Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 192: Wandel der Öffentlichkeit

Politik, Presse, Publikum

Zum Zustand der öffentlichen Kommunikation

Aus: Vorgänge 192 ( Heft 4/2010), S.66-74

„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben wissen”, so ein berühmtes Diktum Niklas Luhmanns, „wissen wir durch die Massenmedien [1] Während wir uns über Alltagsvorgänge noch ganz gut unabhängig von den Medien ein Bild machen können, trifft dieser Satz auf unser Wissen über Politik ganz besonders zu. Spätestens seit dem Ende der großen Versammlungsöffentlichkeiten, wie sie noch die 1950er Jahre prägten, und dem Beginn des Fernsehzeitalters ist Politik medialisiert, findet Politikvermittlung fast ausschließlich über die Medien statt.

Dieser zweistufige Fluss der Kommunikation von den Politikern zu den Medien und erst von da zu den Bürgerinnen und Bürgern hat Rückwirkungen auf das Bild, das wir uns von der Politik machen, aber auch auf die Politik selbst. Denn diese orientiert ihre gesamte Politikdarstellung, aber auch immer größere Teile ihrer Politikherstellung an der Art und Weise, wie sie sich in den Medien gespiegelt sieht. Die Politik richtet also antizipierend ihr Verhalten und Auftreten an den Medien aus oder korrigiert ihren Kurs, wenn politische Handlungen und Vorhaben in den Medien auf eine übermächtig wirkende Welle der Kritik treffen.

Damit gewinnt die Frage, wie die Medien Politik decodieren und darstellen, aber auch die Art und Weise, wie Politiker im Umgang mit den Medien agieren, für die Konstruktion der Öffentlichkeit eine herausgehobene Bedeutung. Denn klar ist: nur „Randfiguren der holzverarbeitenden Industrie”, wie Willy Brandt die Journalisten einmal nannte, sind diejenigen, die tagtäglich Politiker begleiten, ihre öffentlichen Auftritte analysieren und so manche sensible Information über Handy oder SMS zugesteckt bekommen und über deren Veröffentlichung entscheiden, keinesfalls.

Journalisten – oder zumindest solche, die nah an den Schaltstellen der Politik ein-flussreiche Positionen bekleiden wie die Berliner Büroleiter und politischen Korrespondenten – sind heutzutage nicht nur wichtige Einflussgrößen bei der Modellierung des Bildes von Politik, sondern auch vielfach politische Akteure aus eigenem Recht, die Forderungen erheben, in Talkshows auftreten oder für private oder politische Belange ihren Einfluss geltend machen. Ob prominente ehemalige Pop-Journalisten, die als Anwohner des Berliner Nobel-Stadtteils Eichkamp ein Tempolimit auf der AVUS fordern, oder Kommentatoren von großen Illustrierten, die bestimmte Politiker einfach „weg” haben wollen: Journalisten verfügen in der Mediengesellschaft über genügend Einfluss (und zu dem das notwendige kommunikative Fachwissen), um ihre Anliegen lautstark zur Geltung zu bringen. Da „verhört” die Bild-Zeitung schon mal den Arbeitsministet oder ein einflussreiches Hamburger Wochenmagazin fordert brüsk von einem Minister: „Abtreten!” Stellvertretend für viele hier eine Drohung, welche die Zeit in der ersten Jahreshälfte 2010 an die Bundesregierung gerichtet hat: „Wenn Schwarz-Gelb sich nach der Sommerpause nicht berappelt hat, dann muss und wird diese Gesellschaft einen Weg finden, sie loszuwerden.[2]

Die Politik hat sich auf diesen gewachsenen Medieneinfluss längst eingestellt. Sie ist in den letzten Jahrzehnten telegen geworden und imitiert die Aufinerksamkeitsregeln der elektronischen Medien. Die besten Aussichten auf ein politisches Spitzenamt hat heute, wer im Fernsehen gut rüberkommt. Doch auch eine Gegenbewegung ist zu beobachten: Die Politik zieht sich von den allgegenwärtigen Medien zurück, verlagert ihr Kerngeschäft in Arkanzirkel und Hinterzimmer, die vor Medienberichterstattung sicher sind. Wirklich wichtige Entscheidungen – etwa Gerhard Schröders Entschluss zu Neuwahlen im Mai 2005 – werden lange im kleinsten Kreis vorbereitet und dann zu einem genau definierten Zeitpunkt handstreichartig öffentlich gemacht. Man will mit dieser Taktik um jeden Preis verhindern, dass Entscheidungen in den Medien wochenlang „zerredet” werden. Im Fall von Schröders Neuwahl-Entschluss wurde übrigens sogar Vizekanzler Joschka Fischer von der nur zwischen Schröder, Müntefering und Steinmeier diskutierten Entscheidung überrascht.

So führt die immer stärkere mediale Ausleuchtung der politischen Bühne zu dem paradoxen Effekt, dass das Politische sich zurückzieht, bevor der Scheinwerfer es erfassen kann. Ob die pikanten Abwägungen der rot-grünen Regierung im Irak-Krieg im Hin-blick auf Überflugrechte und den BND in Bagdad, der konspirative Deal von Schwarz-Gelb mit den Atomkonzernen oder die deutsche Geheimdiplomatie im Hinblick auf Guantänamo: die Angst der Politik vor Skandalisierung und ritualiserter öffentlicher Erregung ihrer Entscheidungen führt unterm Strich zu einem Transparenzverlust demokratischer Politik. Immer häufiger zu beobachten ist auch eine Zweiteilung des politischen Personals in Verkäufer und Entscheider: während die einen vor der Kamera Beschlüsse verkünden, bereiten die anderen im Hinterzimmer die nächsten Entscheidungen vor. Nur leider sind – nichts ist perfekt – die Verkäufer nicht immer darüber informiert, was die Entscheider zwischenzeitlich schon entschieden haben.

Stellt man sich politische Kommunikation, also das öffentliche Verhandeln von alle betreffenden Belangen, als ein Dreiecksverhältnis von Politikern, Journalisten und Bürgern vor, drängt sich zwangsläufig die Frage auf, was diese Veränderungen in der Nahzone von Politik und Medien für den Dritten im Bunde, die Bürger, bedeuten. Zu vermuten ist: nichts Gutes, denn es gibt klare Anzeichen für eine Verschlechterung der demokratischen Diskursqualität, für ein Absinken des Informations- und Analyseniveaus in und durch die Medien sowie die Gefahr einer Deformation des Politischen durch die ständig steigende Beschleunigung. Die folgenden 10 Thesen sollen dies näher belegen.

I.

In der „Berliner Republik” ist nach dem Regierungsumzug in die Hauptstadt 1998 ein politisch-medialer Komplex entstanden, in dem Politiker, ihre Zuarbeiter, Journalisten, PR-Leute und Lobbyisten wie in einem geschlossenen Biotop leben. Die Erfahrungswelten dieses Biotops bilden auch die Referenzfläche für die Medienberichterstattung. Und diese Berichterstattung entscheidet wiederum darüber, was die Politik als relevante Handlungsfelder begreift. Der politisch-mediale Komplex in Berlin hat Züge einer „Klasse für sich”: seine Mitglieder gehören soziografisch alle zur Mittelschicht, leben in den gleichen Vierteln, haben ähnliche Interessen, besuchen die selben Restaurants und Partys, lesen die identischen Bücher und vertreten Werte, die insgesamt nur einen relativ schmalen Ausschnitt der Gesellschaft repräsentieren. Immer öfter bildet sich diese Lebenswelt direkt in der Medienberichterstattung ab, wenn etwa leidenschaftlich um den Charakter des Prenzlauer Bergs als Wohnquartier gestritten wird, Integrations- und Beschulungsfragen verhandelt werden oder Bebauungspläne zur Diskussion stehen. Die Berichterstattung über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik – jawohl, sie findet statt, aber sie bleibt abstrakt, schematisch und von Stereotypen geprägt. Durch seine hohe Selbstbezüglichkeit bildet das Biotop also zunehmend seine eigene Welt ab und reproduziert diese immer wieder, in dem es die eigenen Lebens- und Sichtweisen zum Standard aus-ruft. Grundlage für diesen Mechanismus ist das, was Niklas Luhmann „Beobachtungen zweiter Ordnung” genannt hat: Die Politik beobachtet in den Medien, ob sie aus ihrer Beobachtung der Gesellschaft die richtigen Schlüsse gezogen hat. Bekommt sie in den Medien Zustimmung für ihre Handlungen, lag sie offenbar richtig, bekommt sie Schelte, lag sie falsch. Die Medien sind also neben Wahlen und Umfrageergebnissen der primäre Resonanzboden für die Selbstüberprüfung politischen Handelns. Das gleiche gilt für die Medien: wenn deren publizistische Einlassungen zu politischen Debatten oder Korrekturen politischer Vorhaben fiihren, wenn sie gar von Politikern zitiert und als Beispiel angeführt werden, wissen die Medienmacher, dass sie ihre kommunikativen Interventionen richtig gesetzt haben. Deswegen beobachten die Medien unablässig die Politik dabei, wie diese die Medien beobachtet. Wären Medien und Politik nicht gesellschaftliche Teilbereiche, sondern Menschen, würden sie sich vermutlichen jeden Abend gegenseitig ansehen und fragen: „Hey Baby, wie war ich?” Ein geschlossenes Diskurssystem entsteht, in das es nur wenige Induktionen von außen gibt. Was dabei mehr und mehr unter die Räder kommt, ist die Realität.

II. 

Das Biotop lebt vom Diskurs. Berlin-Mitte ist das Zentrum einer erregt diskutierenden Republik. Doch woher die Anstöße zu Themen kommen und wer diese steuert, vermag außerhalb des Biotops niemand zu sagen. Die stattfindenden Diskurse sind überwiegend interessensgeleitet, doch da nicht transparent wird, in wessen Interesse sie geführt werden, ist ihr Ausgangspunkt für das Publikum oft kaum nachvollziehbar. Es hätte keines Daniel Jonah Goldhagen bedurft, um zu wissen, dass viele Deutsche begeistert beim Holocaust mitgemacht haben, doch die Zeit wollte damals eine große Feuilleton-Debatte. Da störte es nicht, dass Goldhagen zentrale Erkenntnisse schon 1992 in Christopher Brownings Studie „Ganz normale Männer” publiziert worden waren. Und es brauchte keinen Thilo Sarrazin, um endlich festzustellen, dass mit der Integration in Deutschland nicht alles zum Besten steht. Der von der Bild-Zeitung 2003 mit viel Tam-Tam ausgegrabene „Florida-Rolf` ist nicht der Archetypus des deutschen Sozialschmarotzers, sondern repräsentiert eine verschwindend kleine Gruppe von im Ausland lebenden Sozialhilfeempfängern. Und dass der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr nicht ganz so harmoniegeprägt ist, wie viel zu viele viel zu lange behauptet haben, hätte man auch schon einige Jahre früher feststellen können. Politische Kommunikation in der Berliner Republik: das sind vor allem verzerrte und fehl geleitete Diskurse. Der Einfluss von PR und Lobbying ist subtil, aber überall spürbar. Dass heutzutage pro Jahr mehrere Dutzend Fachforen zum Thema „Demografischer Wandel” stattfinden, ist vor allem der privaten Versicherungswirtschaft zu verdanken. Die versprach sich nämlich von einer breiten Demografie-Diskussion Schützenhilfe für die Einführung einer kapitalgedeckten privaten Säule der Altersversorgung. Gleichzeitig bilden sich um andere Themen Schweigekartelle, weil diese entweder nicht der medialen Aufinerksamkeitslogik entsprechen oder als echte Arkanbereiche sorgsam aus der öffentlichen Diskussion heraus-gehalten werden. Das Fazit zur zweiten These: es lässt sich ein irrlichtender Diskurs di= agnostizieren, weil der Funktionsmodus öffentlicher Kommunikation sich stärker an (medialen) Erregungsfaktoren als an gesellschaftlichen Regelungsbedürfnissen orientiert.

III.

Ein relevanter Faktor dieser diskursiven Fehlleitung ist auch im angeblich postideologischen Zeitalter die Ideologie. Denn Politik wie Medien haben sich rund fünfzehn Jahre lang einem marktradikalen Zeitgeist der Entgrenzung und des Abwerfens von Fesseln hingegeben, der freilich stärker ihre eigene Lebenswelt als die der Menschen und Mediennutzer reflektierte. Unvergessen ist Gabor Steingarts „lodernder Kern der Volkswirtschaft” – jene hoch produktiven Bereiche der deutschen Ökonomie, die angeblich von einem Ring unproduktiver Arbeit und einen überbordenden Sozialstaat eingemauert sind, der die Volkswirtschaft erdrosselt. Gleichzeitig wurden nach der Jahrtausendwende intellektuelle Positionen hoffähig, die noch wenige Jahren zuvor tabuisiert worden wären. Etikettiert werden diese vielfach als neubürgerliche oder neo-konservative Diskussionsbeiträge. Diese bilden neben marktradikalen Positionen den zweiten großen Diskursstrang in der öffentlichen Kommunikation und kreisen um traditionelle Themen wie Familie, Staat und Werte. Thilo Sarrazins 2010 erhobene Forderung nach einer Gebärprämie von fünfzigtausend Euro für Top-Akademikerinnen kam nicht von ungefähr, sondern ist jahrelang in der familienpolitischen Debatte vorbereitet worden. Bei vielen dieser Debatten ist auffällig, dass sie Anknüpfungspunkte an extrem rechtes Gedanken-gut bieten. Ein links-liberales oder emanzipatorisches Diskursprojekt mit Deutungsmacht ist dagegen nicht in Sicht.

IV.

Ein neuer Schub der Medialisierung hat die Gewichte zwischen Politik und Medien zugunsten der Letzteren verschoben. Das hat mit der besonderen Stellung der Medien in der Gesellschaft zu tun. Denn die Medien haben in der Demokratie eine ganz besondere, geradezu einmalige Funktion: sie beobachten die anderen gesellschaftlichen Teilbereiche und informieren diese so über sich selbst. Um dies erfolgreich tun zu können, muss das Mediensystem sehr offen für die Funktionsweise anderer System sein, an diese schnell Anschluss gewinnen können und die dortigen Gepflogenheiten verstehen lernen. Ein Wirtschaftsjournalist muss Bilanzen lesen können, ein Medizinjournalist etwas vom menschlichen Körper verstehen. Gleichzeitig aber, darauf hat Thomas Mergel hinge-wiesen, verteidigt dieses vegetativ so offen gestaltete System seine eigene Funktionslogik geradezu radikal, in dem es alles nur nach einem Kriterium bewertet: ob es zur Veröffentlichung relevant ist oder nicht. Das Mediensystem bewahrt also im Umgang mit anderen Gesellschaftsbereichen seine Eigenständigkeit durch Beharren auf seinen eigenen Funktionscode. Das aber bedeutet: Die Medien unterwerfen jene Bereiche, die sie beobachten, ihrer eigenen Funktionslogik .[3]

Seit den 1980er Jahren geriet die Politik — teils selbstverschuldet und eigennützig kalkuliert, teils einfach überrollt von der geballten Macht der Medien nach der Einführung des dualen Rundfunks und der damit verbundenen Vervielfältigung der Medienkanäle — mehr und mehr in den Sog von Medienerwartungen, ohne sich diesen widersetzen zu können. Gleichzeitig hat sich das Medienhandeln so beschleunigt, dass die Politik nicht mehr schnell genug den Stoff liefern kann, den die Medien in unendlicher Abfolge brauchen. Deswegen — und auch, weil sie zu einem gewichtigen ökonomischen Faktor aus eigenem Recht geworden sind — haben die Medien sich mehr und mehr von der politischen Prozesslogik abgekoppelt und orientieren ihre Berichterstattung jetzt zu-nehmend an ihrem eigenen Funktionscode.

Die Folge ist, dass die Aufinerksamkeitsregeln der Medien und vor allem des Boulevards omnidominant werden. Storytelling, also die Art und Weise, wie eine Geschichte möglichst unterhaltsam bzw. dramatisch erzählt werden kann, ist seitdem für die Auswahl von Nachrichtenstoff wichtiger als Inhalte. Personalisierung und Skandalisierung werden auch dort zu Ankerpunkten der Berichterstattung, wo es um routinehafte, nicht personengebundene Sachfragen geht. Unterhaltung gewinnt immer mehr an Bedeutung und damit obsiegt die Dominanz des Formats über den Inhalt endgültig. Denn es kann nur noch berichtet werden, was für die Medienkonsumenten unterhaltsam ist. Hinzu kommt: In der modernen Medienwelt sind Prominenz und Elite austauschbar geworden. Tagtäglich können die Redaktionen zwischen Boris Becker und Angela Merkel wählen, selbst seriöse Zeitung füllen ihre Titelseiten mit der Eurovisions-Gewinnerin Lena Meyer-Landrut. Durch die Gleichsetzung von E und U, von Einfluss und Bekanntheit haben die Medien vor allem einen Vorteil: sie sind von der Politik als Stofflieferanten weitgehend unabhängig geworden.

V.

Orchestriert wird dieser Prozess von einem Strukturwandel der Medien. Durch Konvergenz-Prozesse, die task-force-mäßige Organisation von Redaktionen und Ressorts, einen zunehmend spürbaren Einfluss des Boulevards und die Vervielfältigung der Medienkanäle bei sinkenden Personalzahlen in den Redaktionen wird Medienbericht Erstattung zunehmend beides: oberflächlich in den Inhalten und massiv konzentriert in der Intensität. Es kommt zur Vortäuschung publizistischer Pseudo-Vielfalt, etwa wenn die Springer-Blätter Welt und Berliner Morgenpost identische Artikel drucken oder die Politikressorts von Berliner Zeitung, Frankfurter Rundschau und Kölner Stadtanzeiger nur noch eine Redaktion für Parlamentsberichterstattung unterhalten. Damit einher geht auch eine Verschiebung innerhalb des Rankings der Leitmedien: Stern, Spiegel und Frankfurter Rundschau haben an Bedeutung eingebüßt, die Süddeutsche Zeitung hat ihr liberales Profil in den letzten Jahren zum Teil nach rechts korrigiert. Auch das öffentlich rechtliche Fernsehen hat seinen politischen Informations- und Analyse-Anspruch weitestgehend aufgeben und fungiert mehr als Service- und Infotainment-Provider. Die ökonomische Medienkrise bzw. die Strukturkrise der traditionellen Printmedien hat die-sen Prozess beschleunigt. Die Folge ist Qualitätsverlust bei gleichzeitiger Verdichtung der Kommunikation.

VI.

Die Politik hat nach wie vor kein Mittel gefunden, um den Ansprüchen der Medien ein eigenes, generisches Bild des Politischen entgegenzusetzen. Denn die Politik ist auf die Medien stärker angewiesen als die Medien auf die Politik. Mit der ihnen eigenen Selektionslogik entscheiden die Medien darüber, was in einer Gesellschaft als relevantes Problem empfunden wird. Damit nehmen sie der Politik die Aufgabe, aber auch die Möglichkeit ab, aus eigener Überzeugung heraus die ihr wesentlich erscheinenden Handlungsfelder zu thematisieren. Die Arbeitsteilung sieht heutzutage so aus, dass die Medien die Probleme liefern und die Politik die Lösungen. Um überhaupt Zugang zur Öffentlichkeit zu finden, imitiert die Politik die Aufinerksamlceitsregeln der Medien — oft um den Preis der Selbstaufgabe. Umgekehrt gilt, dass die Medien die Bandbreite des Politischen nur unzureichend erfassen, sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht in der Lage sind, die Prozesslogik der Politik adäquat abzubilden Das eigentlich Politische bleibt für sie oft unsichtbar. Diesen Effekt macht sich die Politik zunutze, um die Medien an der Oberfläche mit den von ihnen verlangten Inszenierungen zu bedienen, aber im Hinterzimmer ihren eigenen Code, ihr eigenes Programm zu verfolgen.

VII.

Trotzdem ist die Politik vom zunehmenden Mediendruck nicht unbeeinflusst geblieben. In den Parteien ist ein neuer Typus aufgetaucht: der Medienpolitiker, der vorbei an den eigenen Organisations- und Basisstrukturen seine Karriere auf Medienpräsenz begründet. Und in den Medien haben  Journalisten Einfluss gewonnen, die auch offen politisch intervenieren. Ausgedient hat dagegen ein Modell des anwaltschaftlichen Journalismus, der den Schwächeren der Gesellschaft Stimme und Präsenz geben wollte. Damit korrespondiert auch in der Politik zunehmend der Abschied der als altmodisch geltenden Aktivisten für eine bessere Gesellschaft. Beide Systeme — Journalismus und Politik — rücken in der Mitte zusammen und werden gleichförmiger, beliebiger, mehr und mehr „middle of the road”.

VIII.

unrecht hat sie damit nicht: Wenn die Medien in der einen Woche gegen Kamp fhunde und in der anderen gegen die NPD mobil machen, können sie sich schon in der dritten Woche genüsslich ganz anderen Themen zuwenden. Die Politik aber hat zwei neue Arbeitspakete verordnet bekommen, die sich — wie bei den Kampfhunden wegen des deutschen Föderalismus oder beim NPD-Verbot wegen der hohen verfassungsrechtlichen Hürden eines Parteienverbots — über Jahre hinziehen können. Scheitert dann wie beim NPD-Verbot auch noch ein solches politisches Projekt, gilt die Problemlösungsfähigkeit der Politik als beschädigt und die Medien prangern dies lautstark an. Dass man die Politik in ein von Anfang an wenig aussichtsreiches Projekt getrieben hat, findet natürlich keine Erwähnung. Dies sind dann regelmäßig Zeiten, in denen die Betriebstemperatur von Politik und Medien auf den Gefrierpunkt sinkt.

Die Kumpanei von Politik und Medien ist stets eine prekäre. Die Unterstellung einer rein symbiotischen Beziehung von Politik und Medien würde übersehen, dass es sich eben nicht um identische Systeme handelt, sondern dass Politik und Medien distinkt unterschiedliche Funktionen und Operationsmodi haben. Denn bei aller habituellen und sozio-kulturellen Nähe gibt es auch handfeste Interessensunterschiede: Die Politik hat ein Interesse daran, die Medien für ihre Zwecke gefügig zu machen und Störungen in ihrem Handlungsmodus möglichst zu unterbinden. Sie bedient sich hierzu verschiedener Mittel. Dazu zählen vorrangig: Inszenierung, selektiver Nachrichtenfluss, Einflusskommunikation im Hintergrund (Spin). Die Medien haben umgekehrt ein Interesse dar-an, Politik zu sensationalisieren, um ihre Reichweite zu steigern. Ihre bevorzugten Mittel hierfür sind: Boulevardisierung, Personalisierung, Skandalisierung, Kampagnenjournalismus.

Mit diesen Waffen ausgestattet, treffen Politik und Medien mit ihren unterschiedlichen Zielen aufeinander. Diese lassen sich etwa wie folgt skizzieren: Während Politik auf Entscheidungen, also das Lösen von Problemen aus ist, sind Medien mit der Problemerzeugung durch Thematisierung von Missständen, Skandalen etc. beschäftigt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Geschäftsmodell der Medien auf das Erzeugen von Interesse und Aufmerksamkeit ausgerichtet ist, während sich alle Energie der Politik auf Machtgewinn oder Machterhalt durch erfolgreiche Problemlösung ausrichtet. Medien sind in ihrer Selbstwahrnehmung dann erfolgreich, wenn sie möglichst viel Aufmerksamkeit erzeugen. Ein Journalist berichtete einmal, er habe im Februar 2006 die Interview-Aussage der Grünen-Politikern Bärbel Höhn, wenn es zu einer massiven Ausweitung der Vogelgrippe käme, könne dies auch Folgen für die Durchführung der Fußball-WM in Deutschland haben, unter die Schlagzeile „Höhn: WM absagen!” gestellt. Aufmerksamkeit bescherte ihm das allemal, sachdienlich war diese Verkürzung sicher nicht. Umso merkwürdiger, dass auch um dieses Thema sofort eine heftige Debatte entstand und die Agenturen bald meldeten, dass neben Frau Höhn immer mehr Politiker für eine Absage der WM plädierten. Die Medien hatten der Politik mal wieder ein Thema beschert, an dem diese sich tagelang die Zähne ausbiss. Die Schwierigkeit der Politik mit den Medien ist nämlich, dass diese ständig neue Probleme erzeugen, welche oft die administrative Verdaulichkeit des politischen Systems übersteigen. „Jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treiben”, nennt die politische Klasse dieses Phänomen. Und ganz unrecht hat sie damit nicht: Wenn die Medien in der einen Woche gegen Kampfhunde und in der anderen gegen die NPD mobil machen, können sie sich schon in der dritten Woche genüsslich ganz anderen Themen zuwenden. Die Politik aber hat zwei neue Arbeitspakete verordnet bekommen, die sich – wie bei den Kampfhunden wegen des deutschen Föderalismus oder beim NPD-Verbot wegen der hohen verfassungsrechtlichen Hürden eines Parteienverbots – über Jahre hinziehen können. Scheitert dann wie beim NPD-Verbot auch noch ein solches politisches Projekt, gilt die Problemlösungsfähiglceit der Politik als beschädigt und die Medien prangern dies lautstark an. Dass man die Politik in ein von Anfang an wenig aussichtsreiches Projekt getrieben hat, findet natürlich keine Erwähnung. Dies sind dann regelmäßig Zeiten, in denen die Betriebstemperatur von Politik und Medien auf den Gefrierpunkt sinkt.

IX.

Wie auch immer sich die Politik-Medien-Beziehungen gerade ausgestalten, gibt es eine Konstante: die dauerhafte, professionell bedingte Korruptionsanfälligkeit der Beziehung zwischen Politik und Journalismus, die verhindert, dass es zum totalen Abbruch der Beziehungen kommt. Diese gründet sich auf verschiedene Umstände. Da ist zum einem der ständige Tausch von Publizität gegen Information, der die tägliche Umschlagsroutine im politisch-medialen Geschäft bestimmt: Für Politiker gilt: wer Journalisten mit Neuigkeiten beliefert, bekommt positive Publicity. Entsprechend sind Politiker ständig versucht, durch Weitergabe von Infoimationen die Gunst der Journalisten zu erlangen. Und der Marktwert von Journalisten richtet sich stark danach, welche (vermeintlichen) Insider-Kenntnisse sie aus der Politik zugespielt bekommen. Die Folge: es kommt immer mehr Gerüchtekommunikation in Umlauf.

X.

Verlierer dieses Prozesses ist vor allem die dritte beteiligte Partei, die Bürgerinnen und Bürger, die sowohl an die Politik einen Transparenz- wie an die Medien einen Informationsanspruch haben. Die politisch-mediale Überhitzungsspirale droht diese Interessen regelmäßig durch schlichte Überforderung und die Kommunikation von Irrelevantem zu überrollen. Hinzu kommt: das Tempo der im politisch-medialen Komplex geforderten und eingeleiteten Reform- und Modernisierungsschritte droht die Menschen, die mit anderen Zeitbezügen und anderen lebensweltlichen Verankerungen leben als die Mitglieder des Biotops, abzuhängen. In dem Maße, in dem der politisch-mediale Komplex sich schließt, wird die dritte Anspruchspartei ausgeschlossen. Diese neigt freilich dazu, sich mit dem ihr Vorgesetzten zufrieden zu geben, statt ernsthaft eine bessere, weniger interessensgeleitete und an Ansprüchen der Allgemeinheit orientierte öffentliche Kommunikation einzufordern. Auch hier sind die Befunde erschreckend: Knapp 30 Prozent der Fernsehzuschauer werden durch Fernsehnachrichten gar nicht erreicht, weil sie diese entweder sofort wegschalten, sich unmittelbar nach der Sendung nicht mehr daran erinnern können oder die Nachrichten schlicht nicht verstehen. Nur ein Teil der Zuschauer ist in der Lage, Qualitätsunterschiede etwa zwischen Kabel-1 Nachrichten und der ARD-Tagesschau zu bemerken. Dass sich unter diesen Bedingungen politische Apathie breitmacht, muss einen nicht verwundern.

***

So stellt sich grob gesprochen die Situation dar: die Einen können nicht (die Politik), die Anderen wollen nicht (die Medien) und die Dritten (die Bürger) erkennen gar nicht den Zusammenhang zwischen demokratischer Diskursqualität und der Ausgestaltung des Gemeinwesens.

Diesen Zustand zu ändern, bevor wir italienische Zustände erreichen, müsste ein Anliegen der kritischen Öffentlichkeit, des Journalismus und auch der Politik selbst sein. Sowohl Politiker wie Journalisten müssten lernen, Ambivalenz in der politischen Kommunikation hinzunehmen, weil nun einmal die Welt auch ambivalent und weitaus komplexer ist, als Agenturmeldungen oder Präsidiumsbeschlüsse dies nahe legen. An die Stelle einer apodiktischen Sicht des „so ist es” träte dann der Versi}ch, die Welt in ihrer Kompliziertheit abzubilden. Das wäre nicht nur eine Hilfe gegen die Politikverdrossenheit, weil sich die Menschen plötzlich ernst genommen fühlen würden, sondern es machte auch die Frage nach dem „wie soll es sein” viel einfacher. Denn ein kleiner Schuss an Utopie kann uns allen nur guttun.

[1] Luhmann, Niklas (1996): Die Realität der Massenmedien, Wiesbaden (2. Aufl.), S. 9.
[2] Ulrich, Bernd (2010): Spielen und gurken; in Die Zeit Nr. 28 v. 8.7.2010.
[3] Vgl. Mergel, Thomas (2010): Politisierte Medien und medialisierte Politik. Strukturelle Kopplungen zwischen zwei sozialen Systemen; in: Klaus Arnold, Christoph Classen, Susanne Kinnebrock, Edgar Lersch u. Hans-Ulrich Wagner (Hg.): Von der Politisierung der Medien zur Medialisierung des Politischen? Zum Verhältnis von Medien, Öffentlichkeiten und Politik im 20. Jahrhundert, Leipzig, S. 29-50.

nach oben