Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 159: Freiheitsrechte in Zeiten des Terrors

Bürger­rechte ade? - Die Gesetz­ge­bung in den USA nach dem 11. September

In den USA sind seit dem 11. September eine große Anzahl von Gesetzen und Verordnungen auf den unterschiedlichsten Ebenen erlassen worden, die sich streckenweise wie Handlungsanweisungen für einen totalitären Staat lesen. Ein Teil der neuen Regelungen sind in dem Sicherheitspaket enthalten, das der Kongress kurz nach den Anschlägen verabschiedete und das den bizarren Titel USA PATRIOT Act trägt. Anderes wird durch Gesetzgebungen der einzelnen Bundesstaaten geregelt oder durch einfache Verwaltungsvorschriften und Verordnungen, die das Justizministerium nach eigenem Gutdünken erlassen hat.[1] In der deutschen Presse sind einige dieser Maßnahmen (vor allem der USA PATRIOT Act und die Militärtribunale) breit diskutiert worden, andere Entwicklungen haben hierzulande kaum ein öffentliches Echo gefunden. In einem Gesamtüberblick sollen im folgenden die Maßnahmen und ihre Wirkungen analysiert werden.

Der USA PATRIOT Act

Der erste Versuch, ein Gesetz auf nationaler Ebene zu erlassen, erfolgte eine Woche nach den Anschlägen durch Attorney General John Ashcroft, der den Anti-Terrorism Act 2001 (ATA) im Repräsentantenhaus einbrachte: ein Paket unterschiedlicher Vorschläge, das vom Datenschutz, Einwanderungsgesetzgebung, strafrechtlicher Verfolgung zu Handelssanktionen reichte. Er selber nannte dies in einer Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Repräsentantenhauses eine Waffe im „war against terrorism“.

Im kürzesten Gesetzgebungsverfahren in der Geschichte der USA wurde dann eine leicht modifizierte Variante verabschiedet: der Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act, kurz und ohne Ironie: der USA PATRIOT Act. Der Titel macht das Klima, in dem das Sicherheitspaket verabschiedet wurde, deutlich: Die Diskussion über diesen Akt des Patriotismus verbat sich von vornherein. Auch prozedural ließ das Verfahren einiges zu wünschen übrig. So war kaum einer der Beteiligten in der Lage, die 342-seitige Vorlage vor der Abstimmung zu lesen. Die spärlichen Einwände, die dennoch formuliert wurden, schmetterte Ashcroft als unpatriotisch ab: „To those who scare peace-loving people with phantoms of lost liberty, my message is this: Your tactics only aid terrorists, for they erode our national unity and diminish our resolve. They give ammunition to America’s enemies“.

Der größte Unterschied zwischen der ursprünglichen Vorlage ATA und USA PATRIOT war die zeitliche Begrenzung einiger Gesetze, die sogenannten Sunset-Regelung: Gesetze, die nicht ausdrücklich vom Kongress verlängert werden, laufen 2005 automatisch aus. Das hört sich zunächst einmal beruhigend an, aber es betrifft nur einen kleinen Teil des Mammutpaketes (vgl. McCullagh 2001b). Zudem sind von dem festgelegten „Verfallsdatum“ alle Untersuchungen ausgenommen, die zu diesem Zeitpunkt bereits laufen oder die Verbrechen betreffen, die vor dem Dezember 2005 verübt wurden.

Der USA PATRIOT Act enthält auch in der modifizierten Form eine Vielzahl von Regelungen, die aus bürgerrechtlicher Sicht weit mehr als nur problematisch sind:

a) Definition von Terrorismus

Die Definition von Terrorismus wird erweitert und enthält jetzt auch geringere Vergehen, wie Angriffe auf Eigentum und andere Handlungen, „that appear to be intended to influence the policy of a government by intimidation or coercion“. Erstmalig können politische Gruppen im Inland als terroristische Vereinigungen bezeichnet werden, wodurch die Mitgliedschaft oder die Unterstützung für Nichtsstaatsbürger zum Haft- oder Deportationsgrund werden kann. Die Einstufung von Gruppen als terroristische Organisationen wird vom Generalstaatsanwalt oder vom Justizminister vorgenommen und auf der Grundlage dieser Einstufung können ihre Mitglieder, sofern sie nicht US-Staatsbürger sind, abgeschoben werden. Der USA PATRIOT Act erlaubt die Deportation von Personen für die Unterstützung terroristischer Organisationen, auch wenn diese zum Zeitpunkt der Unterstützung noch nicht als „terroristisch“ eingestuft wurden. Bei der Unterstützung einer Gruppe, die als terroristisch eingestuft wird (z.B. durch die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen), obliegt es dem einzelnen Mitglied nachzuweisen, dass seine Unterstützung nicht der Förderung des Terrorismus galt. Das ist die Wiedereinführung von „guilt by association„, was der Supreme Court an anderer Stelle als verfassungswidrig bezeichnet, weil es eine Verletzung des First Amendment (Recht auf freie Assoziation) darstellt.

b)Behandlung von Nicht­staats­bür­gern

Der USA PATRIOT Act stellt einen tiefen Einschnitt in der Gesetzgebung für Nichtstaatsbürger dar. Ausländer, die „die nationale Sicherheit bedrohen“, können auf Anweisung des Justizministers ohne gerichtliche Anhörung abgeschoben werden. Und es kann ihnen die Wiedereinreise in die USA verweigert werden — auch wenn sie einen legalen Aufenthaltsstatus haben. Das muss nicht auf der Basis tatsächlicher Handlungen geschehen, sondern ist bereits möglich, wenn es Grund zu der Annahme gibt, dass eine Person die nationale Sicherheit bedrohen könnte. Wenn Ausländer nicht abschiebbar sind, weil sie staatenlos sind oder eine Abschiebung aus anderen Gründen — z.B. weil ihr Herkunftsland die Einreise verweigert — nicht möglich ist, können sie unbegrenzt in Haft genommen werden. Die Einschränkung der Grundrechte für Ausländer ist auch deshalb ein Einschnitt, weil bisher in den USA der volle verfassungsrechtliche Schutz auch für Nichtstaatsbürger, die sich legal in den USA aufhalten, galt.

c) Ausweitung von Überwachung

Im USA PATRIOT Act finden sich unzählige Punkte, die eine Ausweitung der staatlichen Überwachungstätigkeit ermöglichen. Die Behörden haben erstmals Zugriff auf Geschäftsunterlagen, medizinische Unterlagen und auf die Unterlagen der Hochschulen. Die Abhörgesetze werden auf Computer ausgeweitet, und das FBI kann so auf Kreditkarten, Banktransaktionen, Internetrecherchen bis hin zu besuchten Sites zugreifen. Dies gilt nicht nur für Computer, die „Terroristen“ gehören, sondern auch für alle, die sie benutzt haben könnten, auch in öffentlichen Einrichtungen (Bibliotheken, Universitäten). Grundsätzlich geht es dabei um „verdachtsunabhängige Kontrollen“. Auch bei Telefonen sind nicht mehr einzelne Genehmigungen einzuholen, sondern jedes Telefon kann abgehört werden, das genutzt werden könnte. Elektronische Kommunikation wird zukünftig wie Telefonkommunikation behandelt.

Das Gesetz erweitert die Überwachung via FISA (Foreign Intelligence Surveillance Act), der 1978 unter Carter etabliert wurde und sehr viel geringere Hürden für die Genehmigungen von Abhöraktionen oder Durchsuchungen vorsieht, sofern es sich nicht um polizeiliche Ermittlungen, sondern lediglich um (nachrichtendienstliches) Sammeln von Informationen handelt. Tatsächlich muss unter FISA lediglich klargestellt werden, dass es sich bei den Überwachten um Agenten einer ausländischen Macht handele. Da abweichende politische Meinungen von Regierungen traditionell häufig als Engagement im Sinne „fremder Mächte“ gesehen wird, ist jede Form von Protest hierdurch über-wachbar, ohne dass weitere überzeugende Gründe vorliegen. Dem Einzelnen muss weder während noch nach der erfolgten Überwachung davon Mitteilung gemacht werden, und wenn der Betroffene davon Kenntnis hat, darf er dies nicht öffentlich machen.

d) Zusam­me­n­a­r­beit zwischen Polizei und Geheim­diensten

CIA und FBI dürfen zukünftig nicht nur zusammenarbeiten, sondern auch Material austauschen. Das gilt nicht nur für den CIA, sondern auch den NSA (National Security Administration) und den INS (Immigration and Naturalization Service). Die Praxis der geteilten Informationen versetzt den CIA effektiv wieder in die Lage, gegen die eigene Bevölkerung zu ermitteln — der CIA muss nur klarstellen, welche Art von Informationen er benötigt und das FBI kann sie ihm höchst offiziell durch Abhören und Bespitzeln beschaffen. Das Gesetz erlaubt es dem Leiter des CIA sogar ausdrücklich, solche inländischen Ziele zu definieren. Diese Zusammenarbeit wird durch den Wunsch von Präsident Bush, ein Department of Homeland Security einzurichten, jetzt auf eine neue institutionelle Stufe gehoben.

e) Inhaf­tie­rung von Nicht­staats­an­ge­hö­rigen

Eine massive Verletzung der Rechtsstaatlichkeit stellt auch die Möglichkeit dar, Nichtstaatsangehörige zeitlich unbegrenzt ohne Anklage zu inhaftieren, von der ausgiebig Gebrauch gemacht wird. Hinzu kommt verschärfend, dass es keine Verpflichtung gibt, die Öffentlichkeit oder die Familie über den Verbleib der Festgenommenen zu informieren. Zur Zeit befinden sich ca. 1200 Menschen in Haft, ohne das die Behörden den Namen des Festgenommenen, den Grund für die Festnahme und den Aufenthaltsort bekannt geben müssen. Gegen diese Praxis des „Verschwindenlassens“ richtet sich dementsprechend auch die stärkste Kritik von Bürgerrechtlern. Die meisten Verhafteten werden nach Aussagen des Justizministeriums wegen Vergehen festgehalten, die in keiner Verbindung zu den Anschlägen stehen. Häftlinge, denen kriminelle Vergehen zur Last gelegt werden, haben Anspruch auf einen Rechtsanwalt und auf einen Haftrichter, aber diejenigen, denen lediglich Visavergehen vorgeworfen werden, können ohne diesen Anspruch festgehalten werden — nahezu unbefristet. Ashcrofts Argument für diese Auswüchse: „It is difficult for a person in jail or under detention to murder innocent people or to aid or abet in terrorism“.

Verletzung des Anwalts­ge­heim­nisses und Racial Profiling

Aber nicht der USA PATRIOT Act alleine, sondern eine große Anzahl an Erlässen und Ausführungsbestimmungen prägt die Situation. So gab Ashcroft, direkt nachdem Bush das Gesetz unterzeichnet hatte, einen Erlass bekannt, wonach Gespräche zwischen Klienten und Anwälten ohne Gerichtsbeschluss belauscht werden können, wenn der Attorney General glaubt, dass die Überwachung der Kommunikation der Verhinderung von terroristischen Aktivitäten nütze. Diese Verletzung des bis dahin sakrosankten Anwaltsgeheimnisses erlaubt das Abhören von Anwaltgesprächen ohne vorherigen richterlichen Beschluss und ohne dass Anklage erhoben sein muss — die Feststellung des Attorney General, es gäbe einen „reasonable suspicion“, reicht aus.

Zu den am schärfsten kritisierten Aspekten der „Sicherheitspolitik“ nach dem 11. September gehört das racial profiling, d.h. ethnische Zugehörigkeit als Grundlage für polizeiliche Ermittlungen und Strafverfolgung. Zum racial profiling gehörte, dass gleich nach den Anschlägen schlagartig einige Hundert Verdächtige festgenommen wurden, zumeist erwachsene Männer arabischer Herkunft ohne permanentes Bleiberecht in den USA. Landesweit wurden über 5000 Einwanderer auf Grund ihrer Herkunft, ihres Alters und ihres Geschlechts „interviewt“, ohne dass es bei ihnen einen Hinweis auf Verbindungen zu Al Qaida oder den Ereignissen vom 11. September gab. Inzwischen wird das racial profiling noch dadurch verschärft, dass das FBI auch „longtime citizens (…) who may not have anything unusual in their immediate history“ als Fahndungsziele definiert — die auffällig Unauffälligen also — und sich somit jetzt für „all parts of the muslim community“ interessiert (AP-Meldung vom 12. Juli 2002).

Militärtribunale

In der Bundesrepublik wurde vor allem die Einrichtung der Militärtribunale mit Sorge verfolgt. Präsident Bush unterzeichnete am 13. November letzten Jahres, unter Berufung auf eine „extraordinary emergency“ sowie unter Umgehung des Kongresses und der verfassungsmäßigen Gewaltenteilung, eine entsprechende Military Order. Die Einrichtung von Militärtribunalen, ohne dass ein Krieg erklärt wurde, ist für die USA historisch einmalig. Die Zuständigkeit der Tribunale auch für Menschen, die sich legal in den USA aufhalten, hat große Beunruhigung bewirkt.[2] Um einen Nichtstaatsbürger den Military Tribunals zu unterstellen, reicht die begründete Annahme, jemand „is or was a member of (…) Al Qaeda“ oder „has engaged in, aided or abetted, or conspired to commit acts of international terrorism“. Das gleiche gilt für Personen, die man verdächtigt, wissentlich einen oder mehrere so beschriebene Individuen beherbergt zu haben.

Vor einem Militärtribunal haben die Angeklagten kein Recht auf einen öffentlichen Prozess, kein Recht auf einen Geschworenengericht, kein Recht auf Einsicht in das gegen sie aufgebrachte Beweismaterial, kein Recht, gegen illegal gesammeltes Beweismaterial zu protestieren und kein Recht, Berufung einzulegen. Das Militär ist zugleich Staatsanwalt, Richter, Jury und Vollstrecker. Im März 2002 wurden Modifikationen unter der Federführung von Donald Rumsfeld erarbeitet, die in einigen Punkten eine Verbesserung darstellen: Die Presse wird bei den Verfahren zugelassen, die Beweisführung muss nun „guilt beyond a reasonable doubt“ nachweisen und Todesurteile müssen einstimmig sein und der Angeklagte wird — wenn er die finanziellen Mittel hat — einen zivilen Verteidiger bestellen können. Die New York Times spricht dennoch von einem „separate, inferior system of justice, shielded from independent judicial review“ (New York Times vom 31. Mai 2002), da entscheidende verfassungsmäßige Garantien des amerikanischen Strafrechtssystems fehlen: die Unschuldsvermutung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Recht auf ein Geschworenengericht, „due process[3] und die Berufungsmöglichkeiten.

Gesetze und Verord­nungen auf einzel­staat­li­cher Ebene

Ein Teil des war an terrorism, der in Deutschland wenig beachtet wird, sind die Veränderungen auf der Ebene der einzelnen Bundesstaaten. So hat der Staat New York beispielsweise bereits eine Woche nach den Anschlägen ohne Aushandlungsprozesse zwischen den einzelnen Fraktionen oder öffentliche Diskussion den New York State AntiTerrorism Act of 2001 verabschiedet. Neue Elemente in diesem Gesetz sind zum Beispiel die Einführung der Todesstrafe für terroristische Verbrechen oder die Erweiterung der Definition von Terroristen, so dass sie auch Leute umfasst, „that intend to change government policy“, sowie die Unterstützung terroristischer Vereinigungen als strafbares Delikt.

In fast allen Staaten gibt es Gesetzesinitiativen, die sich in unterschiedlichen Stadien der Realisierung befinden. Fast alle sehen eine Einschränkung der in den USA sehr weitreichenden Informationsfreiheit (Freedom of Information Act) vor, in etlichen wird die Todesstrafe für Terroristen ermöglicht und die Möglichkeiten der elektronischen Überwachung werden erweitert (vgl. Pell 2002). Die Bundesstaaten, die bislang keine solchen Gesetze erlassen haben, operieren unter teilweise noch weitreichenderen Executive Orders ihrer Gouverneure, so z.B. in Florida unter Bushs Bruder Jeb.

Neue Befugnisse für das FBI

Ende Mai kündigte Ashcroft zusammen mit Robert Mueller, dem Direktor des FBI, neue Organisationsrichtlinien für die Arbeit des FBI an. Diese heben bestehende Einschränkungen der polizeilichen Überwachung im Inneren auf, die in den 1970er Jahren eingeführt worden waren, nachdem Exzesse in der Arbeit von FBI und CIA bekannt geworden waren. Es ging dabei v.a. um das sogenannte COINTELPRO-Programm, das in den Jahren zwischen 1956 bis 1971 der Infiltrierung und Zersetzung politischer Gruppen diente, denen man Verbindungen zu Kommunisten unterstellte (vgl. Pumphrey/Pumphrey 2002). Um derartige Auswüchse zu verhindern, wurden Einschränkungen für die Tätigkeit des FBIs erlassen (z.B. die Notwendigkeit, „probable cause“ nachzuweisen, bevor Ermittlungen gegen einheimische politische oder religiöse Gruppen durchgeführt werden). Eben diese Einschränkungen werden jetzt wieder aufgehoben; nach den neuen Richtlinien ist wieder eine verdachtsunabhängige Beobachtung möglich. Ashcroft erklärte zwar, dass die Richtlinien sich im Einklang mit der Verfassung befänden, aber die New York Times bemerkt zutreffend „In reality, Mr. Ashcroft, in the narre of fighting terrorism, [is] giving FBI agents nearly unbridled power to poke into the affairs of anyone in the United States, even where there is no evidence of illegal activity“ (New York Times vom 31. Mai 2002).

Das geplante Department of Homeland Security

In einer Ansprache am 6. Juni diesen Jahres kündigte Bush die Einrichtung eines Department of Homeland Security an, in dem u.a. die Immigrations- und Einwanderungsbehörde, die Küstenwache und die Polizei und die Geheimdienste zusammengefasst werden. Diese Zusammenlegung würde die im USA PATRIOT Act angelegte Zusammenarbeit zwischen FBI und CIA verstetigen und ein Ministerium schaffen, dass in seiner Größe lediglich hinter dem Pentagon und der Veterans‘ Affairs Administration zurücksteht. Nun wäre anzunehmen, dass eine Behörde mit einer derartigen Machtkonzentration und Größe eher mehr als weniger öffentliche Kontrollinstanzen bräuchte. Tatsächlich soll es aber im neuen Department of Homeland Security weniger Kontrolle geben als bei anderen Behörden. Mit Hinweis auf die Gefahrenabwehr wird der Freedom of Information Act eingeschränkt — so sehr, dass Kritiker meinen, eine öffentliche Überprüfung, wie das Ministerium seine Aufgaben erfülle, sei nicht möglich. Auch die Regelung, die Angestellte einer Behörde schützt, wenn sie Missstände im eigenen Betrieb (Übergriffe oder zweifelhafte Aktivitäten) öffentlich machen (der sog. Whistleblower Protection Act), wird eingeschränkt.[4] Die übliche Kontrolle der Behörde durch einen Inspector General soll dadurch eingeschränkt werden, dass der jeweilige Cabinet Secretary ein Veto-Recht gegenüber den Anhörungen und Nachforschungen des Inspector General erhält.

Kritik und Widerstand

Das ist aber noch lange nicht alles — nicht zu Unrecht nennt die American Civil Liberties Union (ACLU) ihren Bericht über die Sicherheitsgesetzgebungen „Insatiable Appetite: The Governement’s Demand for New and Unnecessary Powers After September 11″. Diskutiert oder geplant werden die weitere Ausweitung der Überwachung, die Einführung von Personalausweisen (mit biometrischen Angaben) und von elektronischen Tracking Systemen für Nichtstaatsbürger. All dieses wird von den Bürgerrechtsorganisationen kritisch begleitet.

Nach den Anschlägen hatten die traditionellen Bürgerrechtsorganisationen fast so schnell reagiert wie die Regierung — allen voran die ACLU. Als Ashcroft dem Kongress ATA vorlegte, sammelte die ACLU eine breite Koalition von Gegnern und leistete Lobbyarbeit, erstellte Rechtsgutachten und veranstaltete öffentliche Hearings. Von den Wählern selbst kommt kaum Kritik an der Innenpolitik der Regierung — die Umfragen zeigen immer noch überwältigende Mehrheiten für die Sicherheitsgesetze. Es bleibt also den alten und einigen neuen Organisationen. (z.B. dem Northhampton Bill of Rights Defense Committee) überlassen, sich zu engagieren. Das derzeitige Engagement der Bürgerrechtsorganisationen gilt vor allem den Inhaftierten und dem Kampf gegen die Militärtribunale. Die Aktivitäten bestehen in der Aufklärung der Bevölkerung (die ACLU führt die größte Kampagne seit ihrem Bestehen durch), dem Erstellen von Rechtsgutachten und Teilnahme an Anhörungen im Kongress.

Vor allem aber haben die Bürgerrechtsorganisationen eine Vielzahl von Klagen eingereicht: einige sind in erster Instanz positiv beschieden worden. So urteilte ein Gericht in New Jersey im März, dass der Staat — nach deni Freedom of Information Act — die Aufenthaltsorte der Festgenommenen nennen müsse. Das Center For Constitutional Rights hat eine Sammelklage eingereicht im Namen derjenigen, die von der INS ohne kriminellen oder terroristischen Hintergrund inhaftiert wurden. Zu den Angeklagten gehören John Ashcroft (als letztendlich Verantwortlicher), Robert Mueller (Direktor des FBI), der Direktor einer Haftanstalt und nicht namentlich genannte Angestellte der Anstalt.

Es gibt erste Anzeichen dafür, dass sich im zeitlichen Abstand zum 11. September und in dem Maße, wie die Auswirkungen der neuen Gesetze und Verordnungen deutlich werden, mehr Widerstand artikuliert. Wie stark dieser Widerstand tatsächlich wird, hängt maßgeblich davon ab, in wie weit es den Bürgerrechtsorganisationen gelingt, den amerikanischen Bürger davon zu überzeugen, dass es sich bei allen Überwachungsmaßnahmen und Einschränkungen der Freiheitsrechte um Maßnahmen handelt, die sich nicht nur gegen „Terroristen“ oder feindliche Ausländer richten, sondern die ihn selbst, den unbescholtenen amerikanischen Staatsbürger, treffen.

Literatur

[o.A.] 2001: Senate Passes Antiterrorism Measure, Granting Expanded Powers to Government, A Closer Look, in: The New York Times vom 26. Oktober 2001

Clymer, Adam 2001: A Nation Challenged: The Legislation, Antiterrorism Bill Passes, in: New York Times vom 26. Oktober 2001

Cole, David 2001: National Security State, in: The Nation vom 17. Dezember 2001 http://www.thenation.com/doc.mhtml?i=20011217&s=cole

Dershowitz, Alan M 2001a: Why Fear National ID Cards?, in: The New York Times vom 13. Oktober 2001

Dershowitz, Alan M 2001b: Assault an Liberty. Military Justice Is to Justice as Military Music Is to Music, in: Village Voice vom 27. November 2001, http://www.villagevoice.cOrfiliSsues/0147/dershowitz.ph

Dreyfuss, Robert 2002: The Cops Are Watching You, in: The Nation vom 03. Juni 2002, http://www.thenation.com/doc.mhtml?i=20020603&s=dreyfuss

Hentoff, Nat 2001: ‚Why Should We Care? It’s Only the Constitution‘. Terrorizing the Bill of Rights, in:Village Voice vom 09. November 2001, http://www.villagevoice.corn/issues/0146/hentoff.php

Hentoff, Nat 2002a: Spinning the Military Tribunals, ‚A Mere Pretense of Legal Process‘, in: Village Voice vom 25. März 2002, http://www.villagevoice.com/issues/0213/hentoff.php

Hentoff, Nat 2002b: Unleashing the FBI ‚There Would Be No Place to Hide‘, in: Village Voice vom 31. Mai 2002, http://www.villagevoice.com/issues/0223/hentoff2.php

Johnston, David/Lewis, Neil A. 2002: Traces of Terror. The Congressional Hearings; Whistle-Blower Recounts Faults Inside the F.B.I., in: New York Times vom 07. Juni 2002

Lewis, Anthony 2001: Abroad at Home; It Can Happen Here, in: New York Times vom 01. Dezember 2001

Lewis, Neil A. 2002: After Sept. 11, a Little-Known Court Has a Greater Role, in: New York Times vom 03. Mai 2002

McCullagh, Declan 2001a: „Sen. Russ Feingold’s lonely privacy fight“, 11. Oktober 2001 http://www.politechbot.com/p-02645.html

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Meltsner, Michael 2002: Furcht und Recht. Trotz Terrorangst regt sich in den USA Widerstand gegen die Einschränkung der Bürgerrechte, in: Berliner Zeitung vom 16. Juli 2002

[New York Times, Editorial] 2002: An Erosion of Civil Liberties, in: New York Times vom 31. Mai 2002 Pell, Eve 2002: Homeland Security x 50, in: The Nation vom 03. Juni 2002, http://www.thenation.com/doc.mhtml?i=20020603&s=pell

Pumphrey, Doris/Pumphrey, George 2002: US-Staatsterror nach Innen, in: Ossietzky, 5. Jg, Heft 1 vom 12. Januar 2002, S. 8-13

Scheer, Robert 2002: We’ve Had Enough Witch Hunts. War on terrorism does not justify racial profiling, in: Los Angeles Times vom 04. Juni 2002

Weitere Inter­net-Quellen

Eine Sammlung der im Zusammenhang mit dem 11. September erlassenen Gesetze im Wortlaut findet sich u.a. auf der Website der Library of Congress unter http://thomas.loc.gov/home/terrorleg.htm Ebenfalls dort unter http://thomas.loc.gov/cgi-bin/bdquery/z?d107:h.r.03162: die unterschiedlichen Gesetzesentwürfe (z.B. ATA)

Die Geschichte der Verabschiedung des USA Patriot Acts findet sich mit Volltext aller Debatten im Abgeordnetenhaus und im Senat beim Center for Democracy and Technology unter http://www.cdt.org/security/usapatriot/history.shtml

Auf der Homepage des Vorsitzenden des Justizausschusses des Senates, Patrick Leahy, gibt es einen Vergleich Abschnitt für Abschnitt zwischen den verschiedenen Entwürfen http://www.senate.gov/—leahy/press/200110/102401a.html

Die Einschätzungen von Barney Frank zum USA Patriot Act und der Entstehungsgeschichte finden sich unter http://www.house.gov/frank/terrorism_bill01.html

Ashcrofts Rede zum Detainment unter: http://www.usdoj.gov/ag/speeches/2001/agcrisisremarks10_31.htm Der Volltext von Bushs Military Order ist zu finden unter http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/11/20011113-27.html

Die neuen Richtlinien des FBI sind unter www.fbi.gov einzusehen

Zum Racial Profiling vgl. Council on American-Islamic Relations: http://www.cair-net.org

Die Rede von Bush, die das Department of Homeland Security ankündigt, ist im Wortlaut unter http://www.whitehouse.gov/news/releases/2002/06/20020606-8.html

Die Überlegungen und Planungen zum neuen Department of Homeland Security unter http://www.whitehouse.gov/deptofhomeland/sectl.html

Die Bedenken zum Department of Homeland Security finden sich auch bei Leahy unter http://www.senate.gov/~leahy/press/200206/062602.html

Alle Gutachten, Expertisen und Klagen der ACLU sind auf ihrer Website dokumentiert: http://www.aclu.org

Auch Amnesty International USA hat sich mit den Folgen des 11. September befasst: http://www.aiusa.org/usacrisis/

Die Sammelklage des Center for Constitutional Rights ist dokumentiert unter: http://www.ccr-ny.org/whatsnew/ins_detainees.asp

Center for Democracy and Technology: http://cdt.org

Beim Electronic Privacy Information Center unter http://www.epic.org/privacy/id_cards/ finden sich nicht nur deren Statements zur Einführung von ID Cards, sondern auch eine gute Dokumentation der gesamten Debatte in den USA zu diesem Thema.

Polls der Washington Post unter http://www.washingtonpost.com/wp-srv/politics/polls

Anmerkungen

[1] In vielen Fällen handelt es sich aber auch lediglich um eine Verschärfung oder Ausweitung bestehender Regelungen und Verfahren. So wurden z.B. die lokalen Polizeibehörden bereits vor dem September vom Justizministerium aufgefordert, in ihren Gemeinden „PTEs“ (Potential Terrorist Elements) zu identifizieren. PTEs wurden vom Justizministerium beschrieben als Gruppen, deren Motive „political, religious, racial, environmental [or] special interest“ sein könnten (vgl. Dreyfuss 2002).

[2] Die Frage der 300 in Guantanamo/Kuba — und in Afghanistan — festgehaltenen angeblichen AlQaida-Mitglieder kann an dieser Stelle leider nicht diskutiert werden. Eine ausführliche Expertise dazu findet sich auf der Website von Amnesty International USA.

[3] Die Formel „Due Process of Law„, die im 5. und 14. Amendement zur US-Verfassung festgelegt ist, besagt, dass niemandem Freiheit, Leben oder Eigentum entzogen werden darf „without due process of law„, also ohne ordentliches Gerichtsverfahren.

[4] Gerade solche Whistleblower (Insider, die auspacken) spielen bei der aktuellen Kritik an der Arbeit des FBI vor dem 11. September eine zentrale Rolle (vgl. z.B. Johnston 2002).

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