Das Terrorismusbekämpfungsgesetz - Ein Erfolg der Terroristen
Am 11. September 2001 bestiegen neunzehn unverdächtige, bis dato gesetzestreu lebende Bürger, vermutlich moslemischen Glaubens arabischer Abstammung, vier Flugzeuge auf verschiedenen Flughäfen in den USA. Bewaffnet mit Teppichmessern, die niemand kontrollierte oder die niemanden interessierten, drangen sie in die Pilotenkanzeln ein, durchschnitten vermutlich den Piloten die Kehlen und brachten mit zwei Flugzeugen die beiden Türme des World Trade Center in New York zum Einsturz. Mit einem weiteren Flugzeug zerstörten sie Teile des Pentagon in Washington; nur das vierte Flugzeug erreichte sein Ziel nicht, sondern wurde anscheinend vorher von den Passagieren, um noch Schlimmeres zu verhüten, zum Absturz gebracht. Alle Flugzeuginsassen sowie rund dreitausend Menschen, überwiegend im World Trade Center, kamen ums Leben.
Das Entsetzen in allen Staaten war groß. Vom Angriff der moslemisch-fundamentalistischen Terroristen auf die „freie Welt”, auf die Zivilisation und die rechtsstaatliche Demokratie des Westens war die Rede. Die Terrororganisation Al Quaida und das Taliban-Regime in Afghanistan, beide bis vor kurzem durch die USA unterstützt, galten sofort als die Drahtzieher. Die neunzehn Täter waren wenige Tage später mit Name, Bild und Lebenslauf bekannt. Drei von ihnen hatten in Deutschland gelebt; legal, gesetzestreu, unauffällig — so wie der Staat sich seine Bürger und natürlich besonders seine Ausländer wünscht. Aber da sie ja Terroristen waren und es möglicherweise noch mehr davon geben könnte, wurden diese so genannten Schläfer nun per Rasterfahndung gesucht: Junge Leute, keine Straftaten, Studenten, aus Ländern mit arabischen Bevölkerungsteilen (z.B. Frankreich), vermutlich moslemischen Glaubens — zehntausend blieben allein in Nordrhein-Westfalen im ausgeworfenen „Netz” als Verdächtige und potenzielle Terroristen hängen.
Der amerikanische Präsident Bush rief weltweit den Krieg gegen den Terrorismus aus, der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder versicherte ihm „die uneingeschränkte deutsche Solidarität.” Zwei Terrorismusgesetzespakete wurden von der deutschen Bundesregierung in Eile geschnürt und unverzüglich verabschiedet, teilweise erhielten die
Abgeordneten — die aktuelle Terrorismusgefahr duldete keinen Aufschub — die Textfassung, über die sie abstimmen sollten, erst in der Sitzung! Da der Terrorismus unsere Wertewelt bedroht, musste energisch gehandelt werden.
Ein paar Zweifel scheinen angebracht …
Dabei lassen wir einmal beiseite, dass Andreas von Bülow, früherer Bundesminister, Verteidigungsstaatssekretär, Frankfurter Oberbürgermeister und Geheimdienstexperte(1) im April 2002 in Fernsehinterviews und in verschiedenen Zeitungen darauf hingewiesen hat, dass der TV-Sender CNN unmittelbar nach den Attentaten die Passagierlisten der vier Flugzeuge veröffentlichte; auf ihnen befand sich kein einziger arabischer Name, schon gar nicht jene der neunzehn Attentäter. Aber schon 48 Stunden später konnten die amerikanischen Geheimdienste, die — finanziert mit 30 Milliarden Dollar jährlich — weltweit ihre Lauscher und Zuträger haben, die Liste mit Fotos und Namen aller angeblichen Attentäter veröffentlichen, von denen sie doch bis zum 11. September offenbar nichts wussten. Hinzu kommt, dass nach Berichten der britischen Zeitungen Telegraph und Independent sowie der BBC mindestens sieben der neunzehn „Attentäter” in den Tagen nach dem 11. September noch lebten und sich empört bei amerikanischen Konsulaten meldeten und beteuerten, sie hätten mit den Terroraktionen nichts zu tun. Ebenso wollen wir unbeachtet lassen, dass sich die amerikanische Administration bis zum heutigen Tage weigert, der deutschen Regierung Beweise für die Verantwortung von Al Quaida vorzulegen, und dass die Washington Post am 30. April 2002 über einen Vortrag des FBI-Chefs Robert Mueller berichtete, der am 19. April vor dem Commonwealth Club in San Francisco gesprochen hatte, wo er im Hinblick auf die Urheberschaft islamischer Terroristen bzw. Osama Bin Ladens und der Al Quaida ausführte: „Bei unseren Untersuchungen haben wir nicht ein einziges Beweisstück gefunden — weder hier in den USA, noch in dem umfangreichen Material, das wir in Afghanistan und anderswo sichergestellt haben —, das einen Zusammenhang mit der Verschwörung vom 11. September erwähnt.”
In der Begründung des Entwurfs für das Terrorismusbekämpfungsgesetz heißt es, der Entwurf beinhalte „die für eine entschlossene, aber auch wirkungsvolle Bekämpfung des internationalen Terrorismus dringend erforderlichen Maßnahmen. Hierzu bedarf es der Anpassung zahlreicher Sicherheitsgesetze, wie des Bundesverfassungsschutzgesetz, des MAD-Gesetzes, des BND-Gesetzes, des Bundesgrenzschutzgesetzes, des Bundeskriminalastgesetz, aber auch des Ausländergesetzes und anderer ausländerrechtlicher Vorschriften. Der Schwerpunkt der Gesetzesänderungen liegt darin, den Sicherheitsbehörden wie dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst, dem Bundesgrenzschutz und dem Bundeskriminalamt die nötigen gesetzlichen Befugnisse zu geben.” In Wirklichkeit jedoch hat das so genannte Terrorismusbekämpfungsgesetz mit einer Bekämpfung des Terrorismus nahezu nichts zu tun. Es ist dazu auch weder erforderlich noch geeignet.
Der Staat schlägt über die Stränge
Noch fünf Wochen nach dem Anschlag vom 11. September zeigte Monitor im Fernsehen, wie Journalisten mit genau denselben Teppichmessern, die die Terroristen am 11. September als Waffen benutzt hatten, ohne Probleme durch sämtliche Sicherheitskontrollen an den deutschen Großflughäfen in Berlin, Düsseldorf, Köln und Frankfurt/Main an Bord von Flugzeugen gelangten. Tatsächliche Terrorismusbekämpfungsmaßnahmen — nämlich schärfere Kontrollen und eine bessere Ausrüstung der Polizei — würden Geld kosten. Wohlfeile neue Gesetze allerdings kosten kein Geld und „nur” den demokratischen Rechtsstaat, und mit ihnen lässt sich dem Bürger suggerieren, man täte etwas zur Gefahrenabwehr — obwohl dies nicht der Fall ist.
So hatte auch das Bundesjustizministerium in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf vom 17. Oktober 2001 ausgeführt, im Hinblick auf den gewählten Titel „Terrorismusbekämpfungsgesetz” scheine es „angeraten, den Gesetzentwurf auch tatsächlich auf Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu beschränken”, und der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat in seiner Stellungnahme vom 23. Oktober 2001 beispielhaft unter Ziffer 5 zu den vorgesehenen Änderungen im Pass- und Personalausweisgesetz bemerkt, „dass es sich in den beiden Gesetzen um Änderungen handelt, die nur schwerlich in einen Zusammenhang mit der mit diesem Gesetzentwurf beabsichtigten Bekämpfung des Internationalen Terrorismus zu bringen sind.” Dementsprechend verkündeten die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder in einer gemeinsamen Erklärung: „Gegenwärtig wird ohne Rücksicht auf das grundrechtliche Übermaßverbot vorgeschlagen, was technisch möglich erscheint, anstatt zu prüfen, was wirklich geeignet und erforderlich ist. Freiheits- und Persönlichkeitsrechte drohen, verloren zu gehen.” Und der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) erklärte laut Spiegel vom 5. November 2001: „Mit den von Bundesinnenminister Otto Schily vorgeschlagenen Maßnahmen wären die Anschläge vom 11. September niemals verhindert worden. […] Wir brauchen eine kritische Fachdiskussion und keine politische Kraftmeierei.”
Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und Geeignetheit der im so genannten Terrorismusbekämpfungsgesetz enthaltenen Gesetzesänderungen — durchgehend verfassungsrechtliche Maßstäbe bei der Verabschiedung von Gesetzen — waren nicht gegeben; aber dennoch mussten die Sicherheitspakete durchgesetzt werden, um Handlungsfähigkeit vorzuspiegeln. Der große Verlierer dieser Inszenierung war der Rechtsstaat. Dies soll im Folgenden an einigen zentralen Punkten deutlich gemacht werden.
Ein wesentliches Kernelement der Struktur der deutschen Sicherheitsdienste ist das aus der Erfahrung der Vergangenheit (sowohl mit dem Reichssicherheitshauptamt im nationalsozialistischen Staat wie dem Staatssicherheitsdienst der DDR) geborene und von Verfassungs wegen geltende Trennungsgebot zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten. Dies dient nicht nur der Verhinderung von Gefahren, sondern entspricht auch den unterschiedlichen Aufgaben: Die Polizeibehörden sind als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung berufen sowie zur Gefahrenabwehr; dies ist nicht die Aufgabe von Geheimdiensten. Und obendrein hat der BND als Auslandsgeheimdienst nicht in der Bundesrepublik zu ermitteln und der Verfassungsschutz als Inlandsgeheimdienst nicht im Ausland. Durch das so genannte Terrorismusbekämpfungsgesetz jedoch wird ein umfassender Informationsaustausch zwischen Polizeibehörden und Geheimdiensten ermöglicht und damit das Trennungsgebot durchlöchert, wenn nicht sogar beseitigt. Dies ist verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar.
Die Doppel- (oder Dreifach-)Kompetenz verschiedener Behörden für den gleichen Gegenstand ist ein typisches Merkmal totalitärer Regime, weil sie die Kontrolle über die Sicherheitsbehörden und die Verteidigung der Bürgerrechte des unter Verdacht geratenen Bürgers erschwert. Die Bundesrepublik Deutschland muss wieder zurückfinden zu einer klaren Aufgabentrennung, nach der die Polizei- und Strafverfolgungsbehörden zuständig sind für die Strafverfolgung und für die Abwehr konkreter Gefahren, der nachrichtendienstliche Verfassungsschutz für Vorfeldermittlungen über allgemeine den Staat bedrohende Gefährdungen durch verfassungsfeindliche Bestrebungen und der BND für Angriffe auf die Bundesrepublik von außen. Der Einsatz des Verfassungsschutzes zur Straftaten- und Terrorismusbekämpfung ist schlicht verfassungswidrig: Denn nach Artikel 87 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz darf ein Bundesamt für Verfassungsschutz nur „zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes und des Schutzes gegen Bestrebungen im Bundesgebiet, die durch Anwendung von Gewalt […) auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden” eingerichtet werden — und nicht für die Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten.
Nahezu grenzenlos sind darüber hinaus die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes erweitert worden durch die geheime Einholung von Informationen und Auskünften bei Kreditinstituten, Postdienstleistungserbringern, Telekommunikationsdiensten und Luftfahrtunternehmen; ähnliches gilt für MAD und BND. Geregelt ist dies in den neu eingefügten Absätzen 5-9 zu § 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Danach darf das Bundesamt für Verfassungsschutz nun personenbezogene Informationen über Konten, Konteninhaber und Geldbewegungen einholen, über Postverbindungen (wer erhält von wem wie oft Post?), über die Benutzung von Flugzeugen (wie oft fliegt Bürger X im Monat von Frankfurt nach Berlin?), über Telefonverbindungen (wer hat wann mit wem telefoniert?). Erforderlich sind lediglich „tatsächliche Anhaltspunkte” für irgendeine Vermutung des Verfassungsschutzes — diese wird er immer haben oder behaupten, überprüfen kann dies niemand. Und schließlich muss es zu seiner Aufgabenerfüllung „erforderlich sein”. Nach Abs. 9 darf dem Betroffenen nicht einmal mitgeteilt werden, dass Informationen über ihn angefordert wurden. Was bedeutet das? Zum Beispiel dies: Herr Müller hat bei seiner Sparkasse einen Kredit zum Bau seines Einfamilienhauses beantragt. Zu diesem Zeitpunkt erkundigt sich der Verfassungsschutz bei der Sparkasse über ihn — natürlich ohne Begründung. Die Sparkasse wird Herrn Müller keinen Kredit geben, denn mit „Terroristen, die vom Verfassungsschutz gesucht (oder auch nur überprüft) werden, wollen wir nichts zu tun haben.” Diese Begründung erfährt Herr Müller natürlich nicht und darf er nicht erfahren; also kann er sich auch nicht dagegen wehren. Da Terroristen bekanntlich Flugzeuge kapern und zum Absturz bringen und da dies keine Fluggesellschaft wünscht, wird die Lufthansa Herrn Meier, über den der Verfassungsschutz Informationen bei der Fluggesellschaft eingeholt hat, möglicherweise kein Flugticket mehr verkaufen; seltsamerweise sind alle Flüge immer schon ausgebucht. Und so weiter und so weiter.
Einen Terroristen herausfiltern oder gar einen Terroranschlag verhindern wird man mit diesen Maßnahmen kaum: Zur vergleichbaren Ausweitung der Anzeigepflicht bei vermuteter Geldwäsche im Rahmen der Terrorismusbekämpfung hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Joachim Jacob Anfang 2002 ausgeführt: „Schon bisher hat es in der Bundesrepublik Deutschland trotz mehr als 4.000 Verdachtsanzeigen pro Jahr nach § 11 Geldwäschegesetz kaum gerichtliche Verurteilungen wegen Geldwäsche gegeben. Jetzt werden durch erweiterte Meldepflichten noch mehr Betroffene ins Visier der Strafverfolger geraten, ohne dass überhaupt ein strafrechtlicher Anfangsverdacht vorliegt und ohne dass den anzeigepflichtigen Stellen genauere Kriterien für Verdachtsanzeigen zur Verfügung gestellt werden […] Als Fazit gilt festzuhalten, dass die dargestellten Regelungen zur Verbrechensbekämpfung nach dem 11. September 2001 zu einer erheblichen Einschränkung der Freiheitsrechte des Bürgers und zu spürbaren Belastungen für betroffene Unternehmen führen. Erst in einigen Jahren wird sich feststellen lassen, ob sie zur Bekämpfung des Internationalen Terrorismus und bestimmter Formen der Organisierten Kriminalität überhaupt geeignet sind, also dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit gerecht werden.” (in: WM — Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, Heft 6 2002:278f.)
Ähnliche Bedenken gelten für die. Änderungen des Pass- und Personalausweisgesetzes. Hier sollen in Zukunft zur besseren Fälschungssicherheit und Identifizierung biometrische Merkmale in verschlüsselter Form in die Ausweispapiere aufgenommen werden. Der Sinn bleibt zweifelhaft. Denn bereits 1988 wurden fälschungssichere Personalausweise eingeführt; erst im November 2001 hat der Bundesinnenminister den neuen Personalausweis mit Sicherheits-Hologramm vorgestellt. Auch auf Nachfrage im Bundestag hat der Bundesinnenminister keinerlei Zahlen über angebliche Fälschungen von Personalausweisen und Pässen vorlegen können. Die deutschen Ausweispapiere dürften aber schon heute zu den Fälschungssichersten der Welt gehören.
Die vorgesehene Aufnahme von biometrischen Merkmalen in Ausweispapiere greift tief in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, wäre also verfassungsrechtlich allenfalls zulässig, wenn sie erforderlich, verhältnismäßig und geeignet wäre. Dies ist offensichtlich nicht der Fall — denn die Attentäter von New York und Washington hatten bekanntlich keine deutschen Ausweispapiere. Wozu die biometrischen Daten von Fingern, Händen oder Gesicht des Ausweisinhabers tatsächlich in absehbarer Zeit genutzt werden dürften, ist etwas ganz anderes — und von der Verfassung verboten: Mit diesen biometrischen Daten der Gesamtbevölkerung werden Informationen auf Vorrat gesammelt, die dann zu anderen Zwecken zur Verfügung stehen: Wenn irgendwo eine Straftat begangen und Fingerabdrücke oder andere Tatortspuren gesichert wurden, könnte man die gesamte deutsche Bevölkerung durchrastern, um möglicherweise einen Täter zu finden. Oder man nimmt — wie kürzlich in Florida geschehen — alle Besucher im Fußballstadion mit einer Kamera auf und gleicht sie — wenn ihre Gesichter als biometrische Daten codiert wurden — mit Listen gesuchter Personen ab oder stellt schlicht fest, ob Herr Meier mit seiner Freundin Frau Müller zusammensitzt statt mit seiner Ehefrau. Alles dies ist schon heute möglich. Mit der Aufnahme biometrischer Daten in die Personalausweispapiere entsteht aber eine Art Personenkennzeichen (PKZ), was der Rechtsausschuss des Bundestages im Jahre 1976 noch als mit unserer Verfassung unvereinbar kategorisch abgelehnt hatte. Und das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Volkszählungsurteil von 1983 festgestellt, dass ein PKZ der entscheidende Schritt hin zu einer umfassenden Registrierung und Katalogisierung jedes einzelnen Bürgers sei und mit den Persönlichkeitsrechten des Einzelnen nicht zu vereinbaren wäre. Denn hier wird jeder Bürger als potenzieller Straftäter betrachtet. Man kann dies als verfassungswidriges Menschenbild charakterisieren, weil unsere demokratische und rechtsstaatliche Verfassung von dem prinzipiell rechtstreuen Bürger ausgeht, bis das Gegenteil bewiesen ist. Erst wenn konkrete Anhaltspunkte für die Straftat eines Bürgers vorliegen, darf der Staat sich mit ihm befassen, ihn überwachen, gegen ihn ermitteln.
Die Sicherheitsüberprüfung als Generalermächtigung der Exekutive
Wenige Bürger kennen auch das Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG), denn bisher diente es lediglich dem Geheimnisschutz, und folglich war die Sicherheitsüberprüfung nach § 1 SÜG grundsätzlich beschränkt auf Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, die im Rahmen ihrer Tätigkeit Zugang zu sicherheitsrelevanten Daten hatten. Privatbeschäftigte unterlagen nach § 24 SÜG nur dann der Sicherheitsüberprüfung, soweit sie bei ihren privaten Arbeitgebern zu sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten durch die zuständige Stelle ermächtigt waren.
Durch die neuen Absätze 4 und 5 des § 1 SÜG wird das nun ganz anders: eine „sicherheitsempfindliche Tätigkeit” übt nun auch aus, wer „an einer sicherheitsempfindlichen Stelle innerhalb, einer lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtung” beschäftigt ist oder werden soll. Und lebenswichtig sind nach Abs. 5 unter anderem „solche Einrichtungen, die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung und somit Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entstehen lassen würde.” Welche Einrichtungen das sind, soll nicht etwa der Gesetzgeber festlegen, sondern nach § 34 SÜG die Exekutive. Schon nach der Gesetzesbegründung fallen darunter Einrichtungen, die für „die Versorgung der Bevölkerung (z.B. Energie, Wasser, pharmazeutische Firmen, Krankenhäuser, Banken) dienen oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens (z.B. Telekommunikation, Bahn, Post, Rundfunk- und Fernsehanstalten) notwendig sind.” Sollte die tägliche Tagesschau ausfallen, so würde dies mit Sicherheit „erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung” zur Folge haben. Dasselbe gilt, wenn plötzlich der öffentliche Personennahverkehr nicht funktioniert, wenn man am Geldautomaten der Bank kein Geld mehr abheben kann, wenn die Lebensmittelgeschäfte geschlossen sind, wenn die Eisenbahn nicht fährt, die Lufthansa nicht fliegt, wenn die Tageszeitung ausbleibt, wenn das Arbeitsamt geschlossen ist, wenn die Fußballspiele der Bundesliga ausfallen — nach der neuen Gesetzesdefinition sind dies alles lebenswichtige Einrichtungen, so dass die dort beschäftigten Personen einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden können. Bei der für diesen — uferlosen — Personenkreis nun möglich werdenden Sicherheitsüberprüfung greifen die Regeln der „einfachen Sicherheitsüberprüfung” nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 SÜG, wonach der Überprüfte eine „Sicherheitserklärung” abzugeben hat. Hierin sind nicht nur Name, Geburtsdatum und -ort, Familienstand und Wohnsitz der vergangenen Jahre, Beruf, Arbeitgeber, Kinder, Eltern, Ausbildungs- und Beschäftigungszeiten sowie Beschäftigungsstellen sowie die Nummer des Personalausweises darzulegen, sondern auch Angaben über durchgeführte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu machen. Weiter wird gefragt, ob die bestehenden finanziellen Verpflichtungen erfüllt werden können, anhängige Straf- und Disziplinarverfahren vorliegen, Angaben zu Reisen und nahen Angehörigen in oder sonstigen Beziehungen zu Staaten, in denen Sicherheitsrisiken zu befürchten sind (z.B. die Urlaubsreise nach Moskau oder Peking oder Damaskus), werden gefordert sowie drei Referenzpersonen mit Namen, Beruf, Anschrift und Telefonnummer. Ein Teil dieser Angaben ist auch zum Lebenspartner — allerdings nur mit dessen Einverständnis — zu machen; dieser wird dann auch überprüft. Doch was passiert, wenn er oder sie das Einverständnis versagt? Der Job dürfte dann wohl futsch sein.
Erschwerend hinzu kommt, dass diese Angaben nicht nur die „zuständige Stelle” erhält, sondern auch der Verfassungsschutz, das BKA und zahlreiche weitere mit Sicherheitsfragen befasste Institutionen. Der Bundestag hat also weit gehende Überprüfungsmöglichkeiten eröffnet und die Frage, welche Personen davon betroffen sind, der Regierung überantwortet. Diese kann mit ihren Kompetenzen beinahe beliebig nach eigenem Gusto verfahren.
Gemessen wird mit zweierlei Maß
Die bisher geschilderten Regelungen betreffen die Deutschen. Sie umfassen sieben Seiten im Bundesgesetzblatt vom 11. Januar 2002 (S. 361-367). Die folgenden elf Seiten (S. 368-378) betreffen mit den Artikeln 11 bis 16 ausschließlich Änderungen des Ausländerrechts, des Asylverfahrens und des Ausländerzentralregistergesetzes sowie der dazugehörigen Verordnungen. Aufschlussreich für den neuerdings offenbar legitimen impliziten Generalverdacht ist zum Beispiel, dass das so genannte Terrorismusbekämpfungsgesetz in Bezug auf die deutsche Bevölkerung die Aufnahme von biometrischen Daten in die Personalpapiere prinzipiell für möglich erklärt hat, die Details aber einem weiteren, vom Bundestag zu beschließenden, Gesetz vorbehält. Für hier lebende Ausländer jedoch, für die das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung von Verfassung wegen genauso gilt, ist unter Verstoß gegen dieses Grundrecht die Aufnahme von biometrischen Daten in die Personalausweispapiere gleich direkt im Gesetz festgelegt worden. Einzelheiten darf der Bundesinnenminister per einfacher Verordnung regeln, eine Beteiligung des Parlaments ist nicht vorgesehen. Die Grundrechte, die bis auf wenige Ausnahmen Menschenrechte sind und universell für jeden gelten, werden hier-mit für Ausländer außer Kraft gesetzt. Dies ist nicht nur Ausdruck von Ausländerdiskriminierung, sondern schlicht verfassungswidrig. Während bei den Deutschen die Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und in das Recht, vom Staat als Bürger nicht unter Generalverdacht gestellt zu werden, wenigstens noch unter gewisse Kautelen gestellt werden, ist der Ausländer für den Gesetzgeber des so genannten Terrorismusbekämpfungsgesetzes eine Gefahr per se. Er ist der nicht nur potenzielle, sondern offenbar der fast sichere Straftäter und Terrorist, der überwacht und abgewehrt werden muss. Dies betrifft immerhin rund sieben Millionen Einwohner unseres Landes und alle diejenigen, die einreisen wollen – sei es zu touristischen oder geschäftlichen Zwecken, zu Freundschaftsbesuchen, als Flüchtlinge oder als dauernde Einwanderer. Die Aufnahme biometrischer Daten in die Aufenthaltsgenehmigung oder in den Ausweisersatz ist beschlossen und wird nur vom Bundesinnenminister geregelt. Ein verfassungsrechtlich vorgeschriebenes Zweckbindungsgebot gibt es nicht.
Die Daten sowohl des Visa-Antragsstellers wie auch des deutschen Einladers werden an die Geheimdienste BND, Bundesamt für Verfassungsschutz, MAD, sowie an das BKA und das Zollkriminalamt übermittelt, obwohl doch nach der gesetzlichen Aufgabenbeschreibung der BND als Auslandsnachrichtendienst über den deutschen Einlader nichts wissen darf, genauso wenig wie der Verfassungsschutz als Inlandsnachrichtendienst über den ausländischen Visa-Antragsteller. Alle diese Behörden dürfen nach § 64 a Abs. 3 Ausländergesetz die ihnen übermittelten Daten speichern und nutzen; und dies beinahe unbeschränkt. Dass alles auch im Ausländerzentralregister gespeichert wird, ist selbstverständlich. Allein die Tatsache, dass Ausländer per definitionem Nicht-Deutsche sind, ist es, die Ansatz und auslösendes Moment für eine lückenlose und unbeschränkte Überwachung durch sämtliche deutschen Behörden darstellt. Dabei ist doch offenkundig, dass auch mit Mitteln des Polizeistaats, auch bei hundertprozentiger Überwachung, erneute Anschläge nicht zu verhindern sind. Und wer sagt, dass nur Ausländer terroristische Taten begehen? Die Behandlung der Ausländer im so genannten Terrorismusbekämpfungsgesetz als potenzielle Straftäter macht allen „braven” Deutschen deutlich, woher unserem Staatswesen und unserer Gesellschaft Gefahren drohen. Ausländer werden unter Generalverdacht als Straftäter gestellt. Und da Volksverhetzung nach § 130 StGB vorliegt, wenn jemand „die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht”, muss man wohl zugestehen, dass das vermeintliche Terrorismusbekämpfungsgesetz zumindest an staatliche Volksverhetzung grenzt.
Der Siegeszug von Catch-all-Klauseln
Am 26. April 2002 hat der Deutsche Bundestag den Sicherheitspaketen zur angeblichen Terrorismusbekämpfung ein weiteres Steinchen des rechtsstaatlichen Abbaus hinzugefügt, den neuen § 129 b StGB. Der bisherige § 129 a StGB stellt die Bildung sowie das Werben und die Unterstützung von terroristischen Vereinigungen unter Strafe. Was dem „gesunden Menschenverstand” so plausibel klingt, bedeutete in der Praxis, dass Familienangehörige von RAF-Strafgefangenen, die öffentlich gegen die zumindest von ihnen so empfundene Isolationshaft ihrer Angehörigen demonstrierten, wegen Unterstützung für eine terroristische Vereinigung nach § 129 a StGB angeklagt wurden. Dieser Paragraph diente bereits bisher als „Sesam öffne Dich!” für alle Strafverfolgungsmaßnahmen, wenn nichts Konkretes vorlag, aber trotzdem Hausdurchsuchungen oder Telefonabhöraktionen durchgeführt werden sollten. Bei Verdacht auf eine Straftat nach § 129 a StGB kann der „Verdächtige” in Untersuchungshaft genommen werden, ohne dass es einen Haftgrund gibt, selbst wenn nicht mal Flucht- oder Verdunkelungsgefahr vorliegen. In lediglich drei Prozent aller Ermittlungsverfahren nach § 129 a StGB kommt es überhaupt zu einer Anklage. Der Paragraph wird also in der Praxis lediglich als Verdachtschöpfungsinstrument und zur Einschüchterung benutzt, denn auch in den 97 Prozent der Fälle, in denen es nicht zur Anklage kommt, darf nicht vergessen werden, welche einschneidenden und traumatischen Erlebnisse etwa mit einer Hausdurchsuchung durch ein Spezialeinsatzkommando, mit der Stigmatisierung in der Nachbarschaft, mit der U-Haft und dem Ermittlungsverfahren einhergehen. Deshalb forderten viele Juristen- und Bürgerrechtsorganisationen die Abschaffung dieses Paragraphen. Bis zum 26. April 2002 gehörte auch die Regierungspartei Bündnis 90/Die Grünen dazu. Mit dem neuen § 129 b hat sie nun jedoch dazu beigetragen, dass auch das aktive Werben für eine — angeblich — terroristische Vereinigung im Ausland unter Strafe gestellt.
Eine solche Regelung war bereits in den 1980er Jahren in der Diskussion. Ausgerechnet der Generalbundesanwalt hat davon dringend abgeraten. „Deutsche Gerichte müssten — ohne zureichende Ermittlungsmöglichkeiten vor Ort — tragfähige Feststellungen über die jeweilige Struktur der ausländischen Organisation, deren Zielsetzung und personeller Zusammensetzung treffen. Ferner müsste jeweils eine Entscheidung darüber herbeigeführt werden, ob ein berechtigter Widerstand, namentlich gegen ein ausländisches Unrechtssystem, einer ausländischen Organisation die Qualifikation einer terroristischen Vereinigung nimmt. Diese Prüfung würde zur unlösbaren Aufgabe, wenn eine ausländische Vereinigung durch Gewaltakte gar die Regierungsarbeit übernehmen würde und dadurch ihr früheres Verhalten legalisieren könnte” (der damalige Generalbundesanwalt Rebmann in der Neuen Strafrechtszeitschrift 1986: 291). Der spätere israelische Ministerpräsident Ben Gurion wurde von den Engländern als Terrorist gesucht, weil er das King David Hotel mit einer Bombe in Schutt und Asche gelegt hatte. Die heutigen „Terroristenorganisationen” Al Quaida und Taliban wurden von der CIA — als es den USA noch nützlich erschien — unterstützt. Wären Anhänger Ben Gurions oder Mitarbeiter der CIA unter der Geltung des neuen § 129 b StGB vor deutschen Gerichten unter Strafe zu stellen? Um solchen Problemen aus dem Wege zu gehen, knüpft man die Strafverfolgung nach dem neuen § 129 b StGB an eine Ermächtigung durch das Bundesjustizministerium. Ist dadurch im Sinne des Rechtsstaates wirklich etwas gewonnen? Oder führt dies nicht lediglich dazu, dass das Bundesjustizministerium nach außenpolitischen Nützlichkeitserwägungen der Bundesregierung entscheidet — und damit im Sinne der juristischen Dogmatik nach Willkür?
Keines der „Sicherheitspakete” oder so genannten Terrorismusbekämpfungsgesetze hätte, wenn es im Herbst 2001 bereits Geltung gehabt hätte, den Anschlag des 11. September verhindert. Dies müssen bei rationaler Diskussion auch die Verfechter dieser Gesetzespakete zugestehen. Fast keine dieser Bestimmungen hat auch in Zukunft irgendeine Auswirkung auf die Bekämpfung des Terrorismus. Fast alle diese Regelungen sind von vornherein zur Bekämpfung terroristischer Gewalttaten ungeeignet, nicht verhältnismäßig und nicht erforderlich und damit automatisch verfassungswidrig.
Dafür aber bringen uns die so genannten Terrorismusbekämpfungsgesetze einen großen Schritt nach vorne auf dem Weg zu einem Überwachungsstaat. Auf dem Weg zur Betrachtung jedes Bürgers als potenzielles Sicherheitsrisiko. Auf dem Weg zur umfangreichen Sammlung von Daten über alle Bürger auf Vorrat. Auf dem Weg zur unauflöslichen Vernetzung von Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten. Auf dem Weg zur angeblichen Vorbeugung vor möglichen Straftaten — und das heißt ohne konkrete Gefahren, ohne konkreten Anfangsverdacht, folglich zur Ermittlung gegen jeden. Dies bedeutet die Auflösung jeglicher Einschränkungen und Kontrollen der Ermittlungstätigkeiten gegen und die Überwachung von jedermann. Dies bedeutet die Einführung dessen, was das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil als Gift für unseren demokratischen Rechtsstaat erklärt hat: Wenn der Bürger nicht mehr nachvollziehen kann, wer was wann und aus welchem Anlass über ihn weiß, dann wird er versuchen, nicht aufzufallen, dann wird er sich nicht mehr als selbstbestimmter Menschen mit geradem Rückgrat verhalten, dann wird er nicht mehr sagen, was er meint, und nicht mehr tun, was er tun möchte — und „dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist” (Volkszählungsurteil v. 15.12.1983, BVerfGE 65, 1, 43).
Der Terrorismus hat — nicht ohne Zutun der Regierenden — sein Ziel erreicht: Die Grundlagen unserer freien Gesellschaftsordnung zu erschüttern, den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat als Verfassungsprinzip der „zivilisierten westlichen Gesellschaftsform” zu unterminieren.
(1) So etwa als Verfasser des Buches Im Namen des Staates. CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste, München/Zürich 1998.