4/2006.
[5] Hans-Werner Sinn Süddeutsche Zeitung 25.01.2010, siehe auch Helmut Wiesenthal, Kein Weltuntergang nach Kopenhagen, Kommune 1/2010.
[6] siehe Anselm Waldermann, Unsinnige EU-IClimapolitik, Spiegel -online 10.02.2009.
[7] Sinn (2008): Das grüne Paradoxon, Econ Verlag Berlin.
[8] Sinn 2010 ebd.

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