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Wem gehören die Medien?

aus: vorgänge Nr. 192, Heft 4/2010, S. 55-65

„Wem gehören die Medien?” – das klingt nach einer Fleißarbeit mit vielen Schaubildern, mit Prozentangaben und Kästchen. In denen Namen wie Bauer, Burda, Holtzbrinck, Neven Du Mont stehen. Aus denen ersichtlich wird, dass der Westen der Republik publizistisch in der Hand der WAZ-Gruppe ist —Kenner reden von der Brost- und der Funke-Linie —, der Süden hingegen in der Hand der Südwestdeutschen Medien Holding, hinter der eher öffentlichkeitsscheue Eigner wie etwa ein Herr Schaub stecken. Außerdem gibt es da noch Verleger wie Ippen und Ganske und wie sie alle heißen. Und natürlich die mächtigen Witwen Springer und Mohn.

Denen gehören die deutschen Printmedien, die „Holzmedien”, wie wir neuerdings gern und keck sagen. Schon weil der Begriff automatisch die Assoziation freisetzt, dass da wohl irgendwie der Wurm drin ist.

Wir haben es hier weitgehend mit alten Imperien zu tun, mit einer Handvoll Milliardären, die sich größtenteils in der Forbes-Liste der Reichsten der Welt wiederfinden. Bauer, Burda, Holtzbrinck sind für jeweils so um die 2 Milliarden Umsatz im Jahr gut. Springer bringt es auf 2,6 Milliarden. Bertelsmann, jener Konzern, der 1835 mit dem Verkauf eines christlichen Liederbuchs begann, spielt mit seinen 1200 Einzelfirmen und Beteiligungen von Random House bis RTL in einer anderen Liga, kommt weltweit auf über 15 Milliarden. Das ist bereits die Sphäre, in der, noch etwas weiter oben, auch Disney und Rupert Murdochs News Corporation spielen.

Das Auslandsgeschäft, die globale Ausrichtung, wird aber auch für die anderen immer wichtiger. Längst sind deutsche Verlage tonangebend in Osteuropa. Gruner+Jahr etwa, eine Tochter von Bertelsmann, ist von den USA bis nach China aktiv, die Georg von Holtzbrinck GmbH in über 80 Ländern präsent. Die Bauer Media Group – das ist jene Hamburger Firma, die anno 1875 mit dem Druck von Visitenkarten begann, und wo seither wohl noch kein einziges aufklärerisches Wort erschienen ist – druckt heute mehr als 300 Zeitschriften in 14 Ländern, betreibt außerdem Dutzende Radiosender. Alle haben inzwischen auch ihre Online-Portale, produzieren Firmenblätter, machen sowieso in TV, Merchandising und so weiter.

Paul Sethe, einer der fünf Gründungsherausgeber der FAZ, spitzte die Zustände schon 1965 sehr knapp zu: „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.” 200 wäre heute vielleicht ein bisschen hoch gegriffen.

Der verlegerische Impetus hat sich ebenfalls stark verändert. Früher war der Verleger der Patriarch, der Talente um sich sammelte. Da durften auch ein paar dabei sei, die gar nicht seiner Meinung waren. Als Konfetti. ‚Zum Schmuck. Als Hofnarren.

Inzwischen aber hat sich auch hier die rein betriebswirtschaftliche Logik durchgesetzt. Die Inhaber sind zunehmend verunsichert über die Zukunft ihrer „Holzmedien”. In den Obergeschossen der Verlagshäuser herrscht eine Mischung aus Resignation und Aggression. Nicht, dass diese Imperien unmittelbar dem Untergang geweiht wären. Aber die hochgesteckten Renditeziele sind in den letzten Jahren doch zeitweise deutlich verfehlt worden. Das Plus stimmte nicht mehr. Weshalb die Medieneigner die Unternehmensberater in Marsch setzten, die Bergers, McKinseys und Co. Allesamt natürlich Experten in Sachen demokratischer Öffentlichkeit. Die zogen mit dem Rechenschieber in die Redaktionen. Und kamen — Überraschung —um Ergebnis, dass Qualitätsjournalismus doch verdammt teuer ist. Also wurde entlassen, entlassen, entlassen. Oh nein, Verzeihung: Freigesetzt.

Ja, das klassische Geschäftsmodell“ der Blätter hat Probleme. Aber das Untergangsgeschrei war auch enorm nützlich, um eine höhere Rendite zu sichern.

Meldung vom September 2010: Das erste Halbjahr 2010 verlief für den Bertelsmann-Konzern außerordentlich positiv. Auf 755 Millionen Euro bezifferten die Gütersloher das Operating EBIT. Im gleichen Vorjahreszeitraum hatte es bei 497 Millionen Euro gelegen. Der Netto-Gewinn betrug 246 Millionen nach einem Minus von 333 Millionen vor einem Jahr. Der Konzernumsatz landete bei 7,4 Milliarden Euro. Die starken Zuwächse führt das Bertelsmann-Management vor allem aufgestiegene Anzeigenerlöse bei den Töchtern RTL Group und Gruner+Jahr zurück. Der Hamburger Verlag konnte seinen Vorsteuergewinn im ersten Halbjahr von 55 auf 130 Millionen Euro steigern.

Eindeutig: Eine Krise.

Zweite Meldung. Gut zwei Wochen alt:
Die erste Tarifrunde Tageszeitungen am 14. September in Berlin endete anders, als von den Gewerkschaften DJV und ver.di erhofft. Statt über angemessene Gehaltserhöhungen für die rund 14.000 Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen zu verhandeln, stellten die Zeitungsverleger Forderungen an die Flächentarifverträge in den Raum. Weil sich die Zeitungsbranche in strukturellen Schwierigkeiten befinde, so die BDZV-Vertreter, seien Abstriche unausweichlich.

Sie können gar nicht mehr anders als kürzen, streichen, „abbauen”.
Meldung 3, auch ganz frisch:

Auf stabile Anzeigenumfänge in den ersten acht Monaten dieses Jahres blicken die Zeitschriftenverleger zurück. Von Januar bis August nahmen die Anzeigen in den Zeitschriften ebenso viel Raum ein wie im gleichen Vorjahreszeitraum. Das ermittelte die Zentrale Anzeigenstatistik des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger. Die stabile Anzeigenlage macht sich offenbar auch positiv in den Verlagskassen bemerkbar.

Immer mehr Medieninhaber betreiben ihr Geschäft, als würden sie Schrauben, Schnittkäse oder Sonnenschirme verkaufen. Sie haben kein Anliegen mehr, das größer ist als Geld. Besonders gut sichtbar sind die Folgen eines rein renditeorientierten Betriebes bei den Privatsendern. Seit 2007 sind Finanzinvestoren auf diesem Sektor direkt aktiv: Die Permira Beteiligungberatungs GmbH sowie Kohlberg Kravis Roberts & Co (KKR) befehligen ProSiebenSatl. Diese Leute machen keinen Hehl daraus, dass sie sich genau null Sekunden lang für die gesellschaftliche Rolle ihrer Sender interessieren. Information? Aufklärung? Was ist das? Was kostet das? Kriegen wir die Zuschauer auch billiger? Es ist halt nur ein Investment. Durch Druck, Betriebsverlegungen und Entlassungen trimmen sie den Börsenkurs genau so lange, bis sie den besten Preis bekommen. Verglichen damit wirkt manch Altverleger schon wieder wie ein Musterdemokrat. Selbst die FAZ sprach angesichts des Treibens im Münchner Sender einmal von „Heuschreckenlogik”.

Womit geklärt wäre, wem Printmedien und Privatsender „gehören”. Im Sinne von: in Besitz sein.

Gesammeltes Schweigen

Und dann haben wir da noch die öffentlich-rechtlichen Sender, die Anstalten, wie es so schön und manchmal allzu treffend heißt. Das sind diese großen Häuser mit diesen endlos langen Korridoren, in denen die Machtkämpfe besonders kompliziert sind. Meiner Ansicht nach ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk eines der schönsten Geschenke, die uns die alliierten Siegermächte, vorneweg die Briten, nach 1945 gemacht haben. Aus der verheerendsten Propagandawaffe der Nazis wurde ein zumindest potentiell demokratisches Medium, das obendrein, zumindest potentiell, im Besitz aller ist. Umso betrüblicher, dass die Anstaltsrealität zuweilen krass vom Idealzustand abweicht. Iln vergangenen November feuerte das ZDF auf Druck eines Roland Koch mal eben seinen Chefredakteur. Das machte einigen Wirbel. Es gab laute Proteste. Doch letztlich fügten sich alle. Im Mai stieg Regierungssprecher Ulrich Wilhelm (CSU), also die oberste Sprechblase der Regierung Merkel in Berlin, mal eben in den Flieger nach München und ließ sich zum Intendanten des ach so staatsfernen Bayerischen Rundfunks küren. Nahtlos.; Der Rundfunkrat wählte ihn mit 40 von 44 Stimmen. Dort ist angeblich die Gesellschaft repräsentiert. Es ist eine Farce. Eine Frechheit. Eine Beleidigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und damit der ganzen Gesellschaft. Ein weiteres Beispiel für schamlose Medienmachtpolitik. Und es wirkt fast schon wieder ein guter Witz; dass sich Frau Merkel bei der Suche nach einem Nachfolger für den Herrn Wilhelm ausgerechnet beim ZDF bedient hat. Hurra, könnte man rufen, das Perpetuum mobile ist erfunden.

Gewiss, einen gewissen Prozentsatz von Wichtigtuern und Vasallen gibt es immer. Das muss womöglich so sein. Selbst beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Heinrich Böll hat diesen Umstand schon vor über 50 Jahren in „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen” wunderbar beschrieben. Da gab es noch gar kein ZDF. Heute toben die entscheidenden politischen Schlachten um das Fernsehen. Weil es für die politische Bewusstseinsbildung der Massen extrem wichtig ist. Weil sich hier jeder ein Bild macht.

Die Kochs dieser Republik werden nicht eher ruhen, bis auch der letzte kritische Geist ängstlich die weiße Fahne schwenkt. Man kann ja sehen, was sie mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten in ihren Fürstentümern treiben. Man sollte sich überhaupt sehr viel genauer anschauen, was die Ministerpräsidenten mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk machen. Sie haben viel zu viel Macht über ihn. Sie können über die Gebührenfestsetzung, die Gremien und das Spitzenpersonal tief ins Programm eingreifen. Wobei man zugeben muss, dass das Spitzenpersonal auch von ganz alleine auf viele dumme Ideen kommt. Die beunruhigendste Tendenz: Die geistige Entleerung der Massenprogramme im Fernsehen wie im Radio. Die wachsende Neigung, alles, was im Hirn einen Funken schlagen könnte, auf hübschen Sonderkanälen wie Arte oder im Nachtprogramm weg zusenden. Während die Hauptprogramme nur noch einlullende Massenbespaßung abstrahlen.

Vor allem die Christenunion zeigt immer wieder, dass sie ein gestörtes Verhältnis zum Grundauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat, ihn eher als Werkzeug betrachtet. Und sich im Zweifel auf die Seite der Medien-Privatbesitzer schlägt, mit denen sie irgendwie enorm gut befreundet zu sein scheint. Die Verleger haben ihren Spaß mit dieser Regierung. Ihr wichtigstes Schlachtfeld ist derzeit das Internet. Der Markt der Zukunft. Wo die Verleger mehr verdienen wollen, etwa mit Hilfe eines neuen so genannten „Leistungsschutzrechtes”, dass ihnen — nicht den Urhebern — das Inkasso für Online-Inhalt erleichtern soll.

Zugleich feuern die Medienbesitzer, vor allem der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger und der Verband Privater Rundfunk und Telemedien, seit Jahren aus allen Rohren gegen die Online-Präsenz der Öffentlich-Rechtlichen. Die sollen aus dem Netz gedrängt werden. Unter tatkräftiger Mithilfe vieler Politiker. Das erinnert an den Kampf um die Claims in der Antarktis. Wo jeder, der genug Macht zu haben glaubt, mal eben seine Fahne ins Eis rammt. Um sich Schätze zu sichern. Auch hier geht es um Marktanteile. Die Erfolge sind erschreckend: Die Politik war den Medienbesitzern zu Willen. Dank eines neuen Medienstaatsvertrages sind ARD und ZDF seit Neustem gezwungen, zur Löschung ihrer Inhalte im Internet zu schreiten. Eine Massenvernichtung von Information. Stoff, für den wir Gebühren zahlen. Und der weg muss, damit bei anderen die Kasse stimmt.

Margarine, Mode und Popstars

Medien sind die Plattform für alle Öffentlichkeit, die über unseren persönlichen Gesichtskreis hinausreicht, über die unmittelbare Familie, die Kollegen, Bekannten, Freunde und Feinde. Wobei das nicht mehr ganz stimmt: Ein soziales Netzwerk wie Facebook, das ja ebenfalls Medium ist, strukturiert auch die Wahrnehmung der unmittelbaren Umgebung neu. Medien liefern uns das Material zur Deutung der Welt, unserer Welt. Medien liefern uns Unmengen Informationen frei Haus, auch Sichtweisen und Einsichten, Lebensstile, Stimmungen, Zerstreuung — Lachen und Weinen inklusive. Weshalb die Frage so wichtig ist, wem sie gehören. Und wem sie gehorchen.

Beim Gehorchen tut sich auch so einiges. Vor allem auf jenem Sektor, den ich „orchestrierte Kommunikation” nennen möchte. Die industrielle Meinungsmache, den Spin. Es gibt eine wachsende Kontrolle von öffentlicher Darstellung, einen wachsenden Hang zur Inszenierung. Politik wird immer mehr zur Seifenoper, wird in Szene gesetzt und vermarktet wie früher nur Margarine, Mode und Popstars.

Das hat mit der Privatisierung der Welt, zu tun. Damit, dass immer größere Teile des Gemeinwesen in den Besitz nicht demokratisch legitimierter Macht übergehen. Auch mit den Ratingagenturen. Denn ein klares Triple-A von Standard & Poor’s ist heute wichtiger als alles Journalistengeschnatter – für Firmen wie für Staaten.
Das hat überdies damit zu tun, dass sich öffentliche Wahrnehmung zusehends auf eine kleine Schar von Top-Akteuren verengt, die zumeist auch nicht mehr als politische Wesen, als artikulierte Interessen, sondern nur mehr als Solo-Darsteller erlebt werden, die sich auf der polit-medialen Bühne mehr oder weniger raffiniert präsentieren. Es ist an der Zeit sich verstärkt mit den Dirigenten dieses Orchesters auseinanderzusetzen. Da ist nicht nur die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, über deren keckes Treiben wir uns so gerne lustig machen. Meinungsmache ist eine globale Industrie geworden. Immer mehr sucht sie unser aller Sicht auf die Verhältnisse zu bestimmen. Keine Figur von Rang tritt mehr in die Öffentlichkeit ohne eine Armada von Imageberatern, Agendasettern und Marketingexperten. Politische Entscheidungsprozesse sind in allen Stadien den Pressionen einer kolossalen Lobby-Maschinerie ausgesetzt. Journalisten werden geschickt   umschmeichelt und mit Geschichten gefüttert. Keine Party steigt mehr ohne Eventmanager. Selbst Kriege werden heute unter Feuerschutz von mindestens einem Dutzend PR-Agenturer geführt.

Zu diesem Bild gehört auch das vermeintliche unpolitische Wirken der Zerstreuungsindustrie. Die Welt der Promis, der Lightshows und des menschelnden Schwachsinns. Sie fuhrt zur Entkoppelung breiter Massen vom gesellschaftlichen Diskurs. Sie kreiert eine Art Anti-Welt. Eine Öffentlichkeit, die Wirklichkeit verweigert. Sie befördert das Auseinanderdriften der Gesellschaft, vertieft den Graben zwischen Habenden und Habenichtsen. Verschärft das Unten und Oben.

Unten macht sich ein fatalistischer Verdruss über die so genannten Eliten breit. Während oben die Verachtung gegenüber dem so genannten einfachen Volk wächst. Die Mittelschicht lebt derweil in Angst und zeiht einen wachsenden Drang zur Abgrenzung gegen alles Fremde, dass ihr den Platz streitig machen könnte.

Wem gehören die Medien? Wem sollten sie idealerweise gehören? Die Antwort ist einfach: Allen. Uns. Medien spiegeln und formen Gesellschaft. Medien sind der Ort, wo unsere Wirklichkeit beschrieben, reflektiert, debattiert und bewertet wird. Wo die Gesellschaft zu sich spricht.

Zivilisation – das ist die Zügelung von Macht und Gewalt in einer und durch eine informierte Öffentlichkeit. Medien sind die Vehikel dieser öffentlichen Kontrolle. Oder sollten es doch sein. Deshalb nennt man sie die vierte Gewalt.

Ja, es gibt andere Öffentlichkeiten: den Marktplatz, die Parteien, die Gewerkschaften, Vereine, Initiativen, NGOs. Doch auch was hier besprochen und getan wird, erschließt sich einer großen Zahl von Menschen nur über Medien. Es ist elementar für die Demokratie, wer mitreden darf; wer den Ton angibt. Wie laut abweichende Meinungen werden dürfen. Und am Ende immer, wer die Entscheidungen trifft. Die „Elite” und ihre Experten, die exklusiven Clubs? Die Börse, die Bürokratie, die Billionäre ? So kann es nicht gehen.

Der hochgeschätzte Kollege Mathias Greffrath hat es schon vor Jahren klar umrissen: In den letzten drei Jahrzehnten sind die Medien dem Marktgesetz verfallen. Ihre neue „ Vielfalt” ist passgenauer Überbau der ökonomischen Basis: Unterschichten lernen auf Unterschichtenschulen, schlucken Unterschichtenessen, sehen Unterschichtenfernsehen; Eliten gehen auf Privatschulen, essen und joggen mit Stil und lesen FAZ, SZ und notfalls Die Welt.

Öffentlichkeit ist auch der Ort, an dem sich eine Gesellschaft über ihren Fortschritt verständigt. Da kann es einen schon manchmal rasend machen, wie wenig sich hier in eine gute Richtung bewegt. Ich glaube, es liegt auch daran, dass Ideen und Visionen heute als bedrohlich, gefährlich und spinnert gelten. Warum etwa haben wir nicht endlich eine Schule, die alle Kinder fördert, ihnen hilft, möglichst fröhliche, tolerante, kluge und neugierige Menschen zu werden? Der Kampf darum tobt seit mindestens 40 Jahren, ein zäher Stellungskrieg in mittlerweile 16 Fürstentümern. So sehr sich viele mühen, es im konkreten Alltag gut zu machen – das marode Fundament stammt aus dem 19. Jahrhundert. Es darf nicht angetastet werden, es steht unter ideologischem Denkmalschutz. Unser „bürgerliches Lager” will es so. Wir sind neben Österreich inzwischen das letzte Land in Europa, das auf Frühselektion setzt. Das Resultat ist dokumentiert: eine gigantische Verschwendung von Talent und Lebensglück. Der soziale Status der Eltern entscheidet weiter über die Chancen der Kinder. Deutschland, ein Exzellenz-Cluster? Nein, ein Inkompetenz-Zentrum.

Ein Neuanfang

Es ist die zweite Demokratie, die wir in Deutschland haben. Die erste ist nicht zuletzt am Versagen der Medien zugrunde gegangen, an Propaganda, Gleichschaltung, Duckmäusertum. An einer zunehmend lautstarken Verachtung der Demokratie. Der Rüstungs- und Medienunternehmer Alfred Wilhelm Franz Maria Hugenberg, der die halbe deutsche Presse kontrollierte, war einer der wichtigsten Wegbereiter des Nationalsozialismus. Was genau haben wir seit Hugenberg dazugelernt??

Ich glaube, eine ganze Menge. So lange öffentlich-rechtlicher Rundfunk halbwegs funktioniert, so lange Verleger nicht zu Fabrikanten regredieren, sondern gesellschaftlich verantwortlich handeln — und begreifen, dass ihre Medien nicht nur einen Warencharakter haben, sondern eine darüber hinausgehende, sehr grundlegende kulturelle Funktion, ist unser duales System im Prinzip gar nicht schlecht. Wir genießen einen Murdoch nur in homöopathischen Dosen. Wir haben keine Fox News. Und, ganz nebenbei, auch kein ZK mehr, dass die Medien streng steuert und zensiert.

Verleger? Das ist ein komisches Wort. Es ist vor Jahrhunderten entstanden und hieß eigentlich wohl Vorleger. Das war der, der die Kosten für den Druck eines Buches vorlegte… Verlegen — das war in Deutschland immer eine Sache des Clans. Man wurde es qua Geburt — wie Bauer, die Holtzbrincks, Neven DuMont, auch Axel Springer und Hubert Burda. Oder per Eheschließung. Oder per Adoption. Der vierte Weg war – nach Kriegsende – die Lizenz. Die alliierten Sieger über das faschistische Deutschland legten unser Mediensystem vor 65 Jahren still. Die Herstellung und der Vertrieb von Presse waren nur nach Erhalt einer solchen Lizenz möglich. Weil klar war: Ohne das Versagen und die darauf folgende Gleichschaltung von Presse und Rundfunk wäre der Triumph des Nationalsozialismus undenkbar gewesen.

Neue, integre Medienbesitzer sollten fortan die Öffentlichkeit bedienen. Die Suche nach den richtigen, „demokratisch gesinnten” Leuten verlief streckenweise ziemlich mühsam. Findungskommissionen brausten in Jeeps durch das in jeder Hinsicht verwüstete Land. Gerd Bucerius, Henri Nannen, Rudolf Augstein und andere erhielten schließlich Lizenzen. Bei Axel Caesar Springer, der eigentlich Opernsänger werden wollte, fügte es sich doppelt. Er erbte einen kleinen Verlag – und bekam eine Lizenz. Springer war ein ziemlicher Aufschneider. Als die Briten ihn fragten, ob er im Dritten Reich verfolgt worden war, soll er geantwortet haben: „Eigentlich nur von den Frauen!”

Es war ein echter Neuanfang. Naja, fast. Die Burdas und die Mohns verschleierten die Rolle ihrer Verlage unter den Nazis. Der deutsche Verleger ist nämlich auch flexibel. Während des Kieges druckte Burda Generalstabskarten. Und Bertelsmann „Feldausgaben“ für die Front. Georg von Holtzbrinck war NSDAP-Mitglied. Der Historiker Wolfgang Benz resümierte sein Wirken so: „Die Geschichte des Unternehmers Georg von Holtzbrinck im Dritten Reich ist so unspektakulär wie bedrückend. Er war kein fanatischer Ideologe, kein bösartiger Antisemit, kein wilder Militarist, er hat sich nur einfach angepasst. Um des Geschäftserfolgs willen.”

Und trotzdem: Ein Neuanfang. Als John Seymour Chaloner, Presseoffizier der britischen Besatzungszone sich 1946 zum ersten Mal mit Rudolf Augstein traf, war Chaloner 21 Jahre alt. Und Augstein 22. Er bekam die britische Lizenz Nr. 123. Die Süddeutsche Zeitung hatte die US-Lizenz Nr. 1. Mit dem Grundgesetz 1949 kam dann eine Generallizenz zum Zeitungsmachen. Seither darf jeder. Man wünscht sich manchmal, dass da wieder einer käme und ein paar mutigen Habenichtsen die Lizenz zum Medienmachen in die Hand drückte. Aber das wird nicht passieren. Oder nur um dem Preis einer Katastrophe.

Haltungsschäden

Das Problem ist nicht nur ein strukturelles. Es hat auch etwas mit der Haltung des Einzelnen zu tun. Vor allem in meinem Beruf, dem Journalismus. Der ja so etwas wie der Maschinenraum der Öffentlichkeit ist. Der Politik wie der Wirtschaftsjournalismus hat sich im neuen Jahrtautsend schon gründlich blamiert. Wirtschaftsressorts verkamen zu marktfundamentalistischen Sekten. Deutsche Politschreiber haben sich 2005 mit einer großen Merkelei lächerlich gemacht.

2009 gaben sie sich dann betont gelangweilt – was keinen Deut besser war. Die publizistischen Alphatiere fielen in eine postdemokratische Attitüde, fanden Demokratie plötzlich ziemlich lahm und langweilig und die Politiker sowieso alle doof. Global sind wir Journalisten in diesem Jahrtausend bereits an George W. Bush, Waldimir Putin, Jörg Haider und Silvio Berlusconi gescheitert. Aus höchst unterschiedlichen Gründen. Die Öffentlichkeit steckt nicht nur in Deutschland in der Krise.

Der Journalismus hat einen Haltungsschaden. Auch, zum Beispiel in den USA. „Das renommierte Corps der Hauptstadtkorrespondenten „, resümierte der Pulitzer Preisträger, Russell Baker zum Ende der Ära Bush, habe sich „mit Lügen abspeisen und zur Hilfstruppe einer Clique neokonservativer Verschwörer machen lassen”. Das liegt unter anderem daran, dass die misten Journalisten kaum noch Journalismus machen. Im Sinne von: Rausgehen und recherchieren. Wenn die schiere Zahl der Journalisten Garant für hohe Qualität wäre, spottet der US-Medienökonom Robert Picard, „wäre niemand überrascht worden vom Bankendebakel, dem Zusammenbruch des sowjetischen Blocks, der internationalen Schuldenkrise, der US-Hilfe an Regierungen in Zentralamerika, der Iran-Contra-Affäre, der Kinderarbeit in Entwicklungsländern, dem explosiven Wachstum der chinesischen Wirtschaft oder dem wachsenden nationalen oder internationalen Terrorismus”. Denn die Zahl der Journalisten sei ja seit 1970 stark gewachsen. Das Problem, so Picard: „Die meisten Zeitungsjournalisten kümmern sich um alles außer die wichtigen Nachrichten. Sie verbringen ihre Zeit, um Geschichten über Stars, Essen, Autos und Unterhaltung zu schreiben.” Auch deshalb erscheint Demokratie immer öfter wie ein Ritual, ein inszenierten Spiel, eine hohle Nummer, ein Placebo. Was eine brandgefährliche Tendenz ist. Weil sie dem Rechtspopulismus die Tür aufreißt. Dessen Trick es ist, der Komplexität einer sich globalisierenden Weit die simple Formel entgegenzubrüllen, Schuld zuzuweisen: Den Fremden, den Muslimen, den Juden, den Linken, den … –jedenfalls immer den anderen. Er schafft Fronten und Feindbilder. Es bündelt die Angst der Menschen und zieht sie an ihr durch die Manege.

Erregung ist die wichtigste Waffe

Hier spätestens zeigt sich, dass Medienfragen Machtfragen sind. Dass haben wir bei Berlusconi gelernt. Der in Italien schon dreimal gesiegt hat. Weil er jede Menge Medien besitzt. Und weil er es geschafft hat, die Emotionen der Menschen zu kapern. Wir erleben es, in einer anderen Form, auch bei Sarkozy. Der musste die Schlüsselmedien nicht in seinen Besitz bringen. Er profitiert von zunehmend industriellen Medienstrukturen der Grande Nation. Die mächtigsten Medienoligarchen sind seine Freunde. Martin Bouygues (TFl) war sein Trauzeuge und Taufpate seines Sohnes Louis. Arnaud Lagardere (Elle, Paris Match, Journal du Dimanche, Europe 1) schwärmte, Sarkozy sei „wie ein Bruder“ für ihn. Vincent Bollore (Matin Plus, Direct 8) ließ Sarkozy 2007 auf seiner Jacht Paloma vor Malta kreuzen. Alle sind sie mit von der präsidentiellen Dauerpartie. Bernard Arnault (Les Echos) durfte als Trauzeuge bei Sarkozys vorletzter Heirat dienen. Am 6. Mai 2007, dem Tag von Sarkos Sieg, trafen sich all die guten Freunde im Le Fouquet’s auf der Avenue des Champs-Elysees, um viele Korken knallen zu lassen.

Sie alle bedienen mit ihren Medien und ihrer Rhetorik die Emotionen des Volkes. Vor allem dessen Angst. Und bestimmen so den Diskurs. Erregung ist dabei die wichtigste Waffe. Was wir just im Kleinen auch in Deutschland sehen durften. Bei der sagenhaften Sarrazin-Debatte. Ein Paradestuck der seit Jahren grassierenden Erregungskultur. Ein Musterbeispiel für einen Medientornado, für jenes Saureiter-Gewerbe, zu dem Journalismus gerne mal verkommt. Ja: Man muss die Sau rauslassen. Und sie durchs Dorf treiben. Das schafft Aufmerksamkeit. Aufregung. Auflage.

Was ist geschehen? Thilo Sarrazin, Sozialdemokrat, Volkswirt, Ex-Senator und Bundesbanker, schrieb ein Buch: „Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen”. Voller Zahlen. Und voller Verachtung für die vermeintlich dumme, aber umso vermehrungsfreudigere Unterschicht. Am schlimmsten: Diese Zugewanderten. Vor allem die Türken. Die ja, das hatte der Banker schon im vergangenen Jahr laut kundgetan, viel zu viele „Kopftuchmädchen” produzieren. Es kam daher als kalte Kosten-Nutzen-Analyse.

Für solch ein Buch muss es Bumm machen. Auf großer Bühne. Und tatsächlich sorgen Bild und Spiegel – die neue, unheilige Sautreiber-Allianz – für maximalen Lärm. Ihre angeblich 18 Millionen Leser dürfen sich vorab in den knackigsten Phrasen suhlen. Das lohnt sich – für Sarrazin wie für die Blätter.

Nun stürzen alle anderen Medien dieser Sau hinterher – schreiben, knipsen und senden, was das Zeug hält. Ein „Aufreger” ist geboren. Und weil so eine tolle Erregung schneller zusammenfällt als ein Soufflè, muss nachgeheizt werden. Zum Beispiel mit ein bisschen erbbiologischem Unfug. Mit ein wenig Gerede von den Genen der Juden oder der Muslime, der Klugen und der Dummen, der Ober- und der Unterschicht.

Das sind Perlen für die Sau. Das kreiert noch mehr Schlagzeilen. Noch mehr Auflage. Das weckt Empörung und Protest. Was wiederum die Möglichkeit schafft, die Tabu-Taste zu drücken. Der Spiegel titelt über den „Volksheld Sarrazin”. Während Bild – das ~Zentralorgan unterdrückter Minderheiten – ihren Klartext-Thilo zum Opfer bitterböser Kritiker stilisiert. Meine Lieblingsschlagzeile: Bild kämpft für Meinungsfreiheit!

Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!, heißt es jetzt großen Lettern, und : Wir wollen keine Sprechverbote! Illustriert übrigens, oh Gipfel der Ironie, mit einem Foto, das den vermeintlich mundtot gemachten Propheten zeigt, wie er von einer gigantischen Zahl von Mikrofonen bedrängt wird, deren Halter nur das eine wollen: Mehr von diesem geilen Sarrazin-Superstoff.

Da gehen auch die Lautsprecher flugs in Stellung. Das Stammpersonal der Talkrunden stürzt sich in den Sautreiber-Strom. Damplauderer wie Arnulf Baring, Hans-Olaf Henkel, Henryk M. Broder und Matthias Matussek. All die Wellenreiter der öffentlichen Erregungsstürme. Und die Vollzeit-Pyromanen, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, von hinten halb rechts auf den teuren Sozialstaat und die öde „Konsensgesellschaft”, auf die Muslime und alle so genannten „Gutmenschen” niederzugehen.

Niedere Instinkte sind geweckt. Der Lärmpegel steigt. Das Niveau sinkt weiter.

Schon jubelt die NPD. Während Frank Schirrmacher sich in der FAZ die „Frau Merkel“, vorknöpft, weil sie das Buch noch nicht komplett gelesen hat. Dieses „wichtige Buch”, das .aucli ~;,Bild“ weiterhin tagtäglich feiert. Das endlich sagt, was das Volk wirklich will, diese ewig unverstandene, gequälte Masse, dessen neue, klare Stimme nun Sarrazin heißt. „Die Politik” hingegen ist ach so bös und fern und unter aller Sau. „Die Politiker”, so klingt seit Monaten der postdemokratische Refrain, der auch jetzt wieder laut angestimmt wird, „die Politiker” taugen ja sowieso alle gar nichts. Das ist die klassische Rezeptur des Rechtspopulismus

Sicher: Demokratie – die Herrschaft des Volkes – kann nur als Annäherung gelingen, bleibt ein Ideal. Immer bloß bedingt erreichbar. Es wird immer Menschen geben, die nur vor sich hin leben, nur konsumieren, in Ruhe gelassen werden und ein bisschen bespaßt werden wollen – von den Medien. Es wird immer Gruppen geben, die sich nur schwach artikulieren können, die weniger durchsetzungsstark und damit „wert” sind als potente, lautstarke Interessen.

Umso wichtiger ist, dass Medien für das Recht auf Teilhabe aller an den Entscheidungen – und am Wohlstand – eintreten .Dass sie gerade jene Menschen mitreden lassen, die solches nicht qua Amt, Macht ,Geld ohnehin tun. Dass sie immer wieder fragen:

Wie sind die Chancen verteilt?
Wie sozial, wie frei, wie gerecht ist unsere Gesellschaft?
Wie viel Würde genießt der einzelne?
Wie viele fallen hinten runter?
Wer hat noch das Wort?

Tatsächlich aber inszeniert die Talk-Demokratie zumeist nur den stets gleichen Leer-Diskurs einiger hundert Darsteller.

Ein demokra­ti­sches Wunder

Genug Misere. Reden wir von der Zukunft. Fragen wir uns: Wie eine Öffentlichkeit herstellen – oder wiederherstellen, die mehr kann, als nur die fetteste Sau durchs Dorf reiten? Kann der Markt es richten? Was tun, wenn auch auf diesem Sektor ein Marktversagen
eintritt?

Jürgen Habermas hat 2007 zur Rettung des seriösen Zeitungswesens eine gesellschaftliche Alimentierung nach Art des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorgeschlagen. Weil Leser, Hörer und Zuschauer nicht nur Konsumenten sind. sondern Zitat – zugleich Bürger mit einem Recht auf kulturelle Teilhabe, Beobachtung des politischen Geschehens und Beteiligung an der Meinungsbildung“. Weil der durch die Verfassung garantierte Rechtsanspruch auf mediale Grundversorgung nur durchsetzbar sei, wenn Medien unabhängig von Werbung und Sponsoreneinfluss bleiben. Staatsknete für die Zeitungen? Die Reaktionen waren überwiegend unbegeistert.

Es gibt auch andere Modelle: Stiftungen etwa, die unabhängigen Journalismus fördern. Wie wäre es zum Beispiel mit einer deutsche Filiale des „Center for Investigative Reporting“? Oder mehr Rechechestipendien; wie sie etwa vom Netzwerk Recherche oder der Otto-Brenner-Stiftung vergeben werden? Man könnte hier moderne investigative Auftragsdienste schaffe, nach dem Vorbild des amerikanischen „Spot us“ – Recherche sozusagen on demand, im bezahlten Leserauftrag.

Als ich vor über 20 Jahren online ging, gab es noch kein World Wide Web. Die Schirme zeigten grüne Buchstaben. Man musste kryptische Kommandos eingeben, um auch nur den Inhalt der eigenen Diskette betrachten zu können. Aber das Internet gab es schon. Und es war ein Hochgefühl, das erste Mal in diese Welt einzutauchen, online zu gehen, mit lächerlichen 300 Bits pro, also, bei guter Verbindung; knapp 38 Buchstaben pro Sekunde – man konnte mitlesen. Schon damals gab es E-Mail und Foren. Listserver, auf denen Leute aus aller Welt sich über Themen austauschten und Informationen zur Verfügung stellten. Und es war klar: Das wird gut.

Ich weiß, es gibt immer noch viele Leute, auch Journalisten, die finden, das Internet sei des Teufels und eigentlich sowieso nur eine interaktive Datenbank für Kinderpornos. Es gibt auch immer noch Snobs, die lieber mit dem Füllfederhalter schreiben. Das sei ihnen gegönnt.

Doch wenn wir über demokratische Öffentlichkeit reden, vor allem über Gegenöffentlichkeit, nimmt das Internet die absolute Schlüsselrolle ein. Es wächst rasant. Es liefert nicht nur Unmengen von Informationen. Es verändert auch die Kommunikation. Sicher: Das Internet ist auch full of shit. Es erhöht das ohnehin lärmende Grundrauschen. Und viele chatten sich einfach nur ins Nirwana .“Größere Zusammenhänge haben es auch im Internet oft nicht leicht. Man kann eine große Reportage, eine komplexe Analyse, nicht einfach in 150 Textkrümel zerbröseln und versimsen oder vertwittern. Und trotzdem ist das Internet ein demokratisches Wunder. Es ist, als ob ein guter Geist allen Erdenbürgern – fast allen, auch der Zugang zu Computern ist begrenzt – eine Druckmaschine in die Hütte gezaubert hätte. Und dazu, was noch viel wichtiger ist, ein blitzschneIIes weltweites Vertriebssystem. In vielen Ländern entstehen online neue, gute Medien. In Frankreich etwa haben viele gefeuerte Redakteure neue digitale Projekte aufgezogen, Internet-Zeitungen wie Rue89 oder mediapart.

Ein paar Bausteine zum Schluss:

  1. Die Enteignung Springers gelang nicht. Das war vielleicht ganz gut so. Die Linke hätte sich ohnehin nie auf einen Chefredakteur einigen können. Was bleibt: Die,.Gese1lschaft muss die Medieninhaber viel stärker in die Pflicht nehmen. Sie handeln nicht mit Schrauben oder Schnürsenkeln. Sie haben eine enorme demokratische Verantwortung.
  2. Wir brauchen eine öffentlich-rechtliche Renaissance, einen Rundfunk, der tatsächlich von den gesellschaftlich relevanten  Gruppen gesteuert wird. Wir müssen dem politischen Erstickungstod von Anstalten wie etwa dem Hessischen Rundfunk entgegentreten. Und die Entleerung der Hauptkanäle verhindern-
  3. Wir brauchen ein anderes, freieres, zornigeres, couragierteres journalistisches Selbstverständnis. Zu viele werden gebrochen durch lebenslange Praktika, durch den Druck des Marktes. Zu viele schwimmen mit im Mainstream. Übrigens, nebenbei: Es ist – das Wort hab ich lange nicht mehr benutzt – auch eine Klassenfrage. Wir haben immer besser ausgebildete Journalisten, aber die feinere Mittelschicht ist hier kolossal überrepräsentiert. Und mit ihr eine bestimmte Lebenswirklichkeit, eine bestimmte Wahrnehmung. Auch ein Grund, warum ein Thema wie Mindestlohn es so schwer hat.
  4. Wir brauchen Strukturen wie Stiftungen und Vereine, die unabhängigen Journalismus fördern.
  5. Wir müssen mehr große Internet–Experimente wagen. Magazine, Foren und Portale aufbauen, die echte Öffentlichkeit schaffen. Und Wege finden, damit sie Erfolg haben und sich tragen.

Warum müssen? Ganz einfach: Ohne Öffentlichkeit gibt es keine Demokratie. Und die gehört uns.

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