Beitragsbild 60 Jahre Loccumer Vertrag - Humanistische Union fordert Beendigung von Kirchenprivilegien
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60 Jahre Loccumer Vertrag - Humanis­ti­sche Union fordert Beendigung von Kirchen­pri­vi­le­gien

17. März 2015

Vor 60 Jahren, am 19. März 1955, wurde im Kloster Loccum der Vertrag des Landes Niedersachsen mit den Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen unterzeichnet. Aus diesem Anlass fordert die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union (HU) die Landesregierung auf, die Privilegierung der Evangelischen Landeskirchen zu beenden und mit der Kirche in Verhandlungen über eine Auflösung des Vertrags einzutreten.

Nach Auffassung der HU verstoßen einzelne Bestimmungen des Loccumer Vertrags wie der staatliche Kirchensteuereinzug oder die Festschreibung jährlicher Staatsleistungen an die Kirche gegen das Grundgesetz.

Artikel 13 des Loccumer Vertrags sieht die Erhebung der Landeskirchensteuern durch die staatlichen Finanzämter vor. Das widerspricht Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 6 der Weimarer Reichsverfassung. Hiernach sind die Religionsgemeinschaften lediglich berechtigt, nach Maßgabe landesrechtlicher Bestimmungen Kirchensteuern zu erheben. Vom Einzug der Kirchensteuern durch die staatlichen Finanzämter unter Mitwirkung der Arbeitgeber und der Geldinstitute ist im Grundgesetz nicht die Rede.

Ebenfalls im Widerspruch zur Verfassung steht die in Artikel 16 des Loccumer Vertrags vereinbarte staatliche Finanzierung der Evangelischen Landeskirchen. Bei den „als Dotation für kirchenregimentliche Zwecke und als Zuschüsse für Zwecke der Pfarrbesoldung und -versorgung“ umschriebenen jährlichen Zahlungen handelt es sich um sog. Staatsleistungen an die Kirchen – zweckfreie Zuschüsse, über deren Verwendung die Kirchen keinerlei Nachweis erbringen müssen. Bereits die Weimarer Reichsverfassung von 1919 sah im Artikel 138 Absatz 1 die Ablösung solcher Staatsleistungen vor. Das Grundgesetz hat dieses Verfassungsgebot im Artikel 140 erneuert. Der 1955 vereinbarte Jahresbetrag von 7,7 Millionen DM hat sich (durch seine Kopplung an die Besoldung der Landesbeamten) mittlerweile auf 34,4 Millionen Euro im Jahre 2015 erhöht. Während die Zahl der Kirchenmitglieder kontinuierlich zurückgeht, aber die „Dotationen“ trotzdem steigen, werden immer mehr religionsfreie Bürger als Steuerzahler zur Mitfinanzierung der Kirchen herangezogen – ohne es zu wissen.

Die Bundesregierung hat in der Antwort auf zwei Kleine Anfragen zu den Staatsleistungen an die Kirchen ausgeführt, dass sie das nach Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung vorgesehene Bundesgesetz über die Grundsätze der Ablösung nicht zu erlassen gedenkt. Die Länder hätten jedoch „die Möglichkeit, die Staatsleistungen im Wege des vertraglichen Einvernehmens mit den Kirchen umzugestalten und aufzuheben“ (BT-Drucksache 18/45, S. 2 und BT-Drucksache 18/1110, S. 2). Unabhängig davon, dass die Bundesregierung mit ihrer Weigerung, das Grundsätzegesetz zu erlassen, gröblich gegen ein seit fast 96 Jahren bestehendes Verfassungsgebot verstößt: In Niedersachsen ist bisher nicht bekannt geworden, wie Landesregierung und Kirchen mit diesen Antworten der Bundesregierung umzugehen gedenken.

Weitere überprüfungswürdige Regelungen im Loccumer Vertrag und den Zusatzvereinbarungen betreffen zum Beispiel die Theologische Fakultät an der Universität in Göttingen, die Anstaltsseelsorge und die Verpflichtung des Landes Niedersachsen, die Interessen der Kirchen bei den Rundfunkanstalten zu vertreten (Artikel 2 und Abschließendes Protokoll zu Artikel 2 des Ergänzungsvertrags zum Loccumer Vertrag, der am 19.5.1966 in Kraft getreten ist).

Kirchliche Belange sind in den vom Grundgesetz übernommenen Kirchenartikeln der Weimarer Reichsverfassung und im Grundrechtsteil des Grundgesetzes bereits berücksichtigt. Aus Sicht der Humanistischen Union besteht deshalb keine Notwendigkeit für Kirchenverträge. Weder das Grundgesetz noch die Niedersächsische Landesverfassung sehen Kirchenverträge vor. Auch mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, wie zum Beispiel dem Deutschen Gewerkschaftsbund oder den Sportverbänden, werden keine vergleichbaren Verträge geschlossen.

Soweit über die Bestimmungen des Grundgesetzes hinaus noch ein Regelungsbedarf für Kirchenangelegenheiten besteht, kann dies im normalen, transparenten Gesetzgebungsverfahren geschehen. Kirchenverträge wie der Loccumer Vertrag werden dagegen weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgehandelt, auf unbestimmte Dauer abgeschlossen und enthalten keine Kündigungsklauseln. Der parlamentarischen Entscheidungshoheit sind sie weitgehend entzogen. Insoweit bestehen erhebliche Zweifel, ob Kirchenverträge mit dem in Artikel 20 des Grundgesetzes verankerten Demokratieprinzip vereinbar sind.

Für Rückfragen steht Ihnen Kirsten Wiese vom Bundesvorstand der Humanistischen Union unter Mobilnummer 0163 / 268 4615 sowie Johann-Albrecht Haupt vom Beirat der Organisation unter Mobilnummer 0160 / 977 369 72 gern zur Verfügung.

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