Zwischen Ignoranz und Alarmismus: Zur Novellierung des Hochschulrahmengesetzes
Denn es ist außerordentlich gewagt für einen jungen Gelehrten, der keinerlei Vermögen hat, überhaupt den Bedingungen der akademischen Laufbahn sich auszusetzen. Er muss es mindestens eine Anzahl Jahre aushalten können, ohne irgendwie zu wissen, ob er nachher die Chancen hat, einzurücken in eine Stellung, die für den Unterhalt ausreicht.
Max Weber: Wissenschaft als Beruf, 1919
Die deutsche Universität ist reformbedürftig — so lautet die Parole, die seit einigen Jahren immer wieder in der öffentlichen Debatte ertönt. Als unermüdlicher Kritiker der deutschen Hochschule hat Peter Glotz erst kürzlich wieder die offensichtlichsten Schwächen zusammengefasst: Im Verhältnis zu den als vorbildlich angesehenen großen und zumeist privaten US-amerikanischen Forschungsuniversitäten sind deutsche Einrichtungen katastrophal unterfinanziert, stellen im internationalen Vergleich mit anderen europäischen Regionaluniversitäten und Bildungskonzernen keine Konkurrenz dar und werden inhaltlich, strukturell sowie in der personellen Ausstattung den Anforderungen der Wissensgesellschaft nicht gerecht. Die Folgen: gute Studierende und Nachwuchswissenschaftler wandern aus Deutschland ab, die schlechteren sitzen in überfüllten Seminarräumen, und eine überalterte Professorenschaft bleibt — mehr volens denn nolens — am „Prokrustesbett des öffentlichen Dienstrechts“ (Glotz 2002: 32) und des kultusministerialen Bürokratismus gefesselt. Die Lösung: Zulassung eines echten überregionalen Wettbewerbs zwischen den Universitäten, Mut zur Privatisierung, Einführung von Studiengebühren usw.
Die seit dem 23. Februar 2002 wirksame Novellierung des Hochschulrahmengesetzes (HRG) hat die hohen (und nicht unproblematischen) Erwartungen von Peter Glotz sicherlich kaum erfüllt. Sie regte jedoch zu einer öffentlichen Debatte über den aktuellen universitären Modernisierungspfad an und lenkte den Blick auf die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Neuregelungen des HRG
Das HRG sieht einschneidende Neuregelungen für die Qualifikationsphase von jungen Akademilcer/innen vor. Die Qualifizierungsphasen werden in Paragraph 57 HRG auf jeweils sechs Jahre für die Promotions- bzw. Habilitationsphase — im Bereich der Medizin sechs + neun Jahre — befristet. Dieser personenbezogene Sonderbefristungstatbestand erstreckt sich als unmittelbares Bundesrecht mit dem Inkrafttreten des Gesetzes auf das gesamte wissenschaftliche Personal an staatlichen bzw. überwiegend staatlich finanzierten Forschungseinrichtungen.[1] Durch den Wechsel der Forschungseinrichtung soll im Gegensatz zur vorherigen Regelung keine mehrfache Ausschöpfung der Befristungshöchstgrenzen mehr möglich sein. Die zulässige Qualifikationsphase nach Abschluss einer Promotion verlängert sich in dem Umfang, in dem Zeiten einer befristeten Beschäftigung bzw. andere Promotionszeiten zusammen weniger als sechs Jahre betragen haben. Nach Ablauf der zwölf bzw. fünfzehn Jahre ist eine begrenzte Anstellung auf der Basis des HRG nicht mehr möglich. Wissenschaftliche Mitarbeiter/innen können nur noch nach dem allgemeinen Arbeitsrecht des Teilzeit- und Befristungsgesetzes weiter beschäftigt werden. Wie diese Möglichkeit verwirklicht wird, hängt jedoch von der Personalpolitik der jeweiligen Hochschulen ab.
Die Einstellungsvoraussetzungen und dienstrechtliche Stellung der Juniorprofessor/innen sind in den Paragraphen 47f. HRG geregelt. Die Einführung einer auf zwei mal drei Jahre befristeten Juniorprofessur soll aus Sicht des derzeitigen Bundeswissenschaftsministeriums zum Regelfall bei der Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses werden. In einem Beamtenverhältnis auf Zeit oder befristeten Angestelltenverhältnis sollen Nicht-Habilitierte mit einem eigenen Budget und einer drittmittelfähigen Grundausstattung, zeitlich gestaffelten Lehrverpflichtungen (vier — acht SWS), dem Recht zur Betreuung von Promotionen und der korporationsrechtlichen Zuordnung zur Hochschullehrergruppe unabhängig von einem übergeordneten Professor lehren und forschen können. Die Einführung, die Ausstattung und der Stellenwert der Juniorprofessuren wird in den jeweiligen Landesgesetzen geregelt. Hier zeichnet sich derzeit eine sehr uneinheitliche Politik ab, die nunmehr auch von Befürwortern des Buhlmanschen Reformmodells durchaus kritisch beurteilt wird.[2]
Der Paragraph 57 HRG in der öffentlichen Diskussion
Die Hauptkritik gegen die HRG-Novelle, die übrigens nahezu problemlos den Bundestag (9. November 2001) und den Bundesrat (20. Dezember 2001) passiert hatte, entzündete sich jedoch an der Befristung der Qualifikationsphase. In überraschend heftiger Form reagierten renommierte Wissenschaftler und Feuilletonisten auf den Paragraph 57 HRG: Es handele sich hier um eine „Posse“ (Herbert 2002), die man als Zeugnis für „eine eklatante Intellektuellenfeindschaft“ (Wehler 2002: 38) des BMBF ansehen könne, und die auf Edelgard Bulmahn als phantasielose „Bildungsmaschinistin“ (Kaube 2002: 47) zurückzuführen sei.
Dass es Anlass zur Sorge gibt, belegt ein erster Alarmruf von Ulrich Herbert vom 9. Januar 2002. Der Historiker berichtete in der Süddeutschen Zeitung von einem jungen habilitierten Kollegen, dem trotz der erfolgreichen Einwerbung von Drittmitteln für seine forschungsbezogene Weiterbeschäftigung an der Berliner Humboldt-Universität eine Einstellung verweigert wurde. Da der Privatdozent bereits zwölf Jahre auf der Grundlage befristeter Verträge in wissenschaftlichen Einrichtungen gearbeitet habe, könne die Humboldt-Universität gemäß Neuregelung des Paragraph 57 HRG einer erneuten Anstellung nicht zustimmen. Herberts Hinweis, dass hier offenbar eine Regelung vorliegt, die hochqualifizierte und -motivierte deutsche Nachwuchswissenschaftler in die Arbeitslosigkeit zwingt, blieb nicht ohne Widerhall. In führenden Tageszeitungen und Wochenzeitschriften meldeten sich im Januar und Februar eine Vielzahl von Persönlichkeiten zu Wort, die sich zu Gefahren und Stärken der Novelle äußerten. Dabei kristallisierten sich im Wesentlichen zwei Positionen heraus, die ein bezeichnendes Licht auf den Stand der Diskussion über Situation und Zukunft des wissenschaftlichen Nachwuchses an deutschen Universitäten werfen.
Neben Ulrich Herbert meldeten sich weitere Kultur- und Sozialwissenschaftler wie Friedrich Wilhelm Graf, Wolfgang J. Mommsen und Hans-Ulrich Wehler zu Wort, die in scharfer Form nicht nur den Paragraph 57 des HRG, sondern die gesamte Reforminitiative von Edelgard Bulmahn als ein Produkt fehlgeleiteten Modernisierungseifers stigmatisierten. Zwei Argumente tauchen in diesem Diskursstrang regelmäßig auf. Zunächst wird die rabiate Durchsetzungsstrategie des BMBF beklagt, das ohne Rücksicht auf Verluste das Modell der Juniorprofessur durchsetzen möchte. Diese als „Brachialmaßnahme zur Verjüngung des Lehrkörpers“ (Mommsen 2002: 52) bezeichnete Stoßrichtung des HRG sei sozial ungerecht, da sie wissenschaftserfahrene Promovierte und Habilitierte (hier vor allem Sozial- und Geisteswissenschaftler) unvorbereitet auf die „freie Wildbahn“ (Wehler 2002: 38) des außeruniversitären Arbeitsmarktes schicke. Dies sei auch aus wissenschaftspolitischer Perspektive schädlich, da mit der Gesetzesnovelle somit eine „Exklusionspraxis“ (Wehler 2002: 38) eingeführt werde, die vor allem unerfahrene Doktoranden in laufende oder noch entstehende Forschungsprojekte hineindrängt. Gepaart mit den Zwängen der Juniorprofessur, die Promovierten zudem mehr Lehr- als Forschungsaufgaben auferlegt, würde der „noch hohe Wissenschaftsstandard der deutschen Wissenschaft“ (Mommsen 2002: 52) unterminiert —eine Entwicklung, die der Intention der Hochschulreform also gerade zuwiderlaufe.
Diesem zwischen sozialen Katastrophismus und Sorge um wissenschaftliche Leistungsstandards angesiedelten Diskurs steht eine Position gegenüber, die weitgehend die Hochschulreform-Initiative des BMBF unterstützt. In deren Kern stehen drei zentrale Prinzipien: Durch das sogenannte Rotationsprinzip und die bundeseinheitliche Befristungsregelung sollen die Qualität der Forschung, aber auch der Grundsatz unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse nach der Qualifikationsphase verwirklicht werden. In beispielhafter Weise hat der Naturwissenschaftler Gerhard Neuweiler die Verteidigung der HRG-Novelle übernommen. Den „Schimpfkanonaden“ und dem „Feldgeschrei aus den Gelehrtenstuben“ (Neuweiler 2002: 7) stellt er das vorbildliche US-amerikanische Prinzip der Leistungsorientierung und Eliterekrutierung entgegen. Mit der Juniorprofessur und vor allem mit der „Begrenzung der Qualifizierungsphase für eine Lebenszeitprofessur auf maximal 12 Jahre“ (ebd.) könne man der Überalterung des wissenschaftlichen Nachwuchses, dem Fachegoismus und dem professoralen Besitzstandswahrungsdenken in Rekrutierungsfragen Herr werden. Den Besten des wissenschaftlichen Nachwuchses würde jetzt die Möglichkeit gegeben, sich frühzeitig in die wissenschaftliche Selbstständigkeit zu begeben, und Doktoranden, die aus Mitteln für Forschungsprojekte z.T. promotionsfremde Aufgaben zu erfüllen hätten, könnten sich nun mit Hinweis auf das HRG vor „ausbeuterischen“ Arbeitsverhältnissen schützen.
Die öffentliche Debatte der Hochschulprofessoren hat also die Aufmerksamkeit nicht allein auf die Sicherung von Bildungs- und Forschungsstandards im Rahmen der Modernisierung des bundesdeutschen Hochschulsystems gerichtet. Sie zielt auf einen fördernden sowie sozial gerechten Umgang mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs. Während an bundesdeutschen Universitäten nun Umsetzungsmodelle des Paragraph 57 HRG diskutiert werden, hat die Hochschulrektorenkonferenz bereits weitere Eingriffe angemahnt. Aufgaben, Status und Vergütungen der jeweiligen Mitarbeiter sollen nach den individuellen Bedürfnissen der Fächer festgelegt und Einkommen der Nachwuchswissenschaftler/innen stärker wettbewerbs- und leistungsorientiert gestaltet werden.
Die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses
Von „oben“ wird also Befristung, Anwendungsorientierung und Flexibilisierung gefordert. Wie aber ist es um den Gestaltungsgegenstand der Regulierungen, konkret die Situation von bundesdeutschen Jungakademiker/innen bestellt?
Ein impressionistischer Blick legt eine bunte Mixtur frei. Diese besteht aus gut ausgestatteten Graduiertenkollegs, Halbtagsstellen mit hohem Dienstleistungsanteil, Stipendiat/innen im „stillen Kämmerchen“ und drittmittel-finanzierten Ganztagsstellen. Die unterschiedliche Einbindung der Promovierenden scheint zudem mit andersartigen Fachkulturen zusammen zu hängen: Der am Lehrstuhl beschäftigte Ingenieur begegnet wohl kaum jener Sprachwissenschaftlerin, die weitgehend am heimischen Schreibtisch forscht. Den meisten Arbeitsverhältnissen in der Forschung ist eigen, dass sich die finanzielle Situation als ausgesprochen knapp und prekär darstellt. Schließlich weist der jeweilige Forschungsprozess ungleichzeitige Zyklen aus intensiven Diskussionsphasen, individuellen Datenerhebungsabläufen und einsamen Perioden des Schreibens auf.
Soweit die Impression. Aktuelles, jedoch nur ansatzweise aussagekräftiges Datenmaterial kann man den Eckpunkten und Kennzahlen zur Lage der Hochschule von 1980 bis 2000 des Wissenschaftsrates vom 31. Januar 2002 entnehmen. Tatsächlich hat sich zwischen 1980 und 1999 (im erweiterten Bundesgebiet) die Anzahl der Dissertationen und der Habilitationen verdoppelt. Die Ressourcenausstattung der Hochschulen (Personal, Finanzen) ist auf das Eineinhalbfache gestiegen. Sie hat mit dem Anstieg postgradualer Qualifikationsarbeiten nicht Schritt gehalten. Der Schluss liegt nahe, dass sich die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses verschlechtert hat. Für eine gültige Beantwortung stehen aber erheblich detailliertere Datenanalysen zur Ressourcenausstattung und Betreuungssituation des akademischen Nachwuchses noch aus.
Die Lücke zwischen Impression und allgemeinen Daten kann eine Studie verringern, die 2.200 Promovierte zu ihren Ausbildungserfahrungen befragte. Diese bestätigt den Eindruck unterschiedlicher Finanzierungsarten während der Promotion, die durchaus mit unterschiedlichen „Promotionskulturen“ (Enders/Bornmann) einher gehen. So haben sich insbesondere die Promovierenden der Elektrotechnik, Mathematik und Biologie über Stellen in Hochschuleinrichtungen finanziert, während diejenigen der Sozialwissenschaften und Germanistik zu jeweils ca. einem Viertel Stipendien nutzten. In beiden Bereichen wurde diese Qualifikationsphase jedoch zu über 40% extern finanziert, d.h. durch außeruniversitäre Erwerbsarbeit bzw. familiäre Unterstützung. Mit der unterschiedlichen Finanzierung geht die jeweilige institutionelle Einbettung und Betreuung der Qualifikationsarbeiten einher: Während sich zwei Drittel aller Befragten in einen Hochschulkontext eingebunden sahen, promovierten Sozialwissenschaftler/innen (42%) und Germanist/innen (36%) in deutlich geringerem Maße mit institutioneller Anbindung.
In der aufgeregten Debatte um die Reform der Hochschulen gerät mitunter aus dem Blick, dass sich die Promovierenden aus Fachinteresse zu diesem Qualifikationsschritt entschieden haben. Hätten sie das auch in Kenntnis der Anforderungen und Mühen wissenschaftlicher Arbeit getan? Lohnt es sich überhaupt, eine Doktorarbeit zu schreiben? Werden die Kriterien der Beschäftigung und des Einkommens zu Grunde gelegt, so wird die zweite Frage zum Teil positiv beantwortet: Generell finden ca. 80% der Befragten im ersten halben Jahr nach der Promotion eine universitäre oder außeruniversitäre Erwerbsarbeit. Auch hinsichtlich der Einkommenssituation und der Karrierechancen „lohnt“ sich eine Promotion durchaus. Zu beobachten ist jedoch eine geschlechtsspezifische Segregation der Berufs- und Karrierechancen: Der Erwerbsweg promovierter Frauen ist von Diskontinuitäten, Teilzeitbeschäftigungen, Honorarverträgen und geringeren Einkommenschancen geprägt. Was nun die individuellen Bewertungen der Promotionsphase betrifft, so äußerten sich im Rückblick zwei Drittel der Befragten (sehr) zufrieden über den Ablauf der Promotion, und drei Viertel der Befragten würden wieder im gleichen Fachgebiet arbeiten wollen.
Fassen wir also zusammen: Die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses stellt sich — finanziell, fachlich, zyklisch — als ausgesprochen heterogen dar. Sie wird von klaren sozialen Ungleichheiten durchzogen. In der Zusammenschau der Daten zum nicht proportionalen Anstieg der Promovierenden und der Ressourcenausstattung von Hochschulen mit dem qualitativen Befund, dass „selbstverwaltete“ Re-Strukturierungsmaßnahmen Arbeitskapazitäten einschränken, lässt sich plausibel vermuten, dass die Forschungsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses nicht besser geworden sind. Während sich in der Rückschau die Promotion in der Regel als positive Erfahrung darstellt, erzeugen die aktuellen hochschulpolitischen Änderungen eine erhebliche Unruhe unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs, der sich im unsicheren Übergang zu weiteren Schritten der Berufsbiografie befindet. Eine eigene Formulierung hochschulpolitischer Interessen „von unten“ wird durch die beschriebene Heterogenität erschwert. Braucht wissenschaftlicher Nachwuchs deshalb den schützenden Paternalismus von Hochschulprofessoren?
Die Kritik des Netzwerkes Thesis
Tatsächlich droht in der aktuellen Debatte ein dritter Diskursstrang unbeachtet zu bleiben, so etwa die Kritik des interdisziplinären Netzwerk Thesis[3]: „Spürbare Verschlechterungen“ in der akademischen Praxis würden die gesetzlichen Neuregelungen nach sich ziehen. Die grundsätzlichen Ziele der HRG-Reform, z.B. die langfristige Abschaffung der Habilitationsschrift, Verbesserung der Qualifikationsbedingungen und Verkürzung akademischer Berufswege werden jedoch geteilt. Thesis regt an, in der Promotionsphase auch akademische Schlüsselqualifikationen (Hochschuldidaktik, Projektmanagement) zu berücksichtigen, Sanktionsmöglichkeiten gegen Personen und Institutionen einzuführen, die Promovierende mit Projekt- und Lehrstuhlaufgaben überlasten, und die Vergabe des Doktortitel bundeseinheitlich zu regeln. Hinsichtlich der Juniorprofessur werden Zeitbegrenzungen für kontraproduktiv erachtet, die Lehrverpflichtung bis zu acht SWS als „indiskutabel“ bezeichnet, unterstützende Infrastrukturmaßnahmen (z.B.
Betreuungsstellen für Drittmittelbeschaffung) sowie Freiraum für die Forschung gefordert und eine transparente Konkretisierung der Beurteilungskriterien der Evaluationen angemahnt. Schließlich seien umfangreiche Übergangsregelungen für die Generation derjenigen zu schaffen, die unter den alten Bedingungen ihren Qualifikationsweg begonnen haben. Bezeichnend an dieser Stellungnahme sind nicht nur die konkreten Forderungen, sondern auch die atmosphärischen Eindrücke: Verunsicherung, Abwanderungsgedanken und De-Motivation „einer ganzen Wissenschaftlergeneration“ (Thesis 2002: 8) wird ebenso beklagt wie die „bislang ernüchternden Erfahrungen mit dem Dialogangebot der politische Verantwortlichen“ (ebd.: 2).
Fazit
Deutlich wird an dieser dritten Position, die zwischen den öffentlich debattierten Pro-Kontra-Argumentationen angesiedelt ist, dass die Formulierung eigener Interessen durch den wissenschaftlichen Nachwuchs trotz der heterogenen Situation möglich ist. Es soll nicht bezweifelt werden, dass es sowohl den Gegnern als auch den Befürwortern des HRG z.T. sowohl um die Sicherung nationaler Bildungsund Forschungsstandards als auch um die sozial gerechte Behandlung des wissenschaftlichen Nachwuchses geht. Es wird jedoch offenbar, dass eine mitunter „alarmistische“ Grundhaltung von Jungakademiker/innen nicht allein einer Phase der berufsbiografischen Unsicherheit geschuldet ist, sondern sich auch aus politisch gewollten Kommunikationsblockaden und ausschließenden Diskursen herleitet. Sofern sich politische Parteien, Wissenschaftsministerien und Hochschulverwaltungen nicht auf einen notwendig differenzierten Dialog mit den Betroffenen einlassen, sondern schlichte topdown-Regierungsmentalität walten lassen, laufen sie Gefahr, die bisherige „Ochsentour“ — an deren Ende keinesfalls eine gesicherte Professorenlaufbahn stand — bloß in einen „Lastesel Parcours “ umzuwidmen. Die bisherigen formalen wie informellen Regelungen zur Juniorprofessur führen de facto zur Mehrbelastung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Hinzu kommt, dass sie in einem ressourcenaufwendigen Modernisierungspfad der Re-Strukturierung bundesdeutscher Hochschulen eingebettet sind, wie er sich z.B. bei der Einführung neuer B.A. und M.A.-Studiengänge, der Stärkung der Autonomiebestrebungen bundesdeutscher Hochschulen durch Vereinbarungen mit den jeweiligen Bundesländern und der „Profilierung“ von Universitäten und Fachrichtungen abzeichnet. Die Auseinandersetzungen um diesen Pfad verlaufen häufig — insofern erzählt der Konflikt um das HRG eine Parabel — zwischen professoralen Standesdünkeln, inkohärenten politischen Strategien und elitären Ökonomisierungsphantasien, welche Wissen mit standortbezogenem Utilitarismus verwechseln. Welcher Stellenwert kommt in diesem Modernisierungspfad nicht-nutzenorientierter Wissenschaft und humanistischen Bildungszielen zu? Wie immer man zu dieser Frage stehen mag —für deren adäquate Beantwortung ist es unerlässlich, durch entsprechende Regulierungen die demokratische Mitsprache aller Betroffenen zuzulassen.
Literatur
Enders, Jürgen/Bornmann, Lutz 2001: Karriere mit Doktortitel? Ausbildung, Berufsverlauf und Berufserfolg von Promovierten, Frankfurt/Main
Glotz, Peter 2002: Raus aus der Zwangsjacke, in: Die Zeit Nr. 15 vom 4. April 2002, S. 32
Herbert, Ulrich 2002: Die Posse. An den Unis werden Massenentlassungen als Reform verkauft, in: Süddeutsche Zeitung vom 9. Januar 2002
Kaube, Jürgen 2002: Die Bildungsmaschinistin. Welt als Wille ohne Vorstellung: Edelgard Bulmahns Politik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. Februar 2002
Kaube, Jürgen 2002: Die Zeit ist um, schade! Ministerin Bulmahn treibt die Privatdozenten aus der Forschung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. Januar 2002
Mommsen, Wolfgang J. 2002: Kein Plan, nirgends. Hochschulpolitik nach Art der DDR, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. Februar 2002
Thesis 2002: Stellungnahme zur Novellierung des Hochschulrahmengesetzes (5. HRGÄndG und 6. HRGÄndG) und zur Novellierung der Hochschulgesetze der Bundesländer. Verabschiedet vom Bundesvorstand am 2. März 2002
Wehler, Hans-Ulrich 2002: Auf die freie Wildbahn geschickt, in: Die Zeit Nr. 6 vom 31. Januar 2002, S. 38
Wissenschaftsrat 2002: Eckdaten und Kennzahlen zur Lage der Hochschulen von 1980 bis 2000, Köln
Anmerkungen
[1] Nach den öffentlichen Protesten plant Bundesministerin Bulmahn eine Klarstellung des Gesetzes: Es sollen wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter/innen, die ihre Tätigkeit bereits unter Geltung der alten Befristungsregelungen aufgenommen hatten, mindestens bis zum 28. Februar 2005 befristet beschäftigt werden können, wenn dies erforderlich ist, um eine begonnene Promotion oder Habilitation zu beenden.
[2] Exemplarisch hierfür die ansonsten apologetischen Äußerungen von Gerhard Neuweiler (2002: 7), ehemaliger Vorsitzender des Wissenschaftsrats und Mitglied der Expertenkommission, die die Grundlagen für die Gesetzesnovelle erarbeitet hat.
[3] Das im Januar 1992 in Frankfurt gegründete interdisziplinäre Netzwerk für Promovierende und Promovierte Thesis hat zur Zeit ca. 350 Mitglieder und versteht sich als Kontaktbörse und Interessenvertretung von Doktorand/innen (www.thesis.de).