Sturm im Wasserglas: Michael Hardt und Antonio Negri errichten ein neues Empire
Wenn der Sturm sich gelegt hat, wird es möglich, die Dinge genauer in Augenschein zu nehmen. In diesem Fall gab es keinen Sturm der Entrüstung, sondern des Enthusiasmus. Auf Empire hatte die Welt augenscheinlich tatsächlich gewartet, weshalb das Buch ganz einvernehmlich stürmisch begrüßt wurde — sogar von eher konservativen Rezensenten, mit denen sich jetzt auf dem Buchrücken werben lässt. Das ist verwunderlich und es drängt sich die Frage auf: ist Empire eine Theorie oder ist es ein Symptom? Empire ist eine radikal linke Erzählung, die am Anfang der Moderne beginnt und zu den Verwerfungen der Gegenwart fortschreitet. Dabei bietet das Buch bei Lichte betrachtet erstaunlich wenig Neues, und man fragt sich ernstlich, was für Bücher zum Beispiel der poststrukturalistische Psychoanalytiker Slavoj Žižek zuvor gelesen hat, da er, wie zu erfahren ist, jetzt eine solche Offenbarung an Erkenntnis erfahren haben will.
Michael Hardt/Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung, Campus Verlag: Frankfurt/Main und New York 2002, 461 S., geb., 3593-36994-X; 35,90 Euro
Empire referiert wenig originell, die politische Geschichte Europas, um zielstrebig darauf zuzulaufen, weshalb der Lauf der Geschichte nicht anders kommen konnte als er kam und weshalb das gar nicht schlimm ist. Denn: Das Empire ist nur die letzte, qualitativ natürlich ganz neuartige Entwicklungsstufe des globalen Kapitalismus vor dessen definitiven Ende. Nun muss nur die „Menge“ noch eine Menge Revolution machen. Im wesentlichen repetiert Empire dabei materialistische Theorien der Geschichte, des Kapitals und der Politik, die so auch vor 30 Jahren nicht grundsätzlich anders abgefasst worden wären. Und im Gegensatz zu seiner vielgerühmten Sprache bedient es viel zu oft den Jargon des Konkreten — und ist auch ansonsten eher schlecht geschrieben. Aber natürlich versuchen die Autoren auch etwas Neues. Sie schaffen z.B. eine Verbindung von marxistischer Theorie zum Poststrukturalismus, die nicht durchweg künstlich wirkt. Aber hat das für die politische Theorie Ernesto Laclau nicht auch schon getan? Und besser? Sie versuchen neue Begriffe in die marxistische Theoriebildung einzuschleusen, wie Souveränität und Biopolitik, und greifen dazu auf einen enormen Disziplinenreichtum zurück. Überhaupt liegt den Autoren daran, durch ihren Versuch einer Megatheorie Spielraum für eine längst untergegangen geglaubte revolutionäre Theorie der Gegenwart zurückzugewinnen. Immerhin ist das Buch mit dem Kommunistischen Manifest verglichen worden. Das ist ein Sieg der Methode, denn das Manifest gilt den Autoren ohnehin als Vorbild. Aber wenn Empire diese revolutionären Absichten artikuliert, wenn es sich um nichts geringeres handelt, als um die Wiederbelebung des westlichen Marxismus nach seinem Verscheiden, warum wird das Buch dann weit über die linke Zielgruppe hinaus über den grünen Klee gelobt? Und ist das Lob berechtigt?
Zuerst die Antwort auf die erste Frage, die eine Mutmaßung bleiben muss. Es mag schon sein, dass der Enthusiasmus zu einem guten Teil auch Ausdruck eines Ennui ist. Die Langeweile macht sich breit, wenn es nur noch Liberale und die Rechte gibt. Und das schlechte Gewissen lugt hervor: Jemand muss die traditionellen sozialen Belange auf den Tisch legen, schon damit sie niemand vergisst. Nun, die radikale Linke ist wieder da, ziemlich dickleibig sogar; das „Manifest“ war schlanker. Da freuen sich alle. Weniger als das Erscheinen des Buches selbst wäre es dann das Wiederauftauchen des Gegenspielers, das einmal mehr interessante Betriebsamkeit im akademischen Alltag verspricht. Wenn allerorten die Globalisierung einstimmig als Demokratisierung abgefeiert wird, dann langweilt das. Die bisher auf den Markt gebrachten Kritiken waren entweder schlecht oder langweilig; wenn sie einmal ganz gut waren, dann waren ihre Autoren selbst Kapitalisten, George Soros etwa. Hardt und Negri dagegen gelten als integer. Sie setzen der demokratischen Einvernehmlichkeit ihr sozialistisches Unbehagen entgegen.
Wie sie ihr Unbehagen demonstrieren, führt zu Frage zwei, ob das allseits erteilte Lob berechtigt ist. Dazu bedarf es eines intimeren Blicks auf das Buch. Da gibt es zunächst den Begriff der „Menge“, der dieses Buch von Beginn an durchzieht. Man fragt sich vielleicht zurecht: was soll er bedeuten? Dass das klassische Industrieproletariat zumindest in eine Krise geraten ist, dass es vielleicht sogar als solches nicht mehr existent ist, steht auch für Hardt und Negri außer Frage. Daher tun sie, was linke Revolutionstheorie schon immer am liebsten getan hat: sie erfinden ein neues revolutionäres Subjekt. Was gab es da nicht schon alles: die kolonisierten Völker und ihre Befreiungsbewegungen, das Lumpenproletariat, die Studenten, die Frauen. Soviele Subjekte hat es bereits gegeben — und alle erfolglos, man muss es schonungslos sagen —, dass Hardt/Negri jetzt zum ganz großen Wurf ausholen: „die Menge“. Und das schönste ist: was die Menge sein soll, wird im ganzen Buch nicht geklärt. Wir alle sind es. Der Menge kann sich niemand entziehen. Weil alle Menschen dieser Welt bald im Empire leben werden, werden wir es auch alle stürzen müssen. Das ist Hardts und Negris ureigenes Empire: dass alle Menschen die Menge sind, eine hybride, fassungslose Gemeinschaft potentiell revolutionärer Subjekte, die in Richtung widerständiger Politik diszipliniert werden sollen. Es gehört eine Menge Verzweiflung und Resignation dazu, um derart nebulöse Kategorien zum Zentrum eines Buches zu machen, das ansonsten keinen Nachweis schuldig bleibt, um die Belesenheit der Autoren zu demonstrieren. „Die Menge“ erinnert auf das Fatalste an Hannah Arendts Beschreibung des „Mobs“ in ihren Elementen und Ursprüngen totaler Herrschaft. Dieser „Mob“ kommt ohne die Gewalt und die Liebe zum Terror niemals aus. Wie sehen die Spezialitäten der „Menge“ aus?
Beispiel zwei: die Biopolitik. Hier langen unsere beiden Helden ordentlich bei Foucault zu und auch ordentlich daneben. Bekanntlich geht es bei der Biopolitik nach Foucault in erster Linie um eine optimale Ausschöpfung des Lebens als sozialer Ressource, d.h. als Bevölkerungspolitik. Sie richtet sich auf die einzelnen Körper, um so den Metakörper Bevölkerung und Gesellschaft zu beherrschen. Das bedeutet eine ganz neue Qualität von politischer und sozialer Herrschaft, die nicht gut in den Kategorien herkömmlicher politischer Ökonomie zu fassen ist. Bei Hardt und Negri wird daraus schlicht eine Macht, die jedes Moment gesellschaftlichen Lebens vereinnahmt und an den daraus resultierenden Widersprüchen kollabieren könnte — vorausgesetzt, die Menge bricht die Ketten der Biopolitik und entert die Wachtürme der Macht. In der Perspektive von Hardt/Negri verschwinden all die Subtilitäten Foucaults, die Differenzen des Poststrukturalismus, die Widersprüche des herbeizitierten „Empire“ lösen sich in binären Codes auf, die schon immer gemächlich handhabbar waren. Wo alles sehr überschaubar ist, braucht niemand mehr skeptisch zu sein, was falsch oder richtig ist. Mag sein, dass darin ein Gutteil des Erfolgs dieses Buches liegt.
Empire ist kein neues, modernes Kommunistisches Manifest; Empire ist eine Fibel, eine Klippschule der Revolution für Globalisierungsgegner; eine Einstiegslektüre für alle Spätpubertierenden, die wissen wollen, wie es mit dem Denken weitergeht. Empire ist dann am besten, wenn man es als den ersten Teil einer im Niveau noch ansteigenden Fortsetzungsgeschichte der Gesellschaftstheorie begreift.