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Nachruf auf Michael Th.Greven

vorgängevorgänge 2/201206/2012Seite 122-123

7. März 1947-7. Juli 2012

aus vorgänge Heft 2/2012,S.122-123

 Es gehört zu den merkwürdigen Gegebenheiten des Lebens, dass man zum Abschluss einer Ausgabe der vorgänge, die sich in skeptischer Absicht die Frage stellt: „Weshalb erinnern?“, sich mit Vehemenz einer Person erinnert, und davon nur aus dem einzigen Grund lassen würde, weil man wünscht, dass sie noch da wäre. Michael Th. Greven ist gestorben. Er war seit 1984 Mitglied der Redaktion und wurde im Laufe der Jahre immer mehr zu ihrem Alter Ego. Ein intellektueller Kopf und Ideengeber, der auf einem schier unerschöpflichen Fundus an Wissen zurückgreifen konnte, der seine Autorität immer nur aus der Kraft des Arguments zog, dem eine anregende Debatte mehr galt, als ein „richtiges“ Ergebnis.

Er war neben seiner wissenschaftlichen Karriere, die über lange Zeit mit einem hochschulpolitischen Engagement in den diversen Gremien verbunden war, seit den siebziger Jahren Mitglied der Humanistischen Union, Anfang der achtziger Jahre Gründungsmitglied des Komitees für Grundrechte und Demokratie, in der Schader Stiftung wie in der Aby Warburg Stiftung tätig, zeitgleich noch in der DVPW engagiert.

Bereits dieser kurze Abriss weist den politischen Wissenschaftler Michael Th. Greven als einen politischen Menschen aus, für den beides eine untrennbare Einheit bildete. Seine wissenschaftliche Arbeit galt der politischen Gesellschaft, deren alle Lebensbereiche durchdringenden Kontingenz, die auch die Nicht-Haltung zur Haltung werden lässt, und der Demokratie als Modus der Selbsteinwirkung dieser Gesellschaft, nicht allein genommen als normatives Leitbild, sondern als realer, subjektiv, prozedural und institutionell voraussetzungsvoller Prozess, der zunehmend geprägt ist von der Entscheidbarkeit immer weiterer Lebensprozesse und der gleichzeitigen Nicht-Entscheidbarkeit, der Auskoppelung elementarer Fragen der Gesellschaft aus dem Prozess der Selbstregierung, indem diese in den Bereich systemischer und ökonomischer Zwänge verwiesen werden.

Sein treffender Blick auf die Verhältnisse ließ ihn zuletzt zweifeln, ob sie das Prädikat demokratisch noch verdienen, doch flüchtete er vor diesem Dilemma nicht in die Verästelungen normativer Betrachtungen. Sein politisches Denken war geradezu hanseatisch nüchtern geprägt von „Politik als einem Feld tatsächlicher oder möglicher menschlicher Handlungen sowie der zugehörigen Motive, Interessen und Rechtfertigungen. Wo „politisches Denken“ geäußert wird, geht es performativ in Handeln über und steht dem ebenso bezeichneten „Feld“ nicht bloß anschauend gegenüber. Hier bewährt sich die alter Weisheit, dass nicht so praktisch sei, wie eine gute Theorie ….“

Damit bescheidete er sich keineswegs mit dem häufiger anzutreffenden politologischen Selbstbild, dass die Arbeit an Theorie bereits ein erschöpfender Beitrag zur gesellschaftlichen Praxis sei. Er intervenierte, und er intervenierte gerne. Er war der Initiator des letztlich erfolgreichen Protestes, als seine Universität 2004 Wladimir Putin die Ehrendoktorwürde verleihen wollte. Er sprach sich Jahre zuvor für eine militärische Intervention im jugoslawischen Bürgerkrieg aus und ging mit dem Gesinnungs-Pazifismus, dem auch Teile seiner politischen Weggefährten frönten, Beziehungen riskierend ins Gericht.

Er entwickelte nicht nur in diesen beiden Fragen einen Gleichklang mit der Bürgerrechtsbewegung der ehemaligen DDR, von der er offen eingestanden hat, sie zu Zeiten ihrer system-oppositionellen Existenz nicht auf seinem, des westdeutschen Bürgerrechtlers Radar gehabt zu haben. Brüche, auch biografische, sind Teil einer kontingenten Gesellschaft.

In einer kontingenten Gesellschaft wird der Lebensentwurf des Einzelnen nicht mehr durch Tradierungen und Konventionen formiert, eröffnen sich Möglichkeiten der Gestaltung, wenngleich diese sozial voraussetzungsvoll sind. Michael Th. Greven wird diese Kontingenz als Moment der Freiheit betrachtet haben, auch wenn seine sozialen Voraussetzungen ihm zunächst keineswegs einen guten Platz zuwiesen. Seine Mutter war Vertriebene, er selbst „erlebt in den 1950er Jahren eine Jugend, die keinen der üblichen soziologischen Milieus zuzuordnen gewesen wäre – gewiss nicht dem bürgerlichen. Dafür fehlte es hinten und vorne an Geld“.

Es ist eine Jugend, in welcher der Status von gestern für das Überleben heute keine Bedeutung mehr hat und die Ungerechtigkeit, die darin liegt, aufgrund der politischen Verhältnisse und nicht wegen eigener Leistung auf die Seite der Verlierer geschoben zu sein, eine Verletztheit hervorruft, die hart machen kann. „Als meine Mutter ihren ersten fahrbaren Untersatz, ein zitronengelbes Goggomobil, Mitte der 1950er Jahre auf dem Parkplatz des Sportclubs zwischen all den Isabellas, Opel Kapitäns und ersten Mercedes-Cabriolets platzierte, erntete sie viel Spott und Gelächter; ich bat sie, mich mit diesem Gefährt nicht von der Schule abzuholen.“

Es ist die Erfahrung solcher Zurücksetzung, die auch im späteren bürgerlichen Leben gegenüber dem eigenen Status sensibel machen, ihn nicht als etwas Selbstverständliches, sondern als etwas Geschaffenes begreifen lassen und das Bewusstsein dafür schärfen, dass das Leben auch andere Bahnen hätte nehmen können. Michael Th. Greven hat dieses Bewusstsein gehabt, er war in der Lage, seine eigene Biografie als zweite Ebene der Reflexion in sein Denken aufzunehmen. Und es macht einen Unterschied, ob jemand über Armut oder Ungleichheit als soziale Kategorie redet oder zugleich auch über eine eigene Erfahrung.

Zu dieser Erfahrung gehörte für ihn auch, dass sich die Bedingungen des Lebens ändern lassen. Das bewahrte ihn davor, sich theoretisch und politisch in der Klage über die Verhältnisse zu erschöpfen. Sein wissenschaftlicher Ansatz war akteurszentriert, sein politisches Denken auf ein tätiges Leben ausgerichtet, zu dem ein Jeder befähigt sein oder werden sollte. Er hat ein solches tätiges Leben gelebt.

„Die Komponenten eines Lebenslaufs bestehen aus Wendepunkten, an denen etwas geschehen ist, das nicht hätte geschehen müssen. Das beginnt mit der Geburt“, so lautet eine der wenigen Aussagen von Niklas Luhmann, denen Michael Th. Greven wohl zugestimmt hätte.

Zu diesen Wendepunkten zählt auch der Tod, der ihn viel zu früh ereilt hat.

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