Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 214: Deutsche Flüchtlingspolitik zwischen Willkommenskultur und Politik der Abschottung

Flüchtlinge menschen­würdig unter­bringen!

in: vorgänge Nr. 214 (Heft 2/2016), S. 93-104

Eines unter vielen Problemen der Integration von Flüchtlingen ist ihre Unterbringung. Bilder von Turnhallen oder ähnlich großen Sälen, in denen Bett an Bett gereiht ist, oftmals sogar ohne eine Sichtbehinderung zwischen ihnen, verstören. Kann man Flüchtlingen zumuten, so zu leben? Gibt es rechtliche Kriterien für die Wohnbedingungen von Flüchtlingen? Wie weit ist der Staat in der Pflicht?

Schon seit vielen Jahren weisen Hilfsorganisationen auf schwerwiegende Probleme hinsichtlich der Wohnbedingungen von Flüchtlingen(1) wie mangelnde Hygiene, bauliche Mängel (feuchte und kalte Räume), Konflikte unter Heimbewohnern sowie die isolierte Lage von Flüchtlingsheimen hin. Die meisten Flüchtlinge in Deutschland leben in Gemeinschaftsunterkünften.

Heute, da Flüchtlinge in unerwarteter Zahl nach Deutschland kommen, verschärft sich das Problem und wird auch in der Öffentlichkeit endlich wahrgenommen. Die Unterbringung von Flüchtlingen in Turnhallen, Gewerberäumen und anderen im Prinzip ungeeigneten Gebäuden bringt schwerwiegende menschenrechtliche Probleme mit sich, schafft aber auch Belastungen für die Menschen in der Nachbarschaft.
Was also ist vom Staat zu erwarten?

Gleicher Anspruch aller Flüchtlinge auf Achtung ihrer Würde

Die Diskussion über Fragen wie die der Verkraftbarkeit des weiteren Zustroms von Flüchtlingen, der Lastenteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen oder des Umgangs mit Straftätern lässt einen Gesichtspunkt oftmals vergessen: Wer sich in Deutschland aufhält – gleichgültig aus welchem Grund, gleichgültig auch, ob es sich um einen „guten“ oder „schlechten“ Menschen handelt – hat Anspruch auf Achtung seiner Würde. Dieses Gebot gilt absolut und aus ihm ergeben sich Gewährleistungsansprüche hinsichtlich sozialer Garantien gegenüber dem Staat. Das betrifft auch die Unterbringung in Flüchtlingsheimen.

Deutschland war auf die Ankunft einer so großen Zahl von Flüchtlingen nicht vorbereitet und ihre derzeitige Unterbringung kann im allgemeinen nicht befriedigen. Das Problem brennt und Lösungen müssen schnell gefunden werden – viel schneller, als wir es im Umgang mit unseren komplizierten rechtsstaatlichen Mechanismen gewohnt sind. Dass der Staat zu schnellem Handeln in der Lage ist, hat er bereits bewiesen. Erst spät im Sommer verkündete die Bundeskanzlerin ihr „Wir schaffen das“, und bereits im September legte die Bundesregierung ihren Entwurf des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vor, mit dem das Asylverfahrensgesetz (in der Neufassung: Asylgesetz), das Asylbewerberleistungsgesetz und weitere Gesetze geändert wurden. Die erste Lesung fand am 1. Oktober 2015 statt, am 12. Oktober hörte der Innenausschuss Sachverständige an und beriet zwei Tage später über den Gesetzentwurf. Am 15. Oktober – zwei Wochen nach dem Einbringen des Entwurfs – wurde das Gesetz nach der zweiten und dritten Lesung vom Bundestag angenommen, am 24. Oktober 2015 trat es in Kraft. Das sogenannte Asylpaket 2, das weitere Verschärfungen des Asylrechts enthält, wurde bereits im Januar 2016 verabschiedet. Derzeit wird schon ein nächstes Asylpaket diskutiert.

Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz enthält einerseits Regelungen zur Verschärfung des Asylrechts, andererseits aber auch Bestimmungen, die eine schnellere Integration von Flüchtlingen „mit Bleibeperspektive“ (wobei unklar bleibt, was das konkret bedeutet) ermöglichen sollen. Der Streit über seine politisch-moralische und rechtliche Wertung wie auch darüber, ob es seinen Zweck erfüllt, wird sicher in Zukunft intensiver werden. In diesem Beitrag sollen allerdings nur die Aspekte diskutiert werden, die sich auf die Unterbringung von Flüchtlingen beziehen. Das betrifft folgende Normen:

  • Asylsuchende können bis zu sechs – statt wie bisher bis zu drei – Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen (§ 47 Abs. 1 AsylG) verbleiben. Man hofft, Asylverfahren in dieser Frist abschließen zu können, um so eine Weiterverteilung an die Kommunen zu vermeiden. Kommt ein Flüchtling aus einem als „sicheres Herkunftsland“ definierten Staat oder ist sein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, wird – auch wenn die Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist – die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahmeeinrichtung auch darüber hinaus ausgedehnt (§ 47 Abs. 1 AsylG).
  • Als sichere Herkunftsländer werden nunmehr neben den Mitgliedstaaten der EU Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien bestimmt(2), wobei ganz unverhohlen gesagt wird, dass entscheidend für diese Kategorisierung (insbesondere hinsichtlich der Länder des Westbalkans) nicht die Zustände in diesen Ländern, sondern die Zahl der Asylsuchenden ist. Es ist zu erwarten, dass demnächst auch die Länder des Maghreb als sichere Herkunftsländer eingestuft werden. Bezeichnend ist, dass auch hier die Zahl der Flüchtlinge sowie der Umstand, dass diese Flüchtlingsgruppe unter den Straftätern in der Silvesternacht von Köln offenbar überproportional vertreten war, zur Begründung herangezogen werden – und nicht etwa die tatsächlichen Bedingungen im Herkunftsland.
  • Bei der Aufnahme in Erstaufnahmeeinrichtungen werden Leistungen als Sachleistungen gewährt. Nur in Ausnahmefällen werden Wertgutscheine verteilt oder – wenn auch dies nicht praktikabel ist – Geld gezahlt. Auch in Gemeinschaftsunterkünften (also in Asylbewerberheimen, in die Flüchtlinge nach Ablauf der Pflicht zur Wohnsitznahme in der Erstaufnahmeeinrichtung „verteilt“ werden) können diese Leistungen in Form von Sachleistungen erbracht werden.
  • Darüber hinaus wurden auch baurechtliche Erleichterungen festgelegt, um durch Vermeidung bürokratischer Hürden schneller neue Unterkünfte fertig stellen zu können.
Verfas­sungs­recht­li­cher Rahmen

Über die konkreten Bedingungen der Unterbringung von Flüchtlingen sagen weder das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz noch das Asylbewerberleistungsgesetz, auf dessen Grundlage soziale Leistungen für Asylbewerber und Geduldete erbracht werden, etwas. Vage Hinweise gibt Art. 18 der EU-Aufnahmerichtlinie dahingehend, dass geschlechts- und altersspezifische Aspekte bei der Unterbringung zu berücksichtigen sind, dass Familien nicht getrennt werden sollen, dass der Zugang zu einem Rechtsbeistand oder Berater gewährleistet sein muss, dass das Personal geschult sein muss.

Tatsächlich sind die Unterkünfte bereits bisher von Bundesland zu Bundesland, von Kommune zu Kommune sehr unterschiedlich. Während zum Beispiel in Berlin Personen, über deren Asylantrag noch nicht entschieden ist, vergleichsweise häufig genehmigt wird, eine Wohnung anzumieten, lebt eine große Zahl von Asylbewerbern in einigen Flächenländern – z.B. in Sachsen oder Thüringen – oftmals für Jahre in Gemeinschaftsunterkünften, die einsam außerhalb oder am Rande von Ortschaften liegen. Bundeseinheitliche Standards für die Ausgestaltung von Unterkünften gibt es nicht. Auf der Ebene der Länder oder Kommunen mögen diesbezüglich interne Weisungen existieren. Diese sind jedoch nicht veröffentlicht. Es ist davon auszugehen, dass auch in Verträgen mit privaten Betreibern Details vereinbart werden; diese Verträge sind allerdings ebenfalls der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Landesrechtlich gibt es zwar Vorschriften zur Wohnungsaufsicht, die bestimmte Kriterien für die Nutzbarkeit von Räumlichkeiten als Wohnung festlegen. Diese gelten jedoch ausdrücklich nicht für Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge.

Das bedeutet jedoch nicht, dass wir uns in einem rechtsfreien Raum bewegen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes gibt Eckpunkte vor, die einen Rahmen für die Handlungsfreiheit von Exekutive und Legislative abstecken.

In seinem Urteil vom 09.02.2010  zur Vereinbarkeit des SGB II (landläufig bekannt unter „Hartz IV“) mit dem Grundgesetz stellt das Bundesverfassungsgericht fest: „Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG … Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG wiederum erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern, wobei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum bei den unausweichlichen Wertungen zukommt, die mit der Bestimmung der Höhe des Existenzminimums verbunden sind … Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat.“(3) Die Aussage ist kurz und bündig, und aus ihr erwachsen Schlussfolgerungen, die für die Gestaltung der Wohnbedingungen von Flüchtlingen von erheblicher Relevanz sind. Zunächst:

1. Das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum hat Verfassungsrang und ist damit Maßstab für die Bewertung der Rechtmäßigkeit jeder Bestimmung über die Unterbringung von Flüchtlingen.

2. Die Pflicht, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten, obliegt dem Staat. Er muss nicht nur die Unterbringung von Flüchtlingen finanzieren; er ist vielmehr gleichermaßen verpflichtet, Standards für die Unterbringung zu setzen und deren Einhaltung zu kontrollieren. Dies ergibt sich auch daraus, dass das Recht auf ein menschenwürdiges Exitenzminimum der Konkretisierung durch den Gesetzgeber bedarf.

3. Bei der Bestimmung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss sich der Gesetzgeber am Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen orientieren.

Dem Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum kommt deshalb besonderes Gewicht zu, weil es sich unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt – dem Anspruch auf Achtung der Würde des Menschen. Nach der als „Mitgifttheorie“ bezeichneten Auffassung ist dem Menschen eine bestimmte Qualität von Natur aus oder von Gott mitgegeben, die unabhängig von der rechtlichen Ordnung existiert und die von der rechtlichen Ordnung geschützt werden muss. Ob man diese naturrechtliche Sicht teilt, ist unerheblich. Die Formel „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ steht jedenfalls allen anderen Verfassungsbestimmungen voran. Sie ist sozusagen das Alpha und Omega des gesamten Grundrechtekatalogs des Grundgesetzes und sie konkretisiert sich in den einzelnen Rechten.

Die Unantastbarkeit der menschlichen Würde ist deshalb Maßstab für die Umsetzung der Grundrechte. Ein Eingriff in diese Bestimmung, die gleichsam das Fundament der gesamten Verfassung bildet, ist nicht zulässig. Dadurch unterscheidet sich Art. 1 Abs. 1 GG von allen anderen verfassungsrechtlich garantierten Grundrechten.

Wie bereits ausgeführt, gilt das für jeden, der sich in der Bundesrepublik aufhält – auch für Ausländer, auch für Personen, die sich rechtswidrig in Deutschland aufhalten. Dieser Aspekt war gleichfalls bereits Gegenstand der Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht. Im Urteil vom 20.06.2012(4) ging es um die Verfassungsmäßigkeit des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Zur Debatte standen die Höhe der Leistungen sowie die gesundheitliche Versorgung von Leistungsbeziehern. (Das sind sowohl Asylsuchende, deren Asylantrag noch nicht rechtskräftig beschieden ist, als auch Ausländer, die an sich ausreisepflichtig sind, aber für die Abschiebungshindernisse – z.B. Reiseunfähigkeit, fehlende Rücknahmebereitschaft des Heimatlandes oder ungeklärte Identität – bestehen und die deshalb „geduldet“ werden.) Dabei ist jedenfalls dem Grunde nach unerheblich, ob der Ausländer die Abschiebungshindernisse selbst zu vertreten hat. Seine Unterbringung war nicht ausdrücklich Gegenstand des Verfahrens; Schlussfolgerungen lassen sich aber ziehen.

Die Leistungen nach dem AsylbLG lagen bis zum Zeitpunkt der Verkündung des Urteils um etwa 31 Prozent unter denen, die ein deutscher Bezieher von Sozialleistungen (z.B. von Hartz IV) beanspruchen konnte. Zweck der Regelungen des AsylbLG ist einerseits, die Kosten für die Aufnahme und Versorgung gering zu halten, andererseits aber auch, durch die Vermeidung von Anreizen die Zahl der Asylbewerber zu begrenzen. (so auch in der Begründung des Gesetzes) Im Urteil vom 20.06.2012 stellt das Bundesverfassungsgericht hingegen ausdrücklich klar: „Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. … Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“(5)

Den bisherigen wie auch den jetzt in Kraft getretenen neuen Regelungen zur Unterbringung von Flüchtlingen liegen jedoch ebendiese Erwägungen zugrunde, wie sich wiederum aus der Begründung der Gesetzesvorlage der Bundesregierung zum Asylbeschleunigungsgesetz ergibt. Aber die beabsichtigte abschreckende Wirkung der Einschränkung sozialer Leistungen ist selbstverständlich ein Werkzeug der Migrationspolitik. Wie dem auch sei: Die Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht für die Verfassungsmäßigkeit der Bemessung der Höhe von Sozialleistungen entwickelt, gelten auch für die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Unterbringung von Flüchtlingen.

Der Anspruch auf Achtung der Würde des Menschen – genauer: jedes Menschen – fordert, so das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 09.02.2010, dass der Entwicklungsstand des Gemeinwesens und die bestehenden Lebensbedingungen zum Maßstab dessen gemacht werden, was als menschenwürdiges Existenzminimum betrachtet wird. Es sind eben gerade nicht die Lebensbedingungen im Herkunftsland, sondern die in Deutschland. Ausdrücklich bezieht sich das Urteil dabei auf ein Existenzminimum, das die „physische Existenz der Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft (Hervorhebung – T.A.), Heizung, Hygiene und Gesundheit“ sichert. Das Gericht geht darüber hinaus, indem es feststellt, dass das Existenzminimum „auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen.“(6) Das ist das sogenannte soziokulturelle Existenzminimum.

Da es keine gesetzliche Konkretisierung des menschenwürdigen Existenzminimums für Flüchtlinge in Bezug auf die Wohnunterbringung gibt, sind als Orientierungshilfe die bereits erwähnten landesrechtlichen Bestimmungen für die Wohnungsaufsicht heranzuziehen. Die für die Wohnungsaufsicht zuständige Behörde hat nach diesen Bestimmungen die Kompetenz, dem Verfügungsberechtigten Auflagen zur Erhaltung oder Wiederherstellung des für den Gebrauch zu Wohnzwecken geeigneten Zustandes zu erteilen, oder sie kann die Wohnung für unbewohnbar erklären – so geregelt im Gesetz zur Beseitigung von Wohnungsmissständen in Berlin (WoAufG Bln), entsprechend aber auch in anderen Bundesländern. In dem Gesetz sind natürlich auch Kriterien festgelegt, denen Wohnraum genügen muss: Schutz gegen Witterungseinfluss, Lärm, Wärmeverlust und Feuchtigkeit, Heizbarkeit, Mindestanforderungen an Toiletten und Wasserversorgung, eine Grundfläche von mindestens 9 qm für einen Aufenthaltsraum usw. Eine Vorschrift für eine Grundfläche pro Person gibt es allerdings nicht. Nicht nur deshalb sind diese Bestimmungen nicht mehr als eine Orientierungshilfe, sondern auch, weil die landesrechtlichen Bestimmungen für Flüchtlinge nicht unmittelbar gelten. Aus diesem Grund ist die Feststellung des Bundesverfassungsgerichtes wichtig, dass es „der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber [bedarf], der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen im Hinblick auf die konkreten Bedarfe der Betroffenen auszurichten hat.“(7) Es ist verfassungsrechtlich bedenklich, dass es keine bundeseinheitlichen Standards und nicht einmal landesgesetzlich verbindliche Normen für die Unterbringung von Flüchtlingen gibt.

Welche Anforderungen an die Unterbringung von Flüchtlingen ergeben sich nun aus diesem durch das Bundesverfassungsgericht gesteckten Rahmen? Das Gericht selbst stellt in seinem hier zitierten Urteil vom 20.06.2012 fest, dass der Leistungsanspruch „von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation der Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab(hängt) und … danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen“ ist. Unterschiede zwischen der Unterbringungssituation von Asylsuchenden, über deren Bleiberecht noch nicht entschieden ist, und Menschen, die dauerhaft in der deutschen Gesellschaft leben, verletzen für sich genommen die menschliche Würde noch nicht. Das ergibt sich schon daraus, dass in die Grundrechte, in denen sich die Würde ja konkretisiert, eingegriffen werden darf. Dabei aber ist derselbe Maßstab anzuwenden wie bei jedem Grundrechtseingriff – Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit und Angemessenheit sind zu berücksichtigen. Ist der Wesensgehalt eines Grundrechtes durch den Eingriff ausgehebelt, so ist auch die menschliche Würde – und damit der absolut geltende Maßstab für die Umsetzung aller Menschenrechte – verletzt. Ausdrücklich stellt das Bundesverfassungsgericht fest: „Daher erlaubt es die Verfassung nicht, das in Deutschland zu einem menschenwürdigen Leben Notwendige unter Hinweis auf das Existenzniveau des Herkunftslandes von Hilfebedürftigen oder auf das Existenzniveau in anderen Ländern niedriger als nach den hiesigen Lebensverhältnissen geboten festzulegen.“(8)

Je länger der Aufenthalt eines Flüchtlings in Deutschland dauert, desto eher verletzen Eingriffe in die Grundrechte zugleich seine Würde. Die Unterbringung in Zelten, Turnhallen oder ehemaligen Gewerberäumen ist für wenige Tage unbedenklich, denn der Entwicklungsstand des Gemeinwesens und die allgemeinen Lebensumstände sind – wie ausgeführt – bei der Konkretisierung der Standards für die zu gewährenden Leistungen zu berücksichtigen. Und dass das Gemeinwesen nicht jederzeit angemessene Unterkunft für eine nicht vorherzusehende Zahl von Flüchtlingen bereithalten kann, ist nachvollziehbar.

Dennoch ist unstreitig, dass die Unterbringung von Flüchtlingen in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften in Grundrechte eingreift, und zu fragen ist, wann der Eingriff derart tiefgreifend ist, dass damit zugleich die Menschenwürde verletzt ist. Konkret geht es wohl vor allem um den Schutz der Privatsphäre sowie um den Schutz von Ehe und Familie.

Schutz der Privat­sphäre

Privatsphäre ist der familiär-häusliche Bereich einer Person, der ohne dessen Einwilligung nicht zugänglich ist und in dem sie ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit realisiert, ohne dabei von außen behelligt zu werden. Das Recht auf Achtung und Schutz der Privatsphäre ist Ausfluss von Art. 2 Abs. 1 GG – das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. (Es ist aber auch in Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Art. 17 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 16.12.1966 ausdrücklich geschützt.) Dazu gibt es ein relativ frühes Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16.07.1969, in dem es unter anderem heißt: „Der Staat darf durch keine Maßnahme, auch nicht durch ein Gesetz, die Würde des Menschen verletzen oder sonst über die in Art. 2 Abs. 1 gezogenen Schranken hinaus die Freiheit der Person in ihrem Wesensgehalt antasten. Damit gewährt das Grundgesetz dem einzelnen Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist.“ Und weiter: Ein „Eindringen in den Persönlichkeitsbereich … ist dem Staat auch deshalb versagt, weil dem einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein ‚Innenraum’ verbleiben muss, in dem er ‚sich selbst besitzt’ und ‚in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt.“(9) Gelegentlich wird das Recht auf Schutz der Privatsphäre auch als Recht, allein gelassen zu werden, bezeichnet.

Es bedarf keiner weiteren Diskussion, dass dieses Recht restlos ausgehebelt ist, wenn Flüchtlinge in Turnhallen oder ähnlich beschaffenen Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind. Von einem Eingriff in das Grundrecht, der dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, kann nicht die Rede sein, wenn diese Unterbringungsart länger als für die Regelung der organisatorischen Einzelheiten für eine Unterbringung, bei der dem Einzelnen eine Rückzugsmöglichkeit verbleibt, unbedingt erforderlich ist. So sagt es auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Lauschangriff: „Die Unverletzlichkeit der Wohnung hat einen engen Bezug zur Menschenwürde und steht zugleich im nahen Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlichen Gebot unbedingter Achtung einer Sphäre des Bürgers für eine ausschließlich private – eine ‚höchstpersönliche’ – Entfaltung. Dem einzelnen soll das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, gerade in seinen Wohnräumen gesichert sein.“(10) Angesichts dessen, dass bei einer Unterkunft in Turnhallen die verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre vollständig ausgehebelt ist, kann auch ein angemessener Zeitraum derartiger Unterbringung nicht so lange andauern, bis neue Heime gebaut sind. Dem Staat ist zuzumuten, dass er unverzüglich Lösungen findet. Wenn er dafür auch ungeplante Ausgaben tätigen muss (z.B. durch die Anmietung von Jugendherbergen, Hostels oder leerstehenden Wohnungen), so ist dies gerechtfertigt. Das völlige Fehlen einer Privatsphäre verletzt die Würde des Menschen, die ja – wie oben ausgeführt – der oberste Wert unserer Rechtsordnung ist.

Schutz von Ehe und Familie

In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Schutz der Privatsphäre steht auch der in Art. 6 Abs. 1 GG verankerte Anspruch auf Schutz von Ehe und Familie.

Flüchtlinge werden – nachdem sie ihren Asylantrag gestellt haben – nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel, einer zwischen den Ländern vereinbarten Formel, auf die Bundesländer verteilt. Für den Flüchtling selbst stellt sich das als eine Art Lotterie dar. Zum Problem wird es, wenn Familienmitglieder getrennt einreisen, z.B. weil sie sich auf der Flucht verloren haben. Dann ist die Trennung der Familien vorprogrammiert, zumindest für die Zeit der Aufenthaltsverpflichtung in einer Erstaufnahmeeinrichtung.

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen rügt die durch das Asylbeschleunigungsgesetz vorgenommene Ausdehnung der Aufenthaltsverpflichtung auf nunmehr sechs Monate in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf vom 23.09.2015: „Mit der genannten Wohnverpflichtung würde insbesondere die Möglichkeit, ohne zusätzliche Kosten für die staatlichen Behörden bei Verwandten oder Freunden unterzukommen und damit das staatliche Aufnahmesystem zu entlasten, … unnötigerweise blockiert. Mit der erst vor einigen Monaten eingeführten Fortbewegungsfreiheit für Asylbewerber spätestens nach Ablauf von drei Monaten war eine langjährige UNHCR-Forderung umgesetzt worden. Mit der nun vorgeschlagenen Verlängerung des Zeitraums der Aufenthaltsbeschränkung auf den Bezirk der örtlichen Ausländerbehörde bestünde für einen entsprechend längeren Zeitraum für die Schutzsuchenden keine Möglichkeit des Besuchs von Familienmitgliedern oder Freunden in anderen Bezirken, was sich erfahrungsgemäß negativ auf die psychische Situation der Betroffenen, die oft schwere traumatische Erlebnisse zu verarbeiten haben, auswirkt. Zudem sind Beschränkungen der Fortbewegungsfreiheit nach Europarecht (Art. 7 (2) Aufnahmerichtlinie) und Völkerrecht (Art. 12 (3) Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte) nur unter bestimmten Bedingungen zulässig. Das Vorliegen entsprechender Gründe ist hier nicht ersichtlich oder im Entwurf überzeugend dargelegt.“(11) Es sei angemerkt, dass auch das Ziel des Asylbeschleunigungsgesetzes, die Kosten für den Aufenthalt von Flüchtlingen möglichst niedrig zu halten, verfehlt wird.

Nach Beendigung der Pflicht zur Wohnsitznahme in der zugewiesenen Erstaufnahmeeinrichtung kann die Umverteilung beantragt werden. Wenn sich das Verwaltungsverfahren zur Prüfung des Umverteilungsantrages nicht unangemessen in die Länge zieht, ist es im Prinzip verfassungsrechtlich unbedenklich, dass die Freizügigkeit des Flüchtlings (also die freie Wahl seines Wohnortes) für die Dauer des Asylverfahrens aufgehoben ist, zumal mit der Verteilung auf die Länder ein legitimer Zweck verfolgt wird, nämlich eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Bundesländern entsprechend Steueraufkommen und Bevölkerungszahl. (Die jetzt in die Debatte geworfene Wohnortbindung über die Zeit eines erfolgreich abgeschlossenen Asylverfahrens hinaus ist dagegen verfassungsrechtlich äußerst bedenklich.)

Aus Sicht der Flüchtlinge ergeben sich jedoch Probleme, die diese subjektiv als Verletzung ihrer Würde empfinden können. So findet eine Familienzusammenführung für Ehegatten regelmäßig nur statt, wenn die Ehe standesamtlich geschlossen und beurkundet ist. In vielen Ländern dieser Welt aber erfolgt die Eheschließung zuallererst oder sogar ausschließlich religiös oder nach den Sitten des jeweiligen Volkes (z.B. in Syrien und in Israel). Die Beurkundung durch das Standesamt wird, wenn sie denn überhaupt möglich ist, als formeller Akt angesehen und oftmals unterlassen, ohne dass sich die Ehepartner dadurch als weniger an ihre Ehe gebunden betrachtet sehen. Sehr häufig reisen Flüchtlinge auch ohne Papiere ein und können ihre Ehe deshalb nicht nachweisen. Aus der Sicht der Flüchtlinge ist weiterhin äußerst problematisch, dass nur dann eine Umverteilung zu anderen Familienangehörigen gestattet wird, wenn es sich um Ehepartner und/oder ihre minderjährigen Kinder handelt. Angesichts des in den meisten Teilen dieser Welt sehr viel engeren Familienzusammenhanges, des sehr viel weiteren Familienbegriffs und der in dieser Frage strengeren Wertvorstellungen anderer Gesellschaften bleiben die deutschen Bestimmungen für die Flüchtlinge unverständlich; sie fühlen sich in ihrer Würde verletzt.

Die Bestimmungen sind verfassungsrechtlich bedenklich. Ehen, die nach dem Recht des Herkunftsstaates, aber eben nicht nach deutschem Recht rechtswirksam geschlossen werden, werden als „hinkende Ehen“ bezeichnet. In seinem Urteil vom 30.11.1982 führt das Bundesverfassungsgericht zum Art. 6 Abs. 1 GG aus, das durch diese Norm vorgegebene Institut der Ehe sei „die Vereinigung eines Mannes und einer Frau zu einer umfassenden, grundsätzlich unauflösbaren Lebensgemeinschaft. Dabei setzt Art. 6 Abs. 1 GG gesetzliche Regelungen über die Form der Eheschließung und ihre sachlichen Voraussetzungen voraus. Das ergibt sich aus der untrennbaren Verbindung des Grundrechts mit der Institutsgarantie, die notwendig eine gesetzliche Ordnung verlangt.“(12) Daraus ist zu schlussfolgern, dass die in Deutschland geltenden familienrechtlichen Bestimmungen selbst am Maßstab des Art. 6 Abs. 1 zu messen sind und dass vom Institut der Ehe alle Ehen erfasst sind, die dem Grundgedanken – nämlich dass die Ehe eine umfassende, grundsätzlich unauflösbare Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau darstellt – entsprechen. Nicht vom verfassungsrechtlich gewährten Schutz der Ehe und Familie erfasst sind solche Ehen, die unter Verletzung grundlegender Normen dieses Rechtsinstituts – z.B. unter Verletzung der Freiwilligkeit der Eheschließung – geschlossen wurden. Deshalb ist auch die Zusammenführung von Ehepartnern, deren Ehe nicht nach deutschen Formvorschriften geschlossen wurde, aber dem Kerngedanken des Instituts der Ehe entspricht, verfassungsrechtlich geboten.

Anträge auf Umverteilung für die Familienzusammenführung von anderen Familienangehörigen als Ehepartnern sowie Eltern und minderjährigen Kindern werden erfahrungsgemäß so gut wie immer abgelehnt. Gesetzlich vorgesehene Bestimmungen für die Umverteilung von Personen mit Wohnortbindung gibt es nicht. Die Entscheidung über entsprechende Anträge obliegt den zuständigen Ausländerbehörden. Allein interne Verwaltungsvorschriften beschreiben deshalb die Rechtslage. Hier sollen beispielhaft die Verfahrenshinweise der Ausländerbehörde Berlin wiedergegeben werden (Ziffer 61.1d2.-3.), die jedoch – wie die praktische Erfahrung zeigt – für die Verwaltungspraxis der Ausländerbehörden durchaus typisch sein dürften.

Der Antrag auf Umverteilung wird bei der Behörde gestellt, in deren Kompetenzbereich der Ausländer seinen Wohnsitz hat. Er wird auch von dieser Behörde beschieden, jedoch nur nach vorheriger Zustimmung der für den Zuzugsort zuständigen Ausländerbehörde. Die Ausländerbehörde Berlin erteilt eine solche Zustimmung, wenn der Lebensunterhalt dauerhaft ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist (bei nur teilweiser Sicherung des Lebensunterhaltes sind in besonderen Einzelfällen Ausnahmen möglich) und wenn der Umzug zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem Ehepartner oder einem minderjährigen, ledigen Kind dient. (Das gleiche gilt für eingetragene Lebenspartnerschaften.) Außerdem steht es im Ermessen der Behörde, die Zustimmung zum Umzug nach Berlin in besonderen Fällen zu erteilen, wenn dies zum Schutz vor einer Gefährdung am bisherigen Wohnort oder für eine notwendige, am bisherigen Wohnort nicht mögliche medizinische Behandlung erforderlich ist.

Daraus ergibt sich, dass dem Umverteilungsantrag auch dann nicht zugestimmt wird, wenn einem beabsichtigten Umzug von A nach B ein anderer von B nach A gegenübersteht. Für den erklärten Zweck der Umverteilungsregelungen, nämlich die gerechte Lastenverteilung zwischen den Ländern, ist jedoch die Ablehnung eines Umverteilungsantrages in einem solchen Fall nicht erforderlich. Der einzig denkbare Grund hierfür ist darin zu sehen, dass man keine Anreize für eine Flucht nach Deutschland schaffen will. Die rigiden Regeln zu Lasten der Entscheidungsfreiheit der Flüchtlinge hinsichtlich der Gestaltung der familiären Beziehungen funktionieren wiederum als Mittel der Abschreckung, also als Instrument der Migrationspolitik.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes sind die Forderungen, die sich aus dem Gebot der Achtung der Menschenwürde ergeben, am Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den allgemeinen Lebensbedingungen zu messen. Das in Deutschland vorherrschende Modell einer Familie ist die Kleinfamilie; an ihr orientiert sich die Verwaltungspraxis zur Familienzusammenführung. Dennoch ist richtig, dass die Trennung von Ehepartnern, die die Existenz ihrer Ehe nicht nachweisen können, oder von Eltern von ihren volljährigen Kindern oder von erwachsenen Geschwistern ein Eingriff in die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen ist. Diese Entscheidungsfreiheit ist durch Art. 6 Abs. 1 GG wohl nicht geschützt; fraglich aber ist, ob hier nicht die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) betroffen ist. Wie weiter oben ausgeführt, hat das Bundesverfassungsgericht in anderem Zusammenhang (Leistungen nach AsylbLG) herausgearbeitet, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, dass er nur in seinen sozialen Bezügen existiert und nur in diesen seine Persönlichkeit frei entfalten kann.

Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu indirekt Stellung genommen, indem es in seinem Urteil vom 26.06.2012 ausdrücklich bestätigt, dass auch Bezieher von Leistungen nach dem AsylbLG einen Anspruch auf Gewährung des soziokulturellen Existenzminimums haben, worunter es die „Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“ versteht, „denn“, so weiter, „der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen.“(13) Wenn schon ganz allgemein die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen als Bestandteil des soziokulturellen Existenzminimums geschützt ist, muss dies erst recht für die familiären Beziehungen gelten.

Die Trennung von über die Kleinfamilie hinausgehenden familiären Lebensgemeinschaften verstößt jedenfalls in einem Punkt gegen die bereits erwähnte EU-Aufnahmerichtlinie. Deren Art. 18 Abs. 5 nämlich bestimmt, dass abhängige Erwachsene „so weit wie möglich“ gemeinsam mit ihren volljährigen Verwandten untergebracht werden sollen. Die Betroffenen dürften die familiäre Trennung darüber hinaus auch als eine unzumutbare Härte empfinden. Diese ist für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer und Kommunen nicht erforderlich. Insofern sollte darüber nachgedacht werden, die rigide Sicht auf die Definition einer Familie aufzugeben.

Wenn es aber um die Kleinfamilie geht, so greift deren Trennung allein aufgrund der Tatsache, dass das Existenzminimum nicht ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist, so tief in den Anspruch auf den Schutz von Ehe und Familie ein, dass er damit vollständig ausgehöhlt und damit auch die menschliche Würde verletzt wird. Dabei ist insbesondere zu bedenken, dass sich gerichtliche Verfahren und damit die Fortgeltung der Aufenthaltsbindung sowie die Trennung der Familie oftmals über Jahre hinziehen.

Es wäre deshalb geboten, die Familienzusammenführung zumindest der Kleinfamilie auch schon für die Zeit der Aufnahmeverpflichtung in der Erstaufnahmeeinrichtung und auch für die Fälle der sogenannten hinkenden Ehen als Anspruch festzulegen, statt sie in das Ermessen der Behörden zu stellen.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zwar Eckpunkte für die Ausgestaltung der Unterbringung von Flüchtlingen entwickelt hat – sowohl hinsichtlich der Wohnbedingungen im engeren Sinne als auch hinsichtlich der Möglichkeit der Pflege sozialer Kontakte –, dass es aber an gesetzlichen Bestimmungen darüber mangelt. Das Bundesverfassungsgericht jedenfalls erkennt im Bekenntnis zur Unantastbarkeit der menschlichen Würde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes einen Gesetzgebungsauftrag, der bis jetzt nicht umgesetzt ist. Das Asylbewerberleistungsgesetz weist eine empfindliche Lücke auf, die unter den gegenwärtigen Bedingungen, da die Unterbringung von vielen Flüchtlingen in so kurzer Zeit ansteht, von schmerzlicher Brisanz ist.

TATJANA ANSBACH   Dr. habil, war bis zu ihrem Ruhestand als Rechtsanwältin in Berlin tätig. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehörte u.a. das Ausländerrecht. Im vergangenen Jahr erschien von ihr der Sammelband „Fremd“ (Edition Märkische LebensArt), in dem sie Fallgeschichten von Migranten in Deutschland schildert und die (ausländer-)rechtliche Seite ihrer Probleme erläutert.

Anmerkungen:

(1)  „Flüchtlinge“ meint in diesem Beitrag all jene, die – aus welchen Gründen auch immer – ihrer Heimat entflohen sind und in Deutschland Zuflucht suchen, unabhängig davon, ob sie später als politische Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention anerkannt werden.

(2)  Vgl. hierzu den Beitrag von Paech in dieser Ausgabe.

(3)  Urteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09

(4)  Urteil vom 20.06.2012, 1 BvL 10/10, 2/11

(5)  S. Anm. 2.

(6)  S. Anm. 2.

(7)  S. Anm. 2.

(8)  S. Anm. 3.

(9)  Urteil vom 16.07.1969, 1 BvL 19/63

(10) Urteil vom 03.03.2004, 1 BvR 2378/98 und 1BvR 1084/99.

(11) S. http://www.unhcr.de/recht/asyl-in-deutschland.html.

(12) Urteil vom 30.11.1982, 1 BvR 818/81

(13) S. Anm. 2.

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